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Besser als wir

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Wohin führt uns künstliche Intelligenz? Ein Science-Fiction-Roman aus dem Jahr 1907 macht sich auf Antwortsuche.

Der Roman „Seine Exzellenz der Android“, den der Ingenieur und Wissenschaftsjournalist Leo Silberstein 1907 unter dem Pseudonym Leo Gilbert veröffentlichte, wurde vom Autor als „phantastisch-satirisch“ bezeichnet. Das überraschend witzig und amüsant geschriebene Buch, das man heute mit dem Begriff Science Fiction belegen würde, nimmt ein Thema voraus, das aktueller ist denn je: Der Mensch als Erfinder einer Apparatur, die ihm außer Kontrolle gerät, die aber so perfekt konstruiert ist, dass sie von anderen Menschen nicht als Maschine erkannt werden kann, nicht mehr zu steuern und zu stoppen ist, eine unglaubliche gesellschaftliche Karriere zum erfolgreichen Industriellen hinlegt und zu guter Letzt vom Kaiser zum Minister ernannt wird.

Der Held des Romans, der Physiker und Ingenieur Frithjof Andersen, erleidet durch das erwachte Eigenleben seines Androiden nicht nur einen wirtschaftlichen und sozialen Abstieg und ist beängstigt durch die von seinem Android-Minister ausgelöste Kriegsgefahr, sondern er muss auch noch Liebeswirren erdulden, als ihm der von ihm geschaffene Android seine Liebste ausspannt.

Als bei einem Aufenthalt im damals österreichischen Südtirol der Konstrukteur auf das in der Sommerfrische Erholung suchende Bürgertum trifft, gelingen dem Autor Leo Gilbert launig-witzige Charakterstudien, ein illustres Gesellschaftsporträt der damaligen Zeit, in der die Welt dabei ist, in den Ersten Weltkrieg zu taumeln.

Der Android ist zwar keine selbstlernende Intelligenz, aber er kann auf Stichwörter Klugheiten wiedergeben, die ihm von seinem Erschaffer einprogrammiert wurden. Gleichbleibende Floskeln und sorgfältig ausgeklügelte, sozial gefällige Verhaltensweisen machen ihn unwiderstehlich attraktiv. Sein Schöpfer erkennt:

„Sein Android war gelungen, ganz Mensch. Er unterscheidet sich durch nichts von den anderen, als durch den Mangel von Herz und Gemüt. Und vielleicht nicht einmal dadurch.“

Und so entwickelt der Android eine nicht vorauszusehende Eigendynamik, will als Protegé seines eigenen, inzwischen verarmten Schöpfers diesem eine gute Stellung verschaffen, was beim Konstrukteur eine unbändige Wut auslöst und ihn nicht nur an seinem eigenen Verstand, sondern an der Welt zweifeln lässt.

„Am Ende war dieser Android nur der Prototyp der ganzen menschlichen Gesellschaft und alle Verhältnisse nichts als ein Spiel absurder Ideen, Hanswurstweisheiten, vertrackter Gebärden, Faxen und Farcen, die zu Rang und Ansehen führten.“

Der Schöpfer muss erkennen: „Ohne Herz konnte der Android ein berühmter Großindustrieller werden, ohne Hirn sogar Minister! Er eignet sich jetzt trefflich dazu: Keine Ideen und lauter Versprechungen!!“ An dieser Stelle sei angemerkt, dass Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und politischen Sprechpuppen selbstverständlich rein zufällig sind.

Der Autor weiß schon 1907 um die zynische Macht der Presse. Er schreibt:

„Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt die Presse auch den Verstand. Insbesondere die bürgerliche. Von seiner Genialität waren die Klügsten überzeugt in ihrem demutsknickenden Gefühl. Die Tagesblätter nannten ihn täglich, die Wochenschriften brachten die Porträts des Unvergleichlichen. (…) Welch ein tiefsinniges Antlitz! (…) das ganze Volk nannte ihn einen Mann von Herz, seit er die Prügelstrafe eingeführt und zugleich verordnet, dass Kindern in den Gefängnissen am Sonntag nach dem Gottesdienst ein Stück Zwieback verabreicht werde. Es war zu rührend!“

Seiner Existenzgrundlage beraubt und seiner Liebe verlustig, schlussfolgert der Konstrukteur verbittert:

„Der Sinn dieser Welt ist nicht Gerechtigkeit, sondern Gesetzmäßigkeit. Der Sinn dieser Welt ist die Maschine, die Formel! Der Sinn dieser Welt ist ‚H2SO4!‘.“

Törichte sittliche Anforderungen müssten zurückstehen immer dort, „wo vernünftiger- und göttlicherweise nur Logik und Mathematik am Platze sind“.

Dem Roman mangelt es nicht an philosophischen Gedanken, beispielsweise wenn sich der Android-Konstrukteur fragt, ob wir „denn nicht alle schließlich nur Denkmaschinen“ sind, deren „Gehirntätigkeit nur im Registrieren, Kombinieren und Permutieren alter Gedanken, die in uns durch die Hand des Lehrers eingerückt worden sind“ besteht. Oder wenn er bekundet: „Die Zahl ist göttlich, die Mathematik eine Religion.“

Hier könnte ihm der zeitgenössische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari zustimmen, der den Menschen als Algorithmus begreift und die „gesamte menschliche Spezies als einziges Datenverarbeitungssystem“ sieht. In seiner an Hybris nicht zu überbietenden dystopischen Zukunftsvision, vorgestellt in seinem Buch „Homo Deus — Eine Geschichte von Morgen“, lautet Hararis Vorschlag, die Politik der Künstlichen Intelligenz zu überlassen.

Das sah der Autor der „phantastischen Satire“, Leo Gilbert, anders. Er weiß, wer den Androiden zur Durchsetzung der eigenen Ziele instrumentalisiert und wohin dies führen wird: „(…) daß niemand anderes den drohenden Krieg veranlaßt, die Ruhe des Reiches und das Leben der Bürger aufs Spiel gesetzt, als jene mächtige Clique von Finanziers und Aristokraten, die ihre Scheffel Privatinteressen unter die Euter des Staates gestellt haben — denen ihre Geldspekulationen wichtiger sind als der Friede und die Blüte des Reiches. Dazu waren ja die Bürger da, waren dazu einmontiert, gefüttert, einexerziert, in Käfigen gehalten, dazu standen sie bereit in Reih und Glied, eine gehorsame Herde, um im Notfall losgelassen zu werden auf eine andere Herde, in einem anderen Lande zu dem gleichen Zwecke, ebenso einmontiert, einkaserniert, ausgefüttert, eingedrillt. Ein Krieg mit seinen ungeheuren Folgen stand bevor.“

1907 erkannte Leo Gilbert sehr deutlich, dass sein künstlicher Mensch damals ebenso wie Künstliche Intelligenz heute zum Machterhalt der Reichen und Mächtigen eingesetzt wird, mit der Aufgabe, die Herde in die für sie richtige Richtung zu drängen. Während Harari die Zukunft der Menschheit darin sieht, dass das „Internet aller Dinge“ den Menschen auslöscht, lässt Gilbert seinen Helden alles unternehmen, damit der Android gestoppt und unschädlich gemacht wird, jener Android-Minister, der „an Stelle des Herzens eine rote Pumpe, statt des Hirns eine verdorbene Rechenmaschine in seinem Stahlschädel“ trägt.

Gelingt es dem Konstrukteur, sein Geschöpf unschädlich zu machen? Und sein Glück mit seiner wahren Liebe zu finden? Das Ende des Romans wird es zeigen …

„Seine Exzellenz der Android“ — Menetekel und Warnung, wohin der Einsatz Künstlicher Intelligenz führen kann. Oder sollte man nicht richtiger sagen: Künstlicher Dummheit?


Quellen und Anmerkungen:

Leo Gilbert „Seine Exzellenz der Android — Ein phantastisch-satirischer Roman“
Mit einem Geleitwort von Rudolf Goldscheid und einem Nachwort zur Neuausgabe von Nathanael Riemer
Neuausgabe: Edition W GmbH, Frankfurt/Main 2023, 318 Seiten
Originalausgabe: „Seine Exzellenz — der Automat“, Leo Silberstein (1861-1932), veröffentlicht 1907 unter dem Pseudonym Leo Gilbert.


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