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Der Urgrund der Katastrophe

Der Urgrund der Katastrophe

In dunklen Zeiten steigt auch die Sintflut in unserem Innersten.

Was ich tue

Nur aus Grenzgebieten heraus kann sich Neues in die Welt hinein ereignen. Nur dort darf ungestört gesprochen werden. Es gibt keine Verfügungsgewalt, die einen zurechtweist, kein böser Blick, der einen stramm stehen, kein herablassendes Lächeln, das einen erstarren lässt. Es geschieht einfach. Nur der eigene innere Zensor kann verhindern, was möglich wäre. Aus solch einem Grenzgebiet sind die folgenden Texte hervorgegangen. Sie werden nun in die Allgemeinheit entlassen. Jetzt da wir uns als Gefangene fühlen und wieder dahin zurückkehren, wo wir schon so oft waren, nämlich in den Krieg, ist es unabdingbar, die Sprache wieder zu öffnen, um in den Tiefen der Existenz zu suchen. Darin ist noch so viel verborgen, das einem schwindlig werden kann, wenn man sich da hinein und hinab wagt. Von der Enge in die Weite. Wieder ausatmen.

Unterschiede

Es sind immer die Unterschiede, die uns prägen. Weil sie zueinander finden wollen und sich im Leib verzweigen, ja manchmal verhaken. Der Geist und die Seele kommen hinzu. Zuerst als wären sie zu Besuch, später ziehen sie ein und formen gemeinsam mit dem Leib einen aushaltbaren Zustand. Er kann zu einer ausgeglichenen Wahrnehmung führen, einer klaren Sicht, zu einem langsam entstehenden Erkennen. Daraus werden Lebensentwürfe geboren, die niemals Ziel, sondern Weite sind, sich ausdehnen und auf andere Lebensentwürfe treffen. Und weil sie die Unterschiede in sich tragen, fällt ihnen das Zueinanderfinden wesentlich leichter. So könnte eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft entstehen, wenn da nicht die vertikalen Horizonte wären. Diese verstiegenen Denkathleten, die tatsächlich Ziele formulieren, die sie erreichen wollen. Sie werden von Zielen angezogen, als hätten sie einen Gummizug um die Brust geschlungen, der im Ziel verankert ist. Manchmal geben sie nach und schnellen für eine Zeit zum Ziel hin, dann wieder bremsen sie, weil ihnen Zweifel gekommen sind. Wehe sie erreichen, was sie wollen. Die Leere danach ist der Urgrund jeder Katastrophe.

Neuer Anfang

Zuviel ist schon geschehen, als dass man sich noch auf irgendeine Position zurückziehen könnte, die einen beruhigte. Man ist nun, seit einiger Zeit, mittendrin. Nicht einmal an den Rändern kann man sich beruhigen. Man wurde überwältigt. Kann man das benennen? Sind es die Menschen, die es nicht mehr zulassen, dass man sich zurückzieht? Oder sind es die von Menschen geschaffenen Dinge? Oder beides zusammen? Ich glaube, dass ich für die Menschheit sprechen kann, weil ich sie in mir spüre.

Sind nicht alle Menschen gleich im Sinne ihrer sinnlichen Instrumente? Spürt nicht jeder Angst, Schmerz, Lust, Freude, Hass und Wut. Kommt das nicht aus den gleichen Zellen. Die einen können es besser verbergen, die anderen schlechter, dritte werden verrückt, vierte gehen in die Politik, streben also Macht an, um sich selbst zu festigen.

Viele Menschen sagen ja meistens murmelnd vor sich hin: „Wir sind doch alle Menschen, da müsste es doch möglich sein, Frieden zu schaffen.“ Doch kann man Menschen mit dem Begriff „Frieden“ überhaupt in Einklang bringen. Spielen da nicht noch andere Melodien eine große Rolle? Wir haben es nicht geschafft, uns unter Begriffen wie Freiheit oder Frieden zu versammeln, deshalb ist es nur gerecht, wenn nun wieder alles zerstört werden wird. Es ist unvermeidlich. Und der Anfang davon ist, wenn man sich nicht zurückziehen kann, wenn man keine Ruhe mehr findet und durch sein eigenes Leben geistert wie ein Schatten. Wenn man sich nur noch verhält wie ein Hund zu seinem Herrchen. Alles ist dann wieder verloren. Das einzig Gute daran ist, dass es wieder einen neuen Anfang geben wird. Mit oder ohne uns.

Gleichgewicht

Fortschritt, fortschreiten, Trippelschritt und Stechschritt. Ausladend auch und manch Seitwärtskick. Tanz ist es keiner, weil der Schritt nicht Raum gewinnt. Er ist unerbittliche Linie, die zu einem Ziel führt, das man nie erreichen kann. Auf dieser Linie ist die Menschheit gefangen, ist ihr Freigang gewährt. Selten lassen die Menschen die Blicke kreisen, um Horizonte zu entdecken. Würden sie es tun, so entstünde wohl jener Tanz, der es erlaubte, über sich hinaus zu träumen, sodass Ländereien der Vernunft, Kathedralen der Mäßigung, Weinberge voller Glück und Gemeinschaften in die Höhe geboren würden, damit sie schweben können, um ihr Gleichgewicht zu suchen und zu finden.

Im Zimmer

Nicht mehr zu erklären ist mein Erstarren. Verschwinde in Untergangsgesängen, ohne dass sie mich beträfen. Dann auch Gründe, die nie geschehen, oder Denkgebäude, die nicht zusammenbrechen wollen. Erstarrung im Gleichgewicht, ich will nicht mehr. Um mich herum nur Mauern der Unerträglichkeit. Ich kann in keine Gesichter sehen, ohne sie zu verdammen, zu viel in ihnen ist an Schuld. Eigentlich bleibt mir nur noch mein so geliebtes Zimmer, indem ich mich ausdehnen und weiten kann. In dem in mir Neues entsteht, wenn es auch uralt ist. Ich bin und bleibe ein Kind einer vergangenen Zeit, die es so bestimmt nie gegeben hat. Trotzdem sehne ich sie mir herbei, denn sie löst mich aus dem Mauerwerk, das mir schon so nahe gekommen ist, dass ich in ihm sitze, verputzt mit rauem Sand und scharfer Kelle.

Kaum herausschauen kann ich mehr, glotze nur noch mit meinen großen runden Augen nach Feinden, die es gar nicht gibt. Zittere, als säße ich in einer Höhle und hätte Angst, das Ungeheuer hinter mir würde irgendwann erwachen.

So ist mein Alltag. Nur der Sprung in mein so geliebtes Zimmer, der immer seltener gelingt, löst in mir für eine gewisse Zeit alle Angst und alle Not auf.

Horizont

Fluktuierende Gedanken. Lichtblicke im Kaleidoskop des Lebendigen. Sich ausbreiten, schauen, ob die Landschaften hinter einem aufblühen. Vorne Horizonte, die so etwas wie Sehnsucht auslösen. Endlich ankommen. Endlich da sein, wo man hingehört. Doch Horizonte sind immer weit weg, man kann sie nicht erreichen. Sie trösten uns damit, dass wir sie betrachten und Räume in ihnen formulieren können. Das tun wir auch. Doch zu viele von uns starren in den Himmel, der eine Weite hat, die man nicht erreichen kann, eine Weite, die sich im Weltenraum verliert. Das Oben jedoch birgt den Blick in sich, den Blick von oben nach unten. Eine Eingrenzung, auf dass das Ich nicht entschwindet und zergeht. Deshalb streben so viele Menschen nach oben, strecken sich, spannen sich, verrenken sich. Seltsam, der Ehrgeiz schießt immer nach oben, in der Fläche, im Horizontalen würde er versanden. Der Turmbau zu Babel war ein Projekt der Vertikalen. Er konnte nicht gelingen.


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