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Der erwachende Riese

Der erwachende Riese

Afrika ist dabei, sich aus der Umklammerung des Nordens zu befreien — ein Symptom hierfür ist die afrikanische Revolution des Ibrahim Traoré.

Viele Menschen sind zu der Überzeugung gelangt, dass in unserer Welt etwas ganz fundamental falsch läuft. Verunsicherung, Zweifel und Unbehagen sind weit verbreitet, die vielfachen Krisen sind auch im Alltag spürbar. Ökonomischer Druck und entfremdete Arbeit werfen ihre Schatten auf das Privatleben, in dem sich nicht wenige isoliert fühlen — selbst, wenn sie nicht alleine leben. Immer mehr Bürger misstrauen (zu Recht) den Vorbildern und Führern, denen man früher noch eher eine Lösung der Probleme zutraute. Eine gerechte Gesellschaft, in der wir aktiv mitbestimmen, ohne Not, selbstbestimmt, mit einem Recht auf Privatsphäre und in Würde leben, scheint eine ferne Chimäre zu sein, die man vielleicht nur aus der Literatur kennt.

Traditionell gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was eigentlich die Wurzel des Problems sei, von der ökonomischen Analyse, welche die Ursachen an den Besitz- und Kapitalverhältnissen festmacht, bis zur psychologischen oder spirituellen Betrachtung, in der die Befreiung mit dem Individuum beginnt, das sich zum Beispiel seine Kindheitstraumata, elterliche Erwartungen, Rollenbilder etc. bewusst macht, um sie überwinden zu können.

Beide Perspektiven schließen einander nicht aus, denn die gesellschaftlichen Verhältnisse bringen unterdrückte Individuen hervor und diese stützen wiederum das System, das sie geprägt hat. So hat sich seit einigen Jahren eine neue Klasse von Aufklärern etabliert, die jenseits solcher Grundsatzfragen die massive Konzentration von Reichtum und Macht beschreiben, welche auch zu einer Definitionsmacht über Wahr und Falsch, Gut und Böse geführt hat: zu einer Herrschaft sogenannter Narrative, denen man öffentlich nicht mehr ungestraft widersprechen kann; Aufklärer, die also eine Ideologiekritik betreiben, die gültig ist unabhängig davon, in welcher Art Abhängigkeitsverhältnis Narrative einerseits und Macht- bzw. Besitzverhältnisse andererseits stehen.

Auswege aus der „Truman Show“

Die ideologische Blase hat sich verselbständigt und wirkt auf jeden Einzelnen zurück, der in ihr gefangen ist und sich durch allerlei Spaltungen (es liege an den „links-grün Versifften“, den „neuen Rechten“, der Massenmigration, den Deutschen oder wem auch immer) und falsche Hoffnungen (Trump wird es richten, oder die Blauen oder aber Sarah ...) ablenken lässt.

Mit anderen Worten: Wir leben in einer gewaltigen, globalen „Truman Show“ (Tom-Oliver Regenauer), in der nichts so ist, wie es scheint, in der Zynismus und Heuchelei herrschen und eine gewisse moralische Indifferenz die wichtigste Qualifikation ist, um es nach oben zu schaffen –während die Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit bestenfalls ein Nischen-Dasein fristen, wenn sie nicht gleich weggesperrt oder liquidiert werden. Manch wache Geister haben schon vor Jahrzehnten begonnen, hinter die „kuratierte Realität“ zu schauen; anderen ist die Monstrosität unserer Machteliten erst in dem „Corona-Krise“ genannten globalen Coup bewusst geworden. Wieder andere haben vor wenigen Jahren noch alles mitgemacht und bemerken jetzt anlässlich des Gaza-Krieges, dass den westlichen Führern und ihren Hofberichterstattern nicht zu trauen ist.

Seit Jahren stellen sich viele die Fragen: Wann ist die kritische Masse erreicht, die alles zum Kippen bringt? Wann werden die Menschen aufstehen und sich aus dem Elend befreien?

Wie lange noch wird es so sein, dass uns Arbeit arm, Schulen und Universitäten dumm und Medikamente krank machen und wir in träger Konsumhaltung weiterhin „heute das finanzieren, was wir in zehn Jahren bekämpfen werden“ wie Tom-Oliver Regenauer es formuliert.

Seit Kurzem werden in sozialen Medien und auf alternativen Plattformen Reden von Ibrahim Traoré, dem Präsidenten von Burkina Faso, millionenfach geteilt und verbreitet, die uns ins Bewusstsein rufen, dass dieser Punkt in den Industrieländern vielleicht gar nicht erreicht werden wird. Nicht nur, weil die Propaganda von Angst und Spaltung erst recht in Krisenzeiten wirksam ist (von der Terrorangst über die Virusangst bis zur Russenangst), sondern weil die Bürger dieser Länder — bei aller seelischen und spirituellen Leere — doch materiell immer noch Profiteure der globalen Ungerechtigkeit sind (1).

Vielleicht werden wir Wohlstandsbürger nur eine Fußnote in der Geschichte sein, weil die wahre Veränderung ganz woanders beginnt. Dann könnte in den Chroniken stehen:

„Während sich die Völker des globalen Südens gegen die Ausbeutung und Entwürdigung erhoben und eine neue Weltordnung erschufen, gab es auch in den Ländern der einstigen Kolonialherren Gruppen von Menschen, die im kleinen Maßstab Alternativen aufbauten — etwa eine dezentrale Nahrungsmittelproduktion, lokale Währungen, alternative Medizin und neue Netzwerke unabhängig von den globalen Digitalkonzernen. Doch blieben diese eher eine Randerscheinung. Zu mächtig waren die eingespielten Muster der Ablenkung, der Ruhigstellung durch Konkurrenzkampf und materiellen Überfluss sowie der Illusion einer Partizipation in den bestehenden Fassadendemokratien.“

Eine Revolution in Afrika und die Demaskierung der Heuchelei

Ibrahim Traoré kam 2022 durch einen Militärputsch an die Macht und blieb lange unter dem Radar der Weltöffentlichkeit. Wie sein Vorbild, der einst nach vier Jahren als Präsident ermordete Thomas Sankara, zeigte auch er ein bescheidenes und volksnahes Auftreten ohne Prunk und setzte bald ein umfassendes Reformwerk in Gang: Infrastruktur und Bildung, Sicherheit und wirtschaftlicher Aufbau — unabhängig von globalen Banken, Beratern und Konzernen.

Mit seiner relativen Unbekanntheit war es vorbei, als das Modell nicht nur die ersten Erfolge verzeichnete und auf Nachbarländer wie Mali und Niger auszustrahlen begann — sondern Traoré es auch noch wagte, die französischen Truppen und Sicherheitsfirmen einfach nach Hause zu schicken und neue Allianzen zu schmieden, was sich zuletzt im Mai 2025 in der panafrikanischen Sicherheitskonferenz ISCA in Kigali, Ruanda, manifestierte.

Autarkie und Pan-Afrikanismus? Das erinnert zu sehr an Gaddafi und verheißt nichts Gutes, so war bald in den Medien zu hören und zu lesen. Michelle Obama zum Beispiel äußerte in einer Rede ihre Sorge über den populistischen Führer und den Mangel an „Demokratie“ in der Region (2).

Das mag die unerbittliche Deutlichkeit und Schärfe erklären, mit der Traoré seine Pressekonferenz vor der Weltöffentlichkeit eröffnet:

„CNN, BBC, France24, ihr steht unter Beobachtung, jede eurer Lügen zeichne ich auf, jede Verdrehung archiviere ich. Ich bin Ibrahim Traoré und heute ziehe ich euch die Masken herunter. Ja, ihr habt richtig gehört, ich, den ihr den jungen Führer einer Militärjunta nennt, den ihr als einen gefährlichen Radikalen brandmarkt, den ihr als antiwestlichen Diktator abserviert, werde euch nun die Wahrheit sagen — und diesmal könnt ihr eure Mikrofone und eure Kameras nicht abstellen. Diesmal können eure Programmverantwortlichen diese Rede nicht zusammenschneiden, weil es die Welt, auf die ihr ein Monopol hattet, nicht mehr gibt, weil jetzt Millionen diese Worte hören werden, ohne dass ihr sie filtern, verdrehen und durch eure Lügen trüben könntet“ (3).

Es folgt eine gut zwanzigminütige Auflistung all dessen, was man seit Jahren in alternativen Medien liest und hört, aber noch nie aus dem Munde eines Staatsoberhauptes vernommen hat, der uns standfest und ruhig, aber zugleich mit unnachgiebigem Tempo, stellenweise fast schon im Stakkato eines jungen Rappers Fakten gegenüberstellt, alles mit einem Schwerpunkt auf Afrika, in der die globale Truman Show eine besondere Form angenommen hat:

Die Wiege der Menschheit und Stätte uralter Kulturen — ein Kontinent mit überbordendem Reichtum an Rohstoffen und an Jugend —, der seit zwei Jahrhunderten in Abhängigkeit gehalten wird. Auf Unterwerfung, Versklavung und Völkermord durch die Kolonialherren folgte eine neue, „smarte“ Abhängigkeit nach dem Ende der Kolonialzeit: Globale Konzerne, westliche Geheimdienste und NGOs bemächtigen sich eines Großteils der natürlichen Reichtümer, unterhalten ihre korrupten Marionettenregierungen, sichern sich ihren Einfluss — wobei ihnen Armut und Hunger, Terror, Gewalt und Chaos in die Karten spielen, da sie nur unterstreichen, dass diese bedauernswerten Menschen unsere Hilfe benötigen. Diese wird geleistet in Form von Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), Krediten, WHO-Programmen, Plänen großer „Philanthropen“, Militärhilfe, „Terrorbekämpfung“, Rohstoff- und Entwicklungsabkommen.

Ein Teil der Profite fließt als „Entwicklungshilfe“ zurück in die Länder, nicht nur, um deren willfährige Eliten an der Macht und die Nationen in Abhängigkeit zu halten, sondern auch — der Gipfel der Heuchelei — um uns in unserer eigenen Überlegenheit, Wohltätigkeit und christlichen Barmherzigkeit zu bestätigen.

Popstars organisieren Spendengalas, adoptieren Kinder und verbreiten ihre Heldentaten in sozialen Medien — bestens fürs Image und fürs Geschäft.

Politiker und Journalisten, die an der Verfolgung von Julian Assange, an den Foltergefängnissen der CIA, an Stellvertreterkriegen und militärischer Sicherung von Interessensphären wenig auszusetzen haben, brandmarken afrikanische Staaten wegen ihrer korrupten und undemokratischen Strukturen. Neben etwas in Vergessenheit geratenen Kämpfern für afrikanische Unabhängigkeit wie Patrice Lumumba und Thomas Sankara kommen viele der bekannten Helden und Schurken der Gegenwart in Traorés prägnantem Abriss der jüngeren Geschichte vor: Von Julian Assange und Edward Snowden bis hin zu Soros, Gates, Jeff Bezos and Rupert Murdoch, Google, Monsanto, Rio Tinto und Total Energies, wir wissen ja, „das Verbrechen hat Anschrift und Namen“ (Brecht).

Alte Medien und westliche Politiker sind empört

Wie unangenehm all dies unseren — von Staaten oder Konzernen finanzierten — Medienvertretern ist und dass Traorés beißende Einleitung nicht von ungefähr kommt, lässt sich exemplarisch an einem BBC-Artikel vom 12. Mai 2025 ablesen (4):

Während der Autor Farouk Chothia eine gewisse Bewunderung für diesen jungen, tatkräftigen, „charismatischen“, „rhetorisch begabten“ und „mediengewandten“ Politiker, der weltweit von Millionen verehrt wird, nicht verhehlen kann, liest sich der Artikel im Wesentlichen doch als eindringliche Warnung vor einem neuen Populisten: „Geschickt“ habe dieser das Medienimage des Pan-Afrikanisten aufgebaut, der Afrika aus den Fängen dessen befreien will, was er als Neo-Kolonialismus ansieht.

Man sieht schon: Es ist ja alles nur Ansichtssache — subjektiv. Die Herrschaftsmechanismen, die Traoré beschreibt, werden — letztlich beliebig — zur Fiktion. Bereits im ersten Absatz begegnet uns also das vertraute Spiel: Wie das, was Inhalt von Meinungsmache und Volkserziehung ist, zur Tatsache erklärt wird — so werden faktische Analysen umgekehrt zu bloßen Szenarien, Denkmöglichkeiten degradiert. Traoré trete in die Fußstapfen von Thomas Sankara, einem marxistischen Revolutionär und einer Art „afrikanischem Che Guevara“, indem er zum Beispiel die Goldminen des Landes verstaatlicht und ausländische Firmen ihrer horrenden Profite beraubt habe.

Da mag sich der gediegene, bürgerliche BBC-Leser vielleicht hinzudenken, was nicht im Artikel steht:

Es würde nicht wundernehmen, wenn Traoré bald dasselbe Schicksal ereilte wie dereinst Che, Sankara und andere armselige „Marxisten“ vor ihm — dass er nämlich einem Attentat zum Opfer fiele.

Aber nicht genug damit — es komme noch schlimmer: Er suche auch die Nähe zu Russland, das nie als Kolonialmacht in Afrika agierte. Seine Aufforderung auf einem russisch-afrikanischen Gipfel von 2023, nicht mehr nach der Pfeife der neokolonialen Mächte zu tanzen, sei in den russischen Medien ausgiebig ausgeschlachtet worden, und so hätten diese weiter zu seinem sorgfältig gepflegten Image als Kämpfer für afrikanische Einheit beigetragen, das er raffiniert mit Hilfe der sozialen Medien aufgebaut habe („media-savvy“ und „pushed by a slick social media campaign“), unter anderem mit Hilfe von Fake-News und KI-generierten Videos.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Dieser Mann manipuliert die Massen und ist gefährlich!

Jeder möge sich Traorés Reden im Original anhören und für sich entscheiden, ob er dem beipflichtet. Mein eigenes Urteil fällt anders aus als das der Medienvertreter, die ihren Geldgebern dienen und uns — zum Schaden so vieler — belogen und verkauft haben; mir scheint vielmehr, er trifft mit seiner klaren, schnörkellosen, frei gesprochenen, bewegenden Bestandsaufnahme und Agenda so ins Schwarze wie kaum einer zuvor. Es genügt bei Weitem nicht, einfach nur Recht zu haben. Vielmehr liegt es gerade an der Kraft der Kunst und der Rhetorik, einer Idee zur Durchsetzung zu verhelfen — so wie die Reden Martin Luther Kings noch heute in unseren Ohren klingen und seine Vision auch nach seiner Ermordung unaufhaltsam machten.

Es ist an den Menschen der Gegenwart, also auch an uns, Traorés Worte nicht verhallen zu lassen, sondern sie zu einem Kristallisationskeim einer von der breiten Masse getragenen Umwälzung zu machen.


Rede von Ibrahim Traore (Englisch)

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Quellen und Anmerkungen:

(1) Das war vor Jahrzehnten zumindest unter Linken schon einmal ein Gemeinplatz: Unser Reichtum beruht im Wesentlichen nicht auf größerem Fleiß, sondern darauf, dass wir von den Rohstoffen und billigen Arbeitskräften des „Trikonts“ profitieren — wie Südamerika, Afrika und Asien genannt wurden, um den herablassenden Begriff „Entwicklungsländer“ zu vermeiden.
Diese Erkenntnis ist seither in Vergessenheit geraten — oder sie wurde durch die Ansicht verdrängt, dass die betreffenden Völker mit all ihren Diktaturen, ihrer Korruption und Misswirtschaft doch irgendwie selbst schuld sein müssten. Dabei wird vergessen, dass jede Regierung — zumindest in den kleineren und rohstoffreichen Ländern — die echten Reformen zugunsten der eigenen Bevölkerung umsetzte und eine nachhaltige Entwicklung unabhängig von westlichen Geldgebern anstrebte, nach kurzer Zeit von einem blutigen, von westlichen Geheimdiensten finanzierten oder orchestrierten Coup hinweggefegt wurde. Traoré führt einige Beispiele dafür in Afrika an — die sich jedoch noch durch viele weitere ergänzen ließen.
(2) https://www.youtube.com/shorts/Igp-lowT7DY
(3) https://ghostarchive.org/varchive/jXw_PoltZ70. Ein Ausschnitt der Rede findet sich auch auf Odysee: https://odysee.com/@howtoransomtheworld:0/VID_20250526_095353_967:6
(4) https://www.bbc.com/news/articles/c1egely9v3go

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