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Die Lach- und Spießgesellschaft

Die Lach- und Spießgesellschaft

Was darf Satire in Zeiten der Pandemie eigentlich? Offenbar gar nichts. Lachen wird zu einer Regung aus der rechten Ecke erklärt.

Wer hat da gelacht? Lachen darf momentan nicht sein. Wer die kurzen Filmchen von Jan Josef Liefers, Ulrich Tukur und Kollegen mit einem befreienden Lachen quittierte, hat sich der schlimmsten Tat schuldig gemacht, die diese pandemische Zeit derzeit kennt: Des Lachens — des Humors.

Der ist nämlich nicht Befreiung, Ventil oder Strategie zur Steigerung der Resilienz: Der gilt nun als gemeingefährlich, als egoistisch und rechtsoffen. Ja, wirklich: Rechtsoffen! Das weiß man doch: Dort wo gelacht wird, da sitzen Neonazis. Witzige Burschen in Springerstiefel sind das. Was, Sie lachen über den Zynismus, den Sie hier zwischen meinen Zeilen vermuten? Okay, aber bitte nicht zu laut, machen sie es heimlich.

Haben Sie einen Keller? Gehen Sie dorthin, lachen Sie dort. Das ist im Augenblick sicherer.

Lachen im Keller, Leichen im Keller

Satire darf alles. Darauf verständigte sich die deutsche Öffentlichkeit vor einigen Jahren, als ZDF-Moderator Jan Böhmermann ein Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan rezitierte. Einen Ziegenficker nannte ihn der Hobbypoet damals. Aber das sei, so argumentierte man, nicht weniger als Meinungsfreiheit. Erdoğan müsse das aushalten können. Dafür änderte man sogar ein Gesetz, ab da wurde es möglich, die Staatsoberhäupter anderer Länder auch mal satirisch beleidigen zu dürfen.

Derselbe Böhmermann belehrte kürzlich aber alle, die die Clips der Schauspielerinnen und Schauspieler guckten, die sich zynisch mit dem Corona-Kurs der Bundesregierung auseinandersetzten. In Zeiten wie diesen sollte man nur bestimmte Filme gucken — und empfahl just eine Dokumentation zur Lage auf der Intensivstation der Berliner Charité.

Der Mann vom ZDF, der jetzt zum Lachen in den Keller geht, dorthin wo er seine satirischen Leichen versteckt hält, hat offenbar gar kein Problem mit der Doppelmoral: Als Koryphäe des Metiers weiß er schließlich, was Satire ist und was sie darf. Nämlich alles — außer das, was sie gerade nicht dürfen können soll.

So zu tun, als würde man jemanden Ziegenficker nennen, dann aber erklären, man tue es eigentlich nicht, der also im Konjunktiv eine Beleidigung in Aussicht stellt — diese Böhmermannsche Masche ist also als satirisch zu bewerten. Die zynische Auseinandersetzung mit einer Seuchenschutzpolitik, die mittlerweile selbst jede fachwissenschaftliche Angemessenheit vermissen lässt, kann jedoch nicht geduldet werden.

Schnell hatte der Shitstorm der Humorlosen auch einen Grund für die Spaßbefreiung parat: Weil #allesdichtmachen sich über Mediziner und Pflegende lustig mache. Der Zynismus sei wie ein Messerstich ins Herz dieser aufopferungsbereiten Menschen.

Larmoyante Stimmen bekamen Gehör, wurden laut zitiert.

Dass es etliche Pflegekräfte und Ärzte gibt, die ein Ende des Lockdowns fordern, wurde in fast satirischer Überspitzungswut einfach ausgeblendet.

Spaßguerilla aus der Tonne

Unzählige Meinungsartikel türmten sich in den Kommentarspalten dieses Landes, die plötzlich vom Affront der satten Künstler erzählten, die keinerlei Mitgefühl in sich tragen würden und denen es an Solidarität gegenüber den Pflegerinnen und Pflegern mangeln würde.

In keinem einzigen dieser Filmchen macht sich der Protagonist jedoch über medizinisches Personal lustig. Es ist eine konstruierte Mär, die man über Umwege und mit bösem Willen hineininterpretiert, um eine Angriffsfläche zu generieren.Mittlerweile wurde diese Interpretation so oft wiederholt, dass aus dem Narrativ eine gefühlte Wirklichkeit geworden ist.

Pflegekräfte fühlen sich beleidigt, als habe man sie Ziegenficker genannt. Über sie und die allgemeine Lage gäbe es einfach keine Berechtigung zu lachen. Jede satirische Auseinandersetzung verbiete sich quasi. Der medizinische Betrieb sei unantastbar.

Ein anderer Ansatz widmete sich dem Zynismus grundsätzlich, der jetzt schon gleich gar nicht helfe. Er sei geschmacklos und kontraproduktiv. Dass er eine Verarbeitungsstrategie ist, noch nicht mal Humor im eigentlichen Sinne, sondern eine Lebenseinstellung: Das hätte doch irgendein Kommentator mal erwähnen können. Zynismus tut sicher weh, auch weil er eine Form bissiger Traurigkeit darstellt, eine Strategie, einigermaßen würdevoll mit den Niederungen des Daseins fertigzuwerden. Aber er ist doch keine Praxis einer satanischen Sekte oder so.

Jedenfalls ist der Zynismus jenes Diogenes aus Sinope, der selbst noch Kyniker war, mehr als nur Possenreißerei. Peter Sloterdijk hat sich vor drei Jahrzehnten der Entwicklungsgeschichte des Zynismus angenommen, in der „Kritik der zynischen Vernunft“ skizziert er, wie der Spaßguerilla und Provokateur, der in einer Tonne hauste, der Nachwelt eine Lebensphilosophie hinterließ. Eine Lautverschiebung löste den Kyniker ab: Er wurde zum Zyniker. Geblieben ist ein sehr spezieller Umgang mit einer Welt, die nur auf diese Weise zu ertragen ist und dem Zyniker auf diese Weise eine stoische, über den Niederungen des Alltags befindliche Würde genehmigt.

Nicht nur bei Masken nicht mehr erlaubt: Ventile

Dass das nicht immer schön ist für Menschen, die diese zynische Lebensphilosophie nicht teilen, kann ja durchaus sein. Aber sie sollten nie vergessen, dass Menschen verschiedenste Strategien entwickeln, um mit der Umwelt, mit Sorgen, den leidigen Mitmenschen, Ungerechtigkeiten, Bevormundung und Entbehrungen umzugehen. Der eine frisst alles in sich hinein. Andere werden ruhiger, kehren in sich. Der Zyniker ist eher extrovertiert, er muss es rauslassen. Nicht als Knall, er bedient sich des ironischen Understatements.

Die „pseudo-kritische Ironie funktioniere nach der Maxime: Witzle so, dass deine Beschränktheit auch alle anderen geistig einengt“, stand im Freitag. So ein Satz liest sich freilich gut, zeigt sich aber insofern selbst beschränkt, da er ignoriert, dass es Menschen gibt, die Ironie und deren Steigerungsform des Zynismus auch deshalb praktizieren und schätzen, weil sie solch einen Umgang mit Geschehnissen als Ventil betrachten. Ironie ist eben nicht Beschränktheit, sondern eine Form psychischer Widerstandsbekräftigung.

Aber wie bei der Maskenpflicht, so scheinen Ventile auch nicht in der mentalen Verarbeitung dieser bitteren Monate zulässig zu sein.

Resilienz durch Humor wird ersetzt durch eine pietistische Humorlosigkeit, die klarmacht, dass Lachen keine Befreiung sein kann, Spaß nicht sein darf.

Umberto Eco hat uns im Roman „Der Name der Rose“ vom blinden Mönch Jorge de Burgos erzählt. Der Blinde lehnte das Lachen auf den Tod ab. Lachen entstellt, entwürdigt und klärt auf, glaubte er: Es ist diese Grabesstimmung eines mittelalterlichen Klosters, die wir aktuell als ganz normalen Umgang mit dieser Krisenzeit empfohlen bekommen. Soll man da lachen oder weinen?

Dabei wurde zu jeder Zeit gelacht. Zu jeder Katastrophe. Galgenhumor ist eine eigene Kategorie und meint das Lachen in der Stunde schlimmster Not. Der spanische Schriftsteller Jorge Semprún, der Gefangener in Buchenwald war, berichtet auch vom Lachen im KZ. Selbst da, wo tiefste Traurigkeit herrscht, wird zuweilen gelacht. Das entspricht der menschlichen Natur. Ich erinnere mich noch, wie Roberto Benignis Film „Das Leben ist schön“ in die Kritik geriet, weil er den Alltag im KZ clownesk skizzierte. Als Zuschauer lachte und weinte man schier gleichzeitig, auch weil Humor und Tristesse sich ergänzen.

Wer das Lachen kanalisieren will, der hat jedenfalls keine Ahnung, wie komplex menschliches Empfinden zuweilen sein kann.


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