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Die Gewohnheitsirren

Die Gewohnheitsirren

Wenn sich der Wahnsinn nach breiter Akzeptanz sehnt, gibt er sich mit Vorliebe einen bestimmten Namen: Normalität.

„Voll normaaal!“ Was haben wir nicht alle in den 90er-Jahren über Tom Gerhardt gelacht (Gedächtnisstütze: „Killerdackel“, Wollmütze, Aussprache wie mit einem Kartoffelkloß im Hals). Für uns war das in der Schule oder im Club der Running Gag: Je abartiger eine Situation, umso steiler die Vorlage für einen von uns, „Tja - normaaal“ ausrufen zu können. Wenn einer betrunken in der Ecke lag oder wenn ein Schulkamerad seinen behäbigen Ford Granada aus den 80er-Jahren mit Schreckschusspistole in der Hand über Blumenrabatten oder Treppenstufen hinunter jagte: „Normaaal!“ Irgendwie fragte ich mich klammheimlich aber dann doch, ob das noch normal sei.

In der Tat keimte bei mir schon damals gelegentlich ein Unverständnis über unsere Fähigkeit auf, das, was als normal galt, zu akzeptieren und gar anzustreben. „Zurück zur Normalität“ war auch damals schon ein geläufiger Begriff. Es musste wohl so sein, dass wir — um die zwanzig Jahre alt — mit Beats und Bier Spaß im Club hatten, unabhängig davon, ob drei Stunden zuvor in den 20-Uhr-Nachrichten der nächste Selbstmordanschlag präsentiert worden war oder der nächste gesunkene Öltanker mit verheerenden ökologischen Folgen gerade auslief. Etwas in meinem Hinterkopf meldete sich mit Dingen wie „Jeder Einzelne dieser ausgelassen tanzenden Meute auf dem Dancefloor wird doch heute die Katastrophenmeldung gehört haben, oder?“ Solche Gedanken hielten nicht lange an; irgendjemand schmiss die nächste Runde, und schon war ich wieder im wahrsten Sinne des Wortes bei den Leuten. Normal. Prost!

Was ist Normalität?

Die Griechen verstanden, laut einigen Wörterbüchern, unter normal etwas anderes, nämlich gesund oder Natur (φύσις): Das Normale ist das Naturgemäße (τὰ κατὰ φύσιν). Vor allem in den Hippokratischen Schriften wird darunter beispielsweise der gesunde Zustand des Körpers und damit ein Idealzustand verstanden, den es aufrechtzuerhalten beziehungsweise gegebenenfalls mit ärztlicher Therapie wiederherzustellen galt (1). Es ist die natürliche und übliche Beschaffenheit des Lebens. Diese Normalität war offensichtlich der Standard. Der Lebensstandard. Sieht man sich den Altersdurchschnitt und den Gesundheitszustand der meisten Griechen an, scheint das heute wohl auch noch so zu sein.

Auf der weiteren Spurensuche nach dem Begriff Normalität trifft man unweigerlich auf die soziologische Definition: „das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss.“ Wie wahr, wenn wir an die Wortbedeutung im griechischen Sinne denken: Über einen selbstverständlichen, gesunden Zustand muss nicht mehr nachgedacht und entschieden werden. In der Soziologie sind mit diesem Selbstverständlichen jedoch „soziale Normen und konkrete Verhaltensweisen von Menschen“ gemeint, welche „durch Erziehung und Sozialisation vermittelt“ werden (2). Schon haben wir einen ganzen Blumenstrauß an möglichen Paradigmen, die wir — fernab unseres natürlichen Seins — selber definieren und als Richtlinie für die anderen oder ganze Gesellschaften deklarieren können. Im Prinzip kann so das ursprüngliche Verständnis von Normalität komplett pervertiert werden.

In der Psychologie wiederum bezeichnet Normalität ein „erwünschtes, akzeptables, gesundes, förderungswürdiges Verhalten im Gegensatz zu unerwünschtem, behandlungsbedürftigem, gestörtem, abweichendem Verhalten“ (2).

Soziologisch und psychologisch betrachtet, liegt der Fokus also nicht auf dem Seinszustand, sondern auf dem Verhalten. Nur — wer definiert, was unerwünscht und behandlungsbedürftig ist? Was die neue Normalität ist?

Normal oder abnormal — das ist hier die Frage

Nach der griechischen Auffassung müssten wir als Gesellschaft heute beinahe alle unnormal oder abnormal sein. Laut der Begriffsdefinition der Soziologen haben wir, gerade in Deutschland, viele Jahrzehnte gut bewiesen, dass wir ganz gut ins Schema passen: der Obrigkeit huldigen, anpassen, schlucken. An Maßstäben, Gesetzen, Richtlinien, häufig wiederkehrenden Informationen und moralischen Glaubenssätzen festhalten, die uns geprägt haben, deren Ursprünge wir aber häufig gar nicht mehr kennen oder hinterfragen. Und was würden Psychologen über uns sagen? Etwas sollte dann doch verändert werden. Behandlungsbedürftig eben.

Das sind zugegebenermaßen etwas streng kategorisierte Sichtweisen. Ferner sollten wir nicht zu viel darauf geben, was andere über uns sagen, denn wir lernen doch zunehmend, auf unsere eigene Stimme zu hören. Dann ist ja alles gut, oder? Und, was sagt sie? „Voll normaaaal! Passt schon. Man gewöhnt sich an alles.“ Mist! In der Tat: Wieder eine neu definierte Normalität — die „neue Normalität“ — wurde vielen unter uns schnell zur Gewohnheit gemacht. Gab es diese Normalität aber nicht schon lange vor dem Transformationsjahr 2020?

Die alte Normalität. Ein Auszug

Jahre später nagten solche Fragen beinahe regelmäßig in und an mir. Ich konnte sie nicht mehr wegtanzen oder ertränken wie früher im Club. Der Geisteszustand des Großteils unserer Gesellschaft und das tägliche Handeln sind an Absurdität und Lebensfeindlichkeit nicht zu überbieten. Genauso, wie die Lieblingsschokolade bei Überdosierung keine Glücksgefühle mehr auslöst, können unser Körper und Geist keinen Daueralarm aufrechterhalten. Entscheidungen gegen die innere Stimme, Schmerz und Stress wurden zur Normalität. Der viel zitierte Stumpfsinn macht's möglich. Sind wir aber wirklich so stumpf? Handelt es sich nicht viel eher um einen (überlebens)notwendigen Schutzmechanismus?

Jedenfalls waren wir bis 2020 an einem Punkt angelangt, an dem alles irgendwie normal war: der Krieg gegen die Natur und andere Völker in Form von Ausbeutung und Vergiftung, legalisiert durch passend gemachte Handelsverträge und fragwürdige Subventionierungen. Die Legalisierung des 2,99-Euro-T-Shirts. Der Wochenendflug nach Mallorca für 29 Euro. Papst Franziskus sagte 2014 treffend: „Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen Dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen“ (3). Anklage oder Imperativ? Das entscheide jeder für sich selbst.

Auch vor der Tür gab es genug verrückte Dinge, die schon zum Alltag gehörten: der tägliche Autowahn oder der berühmte Vorgarten des Grauens — Edelstahl, Glas, Steine, keine Pflanzen. Zumindest keine echten. Eltern, die ihre Kinder zur Erziehung oder aus Überforderung schlagen. Die einst fröhlichen Kinder, die als Jugendliche ihre Lebenslust verloren haben. D

ie tägliche Anwendung von technischen Geräten, allen voran PCs, ohne dass wir User die wirkliche Funktionsweise auch nur annähernd verstehen. Das Ungesundsein, ganz im Gegensatz zur griechischen Vorstellung der Norm, schien allgemeiner Konsens zu sein: übersättigt, aber unterversorgt. Normaler Zustand eben, sichtbar an Haut, Haaren oder am Blick und natürlich fühlbar am eigenen Leib. „Wir werden halt älter, normal, oder?“, sagte jüngst ein ehemaliger Klassenkamerad, der mir vorm Gebäude der AOK begegnete, ach ja, und dort arbeitet.

Ebenso hat sich eine erschreckend große Mehrheit an die medialen Angriffe gewöhnt und sie zum Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung gemacht: düstere und aggressive Musikgenres und -Frequenzen samt ihrer Botschaften, kompensiert durch Dauerbelustigung der Radiomoderatoren. Der berühmte Sonntagskrimi, bei dem sich das Wochenende entspannt mit Mord und Totschlag ausklingen lässt. Auch ohne Blutvergießen reicht die Beobachtung der verrohten Sprache im TV, in Jugendsendungen und in der Jugendliteratur. Dieser Trend ließe sich beliebig erweitern; ein Spaziergang durch die Kinderspielzeugabteilung genügt: Man betrachte die Gesichtsausdrücke der Kriegshelden, sorry, Spielhelden. Wie herrlich bequem ist es da, sich über „die Jugend“ aufzukoffern, die letztendlich nur die Ideen von Erwachsenen konsumiert.

Gewohnheit — nur ein Schutzmechanismus?

Ende April 2010 kam unser erstes Kind auf die Welt. Einer der heiligsten Momente, die man erleben kann. Die ersten Tage waren, als würde die Zeit stillstehen, und wir waren in einer Art Ausnahmezustand. Zur selben Zeit liefen einige Hundert Millionen Liter Rohöl nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon in den Golf von Mexiko aus. Noch ein Ausnahmezustand. Ein gelegentlicher Blick in die News genügte, um zu entscheiden, meiner Frau nichts davon zu erzählen. Ich wollte diese Tage möglichst rein und geborgen verbringen. Als wollte ich uns damit einkapseln und schützen. Gleichzeitig konnte der Kontrast stärker nicht sein: Geburt, Reinheit, erste Atemzüge und neues Leben hier — Elend, Verschmutzung, Ersticken und Tod dort.

Doch Zeit verstreicht, Erinnerung verbleicht. Es folgten die nächsten Schreckens- und Schadensmeldungen, genauso wie es sie vorher auch schon gegeben hatte. Ich komme mir vor wie ein Förderband mit einem Anfang und einem Ende, sodass die Aufnahmekapazität begrenzt ist. Ein Mehr an Leid via Massenmedien führt nicht automatisch zu mehr Mitleid. Etwas in uns sorgt offensichtlich für einen gesunden Aufnahmestopp. Ein Schutzmechanismus — allerdings mit der Gefahr, abzustumpfen, sich eben daran zu gewöhnen.

Gewohnheit, von mittelhochdeutsch Gewonheit „Gewohnheit, gewohnte Lebensweise“ und althochdeutsch Giwonaheit „Gewohnheit, Brauch“ (4), lässt sich gleichsetzen mit Angewohnheit, Marotte, Eigenart, Gepflogenheit, Routine, Usus. Das klingt doch wieder nach den Dingen, über die man in der Regel nicht mehr nachdenkt, die programmartig ablaufen. „Das Selbstverständliche in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss“, wie die obige Definition der Normalität vorgab.

Normalität und Gewohnheit sind wohl erschreckend nahe beieinander. Nicht umsonst bezeichnen sich viele als Gewohnheitstier.

Zeugt dieser Mechanismus aber nicht gerade von dem tiefen Wunsch nach höchstem Wohl, Familienleben, Harmonie und Glückseligkeit? Wollen wir nicht in unserem tiefsten Kern, frei nach den Griechen, dieses Wohl zum Ideal, zur Norm, machen? Das Herz sagt das eine, die Ratio das genaue Gegenteil. Das erklärte mir der österreichische Forst- und Betriebswirt und Autor Erwin Thoma in einem Interview sehr anschaulich (5).

Normopathie

2019 hörte ich ein sehr aufschlussreiches Interview mit dem Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in Bezug auf Normopathie (6). Er beschreibt das klassische Kind, das seine Gefühle und Wünsche unterdrückt und sich nicht entfalten kann. Irgendwann rebelliert es. Dieses Rebellieren — mitunter Terror genannt — wird ebenfalls nicht verstanden und soll erst recht unterdrückt werden. Das Leiden und der Gefühlsstau sind vorprogrammiert. Lässt sich dieses Phänomen nicht auch auf die Gesellschaft übertragen?

In einem anderen Gespräch beschreibt Maaz Normopathie weiter als die „Anpassung einer Mehrheit einer Gesellschaft an eine Fehlentwicklung, an pathogenes psychosoziales Verhalten, dessen Störung nicht mehr erkannt und akzeptiert wird, weil eine Mehrheit so denkt und handelt“. Und was die Mehrheit vertritt, könne ja nicht falsch sein. Die Anpassung ist vorprogrammiert. „Die große Fähigkeit des Menschen zur Anpassung wird praktisch pervertiert zur Anpassung an kranke gesellschaftliche Verhältnisse.“ Das würde durch das psychosoziale Grundbedürfnis des Menschen, unbedingt dazugehören zu wollen, verstärkt. Eine Normopathie erklärt somit das pathologische Mitläufersyndrom, „wenn eine Mehrheit begeistert in den Krieg zieht, sich als Herrenrasse wähnt, Völkervernichtung zustimmt, Andersdenkende verfolgt oder Ideologie über die Realität stellt“ (7).

Die schleichende Gefahr

Hier könnte der Grund dafür liegen, dass solch hammerharte Aussagen der Kanzlerin ohne Gegenwehr aus der Bevölkerung möglich sind: „Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden.

Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt — fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt. Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert. Ich finde es auch vernünftig, dass sich die Bevölkerung das Ergebnis einer Maßnahme erst einmal anschaut und dann ein Urteil darüber bildet“ (8).

Juncker weiß ebenfalls die Gelegenheit der normopathischen Gesellschaft am Schopf zu packen und spricht es noch offener aus: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter — Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt“ (9).

Wegbereiter für Denkblockaden

Schon vor 2020 ging die Mehrheit mit den unterschiedlichsten „neuen Normalitäten“ mit. Es genügten ein paar Berichte über verwirrte „Ökos“, und schon gab es keinen nennenswerten öffentlichen Diskurs über die ersten schweren Umweltschäden. Andersdenkende, Hinterfragende wurden auch früher schon kollektiv belächelt. Dieses Lächeln wich in den letzten Jahren einer zunehmend ernsteren Kampfansage, welche bis 2019 ihren vorläufigen Höhepunkt beim Klimawandel hatte. Wer den Klimawandel zwar anerkennt, aber noch ein paar Fragen zu der sehr spontan aufgekommenen CO2-Hypothese hat, kann die „Fehlentwicklung zu jenem pathologischen, psychosozialen Verhalten“ hautnah erleben.

Perfekte Perversion: einfach Klimaleugner nennen und mundtot machen. Die Mehrheit macht mit — nicht aus Bosheit, sondern als logische Konsequenz gezielter Informationskampagnen über Massenmedien, Politik, Internetlexika, Bildungseinrichtungen. Der feste Glaube, damit richtig zu handeln, ist unumstößlich.

Die gelenkten Informationskanäle spielen also nicht nur die Haupt-, sondern auch die erste Rolle. Hat aber wirklich jeder die gängigen Positionen aus Überzeugung übernommen? Oder haben einige Menschen aufgrund der scheinbar überwältigenden Mehrheit lieber nicht den Mund aufgemacht? Sich nicht getraut? „How dare you“ und „why don't you listen to the scientists“ geben die Antwort. „Science is settled.“ So die berühmtesten Aussprüche von Greta Thunberg. Hellhörig sollte man jedoch werden, wenn man sich die „Scientists“ nicht mehr aussuchen darf. Der Gegenwind wird heftig. Bisweilen orkanartig; die Denkblockade fühlt sich beinahe schon wie ein Denkverbot an.

Seit 2020 ist dieses Denkverbot amtlich — denken und hinterfragen unerwünscht und das Klimathema durch ein neues ersetzt. So haben wir im Hochsommer, Ende Juli, vom RKI-Chef Wieler über die Corona-Regeln gelernt: „Diese Regeln dürfen überhaupt NIE hinterfragt werden“ (10), und Die Welt titelte in ihrer Onlineausgabe drei Monate später: „Dieser Lockdown funktioniert nur, wenn die Deutschen das logische Denken sein lassen“ (11).

Ursula von der Leyen ließ Ende März 2020 in einer Videobotschaft verlauten: „Vertrauen Sie (…) journalistischer Sorgfalt in den Qualitätsmedien“ (12) — die Liste ließe sich erweitern. Da sind wir wieder bei dem „Selbstverständlichen in einer Gesellschaft, das nicht mehr erklärt und über das nicht mehr entschieden werden muss“. Die Kartoffel im Mund wird größer, das „voll normaaal“ bleibt mir nun buchstäblich im Halse stecken — gerade weil dies für die Mehrheit so normal geworden ist.

Verantwortung übernehmen statt abgeben

Mit dem Strom zu schwimmen ist bekanntlich — zunächst — der Weg des geringsten Widerstandes, willkommen im Durchschnitt. Das Mitläufertum à la Maaz gleicht eher einem Mitgerissenwerden: Der Glaube daran, neue Regeln und Richlinien zu befolgen und eben nie zu hinterfragen, verleitet dazu, das eigene Heil davon abhängig zu machen, was die anderen sagen. Indem ich meine Mitmenschen an ihre Verantwortung fürs Allgemeinwohl erinnere, bewege ich mich aus meiner Zentriertheit weg und habe bereits die Eigenverantwortung abgegeben.

Das kann sich — wie neuerdings wieder öffentlich erlaubt — bis hin zum Denunziantentum steigern. Auf meinem Grabstein würden dann eines Tages Dinge stehen wie „Hier ruht der tapfere Märtyrer, der es in unermüdlicher Verantwortung den Uneinsichtigen und Egoisten gezeigt hat“. Welchen Paradigmen und Dogmen ich in Wirklichkeit damit gedient gehabt hätte, wird nicht in den Stein gemeißelt. Ebensowenig, dass ich so mit meinem eigenen Seelenheil in diesem Leben keinen Deut weiter gekommen wäre …

Es lässt sich in dieser Blase zugegebenermaßen eine Weile ganz gut leben. Der Blick dafür, wer oder was mich aber wirklich steuert, bleibt versperrt. Das Festhalten an der neuen Normalität zeugt zum einen von der Angst, äußere Veränderungen eigenmächtig auch noch zu verändern. Stichwort Gewohnheitstier. Passt schon. Zum anderen zeugt es von einer gewissen Hilflosigkeit und Hoffnung darauf, dass „sie“ es schon richten werden. Es erinnert an das altbekannte Vertrauen des Opfers in seinen Peiniger bis hin zu dessen Verteidigung. Das berühmte Stockholm-Syndrom: bloß keine Hilfe Andersdenkender annehmen. Mit dem Unterschied, dass viele ihre Peiniger nicht kennen oder kennen wollen. Frei nach Voltaire:

„Es ist schwierig, die Narren zu befreien aus den Ketten, die sie verehren.“ Die mächtigste und modernste Kette ist die Massentäuschung, die derzeit schon fast einen religionskriegartigen Kulturkampf nach sich zieht.

Die Chance 2020 — die schöne Normalität

Ist die seit 2020 viel zitierte neue Normalität wirklich so neu? Eher nicht. Nach Junckers Worten handelt es sich vielmehr um die logische Fortführung einer lang anhaltenden Entwicklung und den geplanten Umbau der gesamten Weltordnung. Schritt für Schritt. Diese Erkenntnis muss lediglich — in Eigenverantwortung — etwas zusammengefügt werden, wird das nun mal nicht so stark in den Massenmedien serviert wie jetzt das „krönende“ Finale. Und tatsächlich: Die täglichen Steilvorlagen zum Aufwachen werden von einer immer größeren Menschenmenge dankbar angenommen. Noch leicht paralysiert reiben sie sich die Augen.

Das ist der erste, wesentliche Schritt zur Erkenntnis, welche Normalität wir nicht gewählt haben. Weder politisch und schon gar nicht im Herzen. Der nächste Schritt ist die Frage, was wir denn stattdessen wollen. Zurück zur alten Normalität, wie schon immer nach Krisen und Katastrophen? Okay, rauf auf den Bagger, ab zu den seltenen Erden, schnell noch Fernflüge buchen und das Kind weiter mit fragwürdigen Ablenkungsgegenständen aus Jeff Besos‘ Spielwarenabteilung zuschütten. Die Chance zu erwachen wäre vertan. Die Chance auf eine weltweite Heilung auch.

Mehr denn je erkennen immer mehr Menschen die ahrimansche Taktik, die Verdrehung und Pervertierung unserer Wirklichkeit (13). Mehr denn je bietet sich die Chance, die eigentliche Zeitenwende zu realisieren und aktiv mitzugehen. Jeder Gedanke, den wir hegen, jedes Wort, das wir sprechen, und jede Handlung, die wir vollziehen, sind Ausdruck davon, wer wir zu sein gewählt haben. Wir können also aktiv wählen, ob wir ein Gewohnheits- oder eher Gewöhnungstier nach dem Motto „Da kann man ja eh nichts machen“ sind. Oder ob wir unsere Visionskraft und Handlungsfähigkeit anwenden, um aktiv eine neue Erde zu erschaffen.

Wie wäre es, wenn die neue Normalität beinhalten würde, aus Eigenverantwortung selbst zu recherchieren, zu denken und zu handeln? Wir waren schon immer schlecht beraten, die gerade gültige neue Normalität kritiklos — und neuerdings tatsächlich sang- und klanglos — anzunehmen. Es gäbe erneut eine nachfolgende Generation, die wieder fragen würde: „Wie abnormal waren die denn drauf? Wie konnte das passieren?“ Seit 2020 dürfte die Aussage von George Orwell vielen Menschen wieder in Erinnerung sein: „In Zeiten weltweiter Täuschung ist es ein revolutionärer Akt, die Wahrheit zu sagen“ (14).

Eine integere Gemeinschaft ist gefeit vor subtilen Angriffen und hybriden Kriegen. Das sollte die neue Normalität sein. Ganz nach dem griechischen Wortverständnis „die natürliche Beschaffenheit des Lebens“. Wir sollten also unseren Normalzustand selbst definieren und real erschaffen. Das fängt mit unserer Gedankenkraft an. Erkennen wir sie. Nutzen wir sie. Und wir werden uns erstaunlich schnell dran gewöhnen. Weil das unser Wesenskern ist. Janz normaaal.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://wiki.univie.ac.at/pages/viewpage.action?pageId=129253182
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Normalität
(3) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-06/papst-franziskus-kapitalismuskritik?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
(4) https://www.wortbedeutung.info/Gewohnheit/
(5) https://www.umwelt-und-bewusstsein.de/mit-erwin-thoma-im-gespraech-eine-frage-der-persoenlichen-haltung/
(6) https://kenfm.de/m-pathie-hans-joachim-maaz-podcast/
(7) https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/anpassung_an_kranke_gesellschaftliche_verhaeltnisse?nav_id=7095
(8) https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeskanzlerin-dr-angela-merkel-794788
(9) https://www.spiegel.de/politik/die-bruesseler-republik-a-3d75c854-0002-0001-0000-000015317086
(10) https://www.deutschlandfunk.de/mehr-covid-19-faelle-in-deutschland-rki-praesident-die.676.de.html?dram:article_id=481382
(11) https://www.welt.de/politik/deutschland/plus218861244/Dieser-Lockdown-funktioniert-nur-wenn-man-das-logische-Denken-sein-laesst.html
(12) https://www.youtube.com/watch?v=5anpUCsURlw
(13) https://www.umwelt-und-bewusstsein.de/der-kampf-um-gott-teil-1/
(14) https://www.zitate.eu/autor/george-orwell-zitate/180571#:~:text=Zitate%20von%20George%20Orwell,Tat%2C%20die%20Wahrheit%20zu%20sagen.


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