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Der überflüssige Souverän

Der überflüssige Souverän

Julia Klöckners abschätzige Äußerungen über Bürgerräte offenbaren vor allem ihr defizitäres Verständnis von Demokratie.

Inspiriert zu diesem Artikel haben mich mir zugesandte Zeilen von meinem geschätzten Mitstreiter und echten Demokraten Christian Hamann. Hier sein Anschreiben an mich:

„Hi Uwe,

die demokratieferne Entscheidung der Bundestagspräsidentin gegen Bürgerräte liefert dem Freidenkerlager eine Gelegenheit, ihre linken und konservativen Mitstreiter einander näher zu bringen. Bei diesem Thema haben die Abgeordneten der Linken endlich zu der notwendigen Entschlossenheit und zum korrekten Ton gegenüber den realitätsentrückten Opportunisten von den Unionsparteien gefunden.

Mein unten folgender Artikel zeigt den weiteren historischen Kontext und benennt die Verantwortlichen. Du kannst ihn bei Gefallen selbst veröffentlichen und gerne auch weiterreichen.“

Seinen kurzen, doch prägnanten und treffenden Artikel können Sie sich etwas später, am Ende dieses Beitrags zu Gemüte führen.

Wesen, Sinn und Zweck von Bürgerräten

Ein Bürgerrat ist ein Gremium aus zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern — meist 30 bis 200, je nach Verfahren. Die Teilnehmer werden meist per Zufallsauswahl ausgelost, manchmal aber auch systematisch geschichtet ausgewählt, zum Beispiel nach Alter, Geschlecht, Region oder Bildungsstand, um einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden.

Die Teilnehmenden treffen sich mehrfach, diskutieren gemeinsam ein bestimmtes Thema und erhalten dafür Hintergrundinformationen von Experten. Unterstützt werden sie von einer neutralen Moderation, die einen offenen Dialog fördern soll. Das Endergebnis ist ein sogenanntes Bürgergutachten mit Empfehlungen und Vorschlägen, das an politische Entscheidungsträger übergeben wird.

Seit 1972 gab es rund 300 losbasierte Beteiligungsverfahren in Deutschland. Die Ampelkoalition hatte als erste Regierung einen Bürgerrat ins Leben gerufen, dem 160 Menschen angehörten und der Vorschläge zum Thema Ernährung vorlegte. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Großen Koalition heißt es dazu:

„Ergänzend zur repräsentativen Demokratie setzen wir dialogische Beteiligungsformate wie zivilgesellschaftliche Bürgerräte des Deutschen Bundestages fort.“

Diese demokratische Institution soll eine Vielfalt der Meinungen abbilden und politische Entscheidungen durch Alltagswissen und Perspektiven aus der Bevölkerung bereichern. Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten sollen Gehör finden, Kompromisse erarbeiten und praxisnahe Lösungen entwickeln. Das Alltagswissen beziehungsweise Erfahrungswissen der Teilnehmenden und das Fachwissen der sie informierenden Experten soll verknüpft werden.

Schön gedacht — doch in der Praxis dienen viele Bürgerräte oft nur als Feigenblatt, um politische Entscheidungen vermeintlich „demokratischer“ aussehen zu lassen. Sie treffen keine verbindlichen Entscheidungen, sondern sind in beratender Funktion tätig. Sie liefern Empfehlungen und Meinungen an Parlamente oder Verwaltungen. Ihre Funktion liegt in der Beratung, Mitsprache und Sichtbarmachung von gesellschaftlichen Perspektiven, und nicht in formeller Entscheidungsmacht. Das Erfahrungswissen der Teilnehmenden wird zwar mit dem Fachwissen beratender Expertinnen und Experten verknüpft, doch am Ende zählt nur, was den etablierten Politikern passt.

Kurz: Bürgerräte sind ein Instrument, das nach außen Demokratie demonstriert, innenpolitisch aber kaum Wirkung entfaltet — eine Inszenierung für den Schein, während die echten Entscheidungen weiterhin in den Händen von Politikern liegen, die sich längst von den Interessen der Bevölkerung entfernt haben. Wenn sich die Protagonisten in den Parlamenten und Verwaltungen ein wenig an den Ergebnissen der Bürgerräte orientieren würden — was sie aber offensichtlich nicht tun — könnte sich die berechtigte Politikverdrossenheit der Bevölkerung zumindest etwas abmildern.

Stattdessen tun diese als Demokraten getarnten Autokraten so, als seien Bürgerräte überflüssig und könnten abgeschafft werden. Klar, wen interessiert schon die Meinung des Volkes, das in der Politik lediglich einen unliebsamen Störfaktor darstellt, wenn es gilt die Ziele der Macht- und Besitzeliten bestmöglich durchzusetzen? Dass wir keine Demokratie — also keine „Volksherrschaft“ — mehr haben (und auch nie hatten), sondern eine Plutokratie — die Herrschaft des Geldes —, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Dass das Volk der Souverän sein sollte, scheint im Altparteienkartell komplett in Vergessenheit geraten zu sein.

Die Corona-Zeit hat gezeigt, und die von Politikern und Medien verzerrt dargestellte Ukrainekrise bestätigt es erneut: Weil sich das Volk seiner eigenen Souveränität nicht bewusst ist, konnten die heutigen antidemokratischen Zustände überhaupt erst entstehen. Das Volk hat offenbar vergessen, dass Politiker wie Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Markus Söder und dergleichen nur Angestellte des Volkes sind.

Mir ist aufgefallen, dass gerade die, die das Wort „Unsere Demokratie“ häufig in den Mund nehmen, sie auch häufig missachten. Es besteht in meinen Augen eine starke Korrelation zwischen der Gebrauchshäufigkeit dieser zwei scheinheiligen Worte und dem Grad der antidemokratischen Praxis ihrer Verkünder. Je häufiger Politiker „Unsere Demokratie“ beschwören, desto sicherer kann man sein, dass sie im politischen Alltag genau das Gegenteil leben.

Mögliche Abschaffung der Bürgerräte

Bundestagpräsidentin Julia Klöckner (CDU) äußerte in einem Interview mit der Welt am Sonntag:

„Der größte Bürgerrat in Deutschland ist das demokratisch gewählte Parlament.“

und ergänzte, die demokratische Legitimation des Parlaments sei „um ein Vielfaches größer als es jedes dialogische Beteiligungsformat nur sein kann.“

Das sehe ich anders, Frau Klöckner. Ein aus „Volksvertretern“ bestehendes Parlament, das längst aufgehört hat, die Interessen des Volkes zu vertreten; das mehrheitlich in Coronazeiten durch seine Entscheidungen die Bevölkerung wissentlich und willentlich gesundheitlich und wirtschaftlich massiv geschädigt hat; das drauf und dran ist, sein Volk in einen Krieg hineinzumanövrieren; ein Parlament, in dessen Ohren die Worte „Nie wieder“ offenbar verhallt sind; ein Parlament, das Milliarden an Steuergeldern in die Ukraine schickt, um einen von Anfang an nicht gewinnbaren Krieg weiter zu verlängern, während es gleichzeitig um jeden Euro Rente für die eigenen Bürger feilscht — ein solches Parlament hat aus moralischer Sicht jede Legitimation verloren. Die demokratische Legitimation des Parlaments besteht nur noch als formaler Rest — eine Fassade, die den Anspruch der Volkssouveränität simuliert, ohne ihn noch zu erfüllen.

Klöckner warnte davor, dass durch Bürgerräte der Eindruck entstehen könnte, die Bedeutung des Parlaments und der gewählten Abgeordneten werde geschmälert.

„Geschmälert“ ist in der Tat eine groteske Untertreibung, Frau Klöckner. Das Parlament hat seine Bedeutung nicht durch Bürgerräte verloren, sondern durch sich selbst — durch Abgeordnete, die die Interessen der Bürger längst hinter jene großer Wirtschaftsakteure zurückgestellt haben und deren politische Entscheidungen zunehmend wie ferngesteuerte Automatismen eines abgehobenen Machtapparats wirken. Ihr „Oberhaupt“ Friedrich Merz, Frau Klöckner, ist in erster Linie ein BlackRock-Agent — seine Tätigkeit als Bundeskanzler ist nur sein Nebenjob. Seine Politik — einschließlich der enthusiastischen Zustimmung zu immer neuen militärpolitischen Eskalationsstufen in Europa — zeigt, dass wirtschaftliche und geopolitische Interessen schwerer wiegen als das Wohl der eigenen Bevölkerung. Schande über die Kriegstreiber!

Klöckner äußerte außerdem Zweifel an direkter Demokratie und warnte davor, „Stimmungen in der Bevölkerung“ könnten durch äußere Faktoren, zum Beispiel durch Medien oder Fake-News, beeinflusst werden. Als wäre das Parlament selbst ein hermetisch abgeschotteter Reinraum der Rationalität — und nicht ein Ort, an dem Lobbyismus, Parteidisziplin, Medienkampagnen und transatlantische Netzwerke seit Jahrzehnten die Entscheidungsfindung bestimmen. Bezüglich der Medien und Fake-News gebe ich Ihnen ausnahmsweise einmal recht, Frau Klöckner — allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die massivsten Fehlinformationen der vergangenen Jahre kamen nicht „aus der Bevölkerung“, sondern von oben.

Was veranlasst Regierungsmitglieder eigentlich dazu, der Bevölkerung Horrorszenarien einzutrichtern wie die Behauptung, Russland könne „2029 vor der Tür stehen“? Sollen wir ernsthaft glauben, der Kreml sitze geduldig auf der Wartebank und halte sich an einen Countdown, bis Europa sich ausreichend bewaffnet hat, um dem vermeintlichen Überfall standzuhalten? Was für ein groteskes, intellektuell beleidigendes Narrativ! Warum schickt Putin nicht jetzt seine Oreschniks, solange sich Europa noch nicht ausreichend wehren kann, wenn er tatsächlich so aggressiv gegen Europa eingestellt wäre? Am 28. Oktober 2025 erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow , Russland sei bereit, eine Nichtangriffsgarantie für EU- und NATO-Staaten zu geben. Er sagte wörtlich:

„Wir haben mehrmals gesagt, dass wir nicht die Absicht hatten und haben, irgendein derzeitiges NATO- oder EU-Mitglied anzugreifen.“

Und was genau, Frau Klöckner, sollte Russland in Deutschland eigentlich wollen? Unsere Rohstoffe etwa? Russland verfügt über ein Vielfaches mehr. Unsere Agrarflächen? Ebenfalls reichlich vorhanden — und größer als alles, was Deutschland zu bieten hat. Oder möchte Moskau vielleicht unsere Staatsverschuldung übernehmen, dieses gigantische Schuldenmonster, das Ihre Regierung mit bemerkenswerter Verantwortungslosigkeit herangezüchtet hat?

Das, was Ihre Regierung über Russland erzählt, Frau Klöckner, das nenne ich Fake-News. Und diese werden — wie sollte es anders sein — von den gewohnten Propagandaverstärkern, den narrativtreuen Mainstreammedien, brav weitertransportiert. Dort sitzen Journalisten, die Angst vor Sesselverlust haben, wenn sie der Regierung nicht nach dem Mund reden. Eigentlich wäre gerade jetzt ein Bürgerrat zum Thema „Abwehr der Kriegsgefahr“ eine hervorragende Idee, oder etwa nicht? Aber wir wissen beide, dass Sie und die Ihren einen solchen Rat niemals einrichten würden. Warum? Das Ergebnis wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: Es gibt überhaupt keine akute Kriegsgefahr, und aufgrund dessen auch nichts abzuwenden. Die Regierung hat uns mit Angstgeschichten traktiert, die schon beim ersten Hauch von Fakten vollständig zerbröseln.

Und Ihre Zweifel — oder nennen wir es ehrlicher: Ihre Angst — vor direkter Demokratie und Volksabstimmungen entspringen meines Erachtens einer zutiefst antidemokratischen Gesinnung. Sie wollen das Volk von Entscheidungen fernhalten. Sehen Sie sich doch die Schweiz mit ihrer teilweise praktizierten direkten Demokratie an, meines Erachtens ist sie um Stufen demokratischer als Deutschland. Da hat der Bürger tatsächlich noch etwas zu sagen.

Noch einmal ganz langsam, Frau Klöckner, zum Mitschreiben: Demokratie bedeutet wörtlich VOLKSHERRSCHAFT. Diesen Satz bitte hundertmal aufschreiben und ebenso oft laut aussprechen, damit Sie seine Bedeutung möglicherweise doch noch verstehen.

Mit Ihrer Aussage „die Bürger üben ihren Einfluss bei der Wahl eindrücklich aus, sie verlängern oder beenden das ‚Arbeitsverhältnis‘ mit ihren Politikern“ plädieren Sie letztlich für eine Stärkung der repräsentativen Demokratie. Das klingt zunächst vernünftig. In der politischen Praxis — insbesondere in Ihrer Partei, Frau Klöckner — klafft jedoch eine tiefe Lücke zwischen Wahlversprechen und tatsächlichem Regierungshandeln.

Was der Wendehals Friedrich Merz vor der Wahl hoch und heilig versprach, wurde nach der Wahl systematisch ins Gegenteil verkehrt. Dieser Bruch zwischen Worten und Taten ist kein kleiner Ausrutscher, sondern ein Angriff auf das Vertrauen der Wähler, auf die Integrität der repräsentativen Demokratie und auf das Prinzip, dass gewählte Volksvertreter ihrem Mandat verpflichtet sind. Mich kann eigentlich nichts mehr erschüttern, was dieser Mann sagt und tut. Ich trau ihm mittlerweile so ziemlich alles zu. Was nutzt es also zur Wahl zu gehen, wenn die Wähler, nachdem sie ihr Kreuzchen gesetzt haben, betrogen werden?

Mit solchen Verhaltensweisen stärken Sie und Ihresgleichen rechte und linke Kräfte, ist Ihnen das nicht klar? Nun gut, mir solls recht sein nach dem Debakel, das die Altparteien die letzten zwanzig Jahre angerichtet haben. Eigentlich könnte man in Deutschland das letzte Relikt einer Demokratie — die Wahl, ebenso wie die Bürgerräte — getrost abschaffen, denn irgendwann wird sowieso niemand mehr erscheinen, um einem System zu vertrauen, das seine Bürger permanent belügt und verrät.

Sie haben als Präsidentin des Deutschen Bundestags die institutionelle Förderung von Bürgerräten deutlich zurückgefahren und im Herbst 2025 sogar die zentrale Stabsstelle für Bürgerräte aufgelöst. In meinen Augen ist diese Aktion ein weiterer Schritt in Richtung Autokratie. Sie sehen das Parlament als das zentrale, legitimierte Gremium der Volksvertretung und befürchten eine Verwässerung seiner Bedeutung durch Bürgerräte. Diese Auffassung könnte man vertreten — wenn das Parlament tatsächlich die Interessen des Volkes vertreten würde. Tut es aber kaum!

Pro und Kontra Bürgerräte

Befürworter von Bürgerräten — darunter zivilgesellschaftliche Gruppen, Wissenschaftler und diverse politische Akteure — führen unter anderem folgende Vorteile ins Feld:

Bürgerräte ermöglichen eine deliberative Bürgerbeteiligung. Sie agieren abwägend und beratschlagend, bringen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Regionen und mit unterschiedlichen Bildungshintergründen zusammen und ermöglichen Diskussionen, bei denen Alltagserfahrungen auf Fachwissen treffen. Gerade bei komplexen oder kontroversen Themen können so durchdachte, gesellschaftlich akzeptierte Empfehlungen entstehen. Sie führen zu besser durchdachten, gesellschaftlich akzeptierten Empfehlungen. Bürgerräte können helfen, politische Entscheidungen zu legitimieren und Akzeptanz zu schaffen — gerade bei Themen, die viele Menschen betreffen und ihnen wichtig sind: Klima, Kriegsgefahr, Gesundheit, Ernährung und soziale Gerechtigkeit. Der erste vom Bundestag initiierte Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ wurde sehr positiv bewertet.

Bürgerräte können politische Debatten öffnen. Sie bieten Raum für Perspektiven, die im Parlament oft unterrepräsentiert sind, und fördern so soziale Durchmischung sowie eine bessere Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt. Und das sollte doch das Wesen der Demokratie sein, oder etwa nicht Frau Klöckner?

Dass Bürgerräte nur beratende Funktion und keine formale Entscheidungskompetenz haben schmälert das Parlament nicht — wie Julia Klöckner suggeriert — sondern verbessert seine Arbeit qualitativ und ergänzt sie in positiver Weise.

Bürgerräte sind eine wertvolle demokratische Innovation, ein Mittel, die Bürger stärker einzubeziehen und Politik bürgernäher zu gestalten.

Neben Klöckners Position gibt es noch weitere Kritikpunkte und Risiken, die oft diskutiert werden.

Angeführt wird häufig die mangelnde demokratische Legitimation, weil Bürgerräte nicht gewählt, sondern ausgelost werden.

Aber mal ehrlich: Wen interessiert denn heute noch die Legitimation? Wer macht im Bundestag und Bundesrat eigentlich die Gesetze — die Politiker oder die Lobbyisten? Fragen Sie mal Horst Seehofer, was der dazu meint. Ist die WHO von irgendjemandem gewählt worden? Warum wird dann deren ausgearbeiteter, größenwahnsinniger Schwachsinn für die Mitgliedsländer verbindlich? Und warum mischen sich ungewählte Machtmonster wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank in die Souveränität ganzer Staaten ein — durch Kredite, Auflagen und wirtschaftliche Erpressung? Nicht gewählte Institutionen bestimmen heute viel stärker den Lauf der Dinge als gewählte Regierungen.

Weiterhin wird oftmals das Repräsentativitätsproblem angesprochen: Nicht immer spiegelt der Rat einen echten Querschnitt der Bevölkerung wider, weil sich häufig nur politisch interessierte oder besser gebildete Menschen beteiligen wollen.

Durch die Unverbindlichkeit der Empfehlungen werden diese oft nicht angenommen, was bei den Teilnehmenden Frust und bei der Öffentlichkeit Glaubwürdigkeitsverlust erzeugt. Manche Kritiker warnen, dadurch könne der Eindruck entstehen, gewählte Abgeordnete seien weniger relevant und das institutionelle Gefüge der repräsentativen Demokratie könnte geschwächt werden.

Ja, — aber nicht wegen der Bürgerräte, die ein gutes Parlament lediglich qualitativ ergänzen, sondern wegen der miserablen Arbeit der Parlamentarier selbst.

Wie auch Julia Klöckner anführt, können Stimmungen durch äußere Einflüsse (Krisen, Medienberichte oder Fake-News) schwanken, sodass keine langfristig fundierten Entscheidungen zustande kommen. Richtig — und genau deshalb bräuchte es dringend Bürgerräte, um der kurzsichtigen Tagespolitik Einhalt zu gebieten.

Teilweise wird zudem befürchtet, dass Politiker die Beteiligung nur vortäuschen, um sich demokratisch zu geben, ohne die Empfehlungen tatsächlich in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Ein Kritikpunkt, der treffender kaum sein könnte. Nicht zu vergessen sind auch die Kosten für die Institution Bürgerräte. Andererseits: Wenn Deutschland Abermilliarden für einen von vorneherein verlorenen Krieg in der Ukraine zum Fenster hinauswerfen kann, sind ein paar Millionen für Bürgerräte doch ein geradezu lächerlicher Betrag.

Meines Erachtens überwiegen die Pro-Argumente bei weitem. Es sollte den Bürgern ohnehin mehr direkte Macht auf die Entscheidungen in Deutschland eingeräumt werden. Erarbeitete Empfehlungen sind gut — echte Macht des Volkes wäre besser, besonders wenn es sich nicht mehr gut vertreten fühlt.

Während die SPD und die Grünen sich eher für die Beibehaltung der Bundesräte aussprechen, kommt ausgerechnet von der Union Kritik. Sie warnt davor, dass Bürgerräte ein problematisches Zusatzgremium darstellen könnten, das in Konkurrenz zum Parlament tritt und dessen Arbeit schwächt. Neben Julia Klöckner verweisen weitere kritische Stimmen auf überhöhte Erwartungen, die Bürgerräte wecken könnten, ohne dass daraus konkrete politische Entscheidungen folgen.

Aber was sagt eigentlich das Volk dazu? Hier die Ergebnisse einer Civey-Umfrage:

Bild

Screenshot von © Civey

Wie Sie sehen, ist das Volk überwiegend für eine Beibehaltung der Bürgerräte. Aber das dürfte der Union relativ egal sein, wie schon die Vergangenheit eindrucksvoll zeigte.

Nun zu den Zeilen von Christian Hamann:

Die Erosion der demokratischen Idee

Christian Hamann

Die in Deutschland seit über 100 Jahren bestehende Institution der Bürgerräte soll nach dem Willen der Berliner Koalition abgeschafft werden. Damit wird ein basisdemokratisches Element geopfert, das Mitsprache ermöglicht und die Bürgerzufriedenheit aufrechterhält.

Der Mitbegründer der modernen Demokratie Thomas Jefferson*) hatte wiederholt die Bedeutung eines engagierten Bürgertums betont.

„There is only one force in the nation that can be depended upon to keep the government pure and the governors honest, and that is the people themselves. They alone, if well informed, are capable of preventing the corruption of power, and of restoring the nation to its rightful course…“

*„Es gibt nur eine Kraft im Land, der vertraut werden kann, die Regierung integer und die Regierenden ehrlich zu halten: die Bürger selbst. Nur sie sind, wenn sie gut informiert sind, fähig, Machtmissbrauch zu verhindern und das Land auf seinen rechten Weg zurückzuführen.“

Doch insbesondere unter dem Einfluss der Zeitungen und später auch anderen Medien des Mainstreams ist die Demokratie in den seither vergangenen fast 250 Jahren mehr und mehr zu einer Zuschauerveranstaltung degeneriert.

Diese Entwicklung liegt im Interesse von Personen mit autokratischen Ambitionen, für die demokratische Mitsprache ein Hindernis bei ihrer eigenen Entfaltung darstellt. Inzwischen ist unübersehbar, dass diese Entfaltung vor allem im Einsatz gezielter Geldströme besteht, um politischen Einfluss auszuüben. Dies funktioniert namentlich über Lobbymannschaften, über Medien und durch die Finanzierung politisch aktiver NGOs.

Dieser bedenkliche Trend wird in einem weltpolitischen Kontext verständlich. Ausgehend vom demokratischen Grundgedanken propagierte Karl Marx vor rund 150 Jahren eine generelle Befreiung des Menschen von allen Verhältnissen, in denen er „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (MEW 1: 385). Die Umsetzung seiner Ideen durch Lenin wurde jedoch von westlichen Banken finanziert und stellte eine dementsprechende Verfälschung dar. 

Lenin war eine handverlesene Schlüsselfigur, die so massiv wie niemand zuvor oder danach den Lauf der Geschichte verändert hat — zum Schaden der Menschheit. Die Umstrukturierung des Russischen Reiches in die Sowjetunion beinhaltete das Versprechen einer basisdemokratischen Ordnung, denn der Name Sowjet bedeutet Rat. Doch die lokalen und regionalen Sowjets, zunächst authentisch demokratische Arbeiter-, Soldaten und Bauernräte mit großer Autonomie, wurden schon frühzeitig in parteikontrollierte Vollzugsgehilfen einer zentralisierten Macht verwandelt.

Dieser definitive Demokratieabbau wurde mit einem falschen Etikett geschönt; demokratischer Zentralismus war Lenins Bezeichnung für ein in Wahrheit autokratisches System. Dieses entledigte sich per Dauermobbing aller Personen, die es wagten, den irrationalen Dogmen der politischen Führung in Staat und Partei zu widersprechen. (Auf diese erschreckend effektive Ausgrenzung von Abweichlern war auch der berühmte Ausspruch von Rosa Luxemburg über die Meinungsfreiheit Andersdenkender gemünzt.)

Es entspricht der historischen Konsistenz, dass die seit dem 31. Dezember 1600 etablierte Geldaristokratie auch die Nationen des Westens über lange Umwege letztlich auf denselben Kurs eines Demokratieabbaus steuert.

Während manche Konsumenten von Mainstreammedien noch im politischen Tiefschlaf verharren, wächst die Zahl aufgeweckter Menschen unablässig. Für sie erweist sich der westliche Kapitalismus als ein System der falschen Etikettierung  und der uneingelösten Versprechungen. Dieses ist dabei, die Nationen der freiheitlichen Zivilisation auf suizidalen Wegen auf den Friedhof der Geschichte zu führen.

Die falsche Etikettierung besteht bereits in der Reklamation der Marktwirtschaft als Fundament des Systems. In Wahrheit hat der Kapitalismus den fairen Markt fortschreitend zu einer Oligopolherrschaft verfälscht, in welcher neu gegründete Firmen entweder an (unter anderem bürokratischen) Auflagen des Staates oder der Kreditinstitute scheitern oder, falls sie weiterbestehen, von Konzernen aufgekauft und als Tochtergesellschaften unter Nutzung von Steuervermeidungsstrategien weiterbetrieben werden.

Noch  bedenklicher ist, dass die Systembetreiber das Bankwesen zu einem globalen Herrschaftsinstrument ausbauen konnten, indem sie über Ländergrenzen hinweg die Berechtigung genießen, (bei Kreditvergabe) neues Geld zu kreieren

Dieses Privileg aber stand in den historischen Autokratien stets allein dem Souverän des Landes zu. In Demokratien ist die Nation selbst der Souverän, eventuell vertreten durch seine gewählten Abgeordneten. Die formale staatliche Kontrolle der Zentralbanken mit ihren Gelddruckereien lenkt die misstrauische Aufmerksamkeit der Bürger von der eigentlichen Geld-Neuschöpfung ab, die vor allem in der Hand der Geschäftsbanken liegt. Diese schreiben bei Kreditvergabe dem Kunden Geld gut, das vorher gar nicht existiert hat. Die Zentralbank wandelt einen Teil (unter 10 Prozent) des so entstandenen Buchgeldes in Papiergeld um, schafft in diesem Vorgang aber kein neues. Davon unabhängig kreiert auch die Zentralbank neues Geld, und zwar durch Anleihenkäufe (QE), Refinanzierungsgeschäfte und Kredite an Banken.

Auf dem Wege der Geld-Neuschaffung aus dem Nichts  verschafft sich eine ohnehin bereits ultrareiche Finanzelite immer größere Anteile an der globalen, vor allem der westlichen Kaufkraft. Die Verwässerung der Währungen geht inzwischen unübersehbar zu Lasten des Wohlstandes der Bürger. Was dort fehlt, fließt durch die Hände der Ultrareichen einer nicht demokratisch kontrollierten Machtentfaltung zu, wobei unter anderem ausgewählte  politisch aktive NGOs mit Großspenden gepusht werden. So hatte der neue Bürgermeister von New York Mamdani  von NGOs aus dem ideologischen Umkreis von George Soros über 40 Millionen Dollar Wahlkampfhilfe erhalten. In solchen steuerbefreiten, ‚wohltätigen‘ Organisationen und immer weniger in gewählten Parlamenten wird über die globalen Weichenstellungen entschieden. Auf diese Weise ist neben der freiheitlich-demokratischen Zivilisation eine plutokratische Parallelzivilisation entstanden, die sich zunehmend als deren aggressiv expandierender Rivale erweist.

Reformen, die diesen bedrohlichen Trend gegen Freiheit und Demokratie auf friedlichem Wege wieder umkehren, sind noch für eine begrenzte Zeit möglich, entsprechende Initiativen daher dringend. Wie eng das Zeitfenster bereits ist, zeigt die generelle Ignoranz der Mainstream-Medien und der etablierten Parteien gegenüber der Gefahr.

Noch über Ignoranz hinausgehend hat der Bundeswahlausschuss kürzlich ein Beispiel für den fortgeschrittenen Verfall demokratischer Fairness auf Seiten dieser Etablierten gezeigt. Das BSW war bei der Bundestagswahl mit einem offiziellen Ergebnis von 4,97 Prozent denkbar knapp an der 5 Prozent-Hürde gescheitert. Einzelne Nachprüfungen haben nicht ganz unerhebliche Zählfehler ergeben, die zu Lasten dieser Partei gingen. Dennoch hat der Bundeswahlausschuss eine generelle Nachzählung abgelehnt.

Die präzise formulierten Erkenntnisse Thomas Jeffersons erweisen sich im gegenwärtigen Zeitenumbruch als enorme Hilfe bei der Verteidigung und Stärkung der Demokratie.

Die Lektüre sollte auch einen Platz in schulischen Lehrplänen erhalten. 

Danke Christian, für die treffenden Zeilen.


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Quellen und Anmerkungen:

Ende März und Anfang April 2025 wurden meine beiden Bücher
„Die Friedensuntüchtigen“ und „Im Taumel des Niedergangs“ veröffentlicht.
https://www.amazon.de/Taumel-Niedergangs-Demokratischer-wirtschaftlicher-Deutschlan
ds/dp/B0F32JS87R/ref=sr_1_1?
Rezension zu diesem Buch: https://www.manova.news/artikel/abwarts
https://www.amazon.de/Die-Friedensunt%C3%BCchtigen-Kriegstreiber-Deutschland-Europa/dp/B0F3XG6Q8Z/ref=sr_1_1?__mk_de_

Rezension zu diesem Buch: https://wassersaege.com/blogbeitraege/buchrezension-die-friedensuntuechtigen-von-uwe-froschauer/

Ende September 2024 erschien das Buch „Gefährliche Nullen — Kriegstreiber und Elitenvertreter“.
https://www.amazon.de/Gef%C3%A4hrliche-Nullen-Kriegstreiber-Elitenvertreter-Deutschlands/dp/B0DJ374G6K/ref=sr_1_2?__mk_de_

Hier der Link zur Rezension des Buches:
https://www.manova.news/artikel/die-nieten-festnageln

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