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Das Worst-Case-Szenario

Das Worst-Case-Szenario

Wenn alles zusammenbricht, helfen Vorsorgemaßnahmen, um Engpässe zu überstehen.

Noch sehen wir nur die Spitze des Eisbergs der globalen Umwelt-, Politik-, Finanz-, Energie-, Boden-, Gesundheits- und Wasserkrise. Doch die Kollision hat bereits stattgefunden. Die Titanic wird untergehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Schiffsrumpf auseinanderbricht und das Wrack auf den Boden des Ozeans sinkt. An welcher Stelle der Episode befinden wir uns in diesem Moment? Volle Kraft voraus? Welcher Eisberg? SOS? Auf welchem Deck reisen wir? Nippen wir noch in Ruhe an unserem Cocktailglas oder stürzen wir schon zu den Rettungsbooten, die nicht für alle reichen werden? Wie hoch steht das Wasser in den unteren Etagen? Wird die Kapelle auf dem obersten Deck bis zum Schluss spielen?

Anfang April 1912 sank die RMS Titanic der britischen White Star Line auf ihrer Jungfernfahrt nach New York. Das als unsinkbar geltende damals größte Passagierschiff der Welt sank innerhalb von weniger als drei Stunden. Es war die Hybris, die das damalige Wunderwerk der Technik zu Fall brachte — die einzige Sünde der Menschen, so heißt es, die die Götter nicht verzeihen. Wir haben daraus nicht gelernt. Extreme Selbstüberschätzung, Hochmut und der damit einhergehende Relativitätsverlust führen heute dazu, dass eine ganze Zivilisation auseinanderbricht.

Vom Winde verweht

Der chinesischen Astrologie zufolge begann am 12. Februar 2021 das Jahr des Büffels. Laut Prognose soll es ein Jahr werden, in dem wir das Gewicht unserer Verantwortung für die Geschehnisse besonders deutlich zu spüren bekommen. Ich stelle mir die Urkraft einer Büffelherde vor, die über den Boden stürmt, und denke mir: Es wird turbulent. Die Erdoberfläche wird vibrieren. Niemand kann sich dem widersetzen. Alles reißt uns die Bewegung aus der Hand. Wir können uns an nichts mehr festhalten. Alle werden davon betroffen sein, auf welchem Deck sie sich auch befinden.

Die gesamte Pyramide wird bis in die höchste Spitze durchgeschüttelt. Gletscher und Polarkappen werden weiter schmelzen, Wasser über die Ufer treten, Böden wegrutschen, Wälder brennen, Arten massenhaft sterben, Stürme über den Planeten fegen. Die Erde wird beben.

Kein Ort wird davon verschont bleiben. Unser seit Langem künstlich aufgepumptes Finanzsystem wird in sich zusammenbrechen und mit ihm alles, was uns bisher als gesichert erschien. Für diese Vision braucht man keine Glaskugel: Wir haben die Auswirkungen unseres Handelns oder Nichthandelns längst vor Augen. Auch wenn die eigenen vier Wände noch nicht wackeln und im Vorgarten alles noch so aussieht, als seien die Dinge in Ordnung — es wird stürmisch.

Ein Wintertag ohne Strom

Bereits im Jahr 2005 verfasste die französische Ärztin Jade Allègre ein Büchlein darüber, was wir tun können, wenn die Versorgung zusammenbricht. Sie hat ihr Leben damit verbracht, Hilfe dorthin zu bringen, wo diese aussichtslos schien und wo es praktisch nichts gab. Sie hat mit Menschen gelebt, die sich von ein paar Kartoffeln, Zwiebeln und Tonerde ernähren, und kennt selbst den Verzicht auf Nahrung und Wasser. Jade Allègre ist keine Asketin, kein Ritter der traurig-mageren Gestalt, sondern eine Frau mit feuerroten Haaren, die viel und laut lacht. Deshalb habe ich mir ihr Buch gekauft: Survivre en ville — Überleben in der Stadt.

Es ist kein Aufruf, Klopapier und Nudeln zu horten, sondern ein bodenständiger und vernünftiger Ratgeber, was man tun kann, wenn es keinen Strom mehr gibt und kein Wasser mehr aus der Leitung kommt. Das scheint tatsächlich immer häufiger zu passieren. Im Dezember hatten wir an einem Tag von morgens um fünf bis abends um acht Uhr keinen Strom — da wird es auch in einem südfranzösischen Dorf frisch. Glücklicherweise verfügen wir über einen guten Vorrat an Kerzen und Teelichtern und haben keine elektrischen Jalousien wie der Nachbar, der den ganzen Tag im Dunkeln verbrachte.

Die Freunde von gegenüber bekamen ihr Auto nicht aus der Garage und vom Hof und kamen gegen elf Uhr auf einen Kaffee vorbei, da ihre Maschine für Einzelportionsheißgetränke nicht funktionierte. Wir haben einen Gasherd, mehr noch: einen alten Holzofen, auf dem mehrere Kochtöpfe Platz haben — ein Ungetüm, aber praktisch. Ich bin ausreichend mit Wolldecken und Wärmflaschen ausgerüstet, habe vernünftige Unterwäsche, Kleidung aus Naturfasern, eine gut ausgestattete Bibliothek und einen reichlichen Vorrat an Papier. So verbrachte ich einen eher romantischen Tag und war am Abend, als der letzte Nachbar nach einem heißen Tee ging und der Strom wieder zurückkam, fast traurig, dass sich alles wieder normalisierte.

Normal für mich. Meine Großmütter hatten ein ganz anderes Verständnis von Normalität. Die wussten noch, wann die Kartoffeln geerntet werden und wie man einkocht, welche Kräuter man essen kann und wie man flickt. Meine Großeltern konnten noch am Abend der Dämmerung zugucken, Lieder singen und Geschichten erzählen. Sie konnten noch mit ihren Nachbarn vorm Haus sitzen und plaudern und jeden Tag viele Kilometer zu Fuß gehen. Sie hatten nicht all die Bildschirme, die sie davon abhielten, mit ihren Nächsten zu kommunizieren, und die vielen smarten Geräte, die alle Aufgaben für sie übernahmen. Sie konnten mehr als auf Knöpfe zu drücken und über glatte Flächen zu wischen.

Erste Hilfe

Auch wir tun gut daran, uns Gedanken darüber zu machen, wenn beim Drücken und Wischen einmal nichts passiert. Das Licht geht nicht an. Die Heizung funktioniert nicht. Das Smartphone kann nicht aufgeladen werden. Aus dem Wasserhahn kommt nichts und die Geschäfte sind zu.

Es muss nicht erst die Welt untergehen, damit das passiert. Ein großflächiger allgemeiner Stromausfall reicht. Unsere Zivilisation hängt gewissermaßen an einem Kabel. Wenn hier etwas schiefläuft, dann muss uns etwas anderes einfallen.

Das Wichtigste: Wasser! Erste Hilfe kommt aus dem WC-Kasten — wenn man in ihn keine dieser chemischen Duftkugeln geworfen hat und er nicht schick in die Wand eingelassen ist. Wenn doch, dann tut es vielleicht der Warmwasserbehälter. Wenn auch der ausfällt, gibt es vielleicht Brunnen oder Wasserläufe in der Nähe, deren Wasser vor dem Trinken gereinigt werden muss. Auf keinen Fall sollte man wegen der Infektionsgefahr verschmutztes Wasser trinken.

Nach dem Abfüllen sollte man es mindestens eine Stunde, besser vierundzwanzig Stunden abstehen lassen, damit die Verunreinigungen sich unten absetzen. Anschließend und je nach Verschmutzungsgrad sollte man es mindestens sechs, besser fünfzehn Minuten lang kochen. Dann kann man es trinken. Kohle, aus der Apotheke oder zur Not von verbrannten Holzscheiten, reinigt Wasser und Verdauungstrakt. Unverzichtbar ist in solchen Fällen Grüne Tonerde. Im Wasser aufgelöst sorgt sie für Tiefenreinigung. Laborversuche haben gezeigt, dass sie Polio- und Cholerabakterien und sogar Rattengift neutralisiert! Grüne Tonerde hilft ebenfalls hervorragend bei Wunden, Verbrennungen, Infektionen und Verdauungsproblemen.

Wenn es länger dauert

Jetzt, da für das Wichtigste gesorgt ist, kommt das Essen auf den Tisch. Fleisch wird durch eine Mischung aus drei Vierteln Getreide und einem Viertel Hülsenfrüchten ersetzt: Reis mit roten Bohnen, Nudeln mit Linsen, Kichererbsen mit Hirse — diese Verbindungen, die man in vielen traditionellen Küchen findet, sind äußerst nahrhaft und ersetzen jedes Steak. Wer auf Fleisch trotzdem nicht verzichten möchte, der züchtet bei längeren Engpässen Hühner, Kaninchen und ... Ratten. Die vermehren sich so rasant, dass Fleischfans nicht darben müssen. Auch Insekten sind eine gute Energiequelle.

Für die nötigen Vitamine werden Keime und Sprossen gezüchtet. Diese Nährstoffbomben explodieren geradezu vor Leben! Weizen, Roggen, Leinsamen, Sesam, Linsen, Erbsen, Kichererbsen, Sonnenblumenkerne und viele mehr werden zunächst in Wasser eingeweicht und dann in ein paar Tagen in Keimgläsern gezogen. Wer das Glück hat, in der Nähe der Natur oder eines Parks zu leben, der behilft sich mit jungen Lindenblättern oder den Blättern von Buche und Birke. Die kann man roh essen. Vieles von dem, was zu Unrecht als „Unkraut“ bezeichnet wird, enthält wertvolle Nährstoffe, wie zum Beispiel Löwenzahn, Brennnesseln und Klee.

Wer Zeit und Platz hat, sollte sich nicht nur ein paar Bücher zur Pflanzenerkennung besorgen, sondern auch Vorräte anlegen. Nüsse und Mandeln sind sehr nahrhaft und halten sich gut. Bei Konserven sollte darauf geachtet werden, dass sie unbeschädigt sind und dass es vielleicht keine Möglichkeit geben wird, sie zu erhitzen. Dinge wie Salz und Zucker, Öl und Essig sollten ausreichend vorhanden sein, ebenso wie Knoblauch, Zwiebeln und Kräuter. Streichhölzer, Gaskocher, Seife, Bikarbonat und H2O2 sind ausgesprochen nützlich und vielseitig einsetzbar. Wer eine alte manuelle Kaffeemühle hat, sollte sie nicht wegtun: Man kann in ihr auch portionsweise Getreide mahlen. Ansonsten tun es saubere Socken und schwere Steine oder Boulekugeln.

Zum Warmhalten empfiehlt Jade Allègre, in Seidenunterwäsche zu investieren und zwei Paar Socken anzuziehen: innen Baumwolle, außen Wolle. Alte Zeitungen zwischen den Kleidungsschichten und Haferflocken am Morgen sind sehr zu empfehlen. Auch viel Bewegung verhindert, dass wir auskühlen und krank werden. Eine Hausapotheke kann dennoch von großem Nutzen sein und ein guter Vorrat an natürlichen Heilmitteln, Kräutern und Ölen, die den Organismus nicht schwächen, sondern seine Selbstheilungsprozesse stimulieren.

Vom Kauf zum Tausch

Am besten beginnen wir heute damit, möglichst unabhängig von den öffentlichen Serviceleistungen zu werden, die wir so teuer bezahlen. Wenn nichts mehr geht, dann kommt das ins Spiel, was wesentlich ist: Grundnahrungsmittel, ein ausgeglichener Seelenhaushalt, viel Fantasie und eine gute Nachbarschaft. Es wird nur gehen, wenn wir zusammenhalten und uns gegenseitig helfen. Tauschen wir, was wir haben: Kenntnisse, Werkzeuge, Menschlichkeit. Diese Dinge kosten nichts und bringen viel. Kommen wir gemeinsam wieder zu dem zurück, was wirklich sinnvoll ist, und sortieren den Rest aus.

Machen wir zusammen Musik. Erinnern wir uns an Melodien, die man singen, und Rhythmen, zu denen man tanzen kann. Lesen wir einander vor. Erzählen wir uns Geschichten. Erfinden wir die Dinge wieder selbst.

Machen wir sie selbst. Treten wir in Aktion, anstatt immer nur mit uns machen zu lassen. Ergreifen wir die Initiative und setzen wir uns in Bewegung. Hiermit müssen wir nicht warten, bis alles zusammenbricht. Wir können ab sofort damit anfangen und erfahren, wie ungeheuer gut es tut, in unser schöpferisches Potenzial zurückzufinden und das zu tun, was wir als Menschen immer konnten: uns begeistern und immer wieder neu erfinden. Auf denn: Warum nicht gleich so?


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