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Das Imperium schlägt zurück

Das Imperium schlägt zurück

Wie jede erfolgreiche Protestbewegung soll auch #saveyourinternet in den Mainstream-Medien kaputt geschrieben werden.

Ob Friday-for-Future, die Gelbwesten in Frankreich oder nun die riesige, länderübergreifende Protestwelle gegen die EU-Urheberrechtsreform, insbesondere Artikel 11 und 13, unter dem Motto #saveyourinternet – wenn eine Bewegung der herrschenden Politik zuwiderläuft, wird sie mit allen Mitteln aus dem Diffamierungs-Repertoire bekämpft.

Welche Anschuldigungen und Verschwörungstheorien wurden bei dieser Bewegung nicht bereits aus dem Arsenal geholt? Ein Beispiel: Die fünf Millionen Unterschreiber der Petition gegen Artikel 13 seien allesamt nur Bots, hieß es aus den Reihen der CDU. Als dann auf den Demos im Chor ertönte, „Wir sind keine Bots“, waren die Demonstranten in den Augen der CDU-Politiker von den großen Internet-Giganten gekauft.

Ich selbst, Nicolas Riedl, habe an einer der größten Demos gegen die Urheberrechtsreform in München mit knapp 50.000 Demonstranten teilgenommen. Dass man dafür Geld von YouTube und Google bekommen würde, wusste ich nicht. Über Leserzuschriften, die mir sagen können, wohin ich meine Selfies von der Demo schicken kann, um die Bezahlung noch nachträglich zu erhalten, wäre ich sehr dankbar!

Die Anschuldigung, man sei nur ein Bot, mag vielleicht auf die Verzweiflung der Befürworter zurückzuführen sein. Aus der überheblichen Politik ist man zudem nichts anderes gewohnt. Wo der Spaß aber tatsächlich aufhört, ist der Kommentar von Thomas Schmid in der WELT aus dem Hause Springer.

Digital Nazis

Wer sich bei jeder Textzeile dieses Kommentars bewusst macht, in welchem Medium er veröffentlicht wurde, dem erscheint das Ganze sehr surreal. In den ersten Abschnitten wirkt es, als hätte ein Praktikant bei der WELT aus Versehen einen Artikel von der jungen Welt veröffentlicht. Schmid gibt sich hier als besorgter Kritiker großer Konzerne wie Google, Facebook, Amazon und YouTube. Er inszeniert die Proteste gegen Art. 13 als Konflikt zwischen der EU und den übermächtigen Internet-Konzernen, was die eben genannten Firmen auch de facto sind. Nur ist dieser Konflikt selbstverständlich ein reiner Scheinkonflikt, denn in Wahrheit spielen sich beide Parteien die Bälle zu.

Die „Eliten“ möchten die Kontrolle über Meinungs- und Deutungshoheit zurückgewinnen und müssen dafür den für sie historischen Super-GAU – das freie Internet – loswerden. Da es für die Politik aber nicht einfach ist, eine breite Internet-Zensur als nett und hilfreich zu verkaufen, greift die EU auf das Scheinargument zurück, doch nur die Interessen der Künstler schützen zu wollen.

Mit dieser Argumentation sieht die euphemistisch als „Urheberrechtsreform“ bezeichnete Regelung, die den berüchtigten Art. 13 beinhaltet, zukünftig die Implementierung sogenannter Upload-Filter vor. Das sind Programme, die jeglichen hochgeladenen Content – zum Beispiel Bilder, Videos oder Texte – automatisch darauf prüfen, ob sie urheberrechtlich geschützte Inhalte enthalten. In diesem Fall wird der Upload verweigert.

Damit keine urheberrechtlich geschützten Inhalte auf Online-Plattformen wie YouTube landen, wird nur noch Content verifizierter Partner geduldet. Wer die Verifizierung nicht erhält – warum auch immer, die Spanne an Begründungen kann hier sehr dehnbar sein – kann bei YouTube und anderswo eben nichts mehr hochladen. Dabei versteht sich von selbst, dass die teuren Upload-Filter keinesfalls unfehlbar sind. Die EU sieht in ihrer Gesetzgebung vor, dass Parodien oder Satire weiterhin Bestand haben sollen.

Doch wie soll ein Programm erkennen und eindeutig beurteilen können, ob ein hochgeladener Inhalt urheberrechtlich geschützte Passagen im Original, also illegal verbreitet – oder eben nur persifliert? Was als unliebsamer Inhalt gilt, ist Sache der Programmierung – und des Programmierers. Es besteht die Gefahr, dass die Zensur dieser Filter auch auf solche Meinungen ausgeweitet wird, die der Programmierer als unliebsam einstuft. Die Programmierer vertreten die Interessen der EU. Dreimal darf man raten, wie es Mainstream-kritischen Medien und Journalisten ergehen wird. Ob Inhalte dann „absichtlich“ oder auch nur fälschlicherweise von den Filtern nicht zugelassen werden, das Resultat ist dasselbe: Zensur. Dagegen stehen so viele Demonstranten, so viele Jugendliche auf.

Während Schmid sich also zunächst beinahe zur Kapitalismuskritik durchringt, plädiert er sodann für die Konsequenz von stärkerer staatlicher Regulierung, beziehungsweise Regulierung durch die EU – und das im Hause Springer – und wirft der jungen Generation vor, blauäugig und naiv den übermächtigen Konzernen nach dem Mund zu reden. Ihre Kritik, so Schmids Argumentation, sei nämlich im Interesse der Konzerne – man erinnere sich jetzt an den Vorwurf der CDU, die Demonstranten seien „gekauft“ worden. Und natürlich sind die Upload-Filter den Großkonzernen – aber auch kleinen Webseitenbetreibern – ein Gräuel.

Um diesen Konflikt geht es aber nicht bei den Demonstrationen, die Hunderttausende bewegen. Sie demonstrieren nicht für unregulierte Konzerne und deren fragwürdige Praktiken – Sie demonstrieren für das freie Internet! Das betrifft auch eine gewisse Freiheit von Internetkonzernen, ja – vor allem aber geht es diesen Menschen auf der Straße um ihre eigene Freiheit im Internet, um die Freiheit, Inhalte unzensiert hochladen und die eigene Meinung äußern zu dürfen, ohne von einem automatisierten Schiedsgericht, und nichts anderes sind die Upload-Filter, eingeschränkt zu werden.

Die Demonstranten gehen nicht für Großkonzerne auf die Straße, sondern für ihre Bürgerrechte und für ein unzensiertes Internet! Diese Freiheit wird durch Art. 13 von der EU bedroht!
Schmid verdreht somit den eigentlichen Konflikt – was es ihm ermöglicht, die Demonstranten ob ihrer angeblichen Kurzsichtigkeit bezüglich der Konzerninteressen anzugreifen. Unfähig seien sie, die Beweggründe ihres Demonstrierens zu durchschauen, so der Tenor seines Kommentars, dessen Hauptmotivation offenbar in der Diffamierung der Demonstranten liegt. Mit seiner absurden Faktenverdrehung ist allerdings Schmid derjenige, der meilenweit an der eigentlichen Problematik vorbeirauscht. Und als wäre diese Verdrehung noch nicht genug, bemüht Schmid in seinem neunmalklugen Angriff auf die Demonstranten außerdem einen Vergleich, wie man ihn in seiner Abstrusität sonst nur von dem YouTuber Drachenlord kennt:

„Wenn heute in ganz Europa vor allem junge Menschen gegen die Urheberrechtsreform der EU mobil machen, dann ist das vermutlich die erste freiheitsbeschwingte Massenbewegung der Geschichte, die faktisch nicht an der Seite der Schwachen, sondern an der Seite der Mächtigen, der Stärkeren marschiert. Und die Freiheitsideologie hat sich in diesem Milieu derart zu Beton verfestigt, dass man hier gegen Skepsis und Zweifel immun zu sein scheint.

Nicht anders ist es wohl zu erklären, dass die Gegner der EU-Reform Gegenargumente vollkommen missachten und die Übermacht der Monopolisten lautstark beschweigen. Das hat fast etwas Masochistisches und erinnert beinahe an den Hurrapatriotismus junger Kriegsbegeisterter früherer Zeiten.“

Diese Propaganda-Methode ist so perfide wie verlogen. Hätte Pinocchio diesen Absatz geschrieben, müsste er sich jetzt einen neuen Monitor kaufen. Denn tatsächlich wurden die Gegenargumente auf den Demos weder missachtet, noch wurde „die Übermacht der Monopolisten lautstark“ beschwiegen (sic!). Im Gegenteil: Vor tausenden Teilnehmern wurden diese Aspekte auf der Bühne in München angesprochen, als ich auf dem Demo-Platz stand. Und auch in Berlin waren die großen Internetfirmen keineswegs vor Kritik gefeit: „Fuck Google, Facebook, Amazon“, stand öffentlichkeitswirksam auf der Bühne geschrieben.

Schmid behauptet das Gegenteil, offenbar ohne an einer einzigen Demonstration teilgenommen zu haben. Die WELT traut ihm trotzdem einen Kommentar über die Demonstranten zu. Aus dem Elfenbeinturm heraus schreibt es sich eben leichter, nicht wahr, Herr Schmid? Aber bei seiner haltlosen Kritik bleibt es nicht – das Gift steckt im Nachtisch. Was meint Schmid wohl damit, wenn er schreibt:

„Das (...) erinnert beinahe an den Hurrapatriotismus junger Kriegsbegeisterter früherer Zeiten.“

Wann gab es denn das letzte Mal „Hurrapatriotismus junger Kriegsbegeisterter“ in Deutschland? Vor 20 Jahren beim völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien? Zu Zeiten der Kriegseuphorie im deutschen Kaiserreich? Oder meint Schmid hier etwa – tief Luft holen – die Hitlerjugend? Meint er das? Erinnern die Demonstranten Thomas Schmid an die Hitlerjugend? Pardon! Ich meinte, erinnern die Demonstranten Thomas Schmid „beinahe“ an die Hitlerjugend?

Zumindest hat er das so nicht geschrieben! Eine sehr geschickte Taktik! Er framed, ohne zu framen. Er weiß, wie er den Demonstranten einen Strick dreht, und versteht es zugleich, seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Würde er tatsächlich direkt und explizit sagen, was er meint, würde er einen Shitstorm ernten, der sich gewaschen hat und der Axel Voss eine Atempause verschaffen würde. So deutet er nur vage an, was er meinen könnte. Er schiebt das Angriffsziel seines Artikels – die Demoteilnehmer – in das Gravitationsfeld des Nationalisten-/Nazi-/EU-Gegner-Frames. So bleibt beim arglosen Leser eine ungute Konnotation hängen – und vor dem aufmerksamen Leser kann er sich jederzeit mit dem Wörtchen „beinahe“ rechtfertigen. Sehr geschickt, Herr Schmid!

Passend dazu: Scrollt man weiter runter, wo es „mehr zum Thema“ gibt, findet sich ein Artikel mit der Überschrift: „Mein Kind will gegen Upload-Filter demonstrieren. Was muss ich wissen?“ Herrje! Wie soll die ahnungslose, unwissende Mutter auch verstehen, wofür ihr fremdgesteuertes Kind da nur auf die Straße geht? Sie weiß ja nicht einmal, was ihr Kleiner da in diesem sogenannten Internet so treibt. Zum Glück erklärt uns die WELT die Welt.


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