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Der Tod der Vernunft

Der Tod der Vernunft

Gunter Frank ist mit „Der Staatsvirus“ eine sachliche Aufarbeitung der Corona-Krise gelungen. Eine Buchempfehlung.

Tiefschwarze Lettern, knallrot ausgefüllt, prangen auf klinisch weißem Hintergrund. Stolz präsentiert sich der Titel: „Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb“. Gunter Franks Covergestaltung erregt Aufmerksamkeit — und sicher auch manche Gemüter. Doch wer sich auf seinen Deutschunterricht besinnt, weiß: Ein steiler Titel, der neugierig macht, ist im Grunde etwas Gutes.

Überhaupt ist es Neugierde, die dazu führt, ein fundiertes Verständnis von der Wirkweise eines epidemischen Virus wie SARS-CoV-2 zu entwickeln. Man könnte zwar sagen, dass wir gewissermaßen alle, wo wir doch seit zwei Jahren überall von diesem Virus hören, hinreichend informiert sind. Doch die täglich neue, bruchstückhafte Berichterstattung eignet sich nur bedingt für eine ganzheitliche Einschätzung der Krise. Deshalb lohnt das Lesen eines fachlich qualifizierten Buches. Um ein solches zu schreiben, braucht es viel Geduld und Quellen mit hohem wissenschaftlichen Anspruch. Gunter Frank verbindet beides — und bietet gerade deshalb einen gelungenen Einstieg in den Themenkomplex Corona.

Selbstverständlich hat sein Buch auch einen politischen Gehalt. Aus der wissenschaftlichen Analyse eines viralen Erregers ergeben sich automatisch Handlungsratschläge an die Politik. Dass Gunter Franks Vorschläge anders ausfallen als manche, die in den vergangenen zwei Jahren politisch umgesetzt wurden, sollte vom Lesen nicht abhalten. Wir werden in dieser Rezension sehen, dass etwa der Schutz der Pflegeheime im Winter 2020 / 2021 sehr viel besser hätte ausfallen müssen — wenn es nach Frank ginge.

Der Blick eines Allgemeinarztes

Man muss nicht unbedingt Epidemiologe oder Virologe sein, um einen qualifizierten Blick auf das Corona-Virus zu werfen. Vor allem die behandelnden Ärzte sind es schließlich, die mit den unmittelbaren Folgen der Erkrankung konfrontiert sind.

Auch Gunter Frank zählt zu ihnen. Als Hausarzt steht er an vorderster Front, sieht die schweren Verläufe, die Corona nehmen kann, nimmt aber auch wahr — im Gegensatz zu manchem Chefarzt einer Intensivstation —, dass viele Fälle harmlos verlaufen. Ein Hausarzt muss unterscheiden können, wie gefährlich ein neuer Erreger für den Erkrankten ist und, in Abgrenzung dazu, wie gefährlich dieser Erreger für die Gesamtgesellschaft ist.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen spielerisch einige Quizfragen stellen, die essentiell sind, um die Corona-Krise zu verstehen:

  1. Was ist der Unterschied zwischen SARS-CoV-2 und Covid-19?
  2. Was ist eine „Zoonose“?
  3. Was ist mit einer CFR gemeint — und was bedeutet sie in Abgrenzung zur IFR?
  4. Wie hoch ist das Risiko für Personen unter 70 Jahren, an Covid-19 zu versterben?
  5. Wie viele Menschen sind durch Long-Covid betroffen — und gibt es Aussicht auf Heilung?

Die Antworten auf diese Fragen finden sich im ersten Buchteil und sind der rote Faden dieser Rezension.

Franks Perspektive auf die Krise ist aber noch aus einem anderen Grund interessant:

„Hausärzte sind auch Spezialisten für den Blick aufs Ganze, der im Rahmen der Corona-Krise zu kurz kam. Wir sehen oft, dass Behandlungen, die zum Schutz eines Organs verordnet werden, manchmal den ganzen Körper krankmachen. Und dass präventive Therapien sich durch ihre Nebenwirkungen auf lange Sicht nicht selten schädlicher auswirken als die Krankheit, vor der sie schützen sollen. Und so lautet aus gutem Grund der wichtigste medizinische Grundsatz, der auf den antiken Arzt Hippokrates zurückgeht: Eine Therapie darf nicht mehr schaden als die Krankheit selbst“ (2).

So wägt der Autor im zweiten Buchteil Kosten und Nutzen diverser Corona-Maßnahmen ausführlich gegeneinander ab. Hierin liegt der Vorteil eines Buches gegenüber zahlreichen Online-Artikeln: Franks Blick ist ruhig. Er stellt Querverbindungen heraus, die im Tagesgeschäft der Zeitungen untergehen, und überprüft die Maßnahmen zugleich auf ihre medizinischen wie gesellschaftlichen Folgen.

Der dritte und letzte Teil ist Franks persönliches Resümee der Krise. Diese Kapitel sind subjektiv, das liegt in der Natur der Sache. Sie dürfen mit der entsprechenden Distanz gelesen und als Denkanreize verstanden werden.

Corona verstehen

Kommen wir zurück auf die eingangs gestellten Quizfragen. Tatsächlich existiert ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied zwischen SARS-CoV-2 und Covid-19:

SARS-CoV-2 beschreibt den Viruserreger und seine Varianten, Covid-19 ist der Name der daraus gegebenenfalls resultierenden Krankheit.

Demnach kann Sie niemand mit Covid-19 infizieren, sondern nur mit SARS-CoV-2. Die Unterscheidung klingt banal, doch auch andere Erreger unterscheiden wir sprachlich rigoros von ihrem Krankheitsbild, so etwa HIV und Aids. Wer mit der angemessenen Sachlichkeit über die Corona-Krise berichten möchte, sollte die Anwendung dieser Begriffe beherrschen. Wie singt der Schriftsteller und Musiker Sven Regener so schön: „Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg.“

Nix mit Tiergarten

Nun zur Frage, was eine „Zoonose“ ist. Das ist schnell erklärt: Zoonosen sind virale Erreger, die „zwischen Tier und Mensch hin- und herwechseln können. Seit den 1960er-Jahren sind sie als Auslöser von Atemwegsinfektionen bekannt und gelten als Ursache für etwa 15 Prozent aller Erkältungskrankheiten bei Erwachsenen. Corona-Viren haben in den Jahren 2002 (SARS) und 2012 (MERS) Aufmerksamkeit erregt“ (3).

Ebenso wie die Influenza zählt auch SARS-CoV-2, das „Corona-Virus“, zu den Zoonosen. So wurde SARS-CoV-2 etwa im August 2021 in mehreren US-Staaten bei amerikanischen Weißwedelhirschen nachgewiesen. Brisant daran ist:

„Die Viren überdauern und mutieren in Tieren und werden dann wieder auf Menschen übertragen. Deshalb gibt es auch jedes Jahr neue Grippe-Impfstoffe. Ausrotten lässt sich eine Zoonose nicht.“ (4)

Initiativen wie Zero Covid, die das Corona-Virus erklärtermaßen mit harten Lockdowns ausrotten wollen, sind daher schlichtweg Unsinn. Auch Impfungen sind hierzu nicht geeignet, sofern sie nicht zu steriler Immunität führen, also die Weitergabe des Virus an Dritte verhindern. Es gab und gibt Impfungen, die dies leisten, so etwa die Impfung gegen Pocken.

Die derzeit verfügbaren Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 stellen allerdings keine sterile Immunität her. Seit der Ausbreitung der Delta-Variante können auch Geimpfte sich anstecken und andere infizieren. Dies wird mit der Omikron-Variante noch häufiger passieren. Was das für die medizinische Eignung der Maßnahme „Impfpflicht“ bedeutet, mag sich jeder selbst denken.

Kennziffern der Krise

Kommen wir nun auf die zwei wesentlichen Kennziffern einer jeden Pandemie zu sprechen: IFR und CFR. Gunter Frank erklärt beide Werte gut verständlich:

„Die Infektionssterblichkeit wird in Prozent angegeben, also: Wie viele von 100 Infizierten sterben an dieser Krankheit? In der internationalen Fachsprache wird sie als IFR (infection fatality rate) bezeichnet. Nicht zu verwechseln mit der Fallsterblichkeit oder CFR (case fatality rate). Die IFR bezieht sich auf alle Infizierten, während die CFR sich nur auf die als erkrankt Gemeldeten bezieht. (…)

Die CFR ist für den behandelnden Arzt wichtig, um die Schwere der Erkrankung, mit der der Patient zu ihm kommt, einschätzen zu können. Ist sie hoch, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient daran verstirbt. Für die Bewertung der Gefährlichkeit für die Gesellschaft überschätzt die CFR jedoch die Sterblichkeit. Hier zählt die IFR“ (5).

Hiermit macht Frank den Unterschied deutlich: Die CFR fällt stets höher aus als die IFR. Beide Ziffern beruhen auf Todeszahlen, werden allerdings für unterschiedliche Vergleichsgruppen errechnet. Wenn wir den Prozentsatz an Toten nur innerhalb der kleineren Gruppe der Erkrankten berechnen, erhalten wir einen höheren Wert, als wenn wir die Todeszahlen ins Verhältnis mit allen Infizierten setzen, die natürlich eine viel größere Gruppe ausmachen.

Außerdem kann man diese Kennziffern für unterschiedliche Altersgruppen und für unterschiedliche Orte berechnen. So wird die CFR in einem Altersheim deutlich höher ausfallen als in einem Studentenwohnheim. Weil in der letzteren Altersgruppe nur äußerst selten — im Verhältnis zur hohen Zahl der Infizierten in dieser Gruppe — schwere Verläufe auftreten, die noch seltener tödlich enden, tendiert die CFR in der Altersgruppe der Studenten tatsächlich gegen Null.

Ein folgenschweres Versäumnis

Zu Beginn des Jahres 2020 nahm das Robert-Koch-Institut (RKI) eine rudimentäre Berechnung der CFR vor. Rudimentär deshalb, weil damals noch nicht genau zwischen „an oder mit Covid-19 gestorben“ unterschieden wurde. Im Klartext: Es gingen Menschen in die Statistik ein, die gar nicht ursächlich an Covid-19 verstarben, sondern wegen anderer Leiden. Die Daten waren also verzerrt. Zudem waren bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich ältere, vorerkrankte Menschen verstorben. Die damals errechnete CFR ist deshalb nicht gleichbedeutend mit der CFR in der Gesamtbevölkerung.

Heraus kamen damals erschreckend hohe Prozentsätze von bis zu 7 Prozent Fallsterblichkeit. Diese gelten aus den eben genannten Gründen hauptsächlich örtlich begrenzt für Pflegeheime. Der eigentliche Fehler bestand allerdings in der Kommunikation dieser Zahl. Das RKI versäumte es tatsächlich, darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Werten um die CFR handelte.

Einige Wissenschaftler, vor allem aber viele Medienschaffende interpretierten den Wert fälschlicherweise als IFR. In der Konsequenz würde dies bedeutet, dass 7 Prozent aller Infizierten sterben, eine enorm hohe Zahl. Wir hätten „mit Leichen auf den Straßen rechnen müssen“, wäre dies der Fall gewesen, schreibt Frank (6). Aber die Prozentzahl gab eben nicht die IFR wieder, sondern eine überschätzte CFR. Auf dieser frühen Verwechslung basierte ein Großteil der panischen Überreaktion, die in den folgenden Monaten jede Schlagzeile bestimmte.

Damit mich niemand falsch versteht:

Jeder an Covid-19 Verstorbene ist ein tragischer Fall. Das sollte natürlich keinen Wissenschaftler davon abhalten, die Todesfälle in prozentuale Verhältnisse zu setzen und deutlich zu sagen, dass sie die Ausnahme in bestimmten Altersgruppen sind, wenn die Daten dies belegen.

Anderenfalls wären wir nicht imstande, die Gefährlichkeit eines neuen Erregers verlässlich einzuschätzen oder angemessene Maßnahmen einzuleiten.

Die Ergebnisse aus Stanford

Frank macht deutlich, dass die IFR der Knackpunkt der gesamten Corona-Politik ist. Mit ihr lässt sich einschätzen, welches Risiko für den größten Teil der Bevölkerung besteht. Wenn die IFR des Corona-Virus höher ausfällt als bei vergleichbaren Krankheiten, sind besondere Maßnahmen womöglich gerechtfertigt. Wenn sie allerdings ähnlich niedrig oder sogar geringer ausfällt als die IFR anderer Erkrankungen, für die wir keine vergleichbaren Maßnahmen durchsetzen, sollte uns das zu denken geben.

Deshalb ist die vierte Quizfrage essentiell: Wie hoch ist das Risiko für Personen unter 70 Jahren, an Covid-19 zu versterben?

Mit anderen Worten: Wie hoch ist die IFR dieses Personenkreises? Hierfür müssen wir ein wenig ausholen.

Der Stanford-Professor John P. Ioannidis ist einer der weltweit anerkanntesten Forscher. Seine Fachgebiete lauten Epidemiologie und Metaforschung. Das weniger bekannte zweite Gebiet beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung von Forschung — es ist „Forschung über Forschung“.

Schon im März 2020 stellte Ioannidis gemeinsam mit seinem Team Untersuchungen zur IFR von SARS-CoV-2 an. Sie berechneten beispielsweise die IFR für Pflegeheime in den USA und gelangten mit 8 Prozent Fallsterblichkeit zu einem ähnlichen Ergebnis wie das RKI, allerdings ohne den Fehler zu machen, diesen Wert auf die Gesamtbevölkerung zu beziehen.

Bereits im Frühjahr 2020 war somit klar, dass die Menschen in Pflegeheimen besonderen Schutzes bedurften. Die Regierungsparteien hätten damals sofort ausreichend Geld in die Hand nehmen und sämtliche Pflegeeinrichtungen gezielt schützen müssen. Gunter Frank schlug hierzu in seinem Bericht zur Corona-Lage am 7. April 2020 vor,

  • ausreichend Schutzkleidung für die Mitarbeiter von Pflegeheimen und ambulante Pflegedienste zur Verfügung zu stellen,
  • schlecht bezahlte Pflegekräfte mit einem finanziellen Bonus auf die Zusatzbelastung zu versorgen und zusätzliche Hilfskräfte zu verpflichten,
  • Schulungspersonal bezüglich Hygienemaßnahmen für Pflegekräfte vor Ort zur Verfügung zu stellen,
  • polizeibewachte Schleusen vor den Eingängen einzurichten,
  • alleinlebende Pflegebedürftige in Hotels einzuladen, unter dem gleichen Hygieneregime, und das Ganze human und akzeptabel zu gestalten.

Niemand kann sagen, es hätte zum Lockdown keine Handlungsalternativen gegeben.

Was die IFR der Gesamtbevölkerung in den USA angeht, fielen Ioannidis‘ erste Ergebnisse im März 2020 recht grob aus. Sie bewegten sich in einem Schwankungsbereich zwischen 0,025 und 0,625 Prozent. Diese unterschiedlichen Werte erklären sich, da die USA je nach Bundesstaat eine recht unterschiedliche Alters- und Besiedelungsstruktur aufweisen.

In den kommenden Monaten arbeiteten Ioannidis und sein Team daran, ihre Ergebnisse zu präzisieren. Nun wird es richtig interessant.

Die IFR von SARS-CoV-2

Zu Ioannidis‘ Studien schreibt Gunter Frank:

„Am 14. Oktober 2020 veröffentlichte die WHO auf ihrer Homepage offiziell die von ihm durchgeführte Metastudie mit dem Titel: ‚Infection fatality rate of Covid-19 inferred from seroprevalence data‘. In dieser Arbeit wertet Ioannidis mehr als 60 über die Welt verteilte Antikörperstudien aus.“

Dies also ist Metaforschung: Eine Studie, die die Ergebnisse von mehr als 60 internationalen Studien vergleicht und auswertet. Wie erwähnt, ist Ioannidis auch auf diesem Forschungsgebiet führend. Nun folgen die IFR-Werte für unterschiedliche Standorte:

„In 51 Standorten errechnete er eine IFR von 0,23 Prozent. In Regionen mit weniger als 118 Todesfällen pro eine Million Menschen errechnete er eine IFR von 0,09 Prozent. Da, wo 118 bis 500 Covid-19-Tote pro eine Million Einwohner gezählt wurden, betrug die IFR 0,2 Prozent. An noch stärker betroffenen Standorten wie New York betrug die IFR 0,57 Prozent.“

Wieder sehen wir, dass die IFR je nach Ort und lokaler Altersstruktur schwankt. Nun die Eine-Million-Dollar-Frage: Welcher Wert kommt heraus, wenn man den Durchschnitt der weltweiten Infektionssterblichkeit aller unter 70-jährigen Infizierten berechnet? Ioannidis‘ Ergebnis:

„Bei Menschen unter 70 Jahren betrug die IFR generell 0,05 Prozent“ (7). Das übersteigt die IFR einer mittelschweren Influenza-Welle nicht. In jungen Altersgruppen, etwa bei Schülern, fällt die IFR noch niedriger aus.

Der Sachverhalt lässt sich auch anders ausdrücken: Über 99 Prozent der mit SARS-CoV-2 Infizierten überleben die Infektion. Das ist wahrlich kein Merkmal eines „Killervirus“.

Von den unter 20-Jährigen, zu denen alle Schüler zählen, überleben weltweit 99,9987 Prozent eine Infektion mit SARS-CoV-2. Von den über 70-Jährigen außerhalb der Pflegeheime überleben 97,1 Prozent. Für die Bewohner von Pflegeeinrichtungen gilt eine Überlebensrate von 95,1 Prozent. Dies sind die Ergebnisse des weltweit anerkanntesten Forschers auf dem Gebiet der Epidemiologie.

Zudem lässt sich festhalten: Bei 95 Prozent der Infizierten verläuft die Infektion symptomlos oder mild (8). Nur 5 Prozent aller Infizierten erleiden überhaupt einen schweren Verlauf. Einige von ihnen müssen auf der Intensivstation behandelt werden; diese Patienten sind überwiegend sehr alt oder schwer vorerkrankt. Das Durchschnittsalter der an Covid-19 Verstorbenen liegt in Deutschland bei 83 Jahren (9). Sie sind die Risikogruppe. Sie müssen bestmöglich geschützt und versorgt werden. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellt SARS-CoV-2 aber keine tödliche Bedrohung dar.

Bedenken sollte man außerdem, dass die im Buch vorgestellten Erkenntnisse für die ursprüngliche Wuhan-Variante sowie für die Delta-Variante von SARS-CoV-2 gelten. Die Omikron-Variante weist eine deutlich geringere Hospitalisierungsrate auf, ist also für die breite Bevölkerung noch ungefährlicher als ihre Vorgänger. England und Dänemark haben angesichts der milden Omikron-Verläufe bereits die Aufhebung aller Maßnahmen durchgesetzt.

Long-Covid und die Heilungsaussicht

Bleibt noch die Frage zu klären, wie viele Infizierte von Long-Covid betroffen sind und welche Heilungsaussicht sie haben.

Die drei häufigsten Long-Covid-Symptome — auch außerhalb der Risikogruppen — sind Fatigue, was sich mit „Antriebslosigkeit“ oder „Ermüdung“ übersetzen lässt, Kopfschmerzen und Aufmerksamkeitsdefizite. Luftnot ist ebenfalls eine mögliche, aber sehr seltene Folge. Geschmacksverlust kann bis einige Monate nach der Infektion anhalten.

Als Gunter Frank im Mai 2021 sein Buch veröffentlichte, schätzte man, dass circa 1 bis 10 Prozent der erkrankten Patienten Long-Covid entwickeln (10). Dies wurde inzwischen genauer untersucht. Die Webseite von „Zusammen gegen Corona“, einer Initiative des Bundesgesundheitsministeriums, nennt einen Prozentsatz von 10 bis 15 aller Erkrankten und bezieht sich dabei auf die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). In der betreffenden Studie (Download) wird die Fortdauer der Symptome nochmals genauer aufgeschlüsselt. So zeigten sich bei „13,3% der Test-positiven Studienteilnehmer/innen Symptome ≥28 Tage, bei 4,5% ≥ 8 Wochen und bei 2,3% ≥ 12 Wochen Dauer“ (PDF-Seite 7).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass durchschnittlich nur 10 Prozent der erkrankten Personen mit Long-Covid-Symptomen konfrontiert sind, die unterschiedlich schwer ausfallen.

Was die Heilungsaussicht angeht, reflektierte Gunter Frank im Frühjahr 2021 die Erfahrung vieler seiner Kollegen: Es „besteht die Hoffnung, dass bei den allermeisten Betroffenen die Symptome spätestens nach sechs Monaten zurückgehen“ (11). Dies hat sich mittlerweile weitestgehend bestätigt. In der Studie der DGP zeigte sich, dass die Beschwerden der Teilnehmer nach maximal drei Monaten abklangen, eher früher. Der bekannte Virologe Alexander Kekulé fasste den aktuellen Kenntnisstand zu Long-Covid in einem kürzlich erschienen Interview wie folgt zusammen:

„Die meisten Erkrankten werden nach vier Monaten wieder gesund. Bei einigen dauert es länger, etwa sechs bis acht Monate. Und die gute Nachricht ist: Fast alle Long-COVID-Symptome und gerade die neurologischen Störungen, also Konzentrations- oder Schlafstörungen zum Beispiel, sind fast immer nach einem Jahr vorbei.“

Massenmediale Long-Covid-Panik

Nun folgt eine würzige Portion Medienkritik. Anstatt nämlich deeskalierend zu berichten, wie es die vorgestellten Daten durchaus nahelegen, schürten die meisten deutschen Medien im Sommer 2021 — nach dem Erscheinen von Franks Buch — Panik vor den Long-Covid-Symptomen. Auf die Spitze trieb es der SPIEGEL. Dort titelte man im Juli 2021 geradezu fatalistisch: „Wird Long Covid zur neuen Volkskrankheit?“

Nicht weniger dramatisch fiel der Untertitel aus:

„Jeder zehnte Corona-Patient betroffen. Zehntausende Deutsche könnten unter Langzeitfolgen des Virus leiden, ihnen drohen etwa Gedächtnisverlust, Herzrasen oder Atemnot. Bisher weiß niemand, ob eine Heilung möglich ist. Die SPIEGEL-Titelstory.“

Gemessen an den wissenschaftlichen Daten zu Long-Covid ist diese Schlagzeile ein schlechter Witz.

Wir erinnern uns: Lediglich 5 Prozent aller Infizierten erkranken. Von diesen 5 Prozent entwickeln circa 10 Prozent Long-Covid-Symptome. Wiederum nur ein Teil von ihnen entwickelt schwere Symptome.

Es geht hier um einen Bruchteil eines Bruchteils eines Bruchteils. Von einer „neuen Volkskrankheit“ zu sprechen, ist pure Angstmacherei.

Aber die Krönung der Schlagzeile ist die Aussage: „Bisher weiß niemand, ob eine Heilung möglich ist.“ Dies steht in der SPIEGEL-Titelstory, nachdem offizielle Daten längst belegt hatten, dass nach wenigen Monaten in der Regel Schluss ist mit den Symptomen. Die Heilung findet sogar natürlicherweise statt. Allein die Studie des GDP war bereits Wochen zuvor erschienen, und sie war nicht die einzige.

Der SPIEGEL hingegeben beschäftigte — das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen — ganze fünf Journalisten, die diesen Artikel unter geteilter Autorenschaft veröffentlichten, ohne dass auch nur einer von ihnen sauber recherchiert hätte. Zu behaupten, es gäbe keine Heilungsaussichten, nachdem belastbare Studien längst das Gegenteil nachgewiesen haben, ist ein journalistisches Armutszeugnis.

Die Folge einer solchen „Berichterstattung“ ist, dass bei einem Großteil der Leser die Angst vor Long-Covid zunimmt. Jene Studien, die Entwarnungen aussprechen, finden den Weg an die Öffentlichkeit nicht, wenn Medienschaffende meinen, „die Faktenlage“ bereits zu kennen. In vielen Fragen der Epidemie setzten sich wissenschaftliche Erkenntnisse erst nach Monaten durch, wenn sie den bisherigen Verlautbarungen von Regierungen und Medienredaktionen widersprachen — so geschehen beim R-Wert, bei den Inzidenzen, bei den Lockdowns.

Beruhigende Nachrichten, die es durchaus gibt, blieben in dieser Krise oft nur deshalb aus, weil Journalisten ihren eigenen, beschränkten Kenntnisstand mit der Gesamtheit des aktuellen Wissenschaftsdiskurses verwechselten. So kommen überdramatisierte Schlagzeilen wie die obige zustande — fernab von Wissenschaftlichkeit und Vernunft.

Panik — das war die eigentliche Volkskrankheit der letzten zwei Jahre.

Ein vorläufiges Fazit

In dieser Rezension wurden die wichtigsten Erkenntnisse aus dem ersten Buchteil zusammengefasst. Was Maßnahmen mit Schattenseiten, wie etwa die Lockdowns, medizinisch bewirkt haben, erfahren Sie im zweiten Teil des Buches. Wie es so weit kommen konnte, darüber regt der dritte Teil zum Nachdenken an.

Wie kaum ein anderer Autor besticht Gunter Frank in der Corona-Krise mit einer klaren Sprache, transparent aufbereiteten Daten und dem Blick des Forschers. Auf nur 200 Buchseiten fasst er die grundlegenden Parameter der Krise konzis, aber espritreich zusammen. Ausgerechnet mit jenen Themen, die wir alle schon nicht mehr hören können, erfrischt er. Wer per Anhalter durch die Politik der vergangenen zwei Jahre reisen möchte, findet in Frank den besten Fahrer, den sich ein neugieriger Leser wünschen kann.

Wenn ich Ihr Interesse für den „Staatsvirus“ geweckt habe, so spreche ich Ihnen zum Abschluss gerne eine Empfehlung für den Erwerb aus: Hier bestellen Sie direkt beim Verlag. Wer dieses Buch gelesen hat, kann tatsächlich von sich sagen, über die Corona-Krise bestens informiert zu sein.


Quellen und Anmerkungen

(1) Gunter Franks regelmäßige Updates zur Corona-Lage lesen Sie hier.
(2) Frank, Gunter (2021): Der Staatsvirus. Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb, Berlin. S. 7 bis 8
(3) Ebenda, S. 36. Das „%“-Zeichen im Originalzitat wurde zum Zweck der besseren Lesbarkeit durch das ausgeschriebene Wort ersetzt.
(4) Ebenda, S. 116
(5) Ebenda, S. 30
(6) Ebenda, S. 31
(7) Ebenda, S. 33. Das „%“-Zeichen im Originalzitat wurde zum Zweck der besseren Lesbarkeit durch das ausgeschriebene Wort ersetzt.
(8) Ebenda, S. 15, S. 62
(9) Ebenda, S. 18
(10) Ebenda, S. 16
(11) Ebenda, S. 62


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