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Das falsche Volk

Das falsche Volk

Statt es besser zu machen, verlegen sich die Altparteien darauf, die AfD und ihre Wähler schlecht zu machen — als besonders renitent erweisen sich die Thüringer.

Gelegentlich hilft es, sich an eine Binsenweisheit zu erinnern, etwa dass Wahlen in funktionierenden Demokratien zu den politischen Selbstverständlichkeiten gehören und eigentlich unspektakulär verlaufen. Nur Thüringen schert sich seit ein paar Jahren nicht um derlei Selbstverständlichkeiten. Mal wählt man auf Landesebene falsch, dann wählt man trotz gegebenen Versprechens gar nicht und verschiebt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag und nun wählt auch die Provinz falsch, abgrundtief falsch. Von den derzeit zu erreichenden Prozentzahlen der politischen Parteien bei den Sonntagsumfragen spricht man besser erst gar nicht. Das Wahlvolk bringt die Politik in Rage. Wurde nicht genug gewarnt? Hätte darob der Wähler nicht Erinnerungsarbeit zu leisten?

War nicht schlimm genug allein schon das Ergebnis der Landtagswahl vom Oktober 2019? Der Ausgang der Landtagswahl stellte nach Meinung des MDR die Politik vor „eine unlösbare Aufgabe“. Rot-Rot-Grün, die damalige Regierung unter Bodo Ramelow, hatte die knappe Mehrheit im Landtag verloren und „war abgewählt“. Die Bildung einer Minderheitsregierung erschien problematisch, weil weder CDU noch FDP die Linkspartei dulden wollten, „politische Brandmauern“ waren zuvor mit lautem Getöse errichtet worden.

Das Getöse sollte bei der Wahl des Ministerpräsidenten noch lauter werden. Vom „Dammbruch“ hörte man damals und vom „Pakt mit Faschisten“, als der Freie Demokrat Thomas Kemmerich am 5. Februar 2020 dann verhängnisvolle fünf Worte sprach: „Ich nehme die Wahl an!“ Gewählt, nach demokratischen Spielregeln, von Abgeordneten der CDU, FDP und – welch ein „Tabubruch“ – der AfD. „Sie müssen damit leben, ein Ministerpräsident von Gnaden derjenigen zu sein, die Liberale, Bürgerliche, Linke und Millionen weitere in Buchenwald und anderswo ermordet haben“, hyperventilierte der Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff von der SED-Nachfolgeorganisation, der Linkspartei, auf Twitter. Hinzufügen wird er selbstgerecht: „Ich gehe guten Gewissens.“ Vergessen hat der Genosse anscheinend die Opfer Stalins, die Opfer Maos, die Opfer der RAF, die Opfer der Roten Khmer, vor allem aber auch die Opfer der SED-Diktatur. Aber was zählen schon Verbrechen im Namen der Menschlichkeit?

Wer braucht da noch Augenmaß hinsichtlich historischer Bezüge, wenn es gegen „Nazis“ geht? Noch Monate später – im August – erklärte Annalena Baerbock, damals Vorsitzende der Grünen, vor laufender Kamera in der Talkshow bei Markus Lanz zu den Wahlen in Thüringen: „Da standen wir kurz davor, dass ein Nazi, jemand der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, in einem unserer Bundesländer zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Dieser Moment hat mich erschüttert, ich glaube, der hat wahnsinnig viele Menschen in diesem Land erschüttert.“ Auf ein Innehalten, ein Stutzen des Moderators wartete der Zuschauer vergebens; Markus Lanz dafür im Ergebenheitsmodus beipflichtend: „Das stimmt. Ja!“

Die Entschuldigung bei Thomas Kemmerich und das übliche Missverständnisgefasel von Baerbock erfolgte dann später. Längst aber merkelte es zuvor im Freistaat Thüringen, es wurde zurückgetreten. „Unverzeihlich“ sei schließlich eine solche Wahl angesichts errichteter Brandmauern. Eingedenk der Herrschaftsmaxime eines Walter Ulbricht, „es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, diktierte die Kanzlerin im Februar 2020 bei einer Pressekonferenz im südafrikanischen Pretoria, es müsse „auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden“, Wählerwille hin, Wählerwille her. Führende Vertreter von CDU und FDP warfen sofort ihre Nebelkerzen, Thomas Kemmerich verspürte einen Schmerz: „Der Rücktritt ist unumgänglich“, um damit „den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten zu nehmen“, äußerte er bereits am 6. Februar 2020 nach einem Krisengespräch mit FDP-Chef Christian Lindner in Erfurt. Im Bundestag hoffte Lindner nach dem Sündenbekenntnis auf Absolution: „Erfurt war ein Fehler, aber wir unternehmen alles, damit er sich nicht wiederholen kann.“

Die Hamburger Bürgerschaftswahl sorgte am 23. Februar 2020 trotzdem für ein neues blaues Auge, lediglich 4,97 Prozent betrug der Stimmenanteil. Dem Dichter und einstigen Kulturminister der DDR Johannes R. Becher dämmerte noch:

„Wem einmal das Rückgrat gebrochen wurde, /
Der ist kaum dazu zu bewegen, /
Eine aufrechte Haltung einzunehmen, /
Denn die Erinnerung /
An das gebrochene Rückgrat /
Schreckte ihn. /
Auch dann noch, /
Wenn die Bruchstelle längst verheilt ist (...)“
Nicht mehr dem Zeitgeist gefallend, wusste immerhin vor ein paar Jahren der ehemalige FDP-Chef Philipp Rösler: „Wer sich selbst zum Würstchen macht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er verspeist wird.“

Das Desaster von Sonneberg

Nun aber wurde aktuell in der südthüringischen Provinz an die Wahlurne gerufen, einen neuen Landrat galt es für den Kreis Sonneberg zu wählen. „Die Region hat etwas Märchenhaftes: bergige Landschaften, grüne Täler, dichte Tannenwälder, kleine Dörfer“, schreibt man in der taz. Doch das Pittoreske steht einmal mehr sogleich unter Verdacht: „‚Die AfD hat in Sonneberg ein großes Wähler:innenpotential‘, sagt Axel Salheiser vom Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ). ‚Dort gibt es ein dezidiert rechtsextremes Publikum (...) Der Landkreis ist sehr ländlich und abgeschieden, die Neonazis können dort ungestört ihr Ding machen‘“, heißt es dort weiter.

Kann das Wahlergebnis angesichts solchen Treibens noch verwundern? Eine Stichwahl wurde nötig, das Erschrecken nach dem ersten Wahlgang am 11. Juni zeitigte vehemente Reaktionen. Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann erhielt 46,67 Prozent der Stimmen – und wäre damit fast schon auf Anhieb zum ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt worden. 50 Prozent wären für die Direktwahl erforderlich gewesen, so kam es am 25. Juni zum zweiten Wahlgang zwischen Sesselmann und dem Zweitplatzierten Jürgen Köpper von der CDU, der mit 35,71 Prozent der Stimmen rund 11 Prozentpunkte weniger erhielt als der AfD-Politiker.

Abgeschlagen waren die parteilose Kandidatin der SPD Anja Schönheit mit 13,25 Prozent sowie die gemeinsame Kandidatin der Linken und Grünen, Nancy Schwalbach mit 4,36 Prozent der Stimmen. Nun riefen die Parteien einmal mehr zur Geschlossenheit und wollten dem Wähler mit dem eigentlich alternativlosen Kandidaten zur Landratswahl im thüringischen Sonneberg, dem CDU-Kandidaten Jürgen Köpper, die Stimmabgabe so einfach und leicht wie nur möglich machen. Der Bürger müsse schließlich „abgeholt“ und „mitgenommen“ werden, versichern die politischen Gouvernanten unentwegt. Dem Eingeborenen will dagegen ein Déjà-vu nicht aus dem Kopf – „Nationale Front“ genannt.

Und so verweigerte das renitente thüringische Wahlvolk dem Einheitskandidaten die nötigen Stimmen, was selbst bei der Neuen Zürcher Zeitung zu hitzigem Pulsschlag führte, titelte man dort sogleich: „Die Wahl des ersten AfD-Landrats ist ein politisches Beben.“

Die SPD im Sonneberger Kreistag spürt von diesem Beben nichts. „Aber auf Kreisebene gehe es nicht um Parteipolitik oder Ideologie, sondern hauptsächlich um Sacharbeit, etwa um die Schließung einer Schule oder die Finanzierung des regionalen Krankenhauses“, heißt es dort nach taz-Angaben. Auch der CDU-Mann Köpper befindet, „die Zusammenarbeit mit der AfD sei ‚bei Sachthemen ganz normal, sonst würden wir keine Kreistagsbeschlüsse fassen können‘. Zum größten Teil säßen ja ‚vernünftige Menschen’ in der AfD-Fraktion, ‚darunter drei Rechtsanwälte‘. Köpper nehme die AfD-Abgeordneten genauso ernst wie jeden anderen Abgeordneten im Kreistag. ‚Anders kriege ich auf kommunaler Ebene keine Sachpolitik zustande.‘“

Pragmatiker und Ideologen

Solch provinzieller Pragmatismus mag in den Parteizentralen zwar wohl mit Bauchschmerzen geduldet werden, doch öffentlich kommuniziert werden die Brandmauern. Christian Lindner ist sich dabei inzwischen nicht einmal mehr zu schade, als Wahlhelfer für eine andere Partei aufzutreten. So empfahl er zwei Tage nach der Sonneberger Stichwahl den Wahlberechtigten, die eine „populistische Sozialpolitik“ wollen, die Linkspartei anstelle der AfD zu wählen und twitterte: „Niemand muss AfD wählen, wenn er populistische Sozialpolitik will. Die gibt es auch bei der Linken.“ Schon einen Tag nach der Wahl ließ sich Bundesminister Lindner bei einem Bürgerdialog in Weimar vernehmen: „Niemand, der aus sozialpolitischen Gründen sagt ‘Ich bin nicht zufrieden mit der gegenwärtigen Politik’, muss AfD wählen. Es tut mir in der Seele weh, es zu sagen, aber im Notfall könnte man auch die Linkspartei wählen.“

Gegen die FDP-Selbstauflösungstendenzen des Bundesvorsitzenden stemmt sich gegenwärtig noch der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki. Gegenüber dem TV-Sender Welt äußerte er, zwar ist es „sehr besorgniserregend, dass die AfD so eine Größenordnung erreicht hat“, dennoch: „Es ist, wie es ist – es ist Demokratie.“ Natürlich wurde sich auch Lindner seiner Äußerung bewusst und betonte, er sage das freilich nicht in seiner Funktion als Parteipolitiker, sondern als Minister. „Bitte zitieren Sie mich nicht damit“, merkte er zudem an. Schwer klebt das Etikett einer „Umfallerpartei“ allerdings seit 1961 an den Liberalen. Doch wer der AfD Paroli bieten will, der sollte anfangen, am eigenen Profil und an eigenen Inhalten zu arbeiten. Was nützt es, zu verkünden: „Wir schließen nichts aus, nur eines: Unsere Grundsätze zu verraten, das schließen wir aus“, um dann sofort die Rolle rückwärts auszuführen?

Trug die Partei in Wahlkampfzeiten beinahe das zum Fetisch gewordene Schild der „Freiheit“ mit sich, so warf man es in der Regierungsverantwortung sogleich in die Ecke, wie eine Kanzlerin Merkel einst die Deutschlandfahne.

„Es gibt ein absolutes Ende aller Maßnahmen“, erklärte der designierte Bundesjustizminister Marco Buschmann hinsichtlich einer herbeifantasierten Pandemie und fügte hinzu: „Und alle Maßnahmen enden spätestens mit dem Frühlingsbeginn am 20. März 2022.“ Nun verging freilich dieser besagte Märztag, allein es blieben die „Maßnahmen“. Das „Ende aller Maßnahmen“ verschwand wie das von Johannes R. Becher postulierte Rückgrat einer Partei, die ihren Wahlkampf explizit mit Maßnahmenkritik gestaltete. Populismus auf Kosten von Grundrechten wurde jedenfalls salonfähig – das Torschloss dazu öffnete Bundesjustizminister Marco Buschmann. Wäre es stattdessen nicht seine politische Pflicht gewesen, seine Rolle als liberaler Lordsiegelbewahrer einzunehmen? Ohne Rückgrat blieb jedoch FDP-Politik auch bei anderen Themen, erinnert sei an Russland, Energie, Steuern, Gendern, Migration. Um die „Verbündeten der Freiheit“ steht es nicht gut. Warum sollten also Sonneberger, Thüringer oder die Deutschen diese Partei überhaupt wählen? Weil sie lieber schlecht als gar nicht regieren will?

Die Sache mit dem „C“

Wahrscheinlich empfiehlt sich solche Wahl oder die der Oppositionspartei CDU, um der Verunglimpfung und Verächtlichmachung als „brauner Bodensatz“ zu entgehen, wie sie der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, für ein Fünftel der Deutschen jüngst unternahm. Was könnte also motivieren, außer dieser verbalen Stigmatisierung, CDU zu wählen? Vor allem seit es auch in deren Kreisen beliebt ist, zur Wahl von Kandidaten anderer Parteien aufzurufen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, „Genosse“ Daniel Günther, riet wie auch die Bildungsministerin des Landes, „Genossin“ Karin Prien, bekanntlich zur Wahl eines SPD-Kandidaten, um einen unbequemen Hans-Georg Maaßen zu verhindern.

Überhaupt empfahl Prien nach Berichten der taz, „die CDU solle die Linke anders behandeln als die AfD“ – Mauerdurchbrüche somit. Angesichts des Redebeitrages der 5-fachen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein beim CDU-Grundsatzkonvent vom 17. Juni 2023 in Berlin weiß die Tagesschau: „Karin Prien möchte ganz offensichtlich vor Scham im Boden versinken.“ Dabei stellte Claudia Pechstein, die Olympionikin, nur sehr sachlich fest: „Eine intakte Familie ist auch ein Idealbild von Dreiviertel der Deutschen“ und mahnte die CDU:

„Die Kinder hierzulande wollen nicht nur einen guten Job, eine heile Familie, eine traditionelle Familie. Sie wollen Mama und Papa. Die Familienpolitik der Christlich Demokratischen Union sollte sich grundsätzlich zuallererst mit der traditionellen Familie beschäftigen. Wenn wir aufhören, die Familienpartei im Lande zu sein, dann werden wir auch nicht mehr Volkspartei in Deutschland sein.“

Familienpolitik ist dagegen für CDU-Vize Prien eine Debatte um „Nebensächlichkeiten“! CDU-Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas schmetterte gegenüber dem SPIEGEL: „Thema verfehlt“. Was sollte somit motivieren, seine Wahlstimme bei der CDU zu belassen? Auch wenn Claudia Pechstein noch von der „Christlich-Demokratischen Union“ spricht, stellen sich zahlreiche Bürger bereits die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung des „C“ und selbst das „D“ ist inzwischen keinesfalls „unumstritten“, kursieren doch längst Varianten des Parteinamens wie „Corona Diktatorische Union“, „Chaotisch Diverse Union“ oder „Colossale Deppen Union“.

Dass das „C“ für christlich stehen könnte, ist bestenfalls noch marginal, denn von einer „christlichen Hoffnung“ oder Zuversicht ist nichts mehr spürbar. Freilich, auch das Christentum war niemals reine Hoffnungsreligion, viel Gezisch gab und gibt es da von Strafe, Furcht und Höllenqual, doch die pure Angst war nie seine Wurzel. Vergessen scheint in einer Partei, die amtlich wenigstens sich noch „christlich“ nennt, auch der Satz aus dem Evangelium des Johannes 8,7: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Ein Fundamentalsatz immerhin mit Blick auf Selbstreflexion und Selbstkritik. Wer der eigenen Fehlbarkeit begegnet, vermag Korrekturen zu leisten. Die christliche Tradition versuchte diesen schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis immer wieder aufzunehmen. Wer um die eigenen Fehler weiß, wird bescheidener oder gar demütig. Solche Einsicht ist ein probates und effektives Mittel gegen ideologischen Größenwahn, der die Welt beherrschen und „retten“ will, egal ob dieser Größenwahn einer sogenannten Klimarettung oder der Gesundheit gilt.

„Es macht einen Unterschied, wer regiert.“

Was oder wer also sollte motivieren, seine Wahlstimme bei der CDU zu belassen? Bliebe es gar nur die Reduktion auf Führungsstärke beim einstigen „Hoffnungsträger“ und jetzigen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz? Schließlich galt er nicht allein im politischen Porträt, das die Autoren Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart entwarfen, als „Der Unbeugsame“, auch wenn der Journalist Claudio Casula in der Chronik des Irrsinns – der November 2022 punktgenau kommentierte: „Ja, Sie lachen, ich lache. Aber es ist kein Scherz.“

Vollmundig kam schließlich des Unbeugsamen Ankündigung 2018, als er sich zum ersten Mal um den Parteivorsitz bewarb, daher, die AfD halbieren zu wollen: „Das traue ich mir zu, die AfD zu halbieren – das geht.“

Dieser Tage erfolgte dann der „Umfaller“. „Würde ich heute nicht mehr wiederholen“, bekannte Merz bereits vor der am 30. Juni 2023 stattfindenden gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU gegenüber der Frankfurter Rundschau. Überhaupt, „die AfD werde überschätzt“ und daher mag er auch nicht mehr über sie reden. Doch dann ist trotzdem von ihr zu hören, macht Merz schließlich auch das öffentlich-rechtliche Gendern für die Zugewinne der AfD mitverantwortlich, während unbeirrt zwei CDU-Landtagsfraktionen, namentlich die in Mainz und in Stuttgart, ein Genderverbot in Schule und Verwaltung ablehnen. Zugleich merkt er entlastend wie entlarvend an: „und wir sind auch keine Fundamentalopposition“. Welcher muntere Zeitgenosse in Ostelbien und darüber hinaus aber hätte das der CDU noch unterstellen oder zutrauen wollen? Immerhin stellte man parteiintern selbst fest, dass die CDU/CSU in der Hälfte der Abstimmungen im Bundestag der Ampel-Koalition zugestimmt hat. Mitte Juni 2023 lud Merz den grünen Ideologen Ralf Fücks zum Grundsatzkonvent der CDU, und der stellte sogleich heraus: „Die AfD ist Gegner, die Grünen sind Ihr potenzieller Koalitionspartner.“

So richtig spannend findet man seit der Präsidiumssitzung diesen Koalitionspartner jedoch nicht mehr und betont ob der Sonneberger Katerstimmung: „Es macht einen Unterschied, wer regiert“. So trägt man in einem Papier zusammen, worauf künftig der Fokus zu legen sei: Die Mehrwertsteuer für Lebensmittel solle gesenkt werden, wie sie im Gastrobereich unten bleiben soll. Die Erbschaftssteuer für Elternhäuser will die CSU beseitigen, während die CDU dafür plädiert, Zweitjobs gar nicht mehr oder zumindest deutlich geringer zu besteuern. Ebenfalls solle die Stromsteuer eine deutliche Absenkung erfahren. Dass diese freilich ein Erbe von CDU-Kanzlerin Angela Merkel ist, wurde nicht erwähnt. Zudem wird positioniert: Kriminelle Einwanderer sollen schneller abgeschoben werden können, auch soll sich die Einstufung der als sicher geltenden Herkunftsländer erhöhen.

Die derzeitigen Sonderaufnahmeprogramme zur Einwanderung sind zu beenden, die Grenzen wieder besser zu schützen. Von Stund an kennt die Union jedenfalls einen neuen Hauptgegner. Wer hätte allerdings gedacht, dass es nun die Grünen sind? „Es sind die Grünen, mit denen wir uns am intensivsten auseinanderzusetzen haben“, rasselt Merz. Watschte „Der Unbeugsame“ aber nicht wenige Tage zuvor noch den Abgeordneten Klaus-Peter Willsch ab, der in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 20. Juni 2023 die Stirn hatte, die „Grünen“ als „vaterlandslose Gesellen“ zu bezeichnen? Die Aussagen eines Robert Habeck: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen (...) ich wusste mit ‚Deutschland‘ nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht“; oder auch die einer Stefanie von Berg: „(...) unsere Gesellschaft wird sich ändern (...) ich bin der Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt (Hamburg) (...), dass unsere Stadt davon lebt, dass wir ganz viele verschiedene Ethnien haben (...), das ist gut so!“ – stützen zumindest die Ansicht des Klaus-Peter Willsch.

Dann aber gelang dem Unbeugsamen die berühmt-berüchtigte Baerbocksche „360-Grad-Wende“ – oder waren es ein paar Grad weniger, wer achtet schon auf derlei Kleinigkeiten – und Merz machte laut Berliner Zeitung die Grünen „dafür verantwortlich, dass diese Polarisierung um die Energiepolitik, um die Umweltpolitik in dieser Weise entstanden ist“ und zieht die Konsequenz, dass die Grünen deshalb „auf absehbare Zeit die Hauptgegner in dieser Bundesregierung“ seien.

Auch war da noch – welch Erkenntnisblitz! – diese „bevormundende, moralisierende Außenpolitik“. Generös räumt Ralf Fücks gegenüber der Zeitung ein: „Kritik an der Regierung ist die Pflicht der Opposition“, um fassungslos nachzulegen: „Aber sich auf die Grünen als Hauptgegner einzuschießen, treibt die Union weiter nach rechts und brennt die Brücken für eine mögliche Koalitionsbildung ab.“ Der Brückenneubau dürfte dann angesichts fehlender Fachkräfte und mangels notwendigen und völlig überteuerten Materials auf absehbare Zeit verunmöglicht sein – „das ist gut so!“ Eine Denkwürdigkeit aber bleibt: „Es macht einen Unterschied, wer regiert.“ Dem renitenten Wahlvolk aber stellt sich die grundsätzliche Frage eines Michael Klonovsky: „Wer glaubt diesen Figuren eigentlich noch irgendein Wort?“


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