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Die Botschaft der schlimmen Bilder

Die Botschaft der schlimmen Bilder

Wenn wir verstehen wollen, was Krieg wirklich bedeutet, müssen wir uns von Einzelschicksalen berühren lassen.

Was macht das mit mir? Zuerst einmal spüre ich Wut, wenn ich an die Bilder zurückdenke. Welche Bilder? Die Bilder von — wie heißt der Ort gleich wieder? Budscha? Butscha? — irgendwo in der Ukraine. Ein Foto habe ich gesehen von Toten, die auf der Straße lagen. Es waren keine Soldaten, sondern Zivilisten, so hieß es. Und dass das ganz besonders schlimm sei. Ein Völkermord! Ein Kriegsverbrechen! Der Schuldige muss vor das höchste Gericht gestellt werden! Alle Zahlen, Daten, Fakten und Bilder müssen auf den Tisch. Dann muss geprüft werden, was wahr ist und was nicht wahr ist.

Da fragt etwas in mir: Wer sitzt eigentlich auf dem Richterstuhl? Sind die Richter vertrauenswürdig, oder sind sie verblendet, oder sind sie gar gekauft? Wenn sie verblendet sind, wie kommen sie auf so einen Richterstuhl? Wenn sie gekauft sind, in welcher Form und von wem? Wenn sie aber vertrauenswürdig sind, dann ist ja alles gut.

Wenn ich zulasse, dass Bilder mich berühren, dann denke ich oft an das Bild des Mädchens von Odessa. In meinem inneren Auge habe ich das Bild gespeichert. Eine heroinsüchtige, minderjährige Prostituierte.

In meiner Welt ist dieses kleine Mädchen aus Odessa die Wiedergeburt einer großen Heiligen. Rabia vielleicht.

Wer Rabia ist? Oh, Rabia — sie war die schönste Frau weit und breit, nachdem sie die Freiheit geschenkt bekam von ihrem Herrn, einem reichen Kaufmann. Sie war nämlich als kleines Mädchen in die Sklaverei verkauft worden. Sie wanderte dann hinaus in die Wüste und lebte von Almosen. Einmal rannte sie mit einer Fackel und einem Eimer Wasser durch die Stadt und rief: Ihr seid wahnsinnig! Seht ihr denn nicht, dass Allah in allem ist — ER überflutet eure Hölle mit Wasser und zündet eure Himmel an!

So jemanden konnte man natürlich in der Stadt nicht frei herumlaufen lassen. So jemand wie Rabia würde auch heute noch besser unauffällig in der Wüste leben; wenn es jemanden gäbe, der Almosen vorbeibringt. Was das wohl für ein Leben war?

Wie komme ich von diesem Ort in der Ukraine aus dem Jahr 2022 über ein kleines Mädchen in Odessa zu Rabia? Ich suche nach dem Foto. Es ist lange her … Nein, nicht dieses. Das ist ein syrisches Mädchen. 2017. Das könnte allerdings auch meine verehrte Rabia sein. Rabia hat in Kairo eine große Kathedrale, eine Moschee.

Warum ist dieses Bild eigentlich nicht so über die Welt gegangen, immer wieder, so wie diese Bilder aus Butscha — warum hat es nicht ebenso eine Welle von Entrüstung und Hilfsbereitschaft ausgelöst? Hat es doch? Okay … Langsam, Monika, langsam.

Und dann gibt es noch das „Gewinner“-Foto aus dem Jahr 2018 von einen Jungen aus Togo, dem wohl ein Soldat die Beine weggeschossen hat. Togo. Nicht Ukraine. Warum hat wegen Togo keine Ministerin den Internationalen Strafgerichtshof angerufen. Darf man das einfach so tun, kleinen Buben die Beine wegsprengen? Ist das kein Verbrechen gewesen, damals?

Jetzt hab ich sie! Hier ist sie! Das Mädchen von Odessa. Odessa, in der Ukraine. Der Vater Alkoholiker, früh gestorben, die Mutter im Gefängnis, ein Straßenkind, das mit 13 Jahren ausgemergelt in einem Mauerloch erfriert. MEINE JANA! Vielleicht war sie die Inkarnation einer großen Heiligen. Rabia oder Elisabeth oder wer auch immer. Sie hat es jedenfalls posthum, nach ihrem Tod, noch geschafft, als Foto des Jahres 2005 in vielen Menschen etwas zu berühren. Ich habe das Foto gesehen und konnte es nie mehr vergessen.

Was ist damals eigentlich passiert in diesen Staaten, als sich die Sowjetunion auflöste und einzelne Staaten zurückblieben? Was ist nach der Auflösung dieser Union mit der Ukraine passiert, dass meine Jana dort so erbärmlich zugrunde gehen musste. Waren die Menschen nach der Auflösung besser oder schlechter dran als zuvor? Wer weiß etwas darüber?

Ich weiß nur, dass meine Schwester mit ihrem Mann einmal in Odessa war und mit eigenen Augen gesehen hat, wie viele junge Menschen, Jungen und Mädchen, dort drogensüchtig als Prostituierte arbeiten. Mit einer wie hohen Lebenserwartung? Wer ist schuld? Ist es eine einzelne Person oder ein anderer Staat oder „das System“ oder Gott, oder was?

Warum war die Mutter im Gefängnis? Was war so unerträglich, dass der Vater Alkoholiker geworden ist? Wer ist schuld daran? Jana?

Wenn solche Fragen mit mir durchgehen, dann muss ich mich immer wieder runterholen. Von meiner Empörung runterholen. Draußen ist der Himmel so schön.

Das Böse ist mitten unter uns. Unsichtbar regiert es uns, und wir merken es nicht. Das Böse ist schrecklich und fürchterlich. Es tötet gerne und freut sich sogar noch darüber. Es ist grob und dumm. Und noch was: Es mag Sex mit Kindern, mit Opfern und schneidet kleinen Ferkeln gerne die Schwänzchen ab. Und im Fall der kleinen Schweinchen war unsere ehemalige Ministerin, die Hübsche, damit sehr einverstanden und verlängerte die Tortur um Jahre. Möge sie nicht als Schweinchen wiedergeboren werden, so viele Male, wie sie verantwortlich ist.

Das Böse ist wirklich abscheulich. Und es gibt nur eine einzige Medizin, die das Böse wirklich nachhaltig zähmt. Aber es ist ein geheimes Rezept, und ich werde es euch nicht verraten. Heute noch nicht.

Was wollte ich erzählen, heute morgen, wo draußen der Himmel doch so leuchtet, wie er es später am Tag nicht mehr tun wird? In meiner Welt ist die Sonne meine Große Göttin. Gerade ist sie aufgestanden. Meine Göttin ist so wunderschön. Wie viele Tage werde ich sie noch aufstehen sehen?

Aufstehen! Auferstehen! Ostern! Ich habe gestern einen Vortrag dazu gehalten. Was ich alles zu sagen hatte! Dass ich dieses Mysterium mit der sogenannten Auferstehung erst im Kontext mit dem Buddhismus et cetera … Raus! Raus! Raus! Den Hügel hinauf.

Stunden später.

Jetzt hab ich ein zweites Foto von diesem Butscha gesehen, diesem Ort in der Ukraine. Ein Foto von zerstörten Panzern der russischen Armee, Soldaten im Hintergrund, offenbar ukrainische Soldaten oder Söldner, die auf der Seite der Ukraine kämpfen. Dazu die Überschrift: „Diese Wunde wird nie heilen“ — ein Zitat der 62-jährigen Ljuba.

Der Präsident der USA fordert, Putin von Gericht zu stellen. Als Verantwortlichen für Kriegsverbrechen. Komisch, dass noch nie ein US-Präsident als Verantwortlicher vor Gericht gestellt wurde.

Ach so. Die USA, das sind ja die Guten — die haben niemals und nirgendwo Kriegsverbrechen begangen. Komisch, dass noch nie BotschafterInnen der USA des Landes verwiesen worden sind.

Ach so. Ich hab‘s schon wieder vergessen: weil die USA doch die Guten sind! Die Chorknaben unter allen Soldaten der Welt. Amerikanische Soldaten und Soldatinnen würden niemals töten oder gar foltern. Oder etwa Kinder in Foltergefängnisse stecken. Niemals!

Und überhaupt: Ist nicht Krieg von Haus aus ein irrsinniges, ein aberwitziges und vor Dummheit und Bosheit nur so triefendes Verbrechen? Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vielleicht? Wer will Krieg? Kann man da mal 'ne Volksabstimmung machen? Wer braucht so was? Und wie schaut so ein Krieg eigentlich aus der Perspektive des Geldes aus? Was kostet Putin der Krieg? Und was kostet „uns“ der Krieg?

Also, mich bitte rausrechnen. Ich will da nicht mitmachen. Keinen Cent geb ich dafür!

Angeblich kostet so ein Krieg mit allem Pipapo bis zu 1 Milliarde pro Seite und pro Tag (1). Pro Tag? Hallo! Stimmt das? Kann das stimmen? Ein Wirtschafts-Nobelpreisträger hat das kalkuliert. Das mit der Milliarde pro Tag. Aber selbst wenn es nur 1 Million wäre — immer noch zu viel. Man stelle sich vor, die Million, die als Futter an das Kriegsmonster verfüttert wird, würde stattdessen ein lebendiger, junger Mensch als lebenslanges Grundeinkommen bekommen. Das würde reichen. Und jeden Tag würde wieder ein junger Mensch so ein Grundeinkommen bekommen. So lange, bis Ruhe und Frieden herrscht. Wie lange würde das dauern?

Gestern ist mir übrigens ein schöner Text in die Hände gefallen, von den elf Stufen oder Prinzipien, die ein Sufi geht (2). Rabia, die Heilige aus Ägypten, sie war ja eine Sufi. Eine Scheicha. Bevor Sufis die Erleuchtung erlangen, durchschreiten sie das Zahlenbewusstsein und das Zeitbewusstsein.

Angeblich soll es der Menschheit ja gerade daran mangeln. Das sei der Grund, warum „man“ die zahlreichen Probleme verschiebt und verleugnet — weil man sich keine großen Zahlen vorstellen und nicht weit in die Zukunft hineinschauen kann.


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Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Die Botschaft der schlimmen Bilder“ auf Hinter den Schlagzeilen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://taz.de/Finanzielle-Folgen-des-Ukraine-Kriegs/!5835637/
(2) https://www.ewigeweisheit.de/sufismus/elf-prinzipien-des-sufi-weges?mc_cid=91ba583b3a&mc_eid=5b6c973b19


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