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Der Preis der Schwarzen Erde

Der Preis der Schwarzen Erde

Die ukrainische Landwirtschaft ist in den Händen des internationalen Agrobusiness — im Krieg geht es auch um die Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion. Exklusivabdruck aus „Auf beiden Seiten der Front“

Chust: Der Preis der Schwarzen Erde

„Der Winter ist immer das Schwerste. Das ganze Jahr über arbeite ich auf den Winter zu.“ Ein einfacher Holztisch mit Rissen und Fettspuren. Rechts von mir brennt ein offenes Holzfeuer im Kaminofen. Vier Männer sitzen in der Küche und trinken bei Kerzenschein Schnaps aus Tassen und kleinen Einmachgläsern. Im Schlafzimmer nebenan schreit ein Baby. Links vom Tisch die kahle, fleckige Wand. „Man muss hier durch den Winter kommen, und die Tiere auch“, erzählt Bauer Miloslav weiter. „Es bleibt kaum Zeit. Wir müssen den Stall reparieren, den Mais ernten, Obst einkochen. Der Oktober ist ein harter Monat hier.“

Hinter dem Gartentor aus Brettern steht eine über hundert Jahre alte Kastanie. Sie hat ihre gelben Blätter noch nicht abgeworfen, aber überall im Gras und im Sand liegen schon die gelbbraunen stacheligen Fruchtbecher. Manche sind aufgeplatzt und geben ihre Nüsse preis. Lange werden sie nicht liegen bleiben; Milo wird sie auflesen und rösten oder trocknen, mahlen, mit anderem Mehl mischen und daraus Brot backen. Ein Teil davon bekommt das Vieh.

In dem niedrigen Stall neben dem Haus stehen zehn Ziegen, die Milch geben, aber sie müssen durch den Winter kommen und brauchen Heu. Daran muss Milo jetzt, Anfang Oktober, allmählich denken. An der Seite des Stalls führen ein paar Stufen hoch zur Toilette. Sie liegt außerhalb des Hauses. Das Wasser kommt aus dem Brunnen hinten im Garten. Der Sockel des Hauses besteht aus aufgeschichteten und vermauerten Steinen, darauf ein hölzerner Rahmen aus dicken Balken. Ein Firstsäulenbau, auf dem das Dach aus Biberschindeln ruht. Breite Dielen auf dem Boden und alte, ein wenig schief hängende Fenster. Hinter dem Haus ein paar Gemüsebeete und ein Maisfeld. Angebaut ist ein Unterstand für den alten Lada, dahinter der kleine Stall, in den wir beim letzten Tageslicht die Gänse getrieben haben.

Landwirtschaftliche Nutzfläche durfte in der Ukraine bis 2020 nicht verkauft werden. Seit 2002 bestand ein Moratorium, das immer wieder verlängert wurde. Die fruchtbaren Böden weckten das Interesse von Agrarkonzernen, doch große Teile der Bevölkerung waren gegen die Aufhebung des Moratoriums. Es wurde im Rahmen der De-Kollektivierung der Landwirtschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingeführt.

Seit 1992 ist Land in der Ukraine in Privathand. Im Jahr 2001 wurde der Verkauf von Land zunächst bis 2004 verboten, um die Eigentümer vor unüberlegten Verkäufen zu schützen, aber auch um eine Konzentration in wenigen Händen und die dadurch drohende Verarmung der Landbevölkerung zu verhindern. Das Moratorium sollte nur bis zu einer gesetzlichen Regelung in Kraft bleiben. Doch es hat sein Ziel verfehlt: Die Landbevölkerung ist arm, immer mehr Menschen ziehen in die Städte oder wandern aus.

Die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen ist de facto bei wenigen Agrarholdings konzentriert, die mit internationalen Anteilseignern kooperieren.

Über viele Jahre hinweg wurden Verkäufe durch die Vergabe von Nutzungsrechten und deren Handel umgangen. Neben den traditionellen Oligarchen aus der Industrie entstand eine Agraroligarchie. Heute befinden sich drei Millionen Hektar in den Händen von nur einem Dutzend Agrarunternehmen.

Die Landwirtschaft steckt seit den 1990er Jahren in einer tiefen Krise. Damals wurden plötzlich Handelserleichterungen für ausländische Unternehmen eingeführt, was eine Bedingung des Internationalen Währungsfonds war, als er am 31. Oktober 1994 Hilfsdarlehen für die wirtschaftliche Transformation und die Privatisierung der Staatsbetriebe in Höhe von 375 Millionen Dollar bereitstellte. Dadurch konnten Weizenüberschüsse aus den Vereinigten Staaten den ukrainischen Markt überschwemmen.

Zusammen mit ausländischen Nahrungsmittelhilfen sorgte das dafür, dass die ukrainischen Getreidebauern nicht mehr mitbieten konnten. Zudem hatten sie auch noch mit steigenden Energie- und Transportkosten zu kämpfen. Die Ukraine wandelte sich allmählich von einem Konkurrenten auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte zu einem Absatzmarkt für Agrarkonzerne.

Damals war Wiktor Juschtschenko, der spätere Präsident, Chef der neuen Nationalbank der Ukraine. Er wurde zum Vollstrecker der geforderten Reformen und zweigte auch einen Teil des IWF-Geldes für sich selbst ab. Die Abwertung der ukrainischen Währung stoppte zwar die horrende Inflation, führte jedoch zu drastischen Preiserhöhungen für Brot, Strom, öffentlichen Verkehr und Treibstoff. Die Menschen hungerten, während die wenig effektiven landwirtschaftlichen Großbetriebe — deren Anteil 1996 noch bei 80 Prozent der Agrarfläche lag — ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten und in Schwierigkeiten gerieten, ebenso wie die Kleinbauern.

In der Zeit der Unabhängigkeit von 1991 bis 2014 ist der Weltbank zufolge das Bruttoinlandsprodukt um 35 Prozent gesunken. Allein von 1990 bis 1999 fiel das Bruttoinlandsprodukt von 81,456 Milliarden auf 31,58 Milliarden Dollar. Die Ukraine hat sich bis 2020 nicht vollständig von diesem Absturz des BIP in den 1990er Jahren um 60 Prozent erholt. Im Jahr 2015 lebte jeder dritte Ukrainer unter der Armutsgrenze.

Milo erzählt, dass er eine Weide von einem Grundbesitzer bekommen habe, um dort seine Rinder grasen zu lassen: „Ich will nichts, ich bin froh, wenn sie dort stehen!“ Ein Jahr verging. Doch dann wollte der Grundbesitzer tausend Euro, er sei gerade knapp bei Kasse.

„Ich habe gezahlt“, sagt Milo, „doch damit war die Sache noch nicht vorbei. Der Landbesitzer kam nach einem weiteren halben Jahr und wollte ein Kalb für seine Tochter. Ich habe es ihm gegeben. Wieder ein halbes Jahr später wollte er noch ein Kalb. Ich sagte ja, ja, und nickte, aber getan habe ich nichts. Einige Zeit später starb der Grundbesitzer. Wieder einige Monate später habe ich im Dorf gehört, der Sohn des Grundbesitzers laufe herum und erzähle, dass er noch ein Kalb von mir zu bekommen habe. Ich habe ihn zum Essen eingeladen und die Sache geklärt.“

„Wie denn?“ „Nun ja, mit ein paar Scheinen. Aber das kann auch anders ausgehen. Beispielsweise so, dass man etwas erledigen muss und dann in Abhängigkeit gerät oder in einen Konflikt hineinläuft. Beispielsweise, dass man bei irgendwelchen Transporten mitmachen muss.“ „Also beim Schmuggel?“ „Zum Beispiel beim Schmuggel. Oder man muss sein Land hergeben.“

So kommt das Land langsam in die Hände der Oligarchen. Zwar war während der späten 1990er-Jahre die Privatisierung der kollektiven Landwirtschaftsbetriebe noch nicht weit fortgeschritten. Nach der Unabhängigkeit entstanden aus Kolchosen und Sowchosen sowohl Großbetriebe als auch kleinere Hofwirtschaften.

Aus den Großbetrieben gingen ab den 2000er Jahren Agrarholdings hervor, die im Jahr 2018 etwa 29 Prozent der Agrarflächen nutzten. Diesen Holdings stehen etwa 5,5 Millionen Hofwirtschaften gegenüber, die im Schnitt jeweils 2,5 Hektar Land bewirtschaften und für Selbstversorgung und lokale Märkte produzieren. Obwohl sie als wenig effizient gelten, sichern sie das Überleben der ländlichen Bevölkerung und erwirtschaften etwa 45 Prozent des landwirtschaftlichen Bruttoinlandsprodukts. Sie verfügen oft noch über Hofgrundstücke aus der Sowjetzeit und über durchschnittlich vier Hektar Land aus der De-Kollektivierung, die sie meist an Großunternehmen verpachten. So sichern sie ihr Überleben.

Aber über viele Jahre war praktisch nichts investiert worden. Die Ernteerträge gingen aufgrund von Bodenverarmung durch Raubbau und Missmanagement sowie aufgrund finanzieller Probleme der Kolchosen immer weiter zurück. Gleichzeitig wurde die Ukraine unmittelbar nach der Unabhängigkeit von Nahrungsprodukten aus West- und Mitteleuropa überschwemmt.

Auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise 2008 geriet auch die Ukraine ins Taumeln. Es entbrannte ein Wettbewerb um die politisch-ökonomische Orientierung des Landes. Der Sektor, in dem sowohl westliches Kapital als auch Staaten des Eurasischen und BRICS-Blocks ihren Machtbereich ausbauen wollten, war die Landwirtschaft.

Die Ukraine verfügt über 43 Millionen Hektar fruchtbaren Ackerlandes, die sogenannte Schwarzerde, auf der Getreide, Zucker und Pflanzenöl produziert werden. Das entspricht etwa 30 Prozent der weltweiten Schwarzerde-Böden und einem Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche der Europäischen Union. Die Landwirtschaft ist daher „eines der wichtigsten Wirtschaftsgüter des Landes“.

Bei den Bauern kommt jedoch nur wenig von alldem an. Milo hatte einmal einen Hirten namens Kolja. Das war im Sommer 2016. Kolja hütete Rinder auf der Hochalm am Berg Blisnica, einem Gebirgszug über 1.800 Metern Höhe im Swydiwez-Gebirge nördlich von Rachiw.

Er hatte nach einem Job gefragt, weil er bei benachbarten Hirten wegen Unzuverlässigkeit rausgeflogen war. Er war faul, ständig besoffen und hatte einen kriminellen Bruder, dazu war er Halbblut, der Vater Russe, die Mutter Huzulin aus der Rachiw-Region, der Alte lässt sie sitzen, da weiß man doch, was kommt. Aufgewachsen ist er bei seiner Großmutter, ein Waisenkind mit Spuren von Unterernährung aus der Zeit, als hier alles zusammengebrochen war. Vernachlässigt, halb verwahrlost und hungrig musste Kolja selbst sehen, wo er bleibt.

„Als Hirte Ende Oktober in den Karpaten, zwei, drei Wochen im Wald leben, in einer Laubhütte übernachten, das ist nicht leicht. Um diese Jahreszeit wird es auf tausend Metern Höhe nachts empfindlich kalt. Man muss sich von Pilzen und Beeren ernähren — die Arbeit ist hart“, erzählt Bauer Milo. „Nicht jeder ist dafür gemacht.“

Die Ukraine war 2008 und 2009 der drittgrößte Getreideexporteur der Welt. Zur gleichen Zeit suchten China und Russland nach potenziellen Produzenten von landwirtschaftlichem Überschuss, in die sie investieren konnten. Insbesondere China strebte danach, Ackerland zu kaufen oder zu pachten oder Nahrungsmittel von transnationalen Unternehmen zu erwerben, die ihrerseits landwirtschaftliche Flächen geleast hatten.

Russland nutzte seinen ökonomischen Einfluss auf die Schwerindustrie im Donbass und versuchte ebenfalls, sich Agrarflächen in der Ukraine unter den Nagel zu reißen. Dies hätte eine stärkere Bindung der Ukraine an Moskaus Eurasische Union bedeutet. Das stieß jedoch auf Widerstand von Agrar-Oligarchen, die eher Richtung Westen schauten. Sie spielten noch nicht in der Liga von Kolomojskyj oder Achmetow, aber waren von einem Wechsel der internationalen Orientierung abhängig, und zwar hin zur EU. Eine polnische Studie kam zu dem Ergebnis, dass davon in erster Linie Nahrungsmittelproduzenten profitieren:

„Ein Sinken der Zölle würde dem Süßwaren-Giganten Roshen nützen, der sich im Besitz von Petro Poroschenko befindet, angesichts der Tatsache, dass auf seine Produkte EU-Importzölle von 35—40 % anfallen. Die Aufhebung von Einfuhrabgaben wäre auch von Vorteil für die Kernel-Gruppe, die Andrei Werewskij gehört, da seine Firma 17 Prozent ihres Getreides und ihres Öls in die EU verkauft. Genauso könnte Myronivsky Hliboproduct, im Besitz von Jurij Kosiuk, von einem Abbau der Hygienebarrieren als auch der Importzölle profitieren und ihre Geflügelexporte in die EU über den mageren Anteil von fünf Prozent hinaus steigern“.

Die Raubzüge der Oligarchen und ihr Einfluss auf die Politik haben das Vertrauen in die politische Klasse drastisch sinken lassen: Laut einer Umfrage von 1998 trauten nur zehn Prozent der Wähler ihren Politikern zu, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Hier in Transkarpatien muss jeder selbst sehen, wo er bleibt.

Die Deals der Großen setzen die Kleinen unter Druck. Wer seinen Hof nicht mehr halten kann, gibt die Arbeit als Kleinbauer auf und sucht sich andere Wege, an Geld zu kommen. Als Hirte kennt Kolja die Karpaten genau. Er hat zwei Monate auf der Hochalm durchgehalten. Im Winter stieg er dann wieder ins Zigarettengeschäft ein. Das lief über seinen Bruder.

Nach Mitternacht wartet Kolja nun bei Rakosch unter dem sternenlosen Himmel auf einen alten Renault Sprinter und steigt ein. Am Rande eines Wäldchens hält der Fahrer an einer alten Scheune. Dort holen sie die Pakete mit den Zigaretten ab. Sie fahren weiter bei offenem Fenster, biegen ein paar Kilometer später von der Landstraße ab und rollen langsam mit Standlicht über eine schmale Schotterpiste, die im Wald in einen Feldweg mündet.

Sie lassen unverputzte Häuser aus Backsteinen und Flaschen, Zäune aus Zweigen hinter sich und parken am Ufer eines kleinen Flusses. Dort warten schon im Schatten der Bäume fünf Träger. Sie übernehmen schnell und geräuschlos die Kontrabanda. Seitdem die Ukraine eine Assoziierung mit der EU erreicht hat, vor allem aber seit 2017, als visafreies Reisen in die EU möglich geworden ist, ist das Land zur Drehscheibe des Zigarettenschmuggels geworden. Aus keinem Land gelangen mehr Zigaretten illegal in die EU.

Kolja weiß: Er muss sich selbst helfen, kein Staat wird es tun, der gehört anderen. Die Oligarchen haben Land und Politik fest im Griff. Die Nahrungsmittel-Magnaten hatten bis 2013 als Exporteure landwirtschaftlicher Produkte noch wenig Einfluss auf die ukrainische Regierung. Eine Ausnahme war Andrej Werewskij, Eigentümer der Kernel-Gruppe, der 2010 mit einem Vermögen von 1,1 Milliarden Dollar auf Rang sieben der ukrainischen Oligarchen rangierte. Er zählte zu den Verbündeten von Präsident Janukowytsch.

Nach dem Putsch auf dem Maidan 2014 stiegen jedoch Poroschenko (Roshen) und der Vorstandsvorsitzende von Myronivsky Hliboprodukt (MHP) und spätere Leiter des Präsidialamtes Jurij Kossjuk in politische Machtpositionen auf.

Die außerordentliche Konzentration der Vermögen in den Händen weniger Oligarchen verlieh ihnen ein unverhältnismäßiges Gewicht. Als Präsident Janukowytsch 2013 vor der schwierigen Entscheidung zurückschreckte, das EU-Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, und es durch eine Anbindung an die Eurasische Union Putins ausbalancieren wollte, provozierte er damit den Zorn der Bevölkerung, die durch die fortgesetzten Raubzüge der Oligarchen ungeduldig geworden war.

Als im Februar 2014 Ultranationalisten und faschistische Schläger die Macht übernahmen, konnten genau jene Geschäftsleute die Oberhand gewinnen, denen die Macht der traditionellen Oligarchengruppen aus dem Donbass und aus Dnipropetrowsk zum Hemmschuh geworden war. Die weniger wohlhabenden Oligarchen traten an die Seite der unzufriedenen Bevölkerung gegen die ultrareichen Oligarchen. Die Orangene Revolution von 2004 wurde bereits als eine „Revolte der Millionäre gegen die Milliardäre“ bezeichnet.

Die beiden Oligarchengruppen hatten nahezu die gesamte ukrainische Wirtschaft unter ihrer Kontrolle. Auf dem Höhepunkt des Maidan lief es dann ähnlich: Die weniger wohlhabenden Oligarchen aus Dnipropetrowsk, einschließlich Kossjuk und Poroschenko, paktierten mit der Protestbewegung der Bevölkerung, um gegen ihre Rivalen aus der reicheren Fraktion von Donezk vorzugehen.

Die antirussischen und prowestlichen Oligarchen sahen ihre einzige Chance darin, den Ausbruch politischer Unzufriedenheit auszunutzen, sich der Bewegung anzuschließen und so den Aufstieg des Donezk-Blocks und der föderalen Kräfte aus dem Süden und Osten des Landes, die von Firtaschs RosUkrEnergo unterstützt wurden, zu stoppen. Dadurch hofften sie, die staatliche Macht zurückzugewinnen.

Eines haben aber alle Oligarchen der Ukraine gemeinsam: Sie schützen ihr Vermögen vor dem Zugriff der nationalen Politik, indem sie es in Offshore-Holdings auf Zypern, in anderen EU-Ländern oder auch anderswo auf der Welt unterbringen. Im Jahr 2010 gehörten 24 der 100 wichtigsten Firmen der Ukraine vier in Zypern ansässigen Konzernen.

Der größte dieser Konzerne war mit 14 Firmen Achmetows SCM, gefolgt von ISD in russischer Hand) mit fünf Unternehmen. An dritter Stelle standen Kolomojskyj mit seiner Privat Group und Pintschuk mit Interpipe, beide mit zwei Unternehmen und einem gemeinsamen Joint Venture. Poroschenkos Ukrprominvest führte zwei Unternehmen unter den ukrainischen Top 100. Privatisierungsauktionen waren wie geschaffen, um auf undurchsichtige Weise Volksvermögen zu Spottpreisen an Günstlinge, insbesondere aus der Donezker Fraktion, durchzureichen.

Schattenwirtschaft, wohin man blickt. In Kolonnen, begleitet von zwei Wachen mit AK-47 und Nachtsichtgeräten, laufen sie nachts im Flussbett, geschützt durch das Laubdach, Richtung Grenze hoch. Auf dem Schiefer unter dem Rinnsal hinterlassen die Schuhe keine Spuren. Ameisenhandel in den Karpaten: Die Träger schultern ein Holzgestell, daran hängen vier Beutel mit den Paketen. Vier Füße an den Ecken stabilisieren zugleich die Schmuggelware. Falls die rumänischen Grenzer auftauchen, setzen die Träger das Gestell auf den Holzfüßen ab, rollen sich seitlich aus dem Gestell heraus und flüchten den Hang hinunter.

Es sind wie Kolja Leute aus dem Dorf. Sie kennen die Wälder, niemand wird sie hier finden. Man kennt sich, man hält immer nur den Mund. Seit den 1990er Jahren haben rumänische Banden den Wodka gebrannt und über die Grenze geliefert.

Es war eine Zeit, als in Transkarpatien alles über die Grenze ging, womit sich Geld machen ließ: Zigaretten, Alkohol, Waffen, Mohnprodukte aus Afghanistan. Die Angst läuft mit auf diesem Pfad im Fluss, der im Herbst wenig Wasser trägt und kaum die Sohlen einnässt. Sie fürchten Hunde, Bewegungsmelder, Drohnen und Grenzposten. Je weniger sie die ewig unfreundlichen rumänischen Grenzer bestechen müssen, desto mehr bleibt hängen.

Die Zigaretten kommen aus zwei Fabriken aus der Region Lwiw. Die Vinnikivska Tobacco Factory gehört dem Geschäftsmann Grigori Koslowski und produziert etwa 62 Prozent der Schmuggelware. Die Schachteln werden häufig als „Duty Free“ gekennzeichnet, wodurch deutlich weniger Steuern abgeführt werden müssen — für etwa zwei Milliarden Packungen pro Jahr.

Die Vinnikivska Tobacco Factory stellt die Marken JIN-LING, MARVEL, COMPLIMENT, STRONG, LIFA, LS und KIEW her. JIN-LING sieht ein wenig aus wie CAMEL. Die Packungen werden mit gefälschten Steuermarken versehen. Produziert wird in Nachtschichten, ohne jegliche Qualitätskontrolle, Schwarzarbeit gegen Handgeld.

Die Vinnikivska Tobacco Factory ist ein Teil der Marvel International, und Koslowski gilt als der reichste Geschäftsmann in der Region Lwiw. Ermittler schätzen, dass die Tabakfabrik in den Jahren 2020 bis 2021 wahrscheinlich eine zu niedrige Verbrauchssteuer von insgesamt 3,7 Milliarden Griwna (etwa 120 Millionen Euro) ausgewiesen hat. Das zweite Unternehmen von Koslowski, die Marvel International Tobacco Group GmbH, soll dem Fiskus geschätzte 2,1 Milliarden Griwna (circa 67 Millionen Euro) vorenthalten haben.

Die Kontrabanda gelangt auch nach Deutschland — über Polen, Tschechien oder eben Rumänien. Jährlich verliert die Ukraine durch Schmuggel mehr als zwölf Milliarden Griwna, (circa 3,8 Milliarden Euro) eine beträchtliche Summe, wenn auch weniger als das, was die Oligarchen dem Land gestohlen haben. Was nicht über den Ameisenhandel in die EU gelangt, kommt per Lkw, versteckt in Paletten oder in anderer Fracht.

Oben an der Grenze ist alles dicht bewaldet. Der Grenzzaun — das sind ein paar Baumstämme und ein altes Gatter, davor steht ein Schild: „Uwaga — Achtung. Grenze des ukrainischen Sektors. Durchgang verboten“. Über dem Schieferbett des Flusses links daneben sind ein paar alte, rostige Stacheldrähte gespannt, die mit einem Stock angehoben werden. Die Träger bücken sich, gehen leicht in die Knie, laufen im Entengang auf die rumänische Seite und verschwinden jenseits der grünen Grenze im Gebüsch.

Beim Abstieg ins Tal werden sie von modernen Geländewagen erwartet. Schnell werden die Zigaretten umgeladen, und Scheine wechseln den Besitzer. Damals, vor dem Krieg, wurden hundert Euro pro Paket bezahlt. Das ist hier in der Gegend ein halber Monatslohn. Der Schmuggel ist eine Überlebensfrage, eine Art wirtschaftliche Notwehr. Die rumänischen Bandenchefs wohnen in geschlossenen Palästen, haben fließend Wasser im Haus, Sekt und Pralinen. Die Zollbeamten fahren nur Ladas, man kann sie leicht abhängen.

Immer schon waren die rumänischen Grenzer unfreundlich. Wer von der ukrainischen Seite kam, galt als jemand, der etwas Illegales wollte: schmuggeln, stehlen oder schwarzarbeiten. Aber man kennt sich, unter Freunden drückt man ein Auge zu. Auch die Grenzer müssen jeden Cent umdrehen und können ein Handgeld gut brauchen.

Das Bruttoinlandsprodukt in der Ukraine brach von 4.188 Dollar pro Kopf im Jahr 2013 auf 3.105 Dollar im Jahr 2014 und 2.125 Dollar im Jahr 2015 ein — untrügliches Zeichen für die rapide Verarmung der Bevölkerung. Diese Entwicklung wurde hauptsächlich durch das EU-Assoziierungsabkommen und seine Freihandelsbestimmungen verursacht. Sie schneiden die ukrainische Rüstungsindustrie von Russland ab. Die Schlüsselbereiche des russischen militärisch-industriellen Komplexes lagen in der Ukraine, und dieser Sektor war viel höher entwickelt als der Rest der Wirtschaft.

Noch 2012 war Russland der wichtigste Exportmarkt für hochwertige Industrieprodukte aus der Ukraine, an denen die EU kein Interesse hatte. „Für uns arbeiten 245 ukrainische Firmen allein in der Rüstungsindustrie“, drückte es Putin später aus.

Diese Wertschöpfungskette zu durchbrechen, erzeugte daher eine überproportional schädigende Wirkung auf die ukrainische Wirtschaft. Die Ukraine ins westliche Lager hineinzuziehen bot die Chance, Russlands Verteidigungsbasis zu schwächen.

Die Putschregierung nach dem Maidan war gewillt, Kernbereiche der ukrainischen Wirtschaft für dieses Ziel zu opfern. Für den Westen war die Zerstörung der ukrainischen Industrie ein gewünschter Nebeneffekt. Das EU-Assoziierungsabkommen und die Freihandelsbestimmungen schufen daher irreversible Tatsachen.

Die Menschen östlich des Dnjepr waren sich bewusst, dass infolge der Deindustrialisierung ein großer Teil ihrer Arbeitsplätze verlorengehen würde. Auch dies erklärt das Ergebnis des Referendums im September 2022.

Inzwischen hatte die Ukraine ihr fruchtbares Ackerland dem Agrobusiness ausgeliefert, das auf genmanipulierte Saaten und antibiotikabasierter Tierzucht aufbaut. Auch der Ausbeutung von Gaslagerstätten durch Fracking hat sich das Land geöffnet.

Der Agrarsektor wird immer noch weitgehend von einheimischen Oligarchen kontrolliert. Sie verfügen über mehr als 82 Prozent der 100 größten Holdings. Nebenbetriebe wie die Iljitsch Eisen- und Stahlwerke besaßen aus der Sowjetzeit noch 200.000 Hektar Agrarland, große Viehherden und Schweinefarmen. Sie wanderten in die Hände von Achmetow und seinem Partner Vadim Novinsky und gingen in der HarvEast Group auf.

Kolomojskyj gründete 2005 seine Privat-Agro Holding und kontrollierte schon bald 24 Unternehmen mit 150.000 Hektar gepachtetem Land. Der größte Agrar-Oligarch ist Oleg Bachmatjuk, der 2011 seine beiden Firmen Avangard (Eier und Geflügel) und UkrLandFarming (mit Sitz in Zypern) verschmolz. UkrLandFarming kontrolliert 403.000 und betreibt auch die Zucht von Schweinen und Rindern. Das Unternehmen exportiert große Mengen Getreide nach China.

Im Januar 2014, sechs Wochen vor der Machtübernahme in Kiew, wurde der US-Agrargigant Cargill mit einem Fünf-Prozent- Anteil an UkrLandFarming ins Boot geholt. Andere Agrarkonzerne richten ihren Blick auf die EU. Andrej Werewskij, ein Angehöriger von Janukowytschs Zirkel und Eigentümer der Kernel-Gruppe, die 582.000 Hektar bewirtschaftet, kaufte die Black Sea Industries auf und erhielt so die Kontrolle über den größten Hersteller von Sonnenblumenöl und einen Hafen für den Export. Kernel ist die größte Holding für den Handel und Export von Getreide.

Jurij Kossjuk, der mit Poroschenko verbunden ist, besitzt die Mehrheit an dem Unternehmen Mironivsky Hliboproduct (MHP), das 360.000 Hektar kontrolliert und jährlich etwa 330 Millionen Hühner schlachtet. Kossjuk hat seinen Fokus auf den westeuropäischen Markt gerichtet und kündigte 2016 eine bedeutende Investition in den Niederlanden an, um seine Geflügelprodukte dort zu vertreiben.

Weitere Großinvestoren im Agrargeschäft sind TNA Corporate Solutions LLC und NCH Capital aus den USA, Astarta Holding N. V. aus den Niederlanden, Industrial Milk Company (IMC) S. A. aus Luxemburg, OIF Saudi aus Saudi Arabien, Agroton Public Limited aus Zypern und Nibulon aus der Ukraine.

In einem Café in Chust stellt mir Milo Ivan vor. Wir geben uns die Hand. Bauer Milo hat ihn um das Jahr 2010 herum kennengelernt. Er wollte ein Stück Land in den Bergen kaufen; Ivan hat ihm eines angeboten. „Aber dann habe ich seine kriminelle Ader entdeckt“, sagt Milo, „und ich habe es nicht genommen. Eigentlich ist er ein Bandit und in allerlei Machenschaften verwickelt. Er baut Cannabis an in der Theiß-Niederung, weiter westlich im Schwemmland-Gebiet bei Rachiw.“

„Dort ist doch alles flach. Die Pflanzen kann man doch bestimmt meilenweit sehen?“ „Nein, so flach ist das nicht“, sagt Milo, „und da wächst Riesenbärenklau. Du erkennst ihn an den weißen Blüten, an den leicht behaarten, gezackten Blättern und an den roten Flecken am Stil. Die Pflanze ist in der Sowjetzeit aus dem Kaukasus hierher eingewandert, sie diente als Silage-Futter. Der Bärenklau hier wächst drei bis vier Meter hoch. Deshalb heißt er auch Herkuleskraut“.

„Was hat das mit dem Cannabis zu tun?“ „Der Saft des Riesenbärenklaus ist giftig. Gelangt er auf die Haut und wird dem Sonnenlicht ausgesetzt, dann kommt es zu schweren Verbrennungen. Es bildet sich ein nässender Ausschlag, gefolgt von Blasen und Schwellungen, die jucken und brennen. Wer die Absonderungen des Riesenbärenklaus einatmet, dem wird schlecht, Atemnot befällt ihn, oft kommt dazu noch hohes Fieber oder ein Kreislaufschock. Es kann Wochen dauern, bis der Ausschlag abheilt. Oft bleiben Narben zurück.“

„Ich verstehe. Ivan pflanzt eine Hecke aus Riesenbärenklau rund um das Dope?“ „Ja, so entsteht ein dichtes Gebüsch, und wer es durchdringen will, holt sich schwerste Verbrennungen. Ivan kennt eine Schneise, ich vermute sogar, dass es nur einen Zugang gibt über den Fluss Theiß.“

Das Dope ist eher ein Nebeneffekt der EU-Assoziation. Die strategischen Ziele liegen ganz woanders. Man nahm als Bereiche mit den größten Vorteilen Energie, Landwirtschaft und Nahrungsmittel sowie Dienstleistungen in den Blick. Als Teil der von Brüssel geforderten Marktöffnung hatte die Ukraine schon 2013 mehr als ein Drittel seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche verpachtet, wobei zwei Drittel davon an US-Agrarunternehmen gingen. Die Ukraine ist das einzige Land in Europa, das sich dermaßen in ausländische Hände begeben hat wie sonst nur Länder der Dritten Welt.

Vor dem Krieg waren die größten ausländischen Agrarholdings NCH Capital aus den Vereinigten Staaten (291.000 Hektar), Ukrainian Investments, (russisch, 260.000 Hektar), Agrogénération, (französisch) und Toepfer (Deutschland).

Hinter den großen Agrarholdings stehen internationale Investmentfonds wie Cascade, Kopernik, Heptagon, Vanguard, Norges Bank, BNP Asset Management, Baring, Russel, Marathon oder Universal. Die Exporte gehen hauptsächlich in den Nahen Osten, die Türkei, Nordafrika und die EU. Cargill besitzt mindestens vier Getreidespeicher und zwei Betriebe zur Verarbeitung von Sonnenblumen in der Ukraine.

Monsanto ist bereits seit 1992 in der Ukraine aktiv und hat die Zahl der Mitarbeiter im Jahr 2012 verdoppelt. 2015 investierte der Konzern in eine neue Saatfabrik. DuPont kündigte bereits 2013 den Bau von zwei Saatgutfabriken an.

Alle diese Konzerne setzten vor dem Maidan 2013 auf einen Regimewechsel. Sie wollten die Bedingungen für einen Markteintritt verbessert sehen. Sonnenblumen sind ein Exporttreiber der Ukraine; für den Anbau werden riesige Flächen benötigt.

Allerdings hatten ukrainische Firmen, die Sonnenblumenöl verarbeiteten, Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Trotzdem standen im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens Regelungen zu Steuern, Zöllen, Exportgesetzen und dem Verkauf von Land auf der Agenda. Es ging auch um genetische Veränderungen. Denn der Zugang transnationaler Unternehmen zum ukrainischen Markt und die Möglichkeit, genetisch veränderte Organismen anzubauen, waren zentrale Hebel für den Ausverkauf der ukrainischen Landwirtschaft.

Der Internationale Währungsfonds machte die Öffnung für genmanipuliertes Saatgut zur Bedingung für Kredite, und das EU-Assoziierungsabkommen (Artikel 404) enthielt eine entsprechende Klausel. Genmanipuliertes Saatgut ermöglicht eine aggressive Behandlung mit Pestiziden — mit vernichtenden Folgen für andere Lebewesen, aber zum Vorteil der Konzerne.

Jesús Madrazo, damaliger Vizepräsident von Monsanto und nach der Übernahme durch Bayer zuständig für „Nachhaltigkeit“, erklärte im Dezember 2013: „Heute hoffen wir, dass die Biotechnologie das Werkzeug ist, das in Zukunft ukrainischen Bauern zur Verfügung stehen wird“.

Das US State Department hat Konzerne wie DuPont, Syngenta, Bayer, Dow und Monsanto aktiv unterstützt und auch in der Ukraine auf den Abbau von Handelsbarrieren für genmanipuliertes Saatgut gedrängt. Im U.S.-Ukraine Business Council ist die Agrarlobby stark vertreten, zu deren Mitgliedern Repräsentanten von Unternehmen wie Monsanto, John Deere, DuPont Pioneer, Eli Lilly und Cargill gehören.

„Ivan hat mir erzählt“, so Milo, „dass er hinter dem Gestrüpp aus Riesenbärenklau auf einem halben Hektar Cannabis anbaut. Eine Pflanze produziert 200 bis 300 Gramm, ein Gramm kostet zehn Euro. Einmal im Jahr wird geerntet. Man muss aber den Boden düngen, das sind diese roten und weißen Kügelchen, Phosphordünger. Wenn die Pflanzen zu spät geerntet werden, gibt es oft Pilzbefall.“ „Nach der Ernte werden die Pflanzen getrocknet und fermentiert, die Blüten werden gehäckselt und verkauft?“ „Genau, die sind nur für gute Kunden. Ivan hat Freunde, die ihm das schreddern und die Blätter zuschneiden.“

„Ein irres Geschäft. Der Mann hat ausgesorgt!“ „Nicht unbedingt. 2019 ist er aufgeflogen. Er wollte gerade die Jahresernte abfahren mit seinem Sprinter. Ein Auto voller Dope, und damit ist er in eine Polizeikontrolle geraten. Das muss eine abgekartete Sache gewesen sein, er wurde verraten. Aber er konnte einen Handel machen. Er bat die Polizisten zu warten, ging zurück, holte seinen Mitarbeiter, behauptete, der sei gefahren, und gab den Polizisten 30.000 Euro Schmiergeld. Die Ware wurde beschlagnahmt, sein Mitarbeiter ging für ein paar Jahre in den Knast, seine Familie bekam eine Abfindung und wurde, während er einsaß, unterstützt.“ „Und allen war gedient!“ „So läuft das! Allen war gedient!“

Nach dem Machtwechsel im Jahr 2014 schlossen westliche Agrarkonzerne ähnliche Deals hinter den Kulissen ab, der verdeckte Landraub beschleunigte sich. Dabei nutzten Institutionen wie der IWF, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und die EU die Krise der Ukraine, um die Deregulierung und Liberalisierung der Landwirtschaft sowie die Erleichterung ausländischer Investitionen voranzutreiben. Als Ergebnis entwickelte sich die Ukraine bis 2021 zum weltweit fünftgrößten Weizenexporteur und zum zweitgrößten Getreideexporteur der Welt.

Trotz eines 2001 erlassenen Dekrets, das ein Moratorium für den Landverkauf vorsah und bis 2020 verlängert wurde, gab es Wege für ausländisches Kapital, die Kontrolle zu übernehmen: Das eine sind langfristige Pachtverträge, kombiniert mit Investitionen in Saatgut und Nahrungsmittelproduktion, das andere Teilhaberschaften an ukrainischen Agrarunternehmen. Allerdings laugen die Monokulturen für den Export die Böden aus und verdrängen Ernten für den Eigenbedarf — eine neue Form des Kolonialismus, unter der die Bevölkerung leidet.

Ab Juli 2020 durften Privatpersonen maximal 100 Hektar besitzen. Später wurde diese Schwelle auf 10.000 Hektar angehoben, auch Unternehmen erhielten die Möglichkeit, Ackerland zu erwerben. Diese Landreform war eine Bedingung des Internationalen Währungsfonds für weitere Kredite. Jedoch beschleunigt sie das Höfesterben, da sie der Konkurrenz der Agrarholdings nicht gewachsen sind. Es droht ein weiterer Ausverkauf an Agrar-Oligarchen. Ausländern war der Landkauf vorerst untersagt.

Im Jahr 2020 wurde das per Gesetz geändert. Unmittelbar danach erwarben Cargill, DuPont und Monsanto 17 Millionen Hektar ukrainisches Agrarland. Das ist mehr als die gesamte landwirtschaftliche Fläche Italiens. Hinter diesen Konzernen stehen Finanzinvestoren wie Vanguard, BlackRock und Blackstone. Fünf Prozent des Agrarlandes der Ukraine hat nach und nach der chinesische Staat erworben.

Diese Investments zeigen, dass es im Ukraine-Krieg auch um die Kontrolle der Nahrungsmittelkette geht.

Vanguard, BlackRock und Blackstone investieren nicht nur im Agrobusiness, sondern auch im militärisch-industriellen Komplex der USA. Zudem sind sie die größten Anteilseigner der zehn größten Wall-Street-Banken, darunter Goldman Sachs, Bank of America, Citigroup und JP Morgan Chase.

Dies zeigt den wahren Charakter des Ukraine-Krieges: Westliche Finanzmonopole mit absurder Machtfülle missbrauchen ukrainische Soldaten als Kanonenfutter zur Verteidigung ihres Landraubes. Der normale Ukrainer mag glauben, er verteidige seine Heimat gegen einen verrückten Aggressor aus Moskau.

In Wahrheit aber gehört seine Heimat längst multinationalen Konzernen. Sollten die russischen Truppen erfolgreich sein, verlieren westliche Finanzinvestoren eine Menge Geld. Denn dann wird die Besitzfrage neu geregelt. Das ist es, was die Heuschrecken am meisten fürchten: dass die Verwandlung der Schwarzerde-Böden in profitable Monokulturen für genmanipuliertes Saatgut und die Hoffnung auf maximale Profite vergebens waren.

„Aber damit das nicht geschieht“, so Milo, „werden schon Maßnahmen ergriffen“. „Welche Maßnahmen? Was meinst du?“ „Die Aufrüstung zum Frontstaat läuft schon seit Jahren. Ich habe es nur durch Zufall mitbekommen. Weiter östlich liegt, direkt an der rumänischen Grenze in den Karpaten, das Biosphärenreservat. Eine Fläche von knapp 56.000 Hektar, vier Fünftel, sind Wald, die letzten Rotbuchen-Urwälder Europas. Der Howerla ist fast 2.100 Meter hoch. Da kommt man nicht so einfach durch, schon gar nicht ohne einheimischen Führer. Es gibt Luchse und Wölfe, man kann abstürzen. Es ist nicht ganz ungefährlich“. „Da kommen die Agrarkonzerne doch nicht ran, mit dem Boden können sie auch nichts anfangen!“ „Soweit klar, aber ihre Helfershelfer!“

„Welche Helfershelfer?“ „Da gab es einen Skandal. Der alte Direktor war sehr beliebt und kannte sich aus. Eigentlich hatten alle erwartet, dass er wiedergewählt wird. Aber so lief das nicht. Alle rieben sich die Augen, denn ein junger Mann Anfang 40, aus Kiew und völlig sachfremd, hat die Wahlen gekauft.“ „Der wurde reingedrückt?“ „Ja, vom Umweltminister, von der Regierung. Und das Beste ist: Das ist ein Mann aus dem Geheimdienst SBU.“ „Was will denn der SBU im Biosphärenreservat?“

„Na ja. Das sind alles Sperrgebiete. Wer reinwill, muss sich anmelden. Und das Reservat liegt direkt an der Grenze zur NATO. Von oben sehen die Spionagesatelliten nur Blätter. Wenn CIA oder MI6 eigene Agenten, militärische Spezialkräfte, Sondergefangene oder besonders geheime Waffen einschleusen wollten — nun, ich würde es da machen“, sagt Bauer Milo, „hier hat der Schattenkrieg schon vor Jahren begonnen.“

„Die westlichen Spekulanten greifen nach der schwarzen Erde, und Spezialkräfte passen auf, dass dabei nichts schiefgeht?“ „Kann man so sagen!“ „Apropos — was macht eigentlich dein Hirte Kolja?“ „Er ist jetzt bei den Milizen im Donbass. Da gibt es Geld. Er kämpft an der Front. Er ist ein harter Hund, er wird es durchstehen.“



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