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Das erniedrigte Menschenbild

Das erniedrigte Menschenbild

Die Coronajahre haben nicht nur materielle und körperliche Schäden angerichtet, sie verletzten massiv unsere Würde. Exklusivabdruck aus „Vernichtungslage — Das Ende der Pandemie“.

Was für ein Mensch sind Sie? Der Anfang der Beantwortung dieser Frage hallt bereits in Ihrem Kopf. Ungeachtet dessen, ob es sich dabei um eine vage Ahnung, ein Bauchgefühl oder um eine ausdifferenzierte Selbstwahrnehmung handelt, das, was in Ihrem Kopf über Sie selbst schwebt, beeinflusst Ihr Handeln und Ihre Interaktionen mit der Welt — die Sozialwelt mit einbezogen. Das beeinflusst sogar Ihre Wahrnehmung der Welt. Und dabei, während Sie atmen, denken und handeln, offenbaren Sie sich als ein bestimmter Mensch. Sie müssen sich nur beobachten: Warum Sie tun, was Sie tun; wie Sie mit anderen umgehen; wie Sie von anderen behandelt werden; und was von alledem und in welchem Ausmaß in Ihrer Verantwortung liegt.

Die größte Errungenschaft der Menschheit

Wie die Technik entwickelt sich auch der Geist des Menschen entlang seiner Geschichte. Allein, die Entwicklung des Geistes — und mit „Geist“ meine ich nicht etwas Spiritistisches oder Spukhaftes — verläuft viel langsamer als die der Technik, gleichwohl die Technik vom Geist abhängt. Ein Quantensprung in der geistigen Entwicklung reicht nämlich aus, um ein Universum der Technik in Gang zu setzen. Der Geist entwickelt sich vergleichsweise äußerst langsam, weil es sich beim „Geist“ um einen besonderen Komplex von Kompetenzen handelt, die sehr eng miteinander verwoben sind: nämlich die Kompetenz zu handeln, zu denken und zu sprechen, respektive über Sprache zu verfügen. Und jede dieser Kompetenzen wird von jedem Menschheitsmitglied von Null an erworben und auf das entsprechende Niveau der jeweiligen Gesellschaft angehoben. Dieser Prozess, nämlich die kognitive Entwicklung in der frühen Ontogenese, ist äußerst komplex, aber dafür umso faszinierender und bewundernswerter.

Eine der jüngsten und wichtigsten Errungenschaften unserer Geistesgeschichte ist eben unser Menschenbild. Man könnte voreilig erwidern, dass unser derzeitiges Menschenbild ein Erbe der Aufklärung ist. Ja, das mag sein. Aufklärung hin oder her, unter den tatsächlichen historischen Verhältnissen der geistigen Entwicklung gleicht diese Errungenschaft der Menschheit einem Auspackvorgang (Unboxing) des neuesten iPhones auf dem Markt, das noch warm aus der Produktion geliefert wurde. Wir sind noch dabei zu lernen, uns damit überhaupt vertraut zu machen.

Spätestens seit Antiphon, dem Sophisten des 5. Jahrhunderts v. Chr., kursiert die These, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind. Spätestens seit Poseidonios (135 bis 51 v. Chr.) aus Apameia in Syrien besinnen wir uns auf uns selbst, also auf den Menschen als ein zur freien Selbstbestimmung fähiges Lebewesen. Und spätestens seit Michel de Montaigne (1533 bis 1592) über Immanuel Kant (1724 bis 1804) bis in die Spätmoderne können wir mit dem unabweisbaren Bewusstsein der menschlichen Konstruktivität und der Konvergenz der Welt auf den Menschen einsichtig nachvollziehen, dass der Mensch in seiner anthropologischen Konstitution nicht anders sein kann als das, wodurch er ist, was er ist.

In allmählicher Ablösung vom rein instinktiven Verhalten entwickelte der Mensch phylogenetisch die Handlungskompetenz, durch die Sinn überhaupt erst zu entstehen vermochte. Die Menschwerdung ist somit auch Sinnwerdung. Anders als die Organisationsform der Tiere, die über die organischen Schaltkreise relativ fest verläuft, gestaltet das Tier Mensch seine Lebensform über die Handlungskompetenz sinnstiftend und sinnbestimmend. Als Subjekt muss der Mensch seine Lebensführung mittels seiner konstruktiven Fähigkeit der Sinn- sowie der Selbstbestimmung gestalten, denn anders hat er keinen gedeihlichen Anschluss an die Welt und ist somit nicht überlebensfähig — zumindest nicht in der Qualität und Würde dessen, wie er in seiner anthropologischen Konstitution bestimmt wird: als autonome geistig-kulturelle Organisation.

Der Mensch ist also ein Lebewesen, das notwendigerweise seine Lebensform über Sinn- und Selbstbestimmung organisiert. Den inneren Zusammenhang dieser zwei Hauptmerkmale suche ich im Kapitel 6 knapp zu explizieren. Autonomie und Freiheit lassen sich aus diesem Verständnis leicht deduzieren. Dies macht unser Menschenbild aus.

Deshalb ist jede Behinderung der Sinn- sowie der Selbstbestimmung des Lebens eines jeden Subjekts zugleich ein Angriff auf die Menschlichkeit, auf die einzigartige Natur des Menschen an sich.

Mir geht es gegenwärtig nicht so sehr um wichtige Begriffe wie „Menschenrechte“ oder „Grundrechte“. Denn all sie sind Bemühungen, um konkret mit dieser Errungenschaft adäquat und besser umzugehen. Alle Menschen- und Grundrechte lassen sich aus diesem Grundverständnis des Menschen, unserem Menschenbild, ableiten und auf es zurückführen.

Der Angriff auf die Menschlichkeit

Wenn der Staat Menschen- und Grundrechte außer Kraft setzt, um seine Macht auszubauen und somit seine Vorhaben — seien sie so nobel, wie sie nur sein können — durchzusetzen, muss er zwangsläufig gegen die Autonomie, gegen die Freiheit, gegen die Menschen- und Grundrechte verstoßen. Denn der Staat verletzt dabei das Wesen des Menschen schlechthin.

Aus meiner Sicht stellen deswegen die Corona-Maßnahmen „legitimierte“ Akte der Gewalt dar, durch die die Bevölkerung in eine extreme Abhängigkeit gebracht wird, um ihre deutliche Unterwerfung zu erzwingen.

Auch wenn die Rechtfertigung die Parole „Leben retten“ ist, sichert der Staat nicht einmal das Leben des Tiers in uns (animal sociale), sondern bloß des organischen Körpers, des biologischen Leibes.

Das nackte Leben, nuda vita, hat Giorgio Agamben diese abstraktive Reduktion des menschlichen Lebens genannt. Nicht, dass das Vegetative unbedeutend wäre. Aber das reicht nicht im Geringsten aus, um menschliches Leben in seiner intrinsischen Würde zu schützen, geschweige denn, es vor dem Erkranken, dem Tod zu „retten“ oder gar vom unentrinnbaren wie omnipräsenten Prozess des Sterbens zu „erlösen“. Stattdessen beendet der Staat das Menschenleben durch die fatale Deprivation der menschlichen Grundbestimmungen; und er tut dies inquisitorisch.

Die Frage der Impfung als ethisches Problem

Deshalb stellt Gunnar Kaiser die Impffrage in einen Rahmen, der über eine bloße utilitaristische Abwägung von Pros und Contras oder Kosten und Nutzen hinausgeht. Er bettet die Problematik vielmehr in einen Zusammenhang des moralisch Guten und Bösen ein, dessen eines Hauptkriterium in der sogenannten „Goldenen Regel“ des gemeinschaftlichen Miteinanders besteht, nämlich in dem berühmten „quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris“, auf Deutsch heißt es also: „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“

Dieses archaische Gedankengut findet man bereits in den Hochreligionen wie in der des Alten Israels (Leviticus 19,18) und auch affirmativisch in der neutestamentarischen Tradition des Christentums: „Alles nun, was ihr von den Menschen erwartet, das erweist auch ihr ihnen ebenso“ (Matthäus 7,12). Philosophisch schließlich stilisiert Kant diese „ewige Wahrheit“ in Form des kategorischen Imperativs.

Das andere Hauptkriterium besteht nämlich in der Würde des Menschen, wie es auch bei Kant einen philosophischen Ausdruck gefunden hat: niemals den Menschen als Mittel zu gebrauchen, sondern stets als Selbstzweck zu achten. Dementsprechend bringt Kaiser den Nürnberger Kodex von 1947 explizit und das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2, Abs. 2, Satz 1 GG) implizit in die Diskussion ein, um deutlich darzulegen, wie der Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit zugleich eine bloße Verletzung der Würde des Menschen bedeutet. Seine Erörterung legt sehr plausibel nahe, dass der Impfzwang — ob direkt, indirekt oder auch „nur“ berufsspezifisch — grundsätzlich unmoralisch ist, respektive ethisch nicht vertretbar. Kaiser argumentiert wie folgt:

Selbst wenn die (durch indirekten oder direkten Zwang) verabreichte Spritze nur eine Kochsalzlösung enthielte, also keinerlei mögliche Schädigungen und Nebenwirkungen zu erwarten wären oder, andersherum formuliert, wenn sie alle Krankheiten der Welt hinwegnähme, so wäre doch allein die Tatsache, dass das Kollektiv seine Macht so unverblümt bis in die Körper der Menschen hinein ausüben kann, ein Zeichen der erneuten Unterwerfung des Einzelnen, also eines erneuten Siegs der Unfreiheit über die Freiheit.

Kaiser hat somit dieses spezifische Problemfeld in seiner genuinen ethischen Dimension beleuchtet, obschon man die ethische Dimensionierung selbst noch „enttranszendentalisieren“ respektive „entmetaphysieren“ müsste. Dafür gibt es zumindest zwei Gründe.

In einem systemisch-kausativ verstandenen Universum, in dem alles, was ist und sich ereignet (die Geistigkeit des Menschen miteinbezogen!), seine Erklärung aus wechselseitigen Bedingungen und Prozessen findet, gibt es keine „moralische Wahrheit“ im Sinne eines „ewigen moralischen Gesetzes“, wie es die traditionelle Philosophie unzeitgemäß noch zu bekennen pflegt. Das ist der erste Grund. Der zweite ist umso empirischer: Die Moral reicht über die Familie und die Gemeinschaft mit ihrem handlungsleitenden Effekt leider nicht bis zu Politik sowie Wirtschaft, mit Ausnahme flüchtiger, direkter Interaktionen von Angesicht zu Angesicht (minima moralia).

Ich versuche dies in den Kapiteln 7 und 10 konzise verständlich zu machen. Hinzu kommt der schiere Umstand, dass in Systemen, in denen es um Macht und Geld geht, der Mensch immer nur ein Mittel zum Zweck ist. Wie sollte es denn zum Beispiel auf dem Markt anders sein? Just in diesem Sinne — und nur in diesem Sinne — trifft Norbert Bolz’ Vorschlag zu, die Rede über Politik von der diskursiv moralischen Be- und Verurteilung abzulösen.



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