„Woran erkennt man einen Veganer?“, fragen viele Fleischesser hämisch. Die dann folgende Antwort: 6 Prozent könne man daran erkennen, dass diese keine tierischen Produkte essen – und die restlichen 94 Prozent erkenne man daran, dass sie ihre Auffassung allen Nicht-Veganern ununterbrochen unter die Nase reiben.
Im Netz kochte die Debatte wieder einmal hoch, als kurz vor Weihnachten Edeka die Gemüter mit einer äußerst stillosen Werbung erhitzte. Ein Bild von einer gebratenen Weihnachtsgans mit der Überschrift:
„Weihnachten ist, wenn alle sich freuen, dass Oma einen Braten in der Röhre hat.“
Unter dem Facebook-Beitrag entfachte sich ein Wortgefecht zwischen Fleischessern und Vegetariern sowie Veganern; beide werde ich im Folgende als „Veggies“ zusammenfassen. Diese Auseinandersetzung in den Kommentarspalten spiegelt einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel im Hinblick auf den Fleischkonsum wider. Vor wenigen Jahren noch hätte eine solche Werbung keinen solchen Skandal ausgelöst. Nichtsdestotrotz geht dieser Bewusstseinswandel mit einer kommunikativen Schlammschlacht einher.
Verschaffen wir uns doch einmal eine Übersicht über dieses Schlachtfeld und betrachten, wofür welche Parteien mit welchen Mitteln und Absichten kämpfen. Vorab ist es bei einem so heiklen Thema wichtig, dass ich meine eigene Position offenlege: Seit April 2014 boykottiere ich Fast-Food-Läden wie McDonalds, Burger King oder KFC. Im Herbst 2016 fing ich an, meinen Fleischkonsum zu reduzieren, bis dieser so niedrig war, dass ich ihn im Sommer 2018 gänzlich einstellte, zum Teil auch aufgrund der zahlreichen beängstigenden Fakten. Der ausschlaggebende Impuls war jedoch die unerträgliche Hitzewelle des Backofen-Sommers 2018, die mir gesundheitlich zu schaffen machte.
Ich vollzog meine Transformation zum Vegetarier sehr langsam und unter entsprechend achtsamer Beobachtung anderer sowie mir selbst. Ich bin tendenziell ein Rational-Vegetarier. Die Entscheidung, auf Fleisch zu verzichten, habe ich auch bis zu einem gewissen Grad aus emotionalen Gründen, respektive dem Mitleid mit den Tieren getroffen, vor allem aber aus rationalen und politischen Motivationen heraus. Da ich größtenteils aus Überzeugung, nicht aus Ekel vor der Sache, auf Fleisch verzichte, läuft mir beim Duft eines saftigen Schweinebratens nach wie vor das Wasser im Munde zusammen, jedoch kann ich dieser Verführung widerstehen. Daher mute ich mir zu, in dieser Schlammschlacht eine relativ neutrale Beobachter-Rolle einnehmen und aus dieser heraus die unübersichtliche Gemengelage einigermaßen entwirren zu können. Betrachten wir daher Folgendes: die Bedeutung des (heutigen) Fleisch-Essens für die Menschheit, die (missionierenden?) Veggies und zu guter Letzt: die Fleischesser.
Fleisch
Ob Burger, Bockwurst, Schnitzel, Chicken-Nuggets, Döner oder gar die Bärchenwurst – all das enthält Fleisch. Und jedes Fleisch war einmal Teil eines Tieres. Ist diese Bemerkung redundant und unnötig? Wohl kaum! Wie ein Experiment der Wissenschaftsredaktion des WDR zeigte, ist dieses Bewusstsein bei den fleischessenden Bürgern lediglich im verdrängenden Sektor des Hinterkopfes vorhanden. Bei diesem Experiment schlachtete ein Landwirt in der Öffentlichkeit der Kölner Innenstadt zehn (Weihnachts-)Gänse vor den Augen der sich im Weihnachts-Shoppingrausch befindlichen Bürger. Das sich in den Gesichtern der Passanten breitmachende Entsetzen darüber, dass ihre Weihnachtsgans ursprünglich ein echtes, lebendiges Tier war, spricht Bände.
Hier zeigt sich, in welchem Ausmaß wir bereits von unserer Fleisch-Ernährung entfremdet sind. Gejagt werden heute keine Tiere mehr, sondern Schnäppchen in den sterilen Höhlen der Discounter. Wer selbst als bewusst lebender Konsument nicht drum herumkommt, die Ladenfläche eines Discounters zu betreten, hört dort des Öfteren über die Lautsprecher Werbungen wie die folgende:
„Nur diese Woche im Angebot! 500 Gramm Schweinefleisch für 1,49 Euro. Und die Packung Hackfleisch, 250 Gramm für nur 1,99 Euro! Guten Appetit!“
Die Schlussbemerkung klingt schon äußerst zynisch!
Im Rubikon beschrieb der Naturforscher Steffen Pichler bereits in aller Ausführlichkeit die Hölle im Kopf der geschlachteten Tiere und der sie essenden Menschen. Eine empfehlenswerte weiterführende Literatur ist hier auch die von Roland Rottenfußer beschriebene Doppelmoral eines jeden, der sich als „links“ bezeichnet, aber sich gleichzeitig in kapitalistischer Reinkultur an der Ausbeutung von Tieren beteiligt. Deren einziger Lebenssinn besteht darin, in dunklen, engen Schlachthäusern unter höllischen Qualen ihr Dasein bis zur Schlachtbank zu fristen, um als 99-Cent-Cheeseburger bei McDonalds verramscht zu werden, den der Konsument dann sogar manchmal achtlos liegenlässt.
Die Folgen des Fleischkonsums in aller Gänze durchzudeklinieren, die Folgen für uns selbst, für andere und für die Welt, in der wir leben, samt allen Rattenschwänzen, die daran hängen, sprengt den Rahmen dieses Artikels. Dennoch ist es wichtig, dieses Mammut an Folgen hier noch einmal kurz durch den Fleischwolf zu kurbeln, sodass die Problematik – kurz und kompakt zusammengefasst – in zwei bis drei Absätzen Platz hat:
Gigantisch große Waldflächen werden weltweit abgeholzt, um Soja als Nahrungsmittel für Tiere anzubauen. Folglich wird weniger Sauerstoff produziert, während sich zeitgleich von Kühen ausgeschiedene Gase wie Methan in der Atmosphäre mehren. Für die Herstellung von einem Kilogramm Fleisch sind außerdem unvorstellbare Mengen an Nutzfläche, Getreide und vor allem Wasser notwendig. Dabei werden gigantische Mengen an CO2 in die Atmosphäre geblasen. Zwischen der Hitzewelle des letzten Sommers und unserem Fleisch-Konsum besteht also ein direkter Zusammenhang. Wer 2018 grillte und sich gleichzeitig über die Hitze beschwerte, hat etwas Grundlegendes überhaupt nicht verstanden.
Simultan zu unserer Umwelt – die wir korrekterweise eigentlich unsere Mitwelt nennen müssten – schaden wir auch uns selber, da insbesondere das Billigfleisch von Tieren stammt, deren Körper mit Antibiotika vollgepumpt werden, damit sie ihre „Leben“ bis zur Schlachtbank überhaupt „überleben“.
Durch die permanente Aufnahme von Antibiotika werden wir irgendwann gegen die Antibiotika, die wir eines Tages krankheitsbedingt tatsächlich mal benötigen könnten, resistent. Außerdem korrespondieren zahlreiche Krebserkrankungen mit dem Fleischkonsum.
Von den multiresistenten Keimen im Fleisch möchte ich gar nicht erst sprechen.
Sie kennen den Ausspruch: „Du bist, was du isst.“?
Diese Volksweisheit ist nicht aus der Luft gegriffen. So nehmen wir durch das von Angsthormonen durchtränkte Fleisch der Tiere deren Angst in uns auf. Ebenso leidet die Psyche der hunderttausenden Billig-Arbeitskräfte, die in Schlachthöfen tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt den lieben langen Tag nichts anderes machen, als tausendfach Tiere zu ermorden. Gerade in der EU findet eine gigantische Binnenmigration im Fleischproduktionssektor statt.
Zur Verbildlichung dieser Problematiken sei hier beispielhaft auf die für 1 kg Rindfleisch benötigten Ressourcen verwiesen, die aufzeigen, wie wir uns als Spezies durch das Fleisch-Essen selbst ins Bein schießen.
Die Veggies schlagen Alarm!
Dass Fleisch-Essen kein Kavaliersdelikt ist, sollte durch den vorherigen Abschnitt deutlich geworden sein. Allzu verständlich ist es dann, wenn die Veggies Alarm schlagen. Vielfach stoßen sie dabei auf Ignoranz, vor allem aber auf Verhöhnung bis hin zu blankem Hass. Das geht so weit, dass auf einer Party in meinen Studentenkreisen diese Diskussion beinahe in eine Schlägerei mündete.
„Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg.“
Und auch diesen Spruch dürfte schon jeder bayerische Veggie einmal gehört haben. Um zu verstehen, warum die verzweifelten Warnrufe nicht fruchten, müssen wir ihre Intention betrachten. Warum haben Veggies ein Problem mit Fleischessern? Diese Frage mag im ersten Moment genauso naiv und unnötig klingen wie die, ob man wüsste, dass Fleisch von Tieren kommt. Doch gerade in der Banalität dieser Frage liegt ein wichtiger Kern, den es zu erforschen gilt. Was ist die Triebfeder hinter den missionarischen Veggies?
Entsenden sie ihre Warnrufe aus tiefer emotionaler und empathischer Motivation und dem Willen heraus, das unsägliche Leid von Millionen Tieren zu beenden und in letzter Konsequenz das Überleben der Menschheit zu sichern? Dann können wir diese Motivation als die tugendhafte Intention betiteln.
Die unaufrichtige Intention wäre es, wenn die Verurteilung von Fleischessern aus einer narzisstischen Haltung der moralischen Überlegenheit heraus geschieht. Wenn man sich – meist durch eine finanzielle Besserstellung bedingt – als Teil einer ökologischen Moral-Elite wähnt.
Symbolträchtig hierfür sind FahrerInnen von SUVs, wie sie vor dem Biomarkt parken. Natürlich wurden hier nun wieder extreme, sich gegenüberstehende Pole skizziert, zwischen denen sich die Mehrheit der Veggies bewegt. Natürlich ist kaum ein Veggie zu hundert Prozent altruistisch und auf der anderen Seite ist nicht gleich jeder ein Narzisst, der etwas Gutes tut und sich dabei auch gut fühlt.
Doch woher kommt jetzt der Veggie-Alarmismus, der etlichen sich „normal“ ernährenden Leuten auf den Zeiger geht? Dieser Alarmismus lässt sich häufig bei frischen Veggies beobachten. Also diejenigen, die – genau wie ich – erst seit Kurzem kein Fleisch mehr essen. Das empfinden sie erst einmal als neu und aufregend. In dieser ersten Phase beobachten sie viel intensiver und mit einer viel höheren Sensibilität die anderen, die nach wie vor Fleisch essen. Sie erkennen nun die Omnipräsenz des Fleischkonsums, jetzt, da sie eine gewisse Distanz zum selbigen aufgebaut haben. Ein ähnlicher Wahrnehmungs-Effekt stellt sich bei demjenigen ein, der zum Beispiel für ein paar Monate keinen Alkohol trinkt.
Aus dieser Position heraus ist es durchaus mitunter etwas heuchlerisch, aus Finger Food plötzlich „erhobenes Zeigefinger-Food“ zu machen.
Hat man sich als „Neu-Veggie“ doch auf der zurückliegenden Zeitachse mächtig an diesem Umtrieb beteiligt, also eine ziemlich dicke Moralstraftakte im Gepäck. Es mag natürlich auch die „Neu-Veggies“ geben, die schlagartig die Tragweite des Fleisch-Essens erkannt haben und ab da an von Reue und Schuldgefühlen geplagt sind. Dabei verurteilen sie gleichermaßen sich selbst für den zurückliegenden Fleisch-Konsum als auch diejenigen, die es nach wie vor tun.
Die Motivationen für den Alarmismus sind also vielfältig. Sie reichen vom klaren Bewusstsein über die Dramatik dieses Essverhaltens über Schuldgefühle bis hin zu der Motivation, sich durch das „richtige“ Verhalten die „moralische Erlaubnis“ einzuholen, um sich über andere zu erheben und sich dadurch besser zu fühlen.
Die Fleisch-Fresser
Fleisch-Essen wird in unserer Kultur und ganz besonders in Deutschland mit „Mann-sein“ verbunden. Fleisch zu essen gilt als männlich! Als maskulin! Das Zubereiten und Verzehren von Fleisch ist einer der letzten Bereiche, in denen der Mann der Postmoderne noch „Mann sein“ kann. Zwar geht er nicht mehr auf die Jagd – aber zumindest beim Grillen kommt noch ein fahler Schatten, eine verblichene Kopie des prähistorischen Mannes zum Vorschein.
Wir kennen dieses Bild. Deutsche Vorstädte im Spätfrühling. Der teure, schwarze Riesen-Grill – ein Prestige-Produkt, mit dem man die Nachbarn beeindrucken und neidisch machen will – wird aus der Garage geholt. Die Nachbarschaft, Freunde oder Arbeitskollegen werden zum Barbecue eingeladen.
Und da steht der Mann! Den nackten, wuchtigen Oberkörper nur von einer Kochschürze bedeckt, steht er am Grill. Auf den Gittern brutzelt immer rostig-rot-brauner und dunkler werdender das, was mal ein Tier gewesen ist. Überall zischt und knistert es. Hier und da schießen kleine Flammen aus der Glut hervor. Eine Dampfwolke umhüllt die Reihenhäuser, den Fleischgeruch in sich tragend. Heroisch steht der Mann in dieser Szenerie am Grill. Während sich die Frühlingssonne in den Schweißperlen auf seiner roten Stirn und in der kleinen Goldkette spiegelt, dreht er mit der Grillzange in der Rechten die Steaks und die Bratwürstchen um. Die Linke führt die Bierdose zum Mund, der Bierschaum flutet die Barthaare. Der laute, obligatorische Rülpser komplettiert die Grill-Szenerie. Wem kommt das nicht stimmig vor?
Wir sehen: Fleisch zu essen ist tief in unserer Kultur und in unserem Bild vom „Mann-sein“ verankert. Bei einem Vegetarier oder gar einem Veganer dürften viele sehr schnell das Bild von einer Birkenstock-Sandalen tragenden Lauch-Gestalt in Jack-Wolfsskin-Funktionsjacke und mit Yoga-Matte unter dem Arm vor Augen haben. Wie unmännlich!
Weitere Gründe, warum so viele genauso intensiv am Fleisch festhalten wie die Marinade, sind unter anderem die Tradition, der Geschmack und der Eiweißgehalt. Fleisch-Essen besetzt viele Tage im Jahreskalender: Die Weihnachtsgans am Weihnachtsfeiertag, das Fondue an Silvester, der Lammbraten an Ostern, die Chicken-Wings-Eimer beim Superbowl und die traditionelle Grill-Saison über heiße Tage. Von dieser Gewohnheit und dem Verlangen nach Fleisch der Konsumenten hängt ein riesiger Industrie-Zweig ab. Ein lawinenartiges Konvertieren der Masse zu Vegetarismus oder Veganismus würde ganze Fabriken brach legen und zahlreiche Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen.
Eine weitere Möglichkeit, um sich die gigantische Menge von Fleisch, die wir verzehren, vor Augen zu führen, ist die folgende. Betrachten wir eine relativ unscheinbare und bedeutungslose Stadt in Deutschland. Nehmen wir Koblenz. Koblenz ist eine Stadt mit etwas mehr als 100.000 Einwohnern und damit qua Definition eine Großstadt. Nun betrachten Sie diese Stadt vor ihrem geistigen Auge aus der Vogelperspektive.
Wie viele Fast-Food-Filialen wird Koblenz besitzen? Je zwei bis vier McDonalds-, Burger King-, Subway- oder KFC-Filialen auf jeden Fall, oder? Stimmt. Und wie sieht es mit Döner-Buden und Kebab-Häusern aus? Da wird es durchaus auch mindestens über zehn Stück geben, richtig? Stimmt. 20 sogar. Und dann wären da noch die ganzen Restaurants, Supermärkte und Metzgereien. Alle zusammen über 50 Stück. Halten Sie sich vor Augen, dass an all den aufgezählten Orten Fleisch in vielen verschiedenen Ausführungen angeboten wird. Wirklich überall! Und die ganzen Betriebskantinen, Imbissstände und Tankstellen in Koblenz wurden ja noch gar nicht in die Rechnung aufgenommen, sind aber ebenfalls zahlreich vorhanden.
Überall dort gibt es Fleisch! Allein in Koblenz gibt es über 100 Adressen mit fleischiger Vielfalt. Das ist jetzt aber nur Koblenz! In anderen Städten Deutschlands in dieser Größenordnung ist das nicht anders. Und dieses Angebot kann man mehrmals quadrieren in den Millionenstädten Berlin, Hamburg und München und auch in den größeren Städten mit über 500.000 Einwohnern. Selbst in den kleineren Städten und teilweise auch in den kleinsten Dörfern, die über eine Gastwirtschaft verfügen, dasselbe Spiel.
In fast jeder deutschen Ortschaft ist Fleisch erhältlich! In jedem Regierungsbezirk, in jedem Bundesland, ja bundesweit! Das verhält sich in anderen Ländern Europas und großen Teilen der Welt nicht anders. Und jetzt stellen wir uns die notwendige Menge an Tieren vor, die für dieses omnipräsente Fleischangebot wortwörtlich ihren Kopf hinhalten müssen.
Aber alle diese Tiere sind für uns unsichtbar. Wir sehen ab und zu einen Schweinetransporter auf der Autobahn im Rückspiegel. Aber ansonsten sehen wir diese Tiere nicht mehr lebend durch unsere Städte und Vororte laufen und hören auch nicht mehr ihre gequälten Schreie aus den Schlachthäusern.
Inspirieren statt missionieren
Vegetarier oder Veganer zu werden, kann nur jeder selbst entscheiden – niemand sonst. Man kann einen Fleisch-Esser nicht missionieren. Es funktioniert nicht! Die Initialzündung für den Entschluss, auf Fleisch zu verzichten, kann nur aus der jeweiligen Person selbst kommen. Solange diese nicht bereit ist, auf Fleisch zu verzichten, kann man ihr so viele alarmierende Fakten nennen, wie man will. Der Wille, wo man will und wann immer man will, Fleisch zu essen, kann dadurch nicht gebrochen werden. Fleisch-Esser sind wie die Hydra aus der griechischen Mythologie – wirft man ihnen Argumente an den Kopf, machen sie sich keinen Kopf drum, sondern es entsteht ein zweiter Kopf, der dann ebenfalls Fleisch frisst. Soll heißen, dass die von vorneherein zum Scheitern verurteilten Versuche, Fleisch-Esser zu missionieren, häufig damit enden, dass diese aus Trotz umso entschiedener Fleisch essen.
Warum scheitern die Missionierungsversuche? Ganz einfach: Der Versuch einer solchen Missionierung wird vom Betroffenen als Angriff verstanden und bewertet. Er oder sie fühlt sich angriffen und geht in eine Abwehrhaltung. Den vegetarischen oder veganen Leser/innen dieses Artikels möchte ich das an einem Beispiel erläutern. Beobachten Sie dabei ihre Gefühle:
Es dürfte eine hohe Schnittmenge zwischen Veggies und Netflix-Usern geben. Also Vegetarier und Veganer, die Streaming-Angebote wie Netflix nutzen. Das mögen umwelt- und verantwortungsbewusste Zeitgenossen sein. Wenn sie Netflix gucken, machen Sie das wahrscheinlich mit bestem Gewissen und ohne bösen Hintergedanken. Wussten Sie allerdings, dass Streamen, also auch das Nutzen von Netflix – insbesondere das „Serien-Suchten“ - hochgradig umweltschädlich ist? Grund ist der immens hohe Stromverbrauch, der für die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) aufgewendet werden muss und der bei gleichbleibendem Anstieg im Jahr 2030 so hoch sein dürfte wie der heutige Stromverbrauch der gesamten Weltbevölkerung.
„Ja, aber....!!“
Merken Sie was? Sie gehen nun wahrscheinlich in eine Abwehrhaltung und suchen nach Ausreden, um das geliebte Streamen vor mir und vor Ihnen selbst moralisch zu legitimieren. Sie hängen vermutlich an Game of Thrones wie der Fleischesser an seinem Steak. Sie werden sich nicht von heute auf morgen überzeugen lassen.
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf merken Sie nun vermutlich auch ganz schnell, dass es wenig bringt, Fleisch-Esser zu belehren, sie mit Fakten zu bombardieren, niederzumachen oder ihnen zu unterstellen, ganz böse Monster zu seien.
„Man schafft niemals Veränderung, indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Alte überflüssig machen.“ (Buckminster Fuller, amerikanischer Architekt)
Statt also die Fleisch-Esser zu bekämpfen, sollten wir unsere Energie lieber dafür aufwenden, Vegetarismus und Veganismus so attraktiv zu machen, dass Fleisch-Esser irgendwann aus Neugier unsere fleischfreien Köstlichkeiten probieren und dadurch gegebenenfalls auf den Geschmack kommen. Hierbei mag das bei Instagram häufig betriebene „Food-Porn“, also das ästhetische In-Szene-Setzen von Speisen, durchaus sinnvoll sein, wenn es um vegetarische und vegane Gerichte geht. Public Relations für fleischlose Ernährung. Die Alternative zu Fleisch sollte attraktiv gemacht werden.
Es müssen Anreize geschaffen werden, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, und die Arme für die noch Fleischessenden müssen geöffnet werden. Mit unserer feindseligen und verurteilenden Haltung schrecken wir Fleisch-Esser ab und belegen die fleischlose Ernährung mit dem unbeliebten Klischee des missionarischen Eifers. Viele dürften zu Recht befürchten, dass sie bei einem etwaigen Wandel des Ernährungsstils von den Veggies wie folgt begrüßt werden:
„Aha! Sieh mal einer an, wer da angekrochen kommt! Siehst du jetzt doch endlich ein, dass wir all die Jahre recht hatten?“
Wer möchte schon so empfangen beziehungsweise so für seinen Bewusstseinswandel „belohnt“ werden? Wohl kaum jemand! Ich selbst habe nicht deswegen aufgehört, Fleisch zu essen, weil mir ein Haufen militanter Veggies im Nacken saß, die mich tagtäglich wegen meines Fleischkonsums drangsalierten. Ich wurde freundlich und geduldig und mit sanften, inspirierenden, Impuls-gebenden Schubsern der Veggies in meinem Umfeld dorthin gelotst. In einem Tempo, in dem der endgültige Entschluss in mir heranwachsen und gedeihen konnte.
Natürlich ist die Zeit viel zu knapp, um lediglich mit sanften Schubsern zu operieren. Aber wir sind auf uns allein gestellt. Die Politik versagt hier wie in allen anderen Bereichen und hat zahlreiche Ideale längst über Bord geworfen. Die Grünen haben ihre Idee, nur einen einzigen Veggie-Day in der Woche einzuführen, mittels ihrer Aktenvernichter längst zu Hackpapier verarbeitet. Selbst die kleinste, unpopuläre, Wählerstimmen-reduzierende Veränderung in Richtung weniger Fleisch wurde von der sich selbst ökologisch nennenden Partei abgesägt. Schließlich heißt es hier: career first! Stattdessen gönnt sich die Grüne im schönen Bayern immer wieder mal ein Weißwurstfrühstück.
Wir brauchen uns nichts vormachen! Vor dem „großen Knall“ werden wir die breite Masse nicht erreichen! Denken Sie an das Beispiel aus Koblenz. Der große Groschen wird erst fallen, wenn es der Masse richtig nahegeht! Vorher liegt es an uns, alternative Ernährungsstrukturen aufzubauen, entsprechende Unternehmen zu unterstützen und dort unsere Energie hinfließen zu lassen – statt in moralische Grabenkämpfe in den Kommentarspalten und am Esstisch. Auch für friedensbewegte Veggies gilt, was Leo Tolstoi erkannte:
„Solange es Schlachthöfe gibt, wird es auch immer Schlachtfelder geben.“
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