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Angst und Mut der Hoffnungslosen

Angst und Mut der Hoffnungslosen

Luisa Neubauers Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind“ liefert Einblicke in die Psyche von Klimaaktivisten und hält dennoch nicht, was es verspricht.

„Was wäre, wenn wir mutig sind“ stellt die Frage nach der Hoffnung, danach, wie man sie empfinden kann, wenn doch die Situation so überfordernd und kaum händelbar erscheint, danach, warum wir so an fossilen Energieträgern hängen und wie man die breite Masse der Bevölkerung für den Klimaschutz gewinnen kann. Hinter all dem steht die verständnislose Empörung darüber, dass doch alles da sei, das Wissen von Generationen, angehäuft im Bücherregal von Luisa Neubauers Großmutter und dennoch nicht genug geschehe. Dieses Bücherregal macht Neubauer zum Dreh- und Angelpunkt ihres Essays, gefüllt mit der Klimaliteratur mehrerer Jahrzehnte und der Verzweiflung darüber, dass wir uns noch immer nicht auf dem richtigen Weg befänden. Denn für Neubauer ist klar: Was wir brauchen, sind mehr und vor allem radikalere Maßnahmen für den Klimaschutz, denn sonst drohe die Katastrophe.

Sie betreibt einen etwas verzweifelt anmutenden Versuch der Orientierung in einer Welt ökologischer Veränderungen, den sie von ihrem persönlichen zu einem des Menschen generell macht. Zutreffend beschreibt sie unser entfremdetes Verhältnis zur Welt, das einem insbesondere in urbanen Kontexten entgegenspringt. Ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt, mit der Art wie wir leben, und wir dennoch kraft kognitiver Dissonanzen weiter marschieren auf dem Weg, der uns dort hingebracht hat, wo wir heute stehen.

Dabei wirft sie eine relevante Frage auf: Können wir als Gesellschaft gesunden, wenn schon unser Verhältnis zur Welt ein toxisches ist?

Können wir die rivalisierende, um Macht heischende Beziehung von Menschen untereinander überhaupt überwinden, solange wir der Natur, die uns hervorgebracht hat, ebenso feindlich gegenüberstehen und in der Hybris verbleiben, wir könnten sie ausbeuten und beherrschen?

Davon ausgehend kritisiert Neubauer auch das investitions- und forschungsorientierte Versprechen, dass wir zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft durch die Erfindung neuer, bisher unbekannter Technologien finden könnten. Für sie ist das ein Irrglaube, der sich nicht eingestehen will, dass das eigentliche Problem im menschlichen Größenwahn und seiner absurden Idee liegt, er könne sich die Erde Untertan machen. Sie schreibt:

„Was ist die Welt der Gegenwart? Eine Welt, in der man versprochen hat, dass uns die Maschinen retten würden — glaube nicht an Gott, glaube an Elon Musk! Und was ist daraus geworden? Fortschritt, der immer unbezahlbarer wird, Technologien, die immer gefährlicher werden, Maschinen, die mehr zerstören, als dass sie helfen.“

Luisa Neubauer wünscht sich grundlegendere Ansätze, radikalere, mutigere Lösungen, die über den Tellerrand hinausdenken und liefert von Zeit zu Zeit auch interessante Denkanstöße.

Alles in allem aber verkauft sie in ihrem Buch das Gegenteil dessen, was auf dem Einband steht. Nicht Mut, sondern Angst bleibt zurück nach der Lektüre der 140 Seiten.

Bilder von kochenden Quallen in der Ostsee, brennenden Wäldern, ausgetrockneten Seen und einem von Überschwemmungen geplagten Hamburg schieben sich beim Lesen vor das innere Auge. In einem Kapitel mit der Überschrift „Du“ spricht Neubauer ihre Leser direkt an, während sie ihnen, auf dystopische Weise skizziert, wie ihr Alltag in ein paar Jahren aussehen könnte: Freunde, denen man die Seen der eigenen Kindheit zeigen will — doch sie sind verschwunden; und Angehörige, die so oft aufgrund der Hitze zusammenbrechen, dass man nicht mehr weiß, wie man seine Krankentage bei der Arbeit noch in den Griff bekommen soll.

Das Paradoxe daran ist, dass sie immer wieder betont, dass wirkliche Veränderung nur gelingen kann, wenn Klimaschutz mit Spaß und Leichtigkeit einhergeht. Und dennoch entwirft sie immer wieder Szenarien, von denen man den Eindruck bekommt, sie hätten keinen anderen Zweck, als Angst zu erzeugen. An anderer Stelle gibt sie selbst zu, der Ansicht zu sein, jetzt sei der richtige Moment für Panik. Es ist eine Zerrissenheit, die sich durch ihr gesamtes Buch zieht und keine Auflösung findet.

Dabei tut sie das, was viele Journalisten und Autoren praktizieren, oft unbemerkt von ihren Lesern und sich selbst: Sie geben ihre eigenen Ängste an Ihre Rezipienten weiter. Jeder, der schon einmal aus einem spontanen, emotionalen Impuls heraus einen Text verfasst hat, kennt die Erleichterung, die eintritt, weil man die Chance hatte, diesen Gefühlen kreativen Ausdruck zu verleihen. Man könnte sogar so weit gehen, zu behaupten, dass dieser Mechanismus nicht nur hinter der Entstehung zahlreicher Kunstwerke, sondern auch politischer Texte steht. Das Problem dabei: Es ist nicht fair. Nicht fair denjenigen gegenüber, die den Text lesen und keinen erleichternden, kreativen Prozess hinter sich haben, sondern die Emotionen ungefiltert in sich aufnehmen.

Es geht nicht darum, Luisa Neubauer einen Vorwurf dafür zu machen, dass sie Angst hat oder verzweifelt ist, auch nicht darum, dass sie das publizistisch verarbeitet und noch nicht einmal darum, dass sie die Ursache dafür allein in den Umständen und nicht in sich selbst sucht, denn damit, dass diese negativen Gefühle, die natürliche Reaktionen auf Umweltzerstörung und Leid sind, hat sie durchaus recht. Es geht darum, dass sie sie auf andere zu übertragen versucht, um eine einzig richtige politische Maßnahmenlinie zu implizieren.

Das ökologische Patriarchat

Im zweiten Teil ihres Buches widmet sie sich dem von ihr selbst entwickelten Konzept der „Fossilität“. Ein Begriff, der ähnlich dem des Patriarchats ein System beschreiben soll, in dem einem Teil der Gesellschaft, nämlich dem der fossilen Energieträger, mehr Macht zukommt als allen anderen. Dieser Machtüberschuss resultiere auch aus unseren unbewussten Überzeugungen und Glaubenssätzen, dass alles, was mit Fossilität einhergeht, grundsätzlich mehr Wohlstand und Glück bedeutet. Neubauers Ziel ist eine kollektive Umkonditionierung, die erreicht, dass wir keinen von den Eltern verbotenen Roadtrip mit dem Auto, keine Flugreise zum Urlaubsort und keinen Ferrari zum Renteneintritt mehr brauchen, für ein besonderes Lebensgefühl der Freiheit.

Im Zuge dessen offenbart „Was wäre, wenn wir mutig sind“ auch etwas, was viele an der jungen Klimabewegung stört: ihre Privilegiertheit.

Wie nebenbei beschreibt Luisa Neubauer das finanziell gehobene Milieu, aus dem sie kommt, wenn sie über ihre Großmutter Dagmar Reemtsma spricht, die bereits in der Umweltbewegung der 80er Jahre aktiv war. Extra mit Hut und Handtasche ging sie fein gekleidet zu den Protesten, um zu zeigen, dass es nicht nur Studenten, sondern auch Angehörige der wohlhabenden Schicht waren, die sich für das Klima einsetzten.

Wenn Neubauer über ihr familiäres Zuhause spricht, spricht sie von wändebedeckenden Bücherregalen, massiven Holztüren mit großen Glasfenstern, Petersilienkartoffeln und Eierlikör. Es ist das Zuhause eben jener Großmutter, die als junge Frau in die Familie Reemtsma einheiratete, deren Gesamtvermögen 2017 auf über 1,45 Milliarden Euro geschätzt wurde (1).

Luisa Neubauer kommt aus einer sozialen Schicht, in der viele Kinder nicht mit finanziellen Sorgen, sondern mit dem erstickenden Gefühl eines Überladenseins mit Konsum kämpfen, das keine echte Erfüllung zu bringen vermag. Kommt dann noch ein soziales Bewusstsein hinzu, beginnt das Hadern mit dem eigenen Lebensstandard. Diese privilegierten Widersprüche finden sich im Buch immer wieder. So prangert Neubauer beispielsweise an, dass das klimaschädliche Kerosin noch nicht besteuert wird und beschreibt an anderer Stelle, wie sie in die USA, zum Pond Walden reist, nur um mit eigenen Augen den Gletschereissee zu betrachten, der Henry David Thoreau, zu seinem berühmten Werk „Walden“ über die Beziehung des Menschen zur Natur inspiriert hat.

Fliegen soll so teuer sein, dass einige es sich nicht mehr leisten können, aber andere eben schon. Denen, die es jetzt schon nicht können, reicht oft dieser Habitus, um genervt die Augen zu verdrehen, bevor Klimaaktivisten ihre Forderungen auch nur ausgebreitet haben.

Generell ereilt den Leser der Eindruck, als täte Luisa Neubauer wenig anderes, als um die Welt zu reisen. Unzählige Kapitel eröffnet sie mit Anekdoten von Konferenzen in New York oder Workshops in Boston und offenbart damit einen gewissen Exzeptionalismus ihrer klimapolitischen Forderungen in Bezug auf sich selbst, der suggeriert, dass wir zwar alle unser Leben und unser Verhältnis zur Welt hinterfragen müssten, Klimaaktivisten aber durch ihr politisches Engagement, so weit in Vorleistung gehen, dass man da schon ein paar Augen zudrücken könne.

Der Fairness halber muss man anmerken, dass Neubauer dieser Widerspruch durchaus bewusst ist. Sie schreibt:

„Wer in der Klimakrise auf der Suche nach Doppelmoral ist, der wird sie an jeder Ecke finden. Wer auf der Suche nach widersprüchlichen Einstellungen, Gewohnheiten und Lebensweisen ist, ebenfalls. Das ist es, was eine Welt im Umbruch zwischen gestern und morgen mit uns macht“.

Auf den Vorwurf, sie wäre nach dem Abitur oft geflogen, geht sie ebenfalls ein. Natürlich sei sie das, schreibt sie, schließlich gehöre sie zur „Generation easyJet“ und der sei immer erzählt worden: Ohne Auslandsaufenthalt? Keine Chance auf das nächste Praktikum. Sie gibt zu, die fossile Realität zu bekämpfen, an deren Schaffung sie selbst beteiligt gewesen ist. Im Grunde scheint ihr Engagement, auch wenn sie das selbst so nie ausspricht, vor allem Ausdruck ihres Haderns mit ihrer eigenen sozialen Stellung sowie den Privilegien und dem Konsumverhalten, die damit einhergehen, zu sein.

Was man aus keiner Stelle im Buch herausliest, ist ein Bewusstsein dafür, dass das in Deutschland die absolute Ausnahme ist. Neubauer scheint zu denken, dass alle jungen Menschen an das obligatorische Work and Travel in Australien ein europäisches Auslandssemester anschließen und sich dann irgendwann im Skiurlaub mit den Kommilitonen fragen, ob das denn alles so nachhaltig ist. Die soziale Realität von Menschen, die gar keine Zeit, geschweige denn die finanziellen Ressourcen haben, sich zu fragen, an welcher Stelle sie ihren Lebensstil reduzieren können, taucht nicht auf. Ihr Anliegen, die breite Masse für den Klimaschutz zu begeistern, dürfte sie damit verfehlen. Und das, obwohl sie betont, wie wichtig es sei, die Klimakrise demokratisch und nicht durch die Entscheidungen einiger Weniger, die in fossilen Industrien am Schalthebel sitzen zu lösen.

Luisa Neubauer wächst einem während der Lektüre des Buches genauso unerwartet ans Herz, wie sie einem auf die Nerven geht, beschreibt sie doch in einem Bereich, der sie bewegt, den Konflikt, den viele Bürger kennen, die sich einmal im inneren Dissens zur Gesellschaft befunden haben: Wie soll ich mich engagieren, wenn doch alles so festgefahren scheint?

Sie beschreibt ihr eigenes Ringen mit der Hoffnung, und den Ärger darüber, dass diese von vielen in Form eines blinden Optimismus dazu genutzt wird, Eigenverantwortung aus dem Weg zu gehen.

Dabei stößt sie gegen die Wände aus Lethargie, die eine Gesellschaft mit gewaltigen Demokratiedefiziten eingezogen hat, um ihr Fortbestehen zu gewährleisten. Sie schreibt:

„Wer Hoffnung mit der paradiesischen Überzeugung verwechselt, dass schon irgendjemand kommen und es richten werde, der sucht im Zweifel gar nicht nach dem Licht am Ende des Tunnels. Der sucht nach einem Grund, sich gar nicht erst auf den Weg dahin zu machen.“

Wer die Autorin für eine begnadete, mutige Klimaaktivistin hält, kann ihr Buch begeistert, und für wen sie die Ausgeburt des Wokeismus ist, verachtend lesen. Für beides liefert Neubauer genügend Trigger- und Applausbegriffe. Alle anderen, die sich erlauben, offen und mit der Bereitschaft ihre vorgefertigte Meinung beiseitezulegen, an das Buch heranzugehen, sind in ihrer Ambiguitätstoleranz gefordert. Immer wieder kippt Neubauer zwischen ehrlicher und durchaus inspirierender Auseinandersetzung mit den philosophischen Dimensionen des Klimawandels und der panisch-populistischen Weitergabe ihrer eigenen Ängste hin und her.

Letztlich beschreibt Luisa Neubauer eine Zerrissenheit, mit der viele von uns kämpfen, egal ob es um die Klimakrise oder um ein anderes Thema geht. Wie weit erachten wir die Grausamkeit, die an vielen Orten der Welt geschieht, als nicht hinnehmbar und lehnen uns dagegen auf? Und ab welchem Punkt übernehmen wir Verantwortung für unsere eigenen Gedanken und Gefühle? Schaffen wir den Absprung, bevor wir aus dem Stadium, in dem wir Wut und Empörung für Veränderung nutzen können, in jenes verfallen, wo wir durch unsere persönlichen Triggerpunkte neue Verwerfungen erschaffen? Wer von sich behauptet, diesen Konflikt perfekt gelöst zu haben, der werfe den ersten Stein. Auch Luisa Neubauer sucht mehr oder weniger verzweifelt nach diesem balancierten Punkt, findet ihn in diesem Buch aber nicht mehr.



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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.abendblatt.de/hamburg/von-mensch-zu-mensch/article401503669/die-rangliste-der-80-reichsten-hamburger.html

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