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Das Corona-Tagebuch

Das Corona-Tagebuch

Die Mutmach-Redaktion lädt die Rubikon-Leser zum kollektiven Schreiben ein. Teil 21.

von Dijana Ilic

Eine Antwort auf die Frage : Mama, wo warst Du?

25. April 2020

„Mama (Papa, Oma, Opa, ...), warum hast du damals nichts gesagt? Damals, als es anfing? Warst du einverstanden mit der Suspendierung der Grundrechte? Mit der Beschneidung deiner bürgerlichen Freiheiten? Hast du alles unverdaut geschluckt, was dir die Regierung, die Presse und der Rundfunk pausenlos um die Ohren gehauen haben? Oder hast du einfach weggesehen, aus Feigheit, aus Angst vor den Behörden oder der Meinung deiner Mitmenschen? Warst du Mitläufer statt — Mitdenker?“

Mein Kind, mein Herz ... Doch, wir haben gekämpft. Wir haben uns gewehrt. Mit Panik, Fassungslosigkeit und ängstlichem Widerstand in Herz und Seele. Mit Wut, ringendem Verstand und mutigem Widerstand in unserem Umfeld. Mit allen uns möglichen Mitteln.

Wir waren nicht viele. Doch wir fühlten uns verpflichtet. Nicht nur den Menschen, die AN oder MIT, sondern vor allem denen, die WEGEN und WÄHREND Corona sterben könnten. Alles, was unser Verstand in diesen absurden Tagen irgendwie noch zustande brachte, haben wir versucht.

Wir haben eine Website mit dem Namen unsere-grundrechte.de innerhalb einer Woche aus dem Boden gestampft, wir haben recherchiert, zusammengetragen, informiert und versucht aufzuklären. Wir haben beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht. Wir haben uns jeden Samstag draußen mit dem Grundgesetz in der Hand der Polizei und den Kontrollen ausgesetzt und gezeigt. Wir haben Zeitungen und das Grundgesetz verteilt. Wir haben uns vernetzt.

Wir sind nach Berlin gefahren, um vor Ort die Kommunikationsstelle zu unterstützen. Wir haben Artikel geschrieben. Wir haben Petitionen unterschrieben. Wir haben sogar zu Beginn in nächtlichen Aktionen die Absperrbänder der Spielplätze durchgeschnitten.

Wir haben keine Hamsterkäufe getätigt, sondern haben das Nötigste in kleinen Geschäften gekauft, um diese zu unterstützen. Wir haben unsere Accounts bei WhatsApp & Co gelöscht, und sind in alternative und sichere Nachrichtendienste gewechselt. Wir haben Videos und Artikel, die zensiert und gelöscht wurden, versucht auf sicheren Servern zu archivieren.

Wir haben versucht, uns Attests von unseren Ärzten ausstellen zu lassen, um auf offiziellem Weg durch Bestätigung der Atemnot und daraus resultierenden Panikattacken der Mundschutzpflicht zu entgehen.

Wir haben einander und anderen Menschen, die Widerstand und Aufklärungsarbeit betrieben, Geld gespendet, damit alle weiter machen können. Wir haben in allem versucht Prioritäten zu setzen, doch wussten oft nicht wohin zuerst.

Wir haben wenig und schlecht geschlafen und noch weniger und schlechter gegessen. Wir haben viel geweint und noch mehr geraucht.

Wir wurden diffamiert und verstoßen. Von der eigenen Familie, von langjährigen Freunden und der Öffentlichkeit. Wir wurden als rechte Verschwörer beschimpft und gemieden.

Wir hatten Angst. Wir haben uns gegenseitig immer wieder auffangen und stärken müssen, denn niemand von uns konnte täglich diesem inneren und äußeren Wahnsinn standhalten. Und Aufgeben war keine Option.

Ich habe meine, und auch deine nächtlichen Albträume ertragen, indem wir aufgeschreckt einander festgehalten haben.

Wir haben unseren Kindern versucht ein Stück Normalität zu wahren, indem wir mit euch in den Wald gefahren sind, mit euch Samen in unseren Gärten und auf den Balkonen gepflanzt, mit euch gemalt und gespielt haben. Wenn es Mehl zu kaufen gab, habe ich mit dir Kuchen gebacken. Der Versuch, dich mit anderen Kindern zu verabreden, scheiterte in der Angst und Engstirnigkeit der Eltern, das gab ich irgendwann auf. Wir haben versucht, euch zu Hause zu unterrichten.

Dem Versuch, dir meine Tränen und meine Angst nicht zu zeigen, hielt ich nicht immer Stand. Doch der Versuch, dir als Fünfjährigen diese absurde und historische Zeit zu erklären, erfüllte mich mit Demut und auch Stolz, denn du warst oft so viel weiser in deinen Aussagen und deinem Handeln als ich.

Ja, wir haben gekämpft. Wir wussten nicht warum, wohl aber wofür.

Für uns. Und für euch, mein Kind.

Am Ende. Die Frage „Habt ihr gewonnen, Mama ...?“ — wirst du mir nicht stellen. Die Welt, in der Du heute lebst, wird die Antwort darauf sein.


Dijana Ilic, Jahrgang 1978, war nach ihrem Meistertitel im Friseurhandwerk und ihrer Ausbildung als biozertifizierte Haut- und Haarpraktikerin Qualitätsbeauftragte für verschiedene Firmen, unter anderem von 2004 bis 2011 für die Lufthansa AG. 2011 eröffnete sie den ersten Coffee Shop mit ökologischem Gesamtkonzept in Hamburg, den sie für ihren Sohn 2015 aufgab. Seit 2016 arbeitet sie als Referentin für ganzheitliche Gesundheitsthemen und Beraterin für neue Arbeit und Transformation im deutschen Handwerk. Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin für den Elbcampus ist sie freiberuflich in der betrieblichen Gesundheitsförderung tätig und engagiert sich ehrenamtlich für das Handwerk. Seit Corona arbeitet sie mit Freunden unter anderem mit der Website unsere-grundrechte.de am demokratischen Widerstand.


Das Corona-Tagebuch im Überblick:

Teil 1: Katrin McClean, Corona-Tagebuch
Teil 2: Roland Rottenfußer, Der letzte freie Tag
Teil 3: Isabelle Krötsch, Corona-Tagebuch
Teil 4: Kerstin Chavent, An das Mögliche glauben
Teil 5: Anonym, Meine Mutter und die Isolation
Teil 6: Gabriele Herb, Aufruf zur Wachsamkeit!
Teil 7: Paul Löber, Spanienbericht
Teil 8: Liselotte Korfmacher-Finke, DemokratInnen unerwünscht
Teil 9: Michael Bock, Sind wir bereit, uns zu verändern?
Teil 10: Oliver Märtens, Corona-Tagebuch
Teil 11: Dirk Hüther, Gehen, Sehen, Handeln!Teil
Teil 12: Doris Röschmann, Jenseits von richtig und falsch
Teil 13: Mathilda Libertad, Irgendnirgendsicherwo
Teil 14: Heidemarie Weber, Corona-Tagebuch
Teil 15: Daniela Wolter, Corona-Tagebuch
Teil 16: Thomas Hochschild, Corona-Tagebuch
Teil 17: Wolf Schneider, Hausarrest
Teil 18: Jitka Nickel, Kopfcorona — das Trauma sickert ein
Teil 19: Heike Wentland, Corona-Tagebuch
Teil 20: Michael Bock, Die fast perfekte Show & Eine Frage an die Liebe


Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.


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