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Das Ende der freien Wirtschaft

Das Ende der freien Wirtschaft

Der linke Affekt gegen „den Neoliberalismus“ ist nicht mehr zeitgemäß. Längst herrscht eine Form des Keynesianismus, die Enteignung der Bevölkerung durch staatliche Lenkung.

Viel zu lange hat die Linke nicht nur in Deutschland eine neoliberale Politik bekämpft, die es schon lange nicht mehr gibt. Der Staat gibt Geld mit vollen Händen aus; und Hilferufe nach einer Schuldenbremse beantwortet er mit „Überschreitensbeschlüssen“ oder Milliarden-schweren Sonderfonds, die per Eigendefinition das Budget nicht belasten.

Friedrich von Hayek und Milton Friedman haben ausgedient. Ihre wirtschaftspolitischen Schulen des klassischen Liberalismus, nach denen Staatsinterventionen in den ökonomischen Kreislauf abzulehnen sind, haben ihre Schuldigkeit getan. Auch das Dogma des Freihandels gehört einer vergangenen Epoche an. Der Neoliberalismus der 1990er Jahre ist in der großen Weltwirtschaftskrise 2008 an den Herausforderungen eines neuen Akkumulationskreislaufes zugrunde gegangen. Seit damals ist die Verwertungskrise greifbar. Die Märkte waren gesättigt und die Spekulationsblase des Finanzsektors zerplatzte auf eindrucksvolle Weise. Spätestens mit dem Beginn des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Russland im Jahr 2014 löst sich der auf dem US-Dollar aufgebaute ökonomische Globalismus in (welt)regionale Bestandteile auf.

Kapital und Staat reagieren in Zeiten einer strukturellen Verwertungskrise, die nach dem sowjetischen Ökonomen Nikolai Kondratieff (1892 bis 1938) zyklisch circa alle 50 Jahre eintritt, seit Beginn der kapitalistischen Ordnung immer auf dieselbe Art und Weise. Nachdem Leitsektoren wie die Baumwollindustrie um 1790, das Eisenbahnwesen um 1840, die Maschinen-, Elektro- und Chemie-Industrie um 1890, der Automobilsektor und die Petrochemie um 1950 sowie die Informations- und Kommunikationsindustrie seit 1990 nach ihrem jeweiligen Aufschwung mit der Marktsättigung an die Grenzen ihrer Wachstumsmöglichkeiten gestoßen sind, bedurfte es neuer Leitsektoren, um das Profitsystem aufrecht erhalten zu können. Solche Sektoren benötigen in der Aufschwungsphase regelmäßig staatliche Unterstützung. Und das nicht zu knapp. Das freie Spiel der Marktkräfte ist zu schwach, um den kapitalistischen Akkumulationsprozess mit neuen Branchen und neuen Technologien in die Gewinnzone zu hieven.

Staatshilfe bedeutet Anschubfinanzierung. Um diese nachhaltig — im Sinne der Etablierung eines neuen Wachstumszyklus — zu gestalten, wird Staatsnachfrage erzeugt. Der Staat als großer Nachfrager bildet ein wesentliches Element der keynesianischen Wirtschaftstheorie.

Das Coronaregime bot dem nach Verwertung suchenden Kapital die Chance, Staatsknete in bislang nie dagewesener Menge abzugreifen. Die neuen Leitsektoren, in die es nun zu investieren galt, heißen Biotechnologie, Pharma und digitale Kontrollindustrien; die neuen Technologien, die es zu entwickeln gilt, sind Nano- und additive Technik, Robotik und kognitive Wissenschaft.

Der Coronamoment bildete den definitiven Startschuss für einen neuen Kapitalverwertungszyklus. Unmengen von Geld flossen in den Wirtschaftskreislauf. Die Dimensionen des Corona-Keynesianismus sind enorm. Insgesamt 440 Milliarden Euro (1) gab der Bund für das, was er Pandemiebekämpfung nannte, im Zeitraum 2020 bis 2022 aus. Tatsächlich schob er mit diesem Geld — nebst Rettung bestehender Strukturen — vor allem neue Leitsektoren an; oder mit anderen Worten: Er pumpte Staatsgelder in die Pharma- und Kontrollindustrie. 63,5 Milliarden Euro wurden in diesen drei Jahren den Herstellern und Händlern von Impfdosen, Testkits und Masken auf ihre Konten überwiesen.

66,2 Milliarden gab der Finanzminister für allerlei Wirtschaftshilfen aus, 27,9 Milliarden kostete das Steuerhilfegesetz, 24,2 Milliarden die Kurzarbeiterregelung und so weiter. In Summe: 440 Milliarden Euro in drei Jahren … und das bei jährlichen Steuereinnahmen von knapp 900 Milliarden Euro. Dass die mit Testpflicht und sektoralem Impfzwang erzeugte Staatsnachfrage auf der Unternehmensseite für entsprechende Gewinne sorgte, überrascht niemanden mehr. Die Zahlen sind dennoch einen Blick wert. So erwirtschaftete der deutsche Pharmakonzern BioNTech im Jahr 2020, als noch keine Impfchargen zur Verfügung standen, einen Gewinn von 15 Millionen Euro. Im Jahr 2021, dem Jahr der mRNA-Spritze, wies BioNTech einen Gewinn von 10,3 Milliarden Euro aus; das entspricht einer Steigerung um sagenhafte 65.000 Prozent.

In Österreich waren die Verhältnisse ähnlich. Als Test-Weltmeister schlugen hier vor allem die vom Staat getragenen Kosten für die Schnelltests mit 5,2 Milliarden Euro zu Buche.

Kapital für Zukunftssektoren

Erinnert sei noch an den von der EU-Kommission im Jahr 2020 aufgelegten „Corona-Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 750 Milliarden Euro. Damit konnte Brüssel das erste Mal an den Mitgliedsländern vorbei Kredite auf internationalen Kapitalmärkten aufnehmen. Neben dieser gigantischen Geldsumme des Wiederaufbaufonds nimmt sich das „normale“ EU-Budget in der Höhe von 1.075 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2027 relativ bescheiden aus. Um Gelder aus dem auch NextGenerationEU genannten Wiederaufbaufonds zu erhalten, müssen die einzelnen Staaten Pläne vorlegen (2).

Die EU-Kommission benotet diese Pläne nach einer 3-Punkte-Skala, die sich im Kern daran orientiert, die oben beschriebenen Zukunftssektoren mit dem nötigen Kapital zu versorgen. Dass mit der Auszahlung nebenher auch noch politisches Kleingeld verhandelt wird, zeigt sich dieser Tage im Gerangel mit Viktor Orbán um Beitrittsverhandlungen und Finanzhilfen für die Ukraine. Die Coronagelder für Ungarn waren nämlich bislang eingefroren, weil die Kommission allerlei an der ungarischen Gesetzgebung auszusetzen hatte. Für ihre schrittweise Freigabe hat Ungarn seine Blockadehaltung gegen EU-Aufnahmegespräche mit der Ukraine aufgegeben, will jedoch — verständlicherweise — die restlichen, noch blockierten 21 Milliarden Euro Coronahilfsgelder einsacken, bevor 50 Milliarden Euro an die Ukraine ausgegeben werden.

Wer glaubt, die exorbitante Staatsnachfrage wäre nach Corona zurückgegangen, der täuscht sich gewaltig. Nun ist es der vergleichsweise alte Industriezweig der Rüstungsgüter, der tiefe Löcher in die Staatshaushalte Deutschlands und der meisten anderen NATO-Länder schlägt.

Aus dem bundesdeutschen Haushalt sind bisher 18 Milliarden Euro für Waffen an die Ukraine versprochen (3). Die Gewinner dieses Militär-Keynesianismus sind unschwer auszumachen, es sind die Rüstungskonzerne. Die größte deutsche Waffenschmiede Rheinmetall konnte Ende 2022 auf einen Rekordwert bei den Aufträgen in Höhe von 26,6 Milliarden Euro hinweisen, der Gewinn vor Steuern stieg verglichen mit dem Vorjahr 2021 um 27 Prozent auf 750 Millionen Euro; für die Bilanz 2023 wird eine neue Rekordzahl erwartet.

Rheinmetall, Lockheed Martin, Raytheon Technologies, Northrop und die anderen Größen der Rüstungsindustrie können sich neben den Waffenlieferungen an die Ukraine auch noch an den erhöhten staatlichen Militärausgaben in den NATO-Staaten erfreuen. Allein Berlin hat bereits im Frühjahr 2022, als „Antwort“ auf den russischen Einmarsch in der Ukraine, einen Aufrüstungs-Sonderfonds in der Höhe von 100 Milliarden Euro versprochen.

Warum Corona- und Militär-Keynesianismus die Bevölkerung arm machen, liegt auf der Hand. Coronaregime und Rüstungsausgaben belasten die Staatskassen über Jahrzehnte. Für Sozialausgaben bleibt da nichts mehr übrig.

Verarmung im Alter und Wohnungsnot nehmen zu, Krankenversorgung und soziale Infrastruktur schrumpfen. Und zwar nicht, weil die Politik einen neoliberalen Kurs verfolgt, sondern weil sie Schulden für Big Pharma und Rüstungskonzerne aufnimmt, also — gigantische — Staatsausgaben tätigt.

Auch das (neo)liberale Dogma vom Freihandel gehört der Vergangenheit an. In vorerst kleiner Dosis kam der Protektionismus während der ersten Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump zum Einsatz. Die Führer der damals noch weitgehend globalisierten Weltwirtschaft staunten dennoch ob der wirtschaftspolitischen Kehrtwendung in Washington. Und dies umso mehr, als dass bis dato merkantilistisch-protektionistisches Wirtschaften in Zeiten des Aufschwungs beziehungsweise nachholender Entwicklung betrieben wurde. Trump versuchte, die US-Ökonomie in ihrem Abschwung vor der chinesisch-asiatischen Konkurrenz zu schützen.

Ende des freien Welthandels

Mittlerweile haben wir neun Jahre Wirtschaftskrieg gegen Russland hinter uns, der anfangs, im April 2014, nur einige wenige Sektoren und Unternehmen betraf und zum Jahreswechsel 2023/24 längst allumfassend ist. Die Europäische Union diskutiert ihr 12. Sanktionspaket, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sinniert darüber nach, wie die 300 Milliarden US-Dollar russischen Zentralbankgeldes, das Ende Februar 2022 beschlagnahmt wurde, in rechtlich einwandfreier Manier gestohlen werden können. Kanada hat dafür gesetzlich den Weg bereits geebnet. Von freiem Welthandel ist keine Spur mehr. Vielmehr bilden sich große (welt)regionale Sphären, die sich ökonomisch immer mehr voneinander abschotten.

Teile der Linken haben die Tragweite dieser Zäsur bis heute nicht erkannt. Das mag auch daran liegen, dass keynesianische Politik im Europa der Nachkriegszeit Staatsausgaben in Sozialbereiche mit eingeschlossen hat. Keynesianismus hat seither zu Unrecht ein positives Image. Dabei konnte man schon Anfang der 1980er Jahre in den USA die Spielart des Militär-Keynesianismus kennenlernen, als Ronald Reagan mit seiner Politik der Repatriierung des Petrodollars enorme staatliche Mittel der Rüstungsindustrie in die Auftragsbücher schob. Das Projekt Star Wars ist damals gescheitert, für Pershing II und Cruise Missiles sowie die Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in der Welt hat sich die Politik der Staatsnachfrage dennoch gelohnt.

Mit Corona-Keynesianismus und Militär-Keynesianismus ist auch die Mär von der sozialen Marktwirtschaft zerbrochen, mehr noch: Die linke Forderung, dem Staat mehr Geld in die Hand zu geben, hat sich in unseren Zeiten als kontraproduktiv erwiesen.

Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es mit weniger Staatsausgaben auch nicht mehr Sozialleistungen geben würde. Das Dilemma ist groß. Davor die Augen zu verschließen, hilft jedoch nicht, es zu lösen.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/corona-pandemie-kostete-bund-mehr-als-440-milliarden-euro-18840435.html
(2) https://www.planradar.com/de/eu-wiederaufbaufonds/
(3) https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514

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