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Der Mut der Marginalen

Der Mut der Marginalen

Indem wir uns selbst zum Freund werden, können wir dem Gruppenzwang entkommen, der ins Verderben führt.

Allein. Unverstanden. Ausgegrenzt. Verstoßen. Wir alle kennen die Angst, abgewiesen zu werden, uns nicht akzeptiert zu fühlen, nicht dazuzugehören. Ein Kind, das nicht die Anerkennung der Erwachsenen bekommt, riskiert sein Leben. Als wir noch auf das Wohlwollen der Gemeinschaft angewiesen waren, der wir angehörten, konnte der Ausschluss aus der Gruppe den Tod bedeuten.

Heute bringt uns das Abgetrenntsein von der Gemeinschaft nicht in direkte Lebensgefahr. Wir bezahlen Dienstleister, die uns versorgen, und hängen nicht mehr von unseren Familien, Nachbarn, Freunden und Kollegen ab, sondern von Geschäftsbeziehungen zu Unbekannten. Wir haben uns daran gewöhnt, dass andere sich um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, unsere Kinder, Kranken und Alten. Für unseren Transport, unsere Kommunikation, unsere Unterhaltung, unsere Sicherheit, unsere Ernährung und alles, was wir brauchen oder nicht brauchen, sind Fremde zuständig.

Während wir uns einbilden, die Wahl zu haben, lassen wir uns so gut wie alles aus der Hand nehmen. So konnten wir unserer Familie und unseren Freunden, Nachbarn und Kollegen den Rücken kehren und uns über das soziale Networken Waren und Kontakte in aller Welt besorgen. Die unbegrenzten virtuellen Möglichkeiten haben mittlerweile viele von uns zu Beziehungszombies gemacht, die stets auf der Suche nach frischem Fleisch durch die Welt irren, begehren, aussaugen, wegwerfen und immer wieder neue Beutetiere ins Visier nehmen.

Vom Gemeinschaftswesen zum Gruppenzwang

Nach einer kontaktlosen ersten Jahreshälfte erfahren wir in diesem Sommer, wie gut es tut, wieder real mit anderen Menschen in Verbindung zu sein. Viele spüren, wie sehr wir einander brauchen. Auch wenn wir nicht mehr zusammen den Acker bestellen und das Schwein schlachten, geht es ohne die anderen nicht. Ohne sie macht das Leben nur halb so viel Spaß. Wir brauchen ihre Nähe und Wärme, ihre Berührungen und Umarmungen wie die Luft zum Atmen, die uns hinter unseren Masken so knapp geworden ist.

Wir streben danach, uns in Gruppen zusammenzuschließen und gemeinsame Sache zu machen. Die Gemeinschaftswesen, die wir von Natur aus sind, wollen dazugehören und respektiert werden. Hierfür sind wir bereit, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Wir wollen gefallen, beeindrucken, imponieren, geschätzt werden, anerkannt für das, was wir tun. Man soll in uns den guten Menschen sehen, jemanden, der Verantwortung trägt und sich für die Gemeinschaft einsetzt.

Wenn es nicht damit klappt, geliebt zu werden, dann soll man uns wenigstens beachten, und wenn das auch nicht funktioniert, dann soll man uns immerhin fürchten.

Egal, ob wir uns in Prinzessinnengewänder hüllen oder in Drachengestalt daherkommen: Wir wollen die Anerkennung der Gemeinschaft. Hierfür verhalten uns oft so, wie wir eigentlich gar nicht sind. Wir sagen, was wir nicht wirklich denken, und machen Dinge, zu denen wir keine Lust haben. Wir ertragen Menschen, die wir nicht mögen, arbeiten in Jobs, die für uns keinen Sinn haben, und kaufen und machen Dinge, weil andere sie kaufen und machen.

Weil alle es tun, tragen wir Maske und stellen uns in Impfschlangen an. Schnell wird die Gemeinschaft zur Herde, wenn eine Karotte geschwenkt wird. Endlich wieder rausgehen, endlich wieder reisen! Wer will hier schon Spielverderber sein und riskieren, dass die Gruppe einen zurückweist und verstößt? Wer will schon Gefahr laufen, dass man schlecht über ihn spricht? „Er ist so negativ geworden. Seine Kritik ist gefährlich. Früher war er ganz anders.“

Wer es wagt, auszuscheren, muss sich selbst ein guter Freund sein. Das haben wir nicht gelernt. Wir bilden uns ein, uns Gutes zu tun, wenn wir bestimmte Produkte konsumieren und abends auf der Couch chillen. Doch wer da chillt, das wissen die meisten von uns nicht. Wie sehr wir uns selbst nicht kennen und folglich auch nicht mögen, haben wir bewiesen, indem wir uns Rechte, Freiheit und Würde protestlos nehmen und wie Vieh behandeln lassen.

Draußen vor der Tür

Manche haben das nicht mitgemacht. Sie haben die Gemütlichkeit der Ställe und den vertrauten Dung hinter sich gelassen und sind nach draußen getreten. Scharfer Wind schlug ihnen da auf dem freien Feld entgegen. Wer die Glaubensvorstellungen der Gruppe nicht füttert, gilt schnell als Verräter. Das Kollektiv ist träger als das Individuum und braucht länger, um sich in Bewegung zu setzen. Es hat es nicht gern, wenn an seiner Bequemlichkeit gerüttelt wird.

Wer sind diese Menschen, die sich dennoch auf den Weg machten, die Häretiker, die am Pranger stehen, weil sie den Dogmen regierungskonformer wissenschaftlicher Erkenntnisse widersprechen und dem Gott der Technik und der Künstlichen Intelligenz nicht huldigen wollen? Keine Arbeit sollen sie mehr finden, kein Restaurant, keinen Konzertsaal, kein Schwimmbad mehr betreten, keine Reisen mehr machen und keine Familienfeier mehr besuchen! Leprakranken gleich werden sie immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Was bewegt sie dazu, sich als Geisterfahrer beschimpfen zu lassen und dennoch auf Kurs zu bleiben?

Gestörte Kommunikation

Ich weiß nicht, was andere Menschen dazu bringt, im Meer der Konformität Archen des Widerstandes zu bauen. Ich kann nur sagen, was mich bewegt, Kurs zu halten in Richtung der Inseln der Freiheit und der Oasen des Friedens. Von Kindheit an bin ich darin geübt, als Außenseiterin eigene Wege zu gehen und mich mit mir alleine zu beschäftigen. In Gruppen fühle ich mich schnell nicht erkannt. Jede Art von Clubdenken ist mir suspekt: wir hier drinnen und ihr da draußen. „Wenn das Paradies nur Auserwählten offensteht“, pochte mein Kinderherz vorm Einschlafen, „dann will ich nicht hinein“.

Wir werden zu Idioten, einer Bande de cons, wenn mehr als vier von uns zusammen sind. So sang George Brassens. Wir tratschen und lästern, reden hinter dem Rücken und hinter vorgehaltener Hand; wir solidarisieren uns hier und intrigieren dort und erfinden immer wieder Keile, die das Gefüge spalten und auseinandertreiben. Kommunikation ist schon unter vier Augen hoch komplex und bietet viele Möglichkeiten, sich nicht zu verstehen.

„Zwischen dem, was ich denke, dem, was ich sagen will, dem, was ich meine zu sagen und dem, was ich sage, zwischen dem, was du hören willst, dem, was du glaubst zu hören und dem, was du hörst, dem, was du verstehen willst, was du meinst zu verstehen und was du tatsächlich verstehst, liegen zehn Möglichkeiten, dass es schwierig wird mit der Kommunikation. Versuchen wir es trotzdem“, schreibt der französische Schriftsteller Bernard Werber.

Zwischen Verschlossenheit, Voreingenommenheit, Deutung, Interpretation, Vermutung, Befürchtung, Erwartung und Hoffnung bleibt das gegenseitige Verständnis nur allzu oft auf der Strecke. Wir haben gelernt zu sprechen, doch nicht, zu kommunizieren: communicare — uns mit anderen vereinigen. Kritikfähigkeit gehörte ebenso wenig in unsere Ausbildung wie Selbsterkenntnis und Authentizität. Schicht und Schicht haben wir uns in alle möglichen Informationsgewänder hüllen lassen, doch was im Kern steckt und was uns ursprünglich ausmacht, das wissen wir nicht.

Zwischen Sherwood Forest und Alice im Wunderland

Ich verbringe mein Leben damit, mich von dem zu befreien, was ich mir im Laufe der Zeit habe auferlegen lassen. Gesellschaftliche Schaulaufen interessieren mich ebenso wenig wie steife Kaffeekränzchen und blasierte Kulturveranstaltungen, auf denen man sich Honig um den Mund schmiert. Ich will wissen, wer der Mensch hinter der Persona ist, der Maske im antiken Theater. Mich interessiert, was ihn begeistert und was ihm wirklich wichtig ist im Leben. Entsprechend gleichgültig sind mir Statussymbole und Hierarchien. Nicht die materielle Sicherheit ist meine Priorität, sondern die freie Entfaltung des Individuums.

Seit meiner Krebserkrankung weiß ich, was heilsam auf mich wirkt. Es sind nicht, wie Geerd Ryke Hamer sagte, die Behandlungen mit Stahl und Strahl, sondern die Entwicklung des Bewusstseins für die Selbstheilungskräfte des Körpers und die schöpferischen Fähigkeiten des Geistes.

Mit was auch immer das Leben mich konfrontiert — innerlich bin ich nicht das Opfer der Ereignisse, sondern verantwortlich dafür, wie ich mich dem Geschehen stelle.

So habe ich gute Voraussetzungen dafür, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich allein entscheide, was gut und richtig für mich ist. Niemand anderes kennt mich so gut wie ich selbst und niemand hat das Recht, in mein individuelles Hoheitsgebiet einzutreten, wenn ich ihn nicht ausdrücklich dazu einlade. Mein Wohl ist hierbei eng mit dem Wohl aller verbunden. Wenn ein Teil des Ganzen nicht in Ordnung ist, leidet das Gesamte. Jede Gemeinschaft ist so frei, wie ihre einzelnen Mitglieder es sind, und so gesund, wie es ihre Umgebung ist.

Die Wahrheit der Natur

Die Natur ist das Einzige, was wirklich ist. Alles künstlich Geschaffene ist Erfindung, Illusion, nicht Wahrheit. Die Kontrolle und Manipulation des Lebendigen und die Beherrschung der Natur sind der Versuch, das Wahre durch Trugbilder zu ersetzen und uns durch die Verschleierung den Weg zum Höchsten in uns zu versperren. Wie Tiere lassen wir uns einpferchen und abführen, um denen als Nahrung zu dienen, die den Bezug zu der Quelle in sich selbst verloren haben.

Wie weit wir uns von der Wahrheit der Natur entfernt haben, zeigt uns das Maß der Digitalisierung und Technisierung unserer Welt. Es geht hier nicht allein um die mit Klimawandel und Überbevölkerung gerechtfertigte Kontrolle und Manipulation unserer körperlichen Existenz, sondern vor allem um das Verhindern unserer geistigen Entwicklung. Es ist der Geist, der der Materie vorausgeht. Ihn zu kontrollieren bedeutet, die Herrschaft über alles zu erlangen. Deshalb wurde er uns ausgeredet. Aus diesem Grund wird uns erzählt, wir seien nichts weiter als Körper.

Vom Paradies in der Hölle

Im natürlichen Prozess des Werdens und Vergehens gibt es keinen Anfang und kein Ende. Passagen müssen durchquert werden, Zustände und Formen verändern sich. Doch es ist niemals vorbei. Leben ist Kreislauf, nicht an Raum und Zeit gebunden. Leben ist. Leben ist ewig. Es umfasst Geburt und Tod und es endet nicht. Mit unserem Tod treten wir nicht in ein Paradies, in eine Hölle oder ins Nichts — wir sind schon da in unserem Leben.

Die Hölle ist das, was wir tief in uns im Verborgenen halten, was wir abgespalten haben und nicht sehen können oder wollen.

Die Hölle, das ist die Pein in unserem Inneren. Der stinkende, schwefelige Qualm ist das, was wir in uns verfaulen lassen und worum wir uns nicht kümmern. Die heimtückischen Teufel sind unsere von uns zurückgewiesenen und nicht angenommenen dunklen Seiten. Sie schüren die Feuer unserer Ängste, unserer Scham und unserer Schuld, an denen wir so qualvoll verbrennen.

Das Paradies ist direkt hier vor unseren Augen und es ist für alle offen. Wir erreichen es, wenn wir es wagen, den Dämonen in uns in die Augen zu blicken. Das können sie nicht ertragen! Sie können dem Licht des Bewusstseins nicht standhalten und müssen verschwinden. Das tun sie nicht in diskreter Manier, sondern mit ohrenbetäubendem Gezeter. Sie spucken und speien, beleidigen und beschimpfen — und müssen doch weichen. Nur in der Dunkelheit können sie überleben. Wird das Hindernis entfernt, gibt es den Schatten nicht mehr. Die Hölle zerfällt.

Oasen des Friedens

In meiner Wahrnehmung erleben wir gerade genau das. Alte Verletzungen kommen zutage, lange verborgenes Leid kocht hoch. Mit aller Macht wird versucht, uns gegeneinander aufzuhetzen und uns auseinanderzubringen und in Stücke zu schlagen, was von uns noch bleibt. Unablässig wird die Lüge herausposaunt. Bis zum letzten Tropfen wird das Lebendige ausgepresst, bevor es gänzlich durch das Künstliche ersetzt wird. Die Wälder brennen, die Erde bebt, das Wasser steigt, die Luft wird knapp.

Zur gleichen Zeit bilden sich Oasen, in denen das Leben wieder möglich ist. Sie entstehen in den Köpfen und Herzen jener, die sich im Chaos innerlich aufgerichtet haben, weil sie sich dafür entschieden haben, der allgemeinen Spaltung nicht zu folgen. Sie erkennen in sich selbst das Schöpferwesen und im anderen, auf welcher Position er sich auch befindet, die Schwester, den Bruder. Schon schließen sich die Seelenfamilien zusammen und bilden Inseln des Friedens im aufgewühlten Meer. Eine nach der anderen entzünden sie ihr Licht, bis schließlich die ganze Welt erleuchtet ist.


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