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Das Biest in uns und Nahost

Das Biest in uns und Nahost

In seinem Buch „... und Gaza und ...“ versammelt Rudolf Bauer Gedichte des Lyrikers Rajani Kanth, die unter die Haut gehen und dem Leser ganz nah erscheinen lassen, was er sonst gerne verdrängt.

Der US-amerikanische Philosoph Rajani Kannepalli Kanth ist einer der Verschwörer, der deutsche Publizist, Regimekritiker und Künstler Rudolph Bauer ein anderer. Er hat ausgewählte Gedichte von Kanth zu einer Stimme vereint. Veredelt mit beeindruckenden Fotomontagen ist der Lyrikband „… und Gaza und …“ eine Anstiftung zur Meuterei gegen jede Form des Krieges.

Gegen die Bösartigkeit

Kanth kleidet das Entsetzliche in Worte. Der Gründer des World Peace Congress (1), ein zivilgesellschaftliches Forum, das die Vereinten Nationen dazu aufrief, Krieg ausnahmslos für illegal zu erklären, durchbricht mit seinen Zeilen die geistige Leere des Horrorkabinetts der Realpolitik. Dessen Apologeten verwandeln das natürliche Mitgefühl in ein elitäres Exklusiverlebnis.

Die Poesie von Kanth ist frei von solchen Manipulationen.

Er klagt in seinen Gedichten unverblümt die fundamentalen Fehlleistungen der zivilisierten Menschheit an: die Aggression, den Hass, die Feindseligkeit, die Hetze, die Heuchelei, die Gräuel.

Dem Genozid im Gazastreifen (2), über den nach zwei Jahren Gemetzel im Oktober 2025 das Leichentuch einer Waffenruhe ausgebreitet wurde, widmete er sich besonders eindringlich. Diese Lyrik hat Rudolph Bauer in „… und Gaza und …“ zu einer Stimme des Pazifismus gebündelt.

Wie Kanth verweigert er sich beharrlich der gedanklichen Uniformität, das Motiv der Selbstverteidigung könne Leichenberge rechtfertigen, die in der Bundesrepublik signifikante Teile der medial dominierenden Milieus aus Politik, Kultur und Wissenschaft durchdrungen hat. Bauer und Kanth stehen an der Seite der Leidenden. Da gibt es keine Selektion nach biologischer Formel, Religionszugehörigkeit oder Passbesitz. Die Stimme wird erhoben gegen Rassenhass und die Bösartigkeiten, die sich im Mantel „bedingungsloser Solidarität“ verbergen.

Nie vergehende Aktualität

Im Vorwort von „… und Gaza und …“ erläutert Bauer seine Sicht auf die geopolitischen Entwicklungen, die die Notwendigkeit begründen, Kanths Gedichte zu verbreiten:

„In der jetzigen, bedrohlich fortschreitenden Situation der Hochrüstung, Militarisierung, Mobilmachung und Kriegshetze bedeuten die Gedichte von Rajani Kanth — mit vollem Namen: Rajani Kannepalli Kanth — ein verzweifeltes Innehalten, eine dramatische Anklage, ein Aufleuchten schriftstellerischer Verantwortung, Bruderworte der antimilitaristischen Solidarität. Sie sind ein nicht zu überhörender Ruf nach Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden.“

Die Position des Friedens als humanistische Norm zu verteidigen, ist nie und nirgendwo verhandelbar. Sie ist tugendhaft und ein universelles Muss, wenn die Menschheit ihrer Selbstauslöschung entgehen will.

In Europa speist sich diese Eindeutigkeit aus der historischen Erfahrung des Kolonialismus, der beiden Weltkriege und der systematischen Menschenvernichtung im Dritten Reich.

Dass der organisierte Schrecken im Tarnhemd der Selbstverteidigung über die Palästinenser hereinbrach, daran lässt Bauer keinen Zweifel aufkommen. Er schreibt:

„Die Menschen in Palästina sind im überragenden Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel sabotiert. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen, nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist ein Genozid.“

Obgleich der Lyrikband schon 2024 im pad Verlag erschien, verblasst die Bedeutung der in ihm vorgenommenen geschichtlichen Einordnung nicht. Sie gewinnt durch die imperialistischen Aspekte, die das militärische Agieren des israelischen Regimes begleiten — und die nur jene übersehen können, die ihre Augen bewusst verschließen —, eine nie vergehende Aktualität.

„Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von ‚Staatsraison‘ und ‚bedingungsloser Solidarität‘ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen. Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermords: durch den geschichtlichen Holocaust an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und der Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.“

Keine mildernden Umstände

Die ersten Zeilen von Kanths Gedicht „Das Biest“ lesen sich wie die Einleitung einer modernen Offenbarung: „Ode für eine Palästinenserin, die gezwungen ist, ihr totes Kind in den Trümmern von Gaza zurückzulassen.“ Ein Zeugnis ehrlicher Betroffenheit wird abgelegt, bevor der Horror die Szenerie betritt:

„Es gibt kein Wasser, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Niemals hätte ich mir vorzustellen vermocht, dass die Welt so grausam sein kann. (...) Lass dem Biest seinen Tag haben. Denn dies ist die Stunde der Biester, um ihren furchtbaren Willen auszutoben.“

Das Biest … Das ist die verheerende Destruktivität, die sich gegen das Leben richtet und den Hass zwischen den Völkern in Stein meißelt. Sie könnte kaum treffender beschrieben sein. Das Urteil fällt entsprechend leicht: Dieses Tier, egal von wem entfesselt oder an der Leine geführt, ist schuldig. Wer sich ihm als Werkzeug andient oder ihm das Wort redet, ist schuldig. Es gibt keine mildernden Umstände — für niemanden, der dieses Monster füttert oder sich seiner bedient.

In der Lyrik „Was ist das Leben von Nicht-Europäern wert“ verbindet Rajani Kanth die Punkte und „verlängert die Linie in die berüchtigte Geschichte zurück“.

Die Psyche wird belastet durch Reflexionen auf das Warschauer Ghetto und Bilder der Einebnung Dresdens infolge der Flächenbombardements der Royal Air Force im Februar 1945. „Warum“ blieb der Aufschrei in Europa aus, wenn doch in Gaza binnen drei Wochen mehr palästinensische Kinder umgebracht wurden, als in den vier Jahren davor in allen kriegerischen Konflikten auf dem Planeten zusammen?

Wie ist das alles möglich? Im Buch findet sich eine grausame Antwort:

„(…) weil unsere europäischen Machthaber — und ihre Ableger in der neuen Welt — Rassisten sind aus leicht ermittelbaren Gründen, und dass sie das immer waren in den vergangenen vier Jahrhunderten (…) Das Leben von Nicht-Europäern spielt bei ihren Kalkulationen keine Rolle.“

In seinem Gedicht „Wer stoppt den Genozid in Gaza“, stellt Kanth die gleichlautende Frage in den Raum. Was könnte die Antwort sein? Dass „wir Deutschen“ es tun könnten oder „wir Europäer“?! Nein, die Wiege des Kolonialismus und Imperialismus setzt keine friedlichen Impulse. Sie hat moralisch abgewirtschaftet. Es ist die Bereitschaft zum bedingungslosen Frieden in jedem einzelnen Menschen, der den Wahnsinn aufhalten muss.

Brennendes Fleisch

Eine Blutspur zieht sich durch die Jahrhunderte und bis in die jüngere Geschichte hinein, die sich als Wiederholung des ewig gleichen präsentiert. In der Einleitung von „… und Gaza und …“ wird nicht umsonst an den Dichter Erich Fried (1921—1988) erinnert, der in seinem 1966 veröffentlichen Werk „und Vietnam und“ den vom Regime in Washington mit Napalm und Bombenterror geführten Vietnamkrieg (3) anprangerte.

Die Zerstörung von Reisfeldern und Dörfern, die Massaker an Zivilisten und der Krieg als Massenmord — alles durch Lug und Betrug legitimiert — verschmolzen zu einer Demonstration der Macht, um der Macht willen. Es galt, in einer Ecke der Welt, die vor Armut schrie, den Kommunismus mit allen Mitteln, die das kapitalistische Regime in den Vereinigten Staaten und ihre Mittäter aufbieten konnten, aufzuhalten. Das Schicksal der unbeteiligten Zivilisten war ihrem ideologischen Gegner in Nordvietnam ebenso gleichgültig wie der Mörderbande aus dem Westen. Fried destillierte in einfachen Versen deren zivilisatorischen Wert heraus:

„Fleisch wird zubereitet auf zweierlei Art: Entweder langsam mit Napalm oder schnell mit Benzin. Letzteres gilt als barbarisch, ersteres nicht.“

Die von den US-Streitkräften unter dem Begriff „Body Count“ betriebene Leichenzählung bleibt als Sinnbild primitiver Gewalt in Erinnerung. Es ist eine Höllenpforte der zivilisatorischen Abartigkeit, die nie geschlossen wurde.

Fast 60 Jahre später steht sie noch immer sperrangelweit offen. Gaza wird dadurch zu einer Zeile in der fortschreitenden Chronik des Untergangs.

Es ist das siebente Siegel des Buches. Das Regime in Israel riss nicht sich selbst die Maske herunter, sondern der zivilisierten Welt. Dessen Finale zeigt sich im permanenten Verrat am Humanismus und den Untaten, die die Menschlichkeit jeden Tag verleugnen: Unterdrückung, Folter, Quälerei, Liquidierung und Feuersturm.

Die Menschheit, die technologisch nach dem Universum und den Sternen greift, ist moralisch keinen Fingerbreit vom Schlag mit der Axt entfernt. Sie lebt Steinzeitmentalität im bunten Dekor der Moderne. Der Anblick lässt die Augen zu Eis erstarren. Die politischen Gedichte von Rajani Kanth sind der Spiegel dieser Wahrhaftigkeit. Schauen Sie hinein — wenn Sie die Wirklichkeit ertragen können — und schließen Sie sich der Verschwörung zum Frieden an.


Hier können Sie das Buch bestellen: Bestellanschrift: pad-Verlag@gmx.net

Rajani Kanth, … und Gaza und … — Politische Gedichte

Genre: Lyrik
Vorwort, Nachdichtung und Bildmontagen: Rudolph Bauer
Nachwort: Wolfram Elsner
Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn
Erscheinung: 2024
Verlag: pad Verlag (www.pad-verlag.de)

Hinweis: Die Veröffentlichung der ins Deutsche übertragenen Gedichte von Rajani Kanth musste aufgrund juristischer Bedenken, die dem US-amerikanischen Urheberrecht geschuldet sind, storniert werden. Der Gedichtband wurde deshalb bedauerlicher Weise vom Verlag aus seinem Angebot entfernt.

Über den Autor

Rajani Kannepalli Kanth ist Professor, Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Gesellschaftstheoretiker. Er wurde in Indien geboren und besitzt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Kanth lehrt auf den Gebieten der Anthropologie, der Soziologie und Politikwissenschaft, der Geschichte, der Wirtschaft und der Philosophie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ökonomie, Sozialtheorie und -politik sowie Frauenfragen. Neben seiner weltweiten universitären Lehr- und Forschungstätigkeit war er in New York als Berater für die Vereinten Nationen tätig. Im Jahr 2007 gründete er in Salt Lake City, Utah, den Weltfriedenskongress.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Deseret News (24. August 2007): Salt Lake peace conference has worldwide goals. Verfügbar im Webarchiv auf https://web.archive.org/web/20160303224235/http://www.deseretnews.com/article/695203875/Salt-Lake-peace-conference-has-worldwide-goals.html; abgerufen am 5.12.2025.
(2) Amnesty International: Informationen zum Genozid in Gaza und zum Nahostkonflikt. Verfügbar auf https://www.amnesty.de/israel-palaestina-gaza-nahostkonflikt, abgerufen am 5.12.2025.
(3) SPIEGEL TV (2013): Ein Krieg ohne Fronten — Der Weg in den Krieg. Verfügbar auf https://www.youtube.com/watch?v=qgG6cYxSYgY, abgerufen am 5.12.2025.

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