In einer kleinen Gruppe von Bekannten habe ich mich neulich sehr gut unterhalten. Wir sprachen über dies und das, hatten Spaß und lachten viel. Bis jemand das Augenmerk auf politische Themen lenkte. Ich war regelrecht erschrocken, wie die Stimmung schlagartig kippte: aus der fröhlichen Runde wurde ein Haufen Frustrierter. Wütend, empört und fast nicht wiederzuerkennen. Die eben noch entspannten Gesichter verkrampften und verzerrten sich.
Spontan tauchte ein Wort, das Hans-Joachim Maaz geprägt hat, in mir auf: Gefühlsstau. Hier war offensichtlich eine Büchse der Pandora geöffnet worden. Wie aus dem Nichts schossen wilde und heftige Gefühle durch den Raum, ausgelöst durch politische Themen.
Nun könnte man sagen: Kein Wunder. Eine Katastrophe löst die andere ab, und Besserung ist nicht in Sicht. Wie soll man unter diesen Verhältnissen nicht austicken?
Sicher, das stimmt irgendwie. Andererseits ist es doch erstaunlich, dass gleich eine ganze Gruppe von Menschen wie auf Knopfdruck in eine emotionale Schieflage gerät. Und wie groß ist diese Menschengruppe eigentlich mittlerweile? Sitzen wir auf einem gesamtgesellschaftlichen Pulverfass?
Was können wir dagegen tun? Auf klügere Politiker hoffen, auf bessere Politik? Endlich die Richtigen an die Macht wählen?
Schon beim Niederschreiben dieser Hoffnungen kann ich mir das Lachen kaum verkneifen.
Stell dir vor, du schaust in einen Spiegel. Du siehst dein Gesicht und erkennst auf deiner Nasenspitze einen roten Klecks Tomatensoße. Das ist nicht schön. Das soll weg! Was machst du? Du holst dir einen Lappen und reibst, wischst und rubbelst. Aber leider verschwindet der Fleck nicht. Du holst spezielle Glasreiniger, probierst alles, der Spiegel ist so sauber wie noch nie. Kaum schaust du dir dein Gesicht an, musst du erkennen: Der Fleck bleibt. Schließlich wirst du so wütend und frustriert, dass du den Spiegel zertrümmerst.
Wenn ich das Leben als Spiegel unseres Inneren begreife, werde ich meine Vorgehensweise ändern. Es nützt nichts, den Spiegel zu polieren. Der kann nichts dafür, er spiegelt nur, was vor ihm auftaucht. Veränderung findet immer zuerst im Innern statt, dann erst kann sie sich im Außen zeigen.
Vielleicht erinnert sich jemand daran, wie es war, frisch verliebt zu sein? Alles ist wunderbar: Die Geigen im Himmel spielen meine Lieblingsmusik, Bäume sind zum Umarmen da, und alle Menschen sind liebenswert.
Hat sich die Welt verändert? Ja und nein. Bin ich voller Liebe, spiegelt mir die Welt mein Inneres. Leider gilt das auch, wenn ich voller Hass oder Wut bin.
Wenn Politik und Medien damit spielen, Angst, Hass und Wut zu provozieren, kann das eine gesamtgesellschaftliche Dynamik anstoßen, die nach Entladung drängt. Dann fehlt nur noch ein ganz böser Feind zum Hassen (ist schon da – der böse Russe), und schon ist ein Krieg für viele willkommen.
Will ich aus dieser Opferrolle aussteigen, was kann ich tun?
Zuerst ändere ich meine Blickrichtung. Ich blicke nicht so viel nach außen, dafür mehr nach innen. Das ist für viele ungewohnt und kann auch ungemütlich sein. Sehe ich alle Probleme im Außen, sind andere schuld – niemals hat es ursächlich mit mir zu tun. Diese Hürde gilt es zu überspringen.
Ich weiß noch gut, wie in der heißen Corona-Zeit immer wieder unangenehme Gefühle in mir auftauchten – Gefühle wie Angst, Ohnmacht und Wut. Was war da los in mir? Ich habe mir Zeit dafür genommen, es in Ruhe herauszufinden.
Meine Technik dafür ist einfach und erprobt. Irgendetwas löst in mir Gefühle aus – ein Erlebnis, eine Nachricht, eine Bemerkung von jemandem oder was immer. Sind diese Gefühle ungewöhnlich stark und anhaltend oder erneuern sich immer wieder, dann erkenne ich in ihnen einen Auslöser.
Das auslösende Erlebnis ist nicht die Ursache meiner starken Gefühle. Die eigentliche Ursache liegt in der Vergangenheit. Meistens handelt es sich um außerordentlich unangenehme Erlebnisse aus der Kindheit. Als Kind fühlt man sich häufig überwältigenden Gefühlen ausgesetzt, die eine tödliche Bedrohung darstellen. Dann wird das Kind durch einen Mechanismus der Abspaltung dieses Gefühls geschützt. Das geschieht von selbst, und dabei werden die schlimmen Gefühle ins Unbewusste verbannt. Dort liegen sie ungesehen und unerlöst, bis es zur Heilung kommt.
Damit diese Gefühle im Unerkannten bleiben und vom wachen Bewusstsein nicht bemerkt werden, wird sehr viel Energie aufgewandt. Das soll der Sicherheit dienen, einer Sicherheit, wie sie in den Augen eines Kindes angemessen scheint. Diese Energie steht mir nicht zur Verfügung, und gleichzeitig hält mich das „Sicherheitssystem“ davon ab, mich in Bereiche vorzuwagen, die diese abgespaltenen Gefühle berühren könnten.
Ich bin also stark eingeschränkt. Je mehr dieser unterdrückten Gefühle in mir schlummern, desto stärker werde ich eingeschränkt und desto mehr werde ich zum Pulverfass, das auf einen Zündfunken wartet. Besser als eine Eruption ist natürlich ein sanftes und vorsichtiges Vorgehen.
Habe ich in meinem Leben einen Auslöser erkannt, lasse ich die auslösende Geschichte komplett fallen und interessiere mich nicht dafür. Stattdessen spüre ich dem provozierten Gefühl nach. Wie fühlt es sich in mir an? Vielleicht kann ich es auch lokalisieren – im Bauch, im Herzen oder anderswo. Diesem Gefühl gebe ich jetzt behutsam, vorsichtig und liebevoll Raum. Dabei achte ich darauf, mich nicht zu sehr in das Gefühl hineinzubegeben, damit ich nicht darin untergehe. Im Idealfall betrachte ich es aus meinem liebevollen Herzen heraus – wie eine gütige Großmutter, die ihr Enkelkind umsorgt. Ist das Gefühl zu unangenehm und stark, benötige ich vielleicht mehrere vorsichtige Anläufe, bis ich ihm Raum geben kann.
Das Ziel der Übung ist schnell erklärt: Angestaute Gefühle in mir wollen erlöst werden. Die Erlösung besteht schlicht darin, dass ich diesen Gefühlen Raum gebe, sie da sein lasse, sie annehme. Sind meine Gefühle erlöst, ist mein Gefühlsstau an dieser Stelle geheilt. Meine Energie kann wieder frei fließen, ich bin freier geworden.
Zurück in die Corona-Zeit: Nachdem ich den Gefühlen in mir nachgespürt hatte, wusste ich, was in mir erlöst werden wollte. Es war vor allem eine tief in mir sitzende Angst vor aufziehender Diktatur. Vielleicht ein Überrest aus alten DDR-Zeiten, vielleicht auch woanders her. Aber diese Angst vor einer brutalen und rücksichtslosen Diktatur war in mir berührt worden. So etwas zu fühlen macht nicht unbedingt Spaß – da tropft schon mal ein wenig kalter Todesschweiß auf der Stirn.
Aber für mich hat es sich gelohnt. Hinterher fühlte ich mich befreit. Jetzt war ich auch kein Automat mehr, der bei bestimmten Themen wie auf Knopfdruck immer dieselben Gefühle abrufen musste. Mit dieser neuen Freiheit bin ich in der Lage, gelassener auf alles zu schauen und kann in Ruhe entscheiden, welche Position ich bei bestimmten Themen einnehmen und vertreten möchte.
Wir leben in wilden Zeiten. Corona, Krieg, Klima, wirtschaftlicher Niedergang, ein beängstigendes Thema jagt das nächste. Es gibt keine Erholungspausen mehr. Daran können wir so schnell nichts ändern. Wir können uns den weltweiten Wahnsinn aber zunutze machen. Wie? Indem wir uns auf unser Inneres besinnen und unerlöste Gefühle in Heilung bringen – niemals waren die Zeiten dafür besser.
Ich brauche die auf mich einprasselnden Nachrichten nur wirken zu lassen, schon bin ich mit den für mich relevanten Themen konfrontiert.
Die Wirtschaft bricht ein? Die KI macht viele Arbeitsplätze überflüssig?
Vielleicht macht mir das Angst, dass ich meinen Job verlieren könnte.
Vielleicht macht mir das Angst, dass ich nicht mehr genügend Geld zum Leben haben könnte.
Viele Verantwortliche reden von einer neuen Pandemie.
Vielleicht macht mir das Angst, dass ich in eine Diktatur gerate.
Vielleicht macht mir das Angst, dass man mich mit einer gefährlichen Substanz zwangsimpft.
Der Krieg gegen Russland nimmt Fahrt auf.
Vielleicht macht mir das Angst, dass wir alle sterben müssen.
Vielleicht macht mir das Angst, dass Deutschland zu einem atomaren Friedhof mutiert.
Die Liste kann man beliebig verlängern. Für inneres Unbehagen ist gut gesorgt.
Aber was, wenn immer mehr Menschen den Mut aufbringen, sich ihren inneren Gefühlen zu stellen und diese zu erlösen? Was, wenn wir dadurch immer freier und selbstbestimmter werden? Was, wenn wir dadurch nicht mehr zu manipulieren sind? Was, wenn wir uns darauf besinnen, was wir selbst wirklich wollen?
Ob sich gesamtgesellschaftliche Konsequenzen daraus ergeben oder nicht – der persönliche Gewinn ist gewiss. Wenn ich einmal erlebt habe, wie sich eine derartige innere Erlösung anfühlt, kenne ich ihren Wert und Segen. Dann muss ich nicht darauf warten, dass sich alle anderen endlich auf den Weg machen. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht – und darauf kommt es an. Eigentlich ist es gar keine so große Sache. Ich brauche nur ein bisschen Mut, mich meinen unangenehmen Gefühlen zu stellen. Sicher, das kann schon mal heftig sein. Aber die Freude, innere Freiheit zu erleben, die ist … wundervoll.
  
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