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Das Gift der Resignation

Das Gift der Resignation

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden nicht zu bewältigen sein, wenn wir glauben, es sei zu spät, um etwas zu unternehmen.

„Ich werde Ihnen ein Geheimnis über die Angst verraten: Sie ist wie ein absolutistischer Herrscher. Bei der Angst heißt es: Alles oder nichts. Entweder sie ruiniert einem mit einer stupiden, blinden Omnipotenz wie ein brutaler Tyrann das ganze Leben, oder man überwindet sie, und ihre Macht verpufft wie eine Rauchwolke. Und noch ein Geheimnis: Die Revolution gegen die Angst, der Versuch, diesen aufgeblasenen Despoten zu stürzen, hat mehr oder weniger nichts mit Courage zu tun. Sie wird von etwas weitaus Unkomplizierterem ausgelöst — dem schlichten Bedürfnis, weiterzuleben. Ich hörte auf, Angst zu haben, weil ich, wenn meine Zeit auf Erden begrenzt war, keine Sekunde Zeit für Fracksausen hatte“ (Salman Rushdie, „Des Mauren letzter Seufzer“).

Das Narrativ vom unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang ist deutlich übertrieben.

Die Welt ist nicht am Ende. Die meisten Menschen haben es heute in fast allen messbaren Bereichen besser als früher. Und es deutet vieles darauf hin, dass es weiterhin besser und besser wird.

Wir stehen vor echten Herausforderungen, und diese Herausforderungen werden schwieriger — nicht einfacher — zu lösen sein, wenn wir glauben, dass es zu spät ist, um etwas zu unternehmen. Es ist ein echtes Problem, wenn wir innerlich davon überzeugt sind, dass es keine Hoffnung gibt. Dass die Menschheit die Welt zerstört hat und dass wir auf den noch katastrophaleren Untergang zusteuern. Auf einen gewaltigen Umbruch, der uns, unsere Umwelt und den gesamten Planeten, auf dem wir leben, wegfegen wird.

Die Kultur des Aufgebens ist allgegenwärtig. In unserem Kopfschütteln über die Verschmutzung der Erde, das Aussterben von Tierarten und den Tod zahlloser Menschen an den Brennpunkten in allen Ecken der Welt. Oder in unserer zynischen Feststellung, dass Geld alles regiert und es keinen Platz für das Gute auf der Welt gibt. Und in dem alten Gassenhauer: Früher war alles besser.

Die Kultur des Aufgebens manifestiert sich in der Art und Weise, wie wir uns resigniert über die Politiker auslassen. In unserer defätistischen Annahme, dass wir keinen Einfluss haben und dass sich daran nichts ändern kann. Wir sind schnell mit dem Urteil bei der Hand, der Mensch zerstöre alles, womit er in Berührung kommt.

Point of no return

Auch auf einer höheren Ebene zeigt sich die Kultur des Aufgebens: in den Artikeln, die unsere Zeitungen und das Internet über das Klima und ganz aktuell über das Virus veröffentlichen. Die Ozeane kippen um, die Wälder sind gefällt, gefährdete Arten sind so gut wie ausgestorben. Der Untergang ist unvermeidlich. Wir sehen ihn in den wilden Schlagzeilen über Terroranschläge — als etwas, das bereits in unserem Alltag präsent ist. In den Worst-Case-Szenarien der Medien zu internationalen Konflikten.

Im ewigen Fokus auf fatalistische Aussagen zum Jüngsten Tag. In Prognosen von Trends, die zeigen, dass die Erde in nur zweihundert, hundert oder fünfzig Jahren unbewohnbar sein wird. In Spekulationen darüber, dass wir jetzt, nein, im vergangenen Jahr, nein, morgen, einen point of no return erreichen, erreicht haben beziehungsweise erreichen werden. Dass es jetzt ganz bestimmt zu spät ist.

Wir werden zu ängstlichen und passiven Bürgern. Wir werden zu Wählern, die aus Furcht abstimmen. Und obwohl Politiker diese Furcht ausnutzen, ist es auch umgekehrt: Wir vertrauen keinem Politiker voll und ganz, der den Pessimismus nicht bestätigt. Wir erwarten, dass Politiker dieselbe Sprache sprechen, sie sollen sich mit allen Bedrohungen auseinandersetzen, mit denen wir konfrontiert sind. Sie sollen sich nach früher sehnen, als die Welt besser war. Sie sollen schwören, dass sie das schützen werden, was wir haben. Jeder Anflug von Optimismus wird als Leichtsinn interpretiert.

Ohne Hoffnung ist die Logik simpel. Wir fürchten die Zukunft, weil sie grausam ist. Und wenn wir nicht an die Zukunft glauben, erscheinen Planungen hoffnungslos. Es macht keinen Sinn. Das ist Nihilismus.

Aber all das ist viel zu düsteres Gerede. So hängt es nicht zusammen. Wir müssen diesem Schwarzsehen etwas entgegensetzen, für uns und für einander. Es gibt kein gutes Argument, das besagt, dass man nicht an die Zukunft glauben soll. Der ständige Fokus auf die negativen Seiten der Welt, real oder imaginiert, deckt nicht alles ab; die Welt ist viel zu komplex, als dass man sie mit einer einzigen Betrachtungsweise erfassen könnte. Das Schicksal der Erde wird weder heute noch morgen entschieden.

Es gibt kein Urteil, das über die Welt und das Leben der Menschen gefällt wurde. In der Tat gibt es unglaublich viele gute Gründe für Hoffnung und Optimismus. Aber sie ergeben keine so mächtigen und gewaltigen Erzählungen, und deshalb überleben sie selten im Meer der Geschichten, das uns unter sich begräbt.

In vielerlei Hinsicht scheinen wir uns bereits entschieden zu haben: Das Selbstverständnis unserer Gesellschaft ist auf den Untergang ausgerichtet. Es fühlt sich naiv oder undenkbar an, an eine bessere Zukunft zu glauben oder auch nur an eine, die faszinierend, aufregend und lebensbejahend wäre.

Die andere Sichtweise

Die Kinder, die heute aufwachsen, die Kinder, mit deren Erziehung wir beschäftigt sind, werden in diesen Diskurs hineingeboren. In diese Hoffnungslosigkeit. Wir können unsere Kinder nicht belügen. Wir müssen akzeptieren, dass sie genau wissen, wie es uns geht. Lasst uns unserer Kinder wegen positiv in die Zukunft sehen, zeigen wir ihnen die Chancen und Möglichkeiten auf, die vor ihnen liegen.

Es gibt einen Teil der Furcht vor der Zukunft, der mit Fakten und Argumenten beleuchtet werden kann, sodass er wie Schatten im Sonnenlicht verschwindet. Es gilt, Dinge zu beleuchten, von denen wir glauben, dass wir sie kennen, die aber völlig anders aussehen, wenn wir uns wirklich trauen, sie zu betrachten.

Und dann gibt es einen Teil der Furcht, der in unserer grundlegenden Angst vor dem Leben und der Ungewissheit dieses Lebens begründet liegt. Und der Angst vor dem Tod. Einer Angst, die wir akzeptieren und auf uns nehmen müssen, über die wir reden müssen. Auf diese Weise können wir vermeiden, dass die Furcht alles besetzt.

Machen wir einen Anfang und begegnen wir unserer Angst vor dem Virus. Denn wie Salman Rushdie so schön schreibt: Wir haben keine Sekunde Zeit für Fracksausen.


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