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Das ungeahnte Erbe

Das ungeahnte Erbe

Ungelöste Konflikte und Traumata unserer Ahnen hinterlassen tiefe Spuren in unserem Bewusstsein.

Was uns belastet gehört oft gar nicht zu unserem eigenen Leben, sondern resultiert aus den unverarbeiteten Erlebnissen und Gefühlen unserer Ahnen. Das sogenannte transgenerationale Erbe, das vor allem durch Kriegserfahrungen verursacht wird, kann über mehrere Generationen hinweg weitergegeben werden und führt bei den Nachkommen häufig zu seelischen Störungen.

In diesem Zusammenhang spielt auch die über Jahrhunderte praktizierte Schwarze Pädagogik eine Rolle, die Kinder nicht durch Wertschätzung und emotionale Zuwendung fördert, sondern durch Bestrafungen, Drohungen und Vorwürfe innere Nöte und Ängste hervorruft.

Alle schmerzhaften Erfahrungen unseres Lebens hinterlassen in unserem Bewusstsein eine Spur. Insbesondere traumatische Erlebnisse wie beispielsweise durch körperliche oder sexuelle Gewalt brennen sich tief in unsere Seelen ein, sodass sie unsere Persönlichkeit, unsere Gesundheit und unseren Werdegang im Leben erheblich belasten können. Insbesondere dann, wenn wir Situationen erleben, die uns bewusst oder unbewusst an die schmerzlichen Erfahrungen er—innern, werden wir mit ihnen konfrontiert.

Aber nicht nur unsere eigenen Erlebnisse können in unserem Bewusstsein zu Blockaden führen, sondern auch Erlebnisse unserer Ahnen, die diese nicht bewältigen konnten. Hierbei zählen die Kriegserlebnisse zu den schwerwiegendsten. Wenn unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern Kriege erlebt haben, haben sie Erfahrungen machen müssen, die sie nicht bewältigen konnten: Fronteinsätze, Bombardements, Vergewaltigungen, Holocaust, Flucht und Vertreibung, Hunger und Elend. Diese Erfahrungen haben sie zutiefst erschüttert, sodass sie nach dem Krieg nicht in der Lage waren, darüber zu sprechen. Dass sie ihre unbewältigten Erlebnisse an ihre Nachkommen weitergegeben haben, war ihnen nicht bewusst. Das transgenerationale Erbe hat jedoch nachweislich bei den Folgegenerationen zu erheblichen psychischen Störungen geführt.

Erst vor etwa 15 Jahren hat eine bewusste Auseinandersetzung mit den Kriegserfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen und allmählich erst wurde deutlich, inwiefern sich die unbewältigten Erfahrungen auf die Folgegenerationen ausgewirkt haben.

Hierzu hat auch die Epigenetik ihren Beitrag geleistet, indem sie herausfand, dass sich transgenerationale Belastungen auch bei Tieren zeigen. Die Epigenetik setzt sich mit den Wechselwirkungen von Umwelteinflüssen und Genen auseinander und hat in Tierversuchen bestätigt, dass sich Stress in den Folgegenerationen noch zeigt. Biochemische Veränderungen am Epigenom, die durch Stress ausgelöst wurden, zeigten auf, dass dieser Stress bereits in den zurückliegenden Generationen erlebt wurde.

Transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Belastungen

Diese Bezeichnung prägte 2005 der Sozialpsychologe Hartmut Radebold. Gemeint ist die Weitergabe unbewältigter Erfahrungen und Traumata während des Zweiten Weltkrieges an die nachfolgenden Generationen. Hier äußern sie sich in einer Weise, die zunächst nicht vermuten lässt, dass es sich um transgenerationales Erbe handelt.

In meiner Arbeit mit temporik—art bin ich praktisch bei fast jedem Menschen, mit dem ich arbeite, mit transgenerationalem Erbe konfrontiert. Die meisten sind erstaunt, wenn sie in ihrem Bewusstsein plötzlich auf Kriegserfahrungen der Ahnen stoßen. Hier haben wir es mit sehr tiefgängigen Verknüpfungen zu tun, die das eigene Leben oft massiv beeinträchtigen können. Wenn diese inneren Belastungen mit temporik—art geklärt sind, kommt es immer zu einer enormen Entlastung und zu einem Energiegewinn. Insofern können wir sagen, dass uns die transgenerationale Erbschaft eine Menge Kraft und Energie raubt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte und herrscht ein Schweigetabu über die Erfahrungen während des Krieges und unter dem Hitlerregime. Erst nach Jahrzehnten wagten diejenigen, die den Krieg selbst erlebt hatten, das Schweigen zu brechen und ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Damit rüttelten sie an dem allgemein herrschenden Schweigetabu, das zwischen den Generationen zu viel Unverständnis und Distanz geführt und die Beziehungen zwischen den Generationen erheblich beeinträchtigt hat.

Dabei ging es vor allem um die unterdrückten Gefühle der Kriegsgeneration, die sie aus Scham und Schuldgefühlen nicht äußern konnten. Sie hatten entsprechende Abwehrmechanismen entwickelt, die Erlebnisse verdrängt oder bagatellisiert und sie wollten vor allem nicht mehr daran erinnert werden.

Sabine Bode macht darauf aufmerksam, dass die Kriegskinder, „die verheerende Erfahrungen gemacht hatten … in der Mehrzahl über Jahrzehnte nicht auf die Idee kamen, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Sie sagten übereinstimmend: Das war für uns normal, und es blieb für sie normal, das jedenfalls sagte ihnen ihr Gefühl. Ihnen fehlte der emotionale Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen“ (2).

In den temporik—art—Supervisionen kommt es oftmals zu Scheinlösungen, die zwar wünschenswert sind, sich im Bewusstsein allerdings nicht als gelöst nachweisen lassen. Daran können wir erkennen, wie auch in den Folgegenerationen Abwehrmechanismen oder Bagatellisierungen noch weiter wirken. Erst die tiefere Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kriegsproblematik und ihre anschließende Prüfung im Bewusstsein ist in der Lage, die weitervererbten Konflikte zu klären und sie damit zukünftigen Generationen zu ersparen.

Erziehung zu Unterwürfigkeit und Gehorsam

Neben der Auflösung transgenerationaler Belastungen durch die Weltkriege ist es für unsere Zukunft entscheidend, dass wir die immer noch wirksamen Reste einer schwarzen Pädagogik auflösen, die zu viel Leid geführt hat. Die autoritäre Erziehung, die bereits lange vor der Nazizeit herrschte und Kinder zu Disziplin und Unterordnung zwang, ist bis heute keinesfalls überwunden. Hierzu gehören auch die geschlechtsspezifischen Normen für Mädchen und Jungen sowie für Frauen und Männer.

In der Nazizeit dienten die überkommenen Erziehungsmethoden in vorzüglicher Weise dem gezielten Aufbau einer Kriegsgeneration, in welcher der einzelne Mensch nichts, das nationalsozialistische Kollektiv alles galt. Die autoritären Erziehungspraktiken ließen Kinder zu unterwürfigen und gefügigen Menschen werden, die früh lernten, Befehlen zu gehorchen und sie auszuführen. Ihnen fehlte es an Vertrauen und sicheren menschlichen Bindungen. Eine natürliche Entfaltung ihrer Persönlichkeit war ihnen damit nicht gegeben.

Die nationalsozialistischen Kinder— und Jugendorganisationen boten Heranwachsenden auch Faszinierendes, um sie für die eigene Ideologie zu gewinnen. „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“, so die Nazis (3).

Bettina Alberti schreibt über die verschiedenen Orte der Erziehung, die während des Hitlerregimes die traditionell patriarchalische und bindungsfeindliche Erziehung praktizierten und für eine Unterordnung unter ein rigides und seelenfeindliches Lebensbild sorgten (4).

Die Bindungsstörung bei Kindern sollte unter der nationalsozialistischen Herrschaft schon früh beginnen. Bereits kurz nach der Geburt sollte das Neugeborene von seiner Mutter getrennt und in einem Nebenraum „abgestellt“ werden. Sigrid Chamberlain prägte den Begriff Die Verweigerung des Antlitz, „ ...welcher die vorprogrammierte Bindungsstörung des nationalsozialistischen Erziehungsstils erfasst und auf die tiefgreifende Verletzung der geistig—seelischen Würde des Menschen verweist“, so Alberti.

Die staatlichen Organe unterstützten und verbreiteten hierzu die geeigneten Ratgeber, vor allem diejenigen der Lungenärztin Johanna Haarer. In ihrem berühmten Ratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind rät sie Müttern, den menschlichen Kontakt zu ihrem Kind auf das Äußerste zu beschränken: „ ...möglichst wenig physische Nähe zwischen Mutter und Kind von Geburt an, größtmögliche emotionale Distanz, Beschränkung auf die notwendige Versorgung des Kindes in seinen physiologischen Bedürfnissen wie Hunger und Sauberkeit, sowie die Missachtung der Bedürfnissignale von Säuglingen, die sie durch Schreien und Wimmern zu äußern in der Lage sind“ (5).

Haarers Ratgeber und Bestseller erschien erstmals 1934, wurde nach 1945 weiter aufgelegt und fand sich in einer „entschärften Fassung in fast jedem Haushalt der Bundesrepublik“, so Dorothee Klingsiek (6). Zum letzten Mal wurde Haarers Bestseller 1996 verlegt (7).

Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel

Im Zuge der Forschungen und Beobachtungen über das transgenerationale Erbe wurden folgende drei Kategorien unterschieden: Die Kriegskinder, geboren zwischen 1927 und 1949, erlebten den Krieg und die direkten Nachkriegsjahre als Kinder. Die Nachkriegskinder sind die Jahrgänge bis 1960, deren Eltern den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebten. Die älteren unter ihnen sind stärker betroffen, weil sie die unmittelbare Nachkriegszeit mit ihren Trümmern und ihrer Not erlebten. Die Generation, die zwischen 1960 und 1975 geboren wurde, sind die Kriegsenkel, deren Großeltern den Zweiten Weltkrieg erlebten.

Die Kriegskinder

Sie sind diejenigen, die den Krieg unmittelbar erlebten und an den seelischen und körperlichen Folgen bis ins hohe Alter leiden. Je jünger sie waren und je früher sie den Kriegserfahrungen ausgesetzt waren, umso gravierender wirkten sie sich auf ihr Leben aus. Sabine Bode beschreibt dies wie folgt: „Je kleiner die Kinder waren, als die Katastrophe über sie hereinbrach, umso gravierender die Spätfolgen. In der Altersgruppe derer, die in den 1940er—Jahren geboren wurden und sich daher kaum oder gar nicht an das Kriegsgeschehen erinnern können, werden heute die größten Beeinträchtigungen sichtbar. Viele Menschen klagen über psychosomatische Beschwerden, vor allem über immer wiederkehrende Depressionen, unerklärliche Schmerzen und Panikattacken. Da ihre Ängste nicht von Bildern der Kriegsschrecken begleitet werden und es auch in ihren Träumen keinerlei Hinweise dazu gibt, kamen sie bis vor kurzem nicht auf die Idee, sie könnten von Kriegserlebnissen belastet sein, und ihre Symptome blieben für die Ärzte rätselhaft. Das ist heute anders. Es hat sich in der Medizin herumgesprochen, dass ein nicht unerheblicher Teil der älteren Patienten unter Kriegstraumata leidet. Noch sind die Hilfsangebote für diese Kranken nicht ausreichend, aber es wächst die Aufmerksamkeit für die Hintergründe ihrer Beschwerden, auch in der Altenpflege“ (8).

Viele Kriegskinder leiden an Unruhezuständen, Getriebensein, dem Gefühl nirgends anzukommen, an Depressionen und Ängsten. So kann auch eine Demenz die Folge von unbewältigten Kriegserlebnissen sein. Darauf weist Roswitha Schneider hin: Die heutige Demenzgeneration hat den Totalitarismus (...) sowie die Holocaust— und Kriegsereignisse — sei es als Kind oder jüngerer Erwachsener — unmittelbar miterlebt und überlebt. Sie ist unter ihrem Einfluss groß geworden und es liegt auf der Hand, dass dies Erleben ein die Demenz mitbegründender Faktor ist. Da über das Geschehen nicht gesprochen wurde beziehungsweise gesprochen werden durfte, konnte sich der Mensch diese Dinge auch nicht von der Seele reden. Ein Aussprechen hätte zumindest eine ansatzweise Aufarbeitung im Sinne eines Austausches, einer möglichen Reflexion, einer Preisgabe der eigenen Handlungen oder dem Auffinden von Verständnis für das, was erlitten wurde, möglich gemacht. Doch der alles entscheidende Schritt, nämlich wahr zu geben, was der Wahrheit entsprach konnte und durfte nicht vollzogen werden“ (9).

Viele Kriegskinder erzählten sich zwar Geschichten aus dem Krieg, etwa Überlebensgeschichten, erwähnten aber dabei ihre wahren Ängste nicht, sondern versuchten, ihre Erlebnisse eher spaßhaft zu schildern. Hilke Lorenz erwähnt, dass sich die Zeitzeugen untereinander Überlebensgeschichten erzählten, beispielsweise wie sie sich etwas zu Essen ergattert oder mit scharfer Munition gespielt und überlebt hatten. Sie schreibt: „Sie erzählten sich nicht davon, wie sie sich aus Angst vor den herabheulenden Bomben in die Hose gemacht hatten. Oder davon, wie sie der Brechreiz überkam, weil sie schon wieder in den Bunker mussten. Im Reden hatten sie das Schweigen geübt“ (10).

Andererseits sind viele Erlebnisse der Kriegskinder so schrecklich, dass sie nicht darüber sprechen können. Die jüdische Autorin Eva Szepesi, deren Familie in Auschwitz ermordet wurde, schildert in ihrem Buch ihre Flucht aus Ungarn und ihre Befreiung aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Aus Verzweiflung und Trauer konnte sie viele Jahre keine Worte dafür finden, was ihr geschehen war. Während einer Lesung im Institut für integrale Bewusstseinsbildung in Reinheim 2011 sagte sie, dass sie 50 Jahre gebraucht habe, sich mit den Erlebnissen ihrer Kindheit auseinanderzusetzen und weitere zehn Jahre, um sie aufzuschreiben (11).

60 Jahre mussten vergehen, bis die Kriegskinder Worte fanden, ihre entsetzlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Endlich brachen sie das Schweigen und berichteten über ihre traumatischen Erfahrungen. Sie hatten verheerende Bombardements überlebt, waren weit ab von ihrem Elternhaus in der Kinderlandverschickung und irrten nach dem Krieg hungernd und irritiert durchs Land. Sie hatten eine langandauernde und höchst gefährliche Flucht aus ihrer Heimat hinter sich oder hatten in Scheunen überlebt und um Essen gebettelt.

Ihre Mütter hatten Vergewaltigungen erlitten und waren traumatisiert, ihre Väter im Krieg gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft geraten. Sie kamen körperlich versehrt und psychisch gebrochen wieder heim und alles blieb schwierig. Der Krieg war zwar beendet, seine verheerenden Folgen blieben jedoch.

Die Nachkriegskinder und Kriegsenkel

Hilke Lorenz schreibt: „Die Eltern der Kriegskinder haben schon untereinander kaum geredet. Sich mit ihren Kindern über das Geschehen zu verständigen, haben sie oft gar nicht erst versucht. Die Kinder der Kriegskinder wiederum empfanden Scham und Schuldgefühle über die Millionen von Toten und wollten den Eltern als greifbaren Stellvertretern der Welt von damals in Gesprächen am Küchentisch den Prozess machen. Wollten nach dem Hitlerjungen im Vater, dem BDM—Mädchen in der Mutter bohren. Sie suchten abgestoßen und zugleich fasziniert nach den Spuren der Nazis, nicht nach den Traumata der Eltern“ (12).

Die Nachkriegskinder übten Kritik an der Nazizeit und erhofften sich auch Veränderungen im gesellschaftlichen Leben. Sie stellten die überkommenen Vorstellungen von Familie und Erziehung infrage, forderten die Gleichstellung der Geschlechter, demonstrierten gegen Krieg und Apartheid und gestalteten neue Formen des Zusammenlebens.

Aber gerade die Nachkriegskinder hatten die unbewältigten inneren Konflikte und Ängste ihrer Eltern übernommen und auch sie waren kaum dazu in der Lage, die wahren Hintergründe ihrer psychischen Belastungen zu erkennen. In ihren Familien lebten sie deshalb angepasst und ordneten sich dem jeweiligen Familienleben unter. Sie hatten erfahren, dass es nicht weiterführt, mit den Eltern über die Nazizeit zu sprechen, also schwiegen sie innerhalb der Familie.

Seit wir wissen, dass die psychischen Folgen unbewältigter Konflikte und Traumata an die nachfolgenden Generationen weitervererbt werden, setzen sich etliche wissenschaftliche Untersuchungen mit dem transgenerationalen Erbe auseinander. Natan Kellermann stellte typische Nachfolgeerscheinungen für die Enkel von Holocaust—Überlebenden zusammen (13). Er führt vor allem die Neigung zu posttraumatischen Belastungsstörungen, eine widersprüchliche Mischung im Umgang mit Krisen und Stress zwischen Wiederstandfähigkeit, Krisen gut zu überstehen und Verwundbarkeit auf. Häufig sind dabei auch Persönlichkeitsstörungen, psychische Konflikte, Phasen von Angst und Depression sowie ein beeinträchtigtes berufliches, soziales und emotionales Funktionieren.

Auch Michael Heinlein spricht in diesem Zusammenhang von „sozialen und psychologischen Beziehungsgeflechten innerhalb der Familie“. Er schreibt: „Allen Traumatisierungstypen liegt ein Verhältnis zwischen Elternteil und Kind zugrunde, das aus medizinisch—psychologischer Sicht pathologische Züge trägt und dem im Holocaust erlittenen Trauma des Überlebenden geschuldet ist“ (14).

Bedarf einer nachhaltigen und tiefen inneren Klärung

Gewalt, Folter, Missbrauch und Demütigung führen immer zu erheblichen Störungen, nicht nur bei denjenigen die solche Erfahrungen selbst überlebt haben, sondern auch bei ihren Nachkommen. Die Geschichte ist nicht einfach vergangen und vorbei, sie lebt weiter in die Zukunft hinein und will bewältigt werden. Und dies nicht nur in Bezug auf den einzelnen Menschen, sondern auch in Bezug auf unser gesellschaftliches und menschheitliches Zusammenleben.

Deswegen ist gerade die innere Bewältigung des transgenerationalen Erbes von entscheidender Bedeutung, weil sie dazu in der Lage ist, ganz neue Beziehungsstrukturen aufzubauen und schwierige Beziehungen zwischen den Generationen zu heilen.

In der Bewusstseinsgestaltung mit temporik—art wurde mir häufig berichtet, dass sich die Klärung des Ahnenfeldes von Klientinnen und Klienten auf die eigenen Kinder auswirkte. Sie wurden zugänglicher und zugewandter, litten weniger unter Stress, hatten keine Albträume mehr oder genasen von einer heftigen Erkrankung. Auch die eigenen Eltern wurden offener und zugänglicher. Einige begannen damit, über ihre Traumata zu sprechen und zeigten dabei auch ihre Gefühle. Es schien so, als ob die Tränen ihrer Kinder, die sie in den temporik—art—Supervisionen geweint hatten, die Tränen ihrer Eltern erst ermöglicht.

Christa Wolf: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd“ (16).


Quellen und Anmerkungen:

(1) Hartmut Radebold, Werner Bohleber, Jürgen Zinnecker (Herausgeber): Transgenerationale Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten. Interdisziplinäre Studien zur Nachhaltigkeit historischer Erfahrungen über vier Generationen. Juventa, Weinheim/ München 2009, zuerst 2008, Seite 47, 48.
(2) Sabine Bode: Nachkriegskinder. Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter. Stuttgart 2015, zuerst 2011, Seite 22.
(3) Siehe auch: Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler—jugend und ihre Gegner. Köln 2003.
(4) Bettina Alberti: Seelische Trümmer. Geboren in den 50er— und 60er—Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas. München 2010, Seite 169.
(5) Bettina Alberti, am angegebenen Ort, Seite 90.
(6) Dorothee Klingsiek: Die Frau im NS—Staat. Stuttgart 1984, Seite 90.
(7) Haarer schrieb noch zwei weitere Erziehungsbücher: Unsere kleinen Kinder, 1940, und Mutter, erzähl von Adolf Hitler! Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder, 1943.
(8) Sabine Bode: Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. München 2010, zuerst 2005, Seite 11.
(9) Roswitha Schneider: Demenz. Die not—wendende Botschaft des Bewusstseins. Schrift Nummer 3 der Schriftenreihe des Instituts für integrale Bewusstseinsbildung, Reinheim 2015, Seite 44, 45.
(10) Hilke Lorenz: Kriegskinder. Das Schicksal einer Generation. Berlin 2009, zuerst 2005, Seite 20.
(11) Eva Szepesi: Ein Mädchen allein auf der Flucht. Ungarn – Slowakei – Polen (1944 bis— 1945). Berlin 2011.
(12) Hilke Lorenz, am angegebenen Ort, Seite 20.
(13) Die Kinder der Child Survivors, in: Radebold, Bohleber, Zinnecker (Herausgeber), am angegebenen Ort, Seite 65.
(14) Michael Heinlein: Die Erfindung der Erinnerung. Deutsche Kriegskindheiten im Gedächtnis der Gegenwart. Bielefeld 2010, Seite 151.
(15) Vergleiche auch: Marina Stachowiak: Das ungeahnte Erbe. Die Auflösung transgenerationaler Belastungen mit temporik—art. Reinheim 2015.
16 Christa Wolf: Kindheitsmuster. Frankfurt/Main 2007.


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