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Bitterer Sieg

Bitterer Sieg

Julian Assange ist frei — aber der Kampf um die freie Rede hat erst begonnen.

Ein Ende mit Schrecken?

Die Freilassung von Assange ist eine gute Nachricht für alle Journalisten, Bürgerrechtler und Aktivisten, die sich für seine Freiheit tagein, tagaus eingesetzt haben. Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetroffen: Der australische Journalist wurde nicht an die USA ausgeliefert, wo 175 Jahre Haft auf ihn gewartet hätten. Ebenfalls haben sich die Sorgen, dass er aufgrund seines desolaten Gesundheitszustands früher oder später im Hochsicherheitstrakt in Belmarsh sterben würde, nicht bewahrheitet.

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Julian Assange und seine Ehefrau Stella umarmen sich am Flughafen von Canberra.

Es war ein sehr bewegender Moment, als Julian Assange am Flughafen von Canberra eintraf und seine Ehefrau Stella und seinen Vater John Shipton aufs Innigste umarmte. Ende gut, alles gut, könnte man meinen. Mitnichten! Zwei Wermutstropfen dämpfen die Freude für Assange und seine Familie.

Zum einen ist es beschämend, dass er so lange in unrechtmäßiger Folterhaft sitzen musste. Erinnert sei an Nils Melzer, den ehemaligen Sonderberichterstatter für Folter der Vereinten Nationen (UN), der im November 2019 darauf hinwies, dass Julian Assange psychologisch gefoltert wird. Melzer und sein medizinisches Team hatten Assange im Mai 2019 in seiner Zelle besucht und bei ihm Symptome festgestellt, die alle „typisch für längere psychologische Folter“ sind.

Der öffentliche Aufschrei über Assanges bereits damals miserablen Zustand hielt sich in Grenzen. Westliche Politiker und Mainstream-Journalisten reagierten darauf vorwiegend mit Schulterzucken. Lediglich „alternative“ Medien und einzelkämpferische Oppositionspolitiker beleuchteten und kritisierten den willkürlichen Umgang mit dem WikiLeaks-Gründer. Erst zu einem späteren Zeitpunkt schaltete sich die australische Regierung ein, um auf die britische Regierung für die Freilassung von Assange einzuwirken. Großspurig forderte die heutige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin im September 2021 seine „sofortige Freilassung“. Als die Grünen in Deutschland in Regierungsverantwortung kamen, wurde es plötzlich still um die Causa Assange.

Das Unbehagen über seine Folterhaft nahm in den etablierten Medien zwar in den letzten drei Jahren etwas zu. Die Medienberichte, die seine Haftbedingungen kritisch beleuchteten, sind allerdings lediglich als bloße Feigenblätter zu bewerten.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Assange, so gut es geht, von seinen traumatischen Erfahrungen erholen wird und nicht als psychisches Wrack die restliche Zeit seines Lebens verbringen muss.

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Die Familie Assange wieder vereint (Foto vom 22. Juli 2024).

Zum anderen musste sich Assange auf einen Deal mit der US-Regierung einigen. Er sah sich gezwungen, sich in einem Anklagepunkt schuldig zu bekennen, nämlich der „Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen, die die nationale Verteidigung der USA“ betreffen. Robert Kennedy jr. liegt richtig, wenn er sagt, dass es dem US-Sicherheitsapparat gelungen ist, „den Journalismus zu kriminalisieren und seine Gerichtsbarkeit auf Nicht-(US-)Bürger auszudehnen“.

Fakt ist, dass mit dieser Willkürhaft im Westen ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Jeder Journalist muss von nun an mit Repression rechnen, wenn er Verbrechen von Regierungen aufdeckt und gegen die Staatsräson verstößt.

In diesem Kontext ist auch das Verbot des Compact-Magazins, das vor zwei Wochen vom deutschen Innenministerium unter Nancy Faeser erlassen wurde, zu verstehen. Die westlichen Regierungen haben Blut geleckt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am diesjährigen Treffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) eine noch engere internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von „Fehlinformation“ und „Desinformation“ forderte, darf sich freuen.

Der „Wertewesten“ — Wasser predigen und Wein trinken

Julian Assanges Folterhaft zeigt wie in einem Brennglas auf, woran es im „Wertewesten“ fundamental krankt. Problem sind nicht die Werte, die von Politik und Medien im Westen propagiert werden. An Grund- und Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist ja nichts auszusetzen. Im Gegenteil: Mehr denn je müssen diese Werte verteidigt werden. Das Problem ist, dass die politische und gesellschaftliche Elite in praktisch allen westlichen Ländern aufgehört hat, an diese Werte auch wirklich zu glauben. Sie redet von Demokratie und Menschenrechten, doch meint meistens sich selbst.

Mittlerweile werden diese wohlklingenden Parolen nur noch als propagandistische Worthülsen instrumentalisiert, um von den eigentlichen – verborgenen – politischen Zielen abzulenken. Wasser predigen und Wein trinken gehört zum Courant normal eines westlichen Politikers. Hinter der demokratisch anmutenden Rhetorik steckt oft die Absicht, den Souverän zu entrechten und den eigenen staatlichen Machtapparat auszubauen. Die Werte Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hochzuhalten ist in Zeiten, in denen westliche Demokratien schrittweise zu technokratischen Digitaldystopien mutieren, oberste Bürgerpflicht. Doch gegen wen sollen wir Bürger diese Werte verteidigen?

Anders als leitmediale Journalisten uns auf allen Kanälen weismachen wollen, geht die primäre Gefahr für die Freiheit im Westen weder von Russland noch von China oder von irgendeinem anderen „Schurkenstaat“ aus. So legitim und zutreffend die Kritik der menschenrechtlichen Lage in diesen Ländern auch sein mag, so unaufrichtig und verlogen ist sie. Die Krokodilstränen sollen von zwei Dingen ablenken: Einerseits soll diese Kritik den Abbau der Demokratie und der Grundrechte in den eigenen Breitengraden vertuschen. Andererseits werden die Menschenrechte als Propagandawaffe instrumentalisiert, um geopolitische Widersacher wie Russland, China, Iran und die BRICS-Staaten zu dämonisieren, um wiederum den Westen mit seiner „wertebasierten Ordnung“ in einem besseren Licht darzustellen.

Nehmen wir unsere Werte endlich wieder ernst!

Dem indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi wird ein Bonmot zugeschrieben, das die Doppelzüngigkeit des Westens sehr gut auf den Punkt bringt. Auf die Frage eines Journalisten, was Gandhi von der westlichen Zivilisation halte, antwortete er: „Ich denke, das wäre eine gute Idee.“

Anstatt permanent von westlichen Werten zu reden, sollten jene, die sich als Teil des Westens verstehen, wieder anfangen, diese Werte zu leben. Der Umgang mit Julian Assange zeigt, wie weit sich der Westen inzwischen von den eigenen Werten entfremdet hat. Zwischen Anspruch und Realität liegen mittlerweile Welten.

Die Totengräber der Demokratie sind in Bern, Genf, Davos, Brüssel, Washington und New York zu verorten. Gegen die westliche Classe politique (sic!) gilt es, die westlichen Werte zu verteidigen. Bevor wir mit erhobenem Zeigefinger auf andere uns missliebige Länder zeigen, sollen wir frei nach Voltaire unseren eigenen Garten bestellen — oder mit Goethes Worten „vor unserer eigenen Türe kehren“.


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