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Der schleichende Epochenwechsel

Der schleichende Epochenwechsel

Das Corona-Narrativ ist dabei, unterzugehen wie einst das römische Reich. Es gilt jetzt nur, Geduld zu haben — nicht alle werden es sofort kapieren.

Epochenbrüche verlaufen oft völlig unspektakulär, ohne Rauchwolken, Bumstrara und triumphale Hymnen, die man noch Jahrzehnte später nostalgieselig im Jubiläumschor schmettert, um huldvoll der Helden von damals zu gedenken. Stattdessen tut sich meistens gar nichts Grundstürzendes, und dass sich überhaupt was getan hat und der Grund eben doch irgendwie gestürzt ist, merkt man erst, wenn man eines Tages vor einer Tempelruine, einer Inschrift oder Statue steht und keine Ahnung hat, was das darauf abgebildete Zeugs bedeuten soll.

Zum Beispiel im alten Römischen Reich: Da ging beileibe nicht alles in einem großen Orkan der Disruption von heute auf morgen in den Abgrund, um durch ein neues, strahlendes Weltgefüge ersetzt zu werden. Da harrte auch kein Millionenvolk im kontinentweiten Reich des großen Umschwungs, während ein verzweifelter Imperator in seinem Befehlsstand bis zum letzten Atemzuge gegen den Bolschewismus — oder die damals modische Variation der großen Querdenkerweltverschwörung — kämpfte und unterging.

Vielmehr ging das so, dass in irgendeiner Randprovinz — und dann in einer nach der anderen — die Menschen das Interesse verloren. Sie warfen das wertlose Blechgeld weg — und gaben späteren Archäologen damit faszinierende Rätsel auf —, pfiffen auf irgendwelche Tributpflichten, verließen die verfallenden Garnisonsstädte, wo sowieso nichts mehr so recht funktionierte, und kümmerten sich um erfreulichere Sachen. Die zu ihrer Kolonisierung dort stationierten Legionäre taten es ihnen gleich, legten die Rüstung ab, lernten die Landessprache, wurden Bauern und nährten sich redlich, und irgendwann hatte niemand mehr eine Ahnung, was es mit diesem seltsamen Kaiser auf sich haben sollte, der in einer seltsamen, hunderttausende Kilometer entfernten Stadt herumresidierte, komische Götter anbetete und angeblich ein Imperium befehligte. Lediglich ein paar Tempel und Statuen blieben stehen und verfielen, von niemandem beachtet, wenn man sich nicht hin und wieder den einen oder anderen Stein herausbrach, den man für den neuen Küchenherd oder als Treppenabsatz gebrauchen konnte.

Den Deutschen muss man solche Geschichten hin und wieder erzählen, weil: Die kennen das anders. Bei denen muss es immer „wumms!“ und „klickeradoms!“ machen, muss in einem kataklysmischen Katastrophentheater wirklich alles in Scherben und Trümmer fallen, damit sie einsehen, dass der Wahn jetzt tatsächlich aus ist. Dann schütteln sie sich, beschwören in historischer Reumütigkeit, sie hätten von nichts gewusst und das alles gar nicht gewollt, seien getäuscht, verführt und betrogen worden, wiegen sich eine Zeitlang in selbstzufriedener Demut und Bescheidenheit, täuschen kollektive Vernunft vor, plärren „Nie wieder!“ und machen sich schließlich daran, den nächsten Wahn zu entfesseln, der meistens das exakte Gegenteil des letzten sein soll und doch dessen identischer Wiedergänger in neumodischer Verkleidung ist. Ich weiß, das ist alles unzulässig vereinfacht, aber das gilt doch für alles, was man über die Welt sagen kann.

Ich kann mich ziemlich gut an die Zeit vor etwas mehr als vier Jahren erinnern, als mal wieder so was losging. Da kündete ein notorisches Diffamierungs- und Hetzblatt an jeder Straßenecke von tausenden Deutschen, die angeblich in chinesischen Flughäfen festsaßen und verzweifelt hofften, evakuiert zu werden aus dem Land, in dem sich eine schreckliche Todesseuche verbreitete und die Menschen massenweise einfach so auf der Straße tot umfielen.

Ich musste beim Anblick der hysterischen Schreckensbotschaften unwillkürlich an den Grafen von Rummelsdorf und seinen Leitspruch denken: „Ist doch alles Quatsch.“ Eine spontane Reaktion, die auf Erfahrung beruhte; schließlich paukte die fürchterliche Großbuchstabenzeitung derartige Horrormärchen alle paar Wochen in die über Generationen sozusagen phylogenetisch grundverängstigte Masse, um zu verhindern, dass aus der Masse durch einen historischen Zufall eine Bevölkerung selbstbewusster, denkender Bürger würde, die womöglich gar eine Demokratie oder etwas Ähnliches errichten könnten. Ach so, und weil der Verlag des Schmutzblatts — von dem ein ehemaliger Bundeskanzlerator tönte, er brauche zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze“ — nicht pleitegehen wollte, was im Prinzip verständlich ist.

Vier Jahre später sind Bild und BamS weitgehend unbemerkt aus dem Stadtbild verschwunden, in die Glotze glotzen nur noch ein paar Unentwegte, die das seit siebzig Jahren tun, um sich über den Wetterbericht und irgendeinen Knallkopf in einer Quasselshow zu ärgern, aber die seltsame Seuche, die sich damals auf dem Weg von China nach Europa — ebenfalls weitgehend unbemerkt — in einen Husten mit saisonal üblichen weiteren Erkältungssymptomen verwandelte, ist irgendwie immer noch da und durchseucht jetzt zwar nicht mehr „vulnerable Gruppen“, dafür aber den Diskurs über so ziemlich jedes Thema, vom Kochrezept bis hin zum Krieg gegen den Russen, zu dessen mentaler Vorbereitung der ganze Schmarrn möglicherweise inszeniert wurde. Wenn mir das damals jemand prophezeit hätte, wäre ich wahrscheinlich heute noch nicht mit dem Lachen fertig.

So aber verfolgte ich staunend und zunehmend fassungslos, wie sich nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt in einen ungeheuren Wahn hineinsteigerte, in dem sich sämtliche Protagonisten, Mitläufer und Komparsen ununterbrochen gegenseitig anstachelten und in einem unbremsbaren Überbietungswettbewerb zu neuen Höhepunkten des totalitären Irrsinns aufpeitschten, von dem man mit ein bisserl innerem Abstand sehr bald wissen musste, dass er unweigerlich irgendwann platzen würde wie ein Riesenluftballon.

Und hinterher käme dann das übliche verkaterte Gejammer und Gewimmer: „Nichts gewusst, bla, bla, verführt und betrogen, bla, bla, nie wieder, bla, bla“ und so weiter.

Vor zwei Wochen veröffentlichte die Zeitschrift Multipolar nach einem jahrelangen juristischen Nervenkrieg die bis dahin geheimgehaltenen und auch jetzt noch tausendfach geschwärzten Protokolle der RKI-Konferenzen zum Komplex „Corona“ — die „RKI-Files“, auf deren mehr als 2.500 Seiten so gut wie jede angebliche Verschwörungstheorie der gefürchteten „Querdenker“ und „Leugner“ hieb- und stichfeste Bestätigung findet, insbesondere aber eine, nun nicht mehr zu leugnende Tatsache, die ja eigentlich schon Angela Merkel im Januar 2021 klar und deutlich ausgesprochen hatte: Die folgenschwersten, dreistesten, umfassendsten und beispiellosen Verfassungsbrüche und Strafmaßnahmen seit dem Zweiten Weltkrieg, dieser heimliche Staatsstreich samt Krieg gegen die eigene Bevölkerung beruhte nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erwägungen, nicht mal auf einem dieser blödsinnigen „Modelle“ oder irgendeiner Art von Expertise, sondern:

„Es gibt in dem Ganzen auch politische Grundentscheidungen, die haben mit Wissenschaft nichts zu tun.“

Wie gesagt: Es war ein Staatsstreich, ausgelöst durch den Befehl einer Person und dokumentiert in drei Sätzen, die wahrscheinlich in die Geschichtsbücher eingehen werden: „Am WE wurde eine neue Risikobewertung vorbereitet. Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald Po ein Signal dafür gibt.“ Der Platzhalter „Po“ ist zusätzlich geschwärzt, damit Hans-Ulrich Holtherm nicht gar so viel Ärger kriegt, oder wenigstens nicht gleich.

Das kriegt man jetzt nicht mehr aus der Welt. Die epochale Bedeutung dieser drei Sätze zeigte sich an den Reaktionen der Staats- und Propagandamedien, die einem Hühnerhaufen ähnelten, in den jemand einen Satz Bombastik-Buff-Bomben geschmissen hat: Es wurde abgewiegelt, „geframet“, geleugnet und verleumdet, was das Zeug hielt. „Rechts“ sei diese Zeitschrift und somit auch die enthüllte Wahrheit, sie stehe „Verschwörerkreisen“ nahe, sei querdenkerisch und dies und das, und ebenso wie schon Seymour Hershs Nordstream-Reportage und Tucker Carlsons Putin-Interview solle man das alles doch bitte, bitte nicht lesen, sondern ignorieren und brav im Gleichschritt weitermarschieren. Die Oberinquisitorenkasper der abstrusen Pseudowissenschaft, Lallerbach und Dahmen, krähten gar den Putin herbei, verdächtigten ausländische Nachrichtendienste hinter Multipolar und machten sich mit ihrem verzweifelten Banngeschwurbel noch lächerlicher, als sie seit Jahren sind.

Als alles nichts half, musste der ARD-Faktenblinde Pascal Siggelkow einspringen, aber selbst dieser Haupthampel der Antiaufklärung scheint mit seinem Latein am Ende und konnte nicht mal irgendwas mit pflanzenförmigen Sprengbomben liefern: Es habe damals „erste Anzeichen für ein klassisches exponentielles Wachstum auch in Deutschland“ gegeben, lässt er seinen Sidekick Emanuel Wyler schwindeln, der schon die Enthüllung über die DNA-Verunreinigungen in den Genspritzsubstanzen mit einem halben Meter Bohnenstroh zu bedecken versucht hatte, und zerrt dazu noch den uralten Bergamo-Fake aus dem Schrottlager der Propagandalügen.

Wer den ebenso wirren wie erbärmlichen Riemen ganz durchsteht, denkt unweigerlich an ein Pfeifen auf dem letzten Loch und die Ratten auf der „Titanic“, die sich im überschwemmten Kielraum zurufen, es sei alles gut und schön, das Orchester spiele ja noch, blubb! (Hier werden übrigens nicht Menschen mit Tieren gleichgesetzt, wie das deutsche Staatskomiker gerne mal mit Kindern und Blinddärmen tun!) Nein, diesmal, dachten wir und denken wir vielleicht bei Erscheinen dieser Kolumne immer noch, diesmal ist Schluss mit dem Wahn, jetzt sind sie aufgeflogen!

Es gab in den letzten vier Jahren in hübsch unregelmäßiger Regelmäßigkeit alle paar Tage oder Wochen solche Momente: wo wir das dachten: Jetzt ist es vorbei, das war’s, nun endlich muss es auch der Letzte kapieren. Aber so laufen Epochenbrüche halt meistens nicht, siehe Römisches Reich, das jahrhundertelang vor sich hinbröselte und dessen tatsächlichen Untergang man erst Jahrhunderte später bemerkte: Hoppla, wie ist denn das passiert?

Dessen Münzen übrigens waren in Südspanien noch zu Napoleons Zeiten im Umlauf, und niemand, der damit seinen Kaffee oder seine Zigarre bezahlte, ahnte, welcher Kaiser das Zeug tausendfünfhundert Jahre zuvor prägen hatte lassen oder dass es diesen Kaiser überhaupt jemals gegeben hatte.

Es wird immer welche geben, die nichts wissen wollen, nicht begreifen mögen, dass da kein Wasserschaden an der Wand ist, sondern die Wand, das Zimmer, das Haus und die Stadt, in der sie sich wähnen, nie erbaut wurde. Die noch zu Bismarcks Zeiten wussten, dass Hexen böse sind und der Kaiser von Gott gesalbt. Die noch 1955 behaupteten, ihr Großvater sei 1914 von einem Bankier namens Goldstein oder Rothschild zum Kauf von Kriegsanleihen verführt worden, weshalb an dieser jüdischen Weltverschwörung doch was dran sein müsse. Es wird auch immer welche geben, die solche Geschichten nicht kapieren und meinen, die Nennung der Namen Goldstein und Rothschild sei strukturell antisemitisch.

Es wird immer welche geben, die dem Irrwahn anhängen, nur Krieg führe zum Frieden, nur Ausbeutung schaffe Wohlstand, nur Impfung bringe Gesundheit, und Unterwerfung und Sklaverei seien die Grundbedingung der Freiheit. Es wird auch immer welche geben, die sich noch 2035 beim ersten Frost im November eine Staubschutzkappe vors Gesicht schnallen, weil das doch irgendwie geholfen habe damals. Die Menschheit besteht seit ihrem Ursprung zu einem nicht geringen Teil aus Deppen; irgendwann ist jeder mal ein solcher, und Verblödung kann man niemandem vorwerfen, zumal wenn sie von einem mächtigen Regime mit dem gesamten Register von Panikgespensterbeschwörung und Psychokriegswaffen absichtlich betrieben wird. Die Hoffnung auf das große, ruckartige und gesamtgesellschaftliche Erwachen ist ein Popanz, der nur äußerst selten — und dann meistens nur in der deutschen Geschichte — wirkliche Gestalt und gestaltende Wirkung annimmt.

Auch Kriege enden manchmal so, übrigens: Indem die Soldaten keine Lust mehr haben, ihren General aus dem Fenster schmeißen oder im Klo einsperren, den Tornister packen und dort hingehen, wo sie hingehören: nach Hause.

Selbst in modernsten Kriegen kann das passieren; sogar eine Atombombe kann kein irrer Führer ganz alleine zünden. Dafür braucht er Helfer, und die können das Ding genauso gut heimlich sabotieren. Wer weiß, ob sie das nicht längst getan haben, wir wissen ja so wenig, während das Theater in wackeliger Kulisse immer noch weiterläuft, obwohl längst alles geklärt ist.

Aber immer und jedes Mal bleiben irgendwann nur noch Einzelne übrig, die am alten Wahn und Glauben festhalten, schrullige Dickköpfe, mit denen ansonsten schon einigermaßen auszukommen ist. Die übrigen finden zufällig in den Tiefen des Internets ein „RKI-Dashboard“ oder eine „bayerische Infektionsschutzverordnung“ und haben keine Ahnung, was dieser Idiotenschmarrn vor langer Zeit mal bedeutet haben könnte.

Immer wieder haben wir in den letzten Jahren, wenn mal wieder so ein „Jetzt muss es jeder einsehen!“-Augenblick eintrat und verging, das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zitiert und beschworen und gepredigt, der Kaiser sei nackt und das müsse man doch endlich mal begreifen. Bemühen wir es ein letztes Mal in einer neuen Variante: Der Kaiser ist nicht nackt. Es gibt keinen Kaiser, es hat nie einen gegeben.

Außer in Bild, BamS und Glotze. Aber die hat es ja eigentlich auch nie gegeben.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst als Podcast bei Radio München:

Belästigungen #22: Der unbemerkte Untergang des Corona-Reichs

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