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Die Literatur-Revoluzzerin

Die Literatur-Revoluzzerin

In ihrem ersten und einzigen Buch spricht eine „woke“ Kabarettistin literarischen Größen die Relevanz ab, während ihr Schreibstil und ihre Argumentation jedes Literaturverständnis vermissen lassen.

Der Mantel des Schweigens gilt als Wunderwaffe im Umgang miteinander, ermöglicht er Schadensabwehr und die Vermeidung von Peinlichkeiten und mancherlei weiteren Unfug. Doch irgendwie scheint der Mantel auf einer Seite verrottet, verlegt oder gar gänzlich aus der Mode gekommen. Zudem weiß ja nahezu jeder, wie es unter dem berühmten „Hempelschen Sofa“ aussieht.

Während die eine Seite nochgerade jede Banalität und Unsinn in die Welt trötet, trägt die andere Seite den Schweigemantel als Dauergewand. Da ist kein Lautwort mehr zu vernehmen, kein wenigstens zaghaftes „Aber“ auch nur als Hauch hörbar.

Diese andere Seite heißt dann die „schweigende Mehrheit“, trägt zu seltsamen Regierungskonstellationen bei, und sie schweigt tatsächlich beredt zu „absolutistischer Meinungsäußerung“, der jüngsten Entäußerung der sozialdemokratischen Saskia Esken; schweigt zur Diffamierung — Die Rede war von der Nichtbenutzung des gehörigen Bestecks beim Essen und dem allseits beliebten Händewaschen. — von Lesern und Nutzern bestimmter missliebig empfundener Medien eines durch die Tarnfarbe Grün lackierten Bundesminister Cem Özdemir; schweigt zur neuerlichen Panikmache — Der Sommer ist’s diesmal — sowie zu steigenden Kassenbeiträgen, destruktiven Krankenhausplänen eines hyperventilierenden roten, aber nicht errötenden Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach; schweigt zum Eingriff in die Privatsphäre durch einen ebenfalls grün getünchten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der besser Abwirtschaftsminister hieße, schweigt zum von ihm mitverantworteten „Ausstieg aus der Atomenergie“; schweigt zur dauerhaften und unkontrollierten und inzwischen wohl tatsächlich unkontrollierbaren Überflutung des Landes und einer „Koalition der Aufnahmebereiten“, die eine der SPD angehörende Bundesinnenministerin Nancy Faeser unablässig propagiert, schweigt zur Behandlungsbedürftigkeit ihres linken Auges; schweigt zur bestechenden Logik des sozialdemokratischen Bundesarbeitsministers Hubertus Heil, der den „Zuzug von Fachkräften“ bewirbt mit dem Argument: „Es geht darum, dass wir eine gute Ausbildung in Deutschland haben.“; schweigt zum freiheitlichen Beliebigkeitsgesetz eines gelben –angeblich keine krankheitsbedingte Färbung — Bundesjustizministers Marco Buschmann, das nun doch Selbstbestimmungsgesetz heißen soll; schweigt zur Quasikriegserklärung an Russland und zu den berüchtigten 360-Grad-Drehungen einer sehr grünen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

Sprachlosigkeit

Natürlich gibt es gute Gründe für die Sprachlosigkeit und mancher Zeitgenosse ist, für den Augenblick wenigstens, angesichts politischer und medialer Äußerungen einfach nur perplex und mundtot. Die Gründe des Schweigens könnten angesichts des „Bildungsnotstandes“ in Deutschland allerdings bereits tiefer strukturiert sein.

So manchen fehlen vielleicht einfach die Worte, die Ausdrucksmöglichkeiten.

Fließtexte sollen nicht mehr sein, sie überforderten, kurze Sätze wie Absätze seien überhaupt empfohlen — wer hört hier etwa Arthur Schopenhauer oder Thomas Bernhard lachen? —, Kapitelüberschriften zur leichteren Orientierung eingefügt, Lückentexte sind hingegen en vogue.

Leicht ist überhaupt ein, nein, das neue Zauberwort der (Freizeit-)Pädagogen. „Leichtes Lesen“, „leichte Sprache“, „leichtes Erfassen“ und so fort, alles natürlich trotzdem irgendwie kompetenzorientiert. Am Ende dann endlich „leichtes Denken“ oder noch besser: Schweigen. Wie steht es also mit dem Verhältnis zur Literatur? Die Bücherregale scheinen inzwischen so zerfallen wie das Bürgertum.

Das Land der „Dichter und Denker“ taugt bestenfalls noch der Erinnerung alter weißer Frauen und Männer — so die hochsensible, diskriminierungsfreie, antirassistische neue Bezeichnung ehemaliger Europäer —, die in romantischer Weinseligkeit schwelgen.

Literatur evoziert Gefühle, das scheint inzwischen vergessen, allein das Wort provoziert allenfalls — und durchaus nicht nur bei Schülern und Studenten — das Gefühl: „Null Bock“.

Literatur bescherte einst sogar intensive Gefühle, sie musste dabei offensichtlich nicht einmal „groß“ sein. Er sei „auf einige Sekunden wirklich wahnsinnig“ gewesen, bekannte Ludwig Tieck seinem Freund Johann Wilhelm Heinrich Wackenroder in einem Brief, auf den 12. Juni 1792 datiert. Dem neunzehnjährigen Tieck verhalf ein Leseerlebnis — somit ein „schöner“ Text — in diesen ekstatischen Zustand der Erstarrung, der Auflösung. Da geht einer beim Lesen verloren, versinkt. „Lesesucht“, „Lesewut“ sind grassierende Worte im 18. Jahrhundert, „schöne Literatur“, die obendrein der erzieherischen, religiösen, aufklärerischen Momente entbehrt, führt in bedenkliche Abgründe. An Warnungen hatte es auch damals nie gefehlt. Heute greift man zu chemischen Mitteln für einen solchen Zustand, auch dies ist „leichter“. Tieck ließ sich seinerzeit bannen durch das Werk von Carl Grosse, Der Genius, ein sogenannter Schauerroman.

In den Augen der Teresa Reichl, Autorin des Buches „Muss ich das gelesen haben?“, wäre dieser Tieck wohl ein Literaturnerd, sie ist, so erfährt es der Leser gleich auf der ersten Seite, ja überhaupt ein „Deutsch-Nerd“, „größte Streberin“ sogar noch während des Studiums. Doch überaus interessant ist ihr, dass schließlich „nicht nur Bücher Literatur sein können“ und begrüßt sogleich den bayerischen Lehrplanfortschritt der Erleichterungspädagogik, dort könne „eine Ganzschrift in der Oberstufe durch eine Graphic Novel oder einen Film“ ersetzt werden. Und so schlägt sie denn vor, in den Klassen erst mal TikTok-Videos, YouTube-Clips oder Chat-Verläufe zu analysieren und setzt einen weiteren argumentativen Glanzpunkt:

„Funfact an dieser Stelle: Über TikTok-Trends und Memes Bescheid zu wissen, ist genauso literarisches Wissen, weil — alle zusammen: Im Internet gibt es auch Literatur. Alles, wo irgendwie irgendwas erzählt wird, ist Literatur. Cool. Weitermachen.“

In der Tat scheint dieses „Weitermachen“ von den Lehrplangestaltern aufgegriffen und so könnte die Vision des Autors einzlkind in seinem Roman Minsky baldige Wirklichkeit werden:

„Deutschland war das einzige Land, in dem die Intelligenz anstieg. Das Abitur war in den späten Zweitausendzwanziger-Jahren keine Ausnahme mehr, es war die Regel. Als der erste Analphabet, der einen Dreisatz für eine Leichtathletikdisziplin und Kant für eine umgangssprachlich wenig wohlwollende Umschreibung des weiblichen Geschlechts hielt, erst als also dieser 19-jährige Jason Tobias sein Einser-Abi in Händen hielt, schwante es auch dem letzten Humanisten, dass seine Rufe nach Bildung! Bildung! Bildung! erhört wurden.“

Der Niveauabfall dauert auch bei der Deutsch-Nerd-Autorin fort. Angesichts der sich bei ihr sogleich einstellenden fehlerhaften Rechtschreibung und Grammatik — „Dann habe ich angefangen, mich im Internetz über literarische Klassiker aufzuregen, mich in YouTube (...) über Literatur zu freuen, sie zusammenzufassen und zu versuchen [sic] einen Kontakt zu den Leuten herzustellen, die am meisten (und unfreiwilligsten) damit zu tun haben: Jugendliche“ — lässt sich allerdings fragen, was diese Selbstzuschreibung denn wohl bedeutete?

Ein schauerliches Gefühl beschleicht mich. Die Infantilität des Sprachniveaus, die im besten Falle noch als Anbiederung an eine potentielle Leserschaft deutbar wäre, tut dazu ein Übriges. Ob der erhoffte juvenile Leser allerdings den infantilen Jargon goutiert, scheint fraglich.

Die permanent eingestreuten Anglizismen verbessern nichts, betonen allenfalls das sprachliche Unvermögen der Schreiberin. Will nicht gerade der hier vermeintlich angesprochene Jugendliche ernst genommen werden?

Freilich: „Wie wild, das zu tippen“, heißt es sogleich — entschuldigend? —, nachdem der Leser mit einem „Servus“ empfangen wird, und ob er nun als „Sklave“, „Knecht“ oder „Diener“ sich verstehen darf, wem gegenüber, wäre dann überdies zu klären; oder ob die Verfasserin des „Buchprojektes“ sich lediglich selbst als dem Leser „zu Diensten“ ausweist und sich zugleich sinnfrei selbst begrüßt, bleibt offen.

Dieses „Wilde“ hätte jedoch ein verheißungsvoller Ansatz sein können, bei einem Buch, das sich dem Lesen und der Literatur widmet. Eine Alternative könnte es aufzeigen zu der — aus welchen Gründen auch immer — verdunkelten Zone der Literaturgeschichte. Dabei dürften sogar die klassischen Hauptstraßen unangetastet bleiben. Aber wie herrlich sind die Aus- und Einblicke in den Nebenwegen, die Trampelpfade und das Urwüchsige, Unbehauene? Mit gutem Recht sollte man die Leser auf diese Spuren führen. In abgelegene Gegenden sollte man sie locken, den intensiven und ausdauernden Blick zu wagen und sie gelegentlich unterstützen oder überhaupt darin unterrichten, wie man sich in durchwilderten Gefilden zurechtfindet. Dann könnte die „Augenhöhe“ erreicht werden, die eine Rezensentin auf dem Buchrücken ausmacht und lobt, um „über alternative Schullektüren“ zu sprechen.

Diese Augenhöhe bleibt jedoch nur ein Wunsch. Stattdessen verfestigt sich das sprachliche Chaos und es fragt sich vielmehr, ob das Lektorat angesichts dessen sofort aufgab. Immerhin wird am Ende des Buches durch den Verlag gerühmt und dem Leser versichert:

„Dieses Buchprojekt wurde überprüft von DisCheck, dem Beratungskollektiv für Unternehmen, Organisationen und Individuen, die ihre Medieninhalte diskriminierungssensibel und intersektional gestalten wollen.“

Hass und Sensibilität schließen sich jedenfalls nicht aus, so die zu lernende Lektion. Statt sich nun endlich den literarischen Haupt- und Nebenstraßen zu widmen, wird der eigenen Gefühligkeit freien Lauf gelassen, „ich wollte dieses Buch richtig lange richtig dringend schreiben.“ Unentwegt wird über Hassen und Nichthassen schwadroniert: „kein Männerhassbuch“, „kein Autorenhassbuch“, auch glücklicherweise kein „Weiße-, Christ*innen- oder cis (hier vermutlich keine Tonart) Menschenhassbuch“, dafür „ein Patriarchat- und White Supremacy-Hassbuch“, munter weiter dann „ich hasse nicht“, „ich hasse, dass“.

Ab Seite 105 ist endlich auch Thomas Mann dran. „Thomas Mann?“ wird die Autorin mit der Zwischenüberschrift fragen und mit dem starken Bekenntnis eröffnen: „Ich denke nicht“ — gut hier setze ich einen imaginären Punkt —, doch ob nun irgendwie durchdacht oder nicht, das Hassgefühl der Teresa Reichl bleibt bestehen: „Ich sehe schon ein, dass ich Thomas Mann ein bisschen irrational doll hasse. Wirklich, ich seh’s ein, aber es lässt sich halt nicht mehr ändern jetzt“ — Oder doch? Da könnte sich die Nachfrage beim Psychiater als hilfreich erweisen. Gut, die Autorin beschwört:

„Das ist aber bitte auch das eine [sic] Kapitel, das ihr einfach nicht ernst nehmt, ja? Ich sag ja, ich hasse ihn irrational, aber irgendwen muss ich auch hassen dürfen.“

Genau, denn es ist ja lektorierter, damit geprüfter Hass. Auch verrät sie noch: „Ich finde alles von Thomas Mann so unfassbar langweilig.“ Göttlichen Beistand herbeiflehend: „Jesus Maria, was habe ich mich durch seine Bücher gequält in der Schule und im Studium. Huiuiui. Das ist komplett Geschmacksache, kapiere ich voll. Und ich habe es echt versucht“, gesteht der „Deutsch-Nerd“ Teresa Reichl. Sollte die Deutsch-Spezialinteressierte damit nicht aber auch wissen, dass über Geschmacksurteile nicht zu schreiben ist?

Selbst beim Bayerischen Rundfunk stellt man in einer Rezension des Buches heraus: „Maßstab (für T. Reichl) ist dabei nicht die lexikarische (was auch immer das sei]) Analysehilfe, sondern der eigene Geschmack.“ Hatte aber nicht schon Johann Gottfried Herder angemerkt, dem Anderen bedeute ein solches Urteil des Geschmacks nur Aussage und Bekenntnis? Nie aber bedeute es den Richterspruch. Individuell ist solches Urteilen, gibt Herder noch zu bedenken, auch hinsichtlich der Zeit unterliege es Schwankungen und auf Gründe verzichte es zumeist.

Teresa Reichl ficht solche Erkenntnis nicht an: „aber ich verstehe nicht, wie zur Hölle man diese Texte spannend finden kann. Das liegt manchmal schlicht am Thema, denke ich“ — oh, wiederholt ein Gedanke! „Also eine Geschichte über einen alten Typen, der sich im Urlaub in einen Jugendlichen verknallt und dann komplett eskaliert [sic]“ und resümiert, „kann man sich vielleicht einfach sparen“. Wie geistreich wäre diese Aussage doch hinsichtlich des eigenen Buches gewesen. Stattdessen wird der Leser mit der Erkenntnis beglückt:

„Das ist auch einfach ein Szenario, das mit meiner Lebensrealität herzlich wenig zu tun hat und in das ich mich nicht hineindenken möchte.“

Alles, was Literatur ausmacht, wird hier von der Autorin in Abrede gestellt. Denn wäre nicht gerade durch Literatur zu lernen, wie dem Fühlen, dem Wollen, dem Denken der Menschen zu begegnen ist? Wäre nicht hier zu lernen, dass man in derselben Sache anders empfinden kann, als man es bislang gewohnt war?

Wird Erleben nicht eben durch Literatur nuancierter, erweitert sich nicht Wortschatz und begriffliches Vermögen? Warum sollte es dann aber den von ihr geforderten Leser bekümmern, die von der Autorin in Vorschlag gebrachten Texte zu lesen oder bewältigen zu müssen, die „mit (s)einer Lebensrealität herzlich wenig zu tun“ haben? Was sollten ihn also Texte sogenannter „FLINTAA+-Personen — also Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und agender Personen —, Bi_PoC Autor*innen — also Black, Indigenous und People of Colour“ angehen, in die er „(s)ich nicht hineindenken möchte“? Völlig fremd scheint der Autorin der Gedanke, dass sich sogenannte kanonische Werke mit verändertem Blickwinkel anders und letztlich damit stets von neuem lesen lassen. Der Perspektivenwechsel eröffnet einen Blick, vor dem das Geschriebene und also auch die „schöne Literatur“, der literarische Kosmos, anders erscheint, als er je zuvor erschienen ist. Lesen evoziert Gefühle!

Wenn der Zeitgeist regiert

Auch Größenwahn evoziert Gefühle, das mag dem einen Tränen des Mitleids und dem anderen Tränen des Lachens in die Augen treiben. Verleugnen jedenfalls lässt es sich nicht: Größenwahn besitzt Unterhaltungswert. Elfmal fällt allein auf der ersten Textseite das Wort „ich“, wechselt dann bald ins „verschwörerische“ „Wir“, denn: „Wir sind auf derselben Seite, ich versprech’s“. Darum kann dann gänzlich ungeniert und mit imperialer Geste — wie besinnungslos — abgeräumt und neu sortiert werden, „was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht“.

Natürlich vergisst die Autorin ebenfalls nicht, auch in den Ratgebermodus umzuschalten, und kräftig vom „Ihr“ Gebrauch zu machen. Mit dem Titel des Buches erfolgt schon die erste Anmaßung: „Muss ich das gelesen haben?“

Natürlich ist die Titelfrage der Teresa Reichl nicht auf den eigenen Text bezogen. Mit einem klaren Nein fiele ansonsten die Antwort kurz und bündig aus, der eingangs erwähnte Mantel könnte zudem strapaziert werden.

Der Literaturkanon an deutschen Schulen, „den es offiziell gar nicht gibt“, ist ihr diese Frage wert. Worüber spricht sie dann jedoch, wenn ein solcher Kanon nicht existiert? Über Schullektüre! Und diese wird ausgemacht in Texten von Männern, allesamt „weiß“ und obendrein „gebildet“ und geradezu unvermeidlich „aus den ‚oberen Gesellschaftsschichten‘ kommen(d)“, der banale Zusatz „und so weiter“ unterstreicht das Klischeehafte der Zuschreibung. Aufgeklärt wird der Leser zudem mit beinahe schauerartiger Spannung:

„Im dritten Teil werde ich dann zeigen, wen und was es da noch so gibt. Welche Werke und Stimmen verdrängt und aus dem Kanon verbannt wurden, wo die Frauen sind, die (gender)queeren Menschen, die Bi_PoC, die behinderten Menschen und so weiter.“

Das griechische Wort kanṓn heißt nichts anderes als Leitfaden, Richtschnur oder Maßstab, ihm innewohnend ist somit eine Begrenzung. Wie sonst auch sollte Maß gehalten werden? Der Autorin scheint diese Bedeutung des Wortes Kanon entfallen, und so fantasiert sie:

„Es ist nur förderlich für alle, wenn unser Kanon so divers wie möglich wird. Damit irgendwann nicht nur die Werke über bestimmte Gesellschaftsgruppen aus ebendieser Gruppe kommen, sondern alles wie zufällig ausgeglichen und divers, intersektional und diskriminierungssensibel ist.“ — Ein Hurra dem „Beratungskollektiv“! Auch zum „Bedürfnis“ wird gezwungen, „verdammt nochmal“, „dass unser Kanon die komplette Gesellschaft widerspiegelt (...) Damit alle gesehen werden — damit sich alle gesehen fühlen können“.

Wird der alte Kinderglaube erneuert? Gott sieht alles! Hier jedenfalls wird noch der letzte Trampelpfad betoniert, für Nischen darf es keinen Platz mehr geben. „Die Wüste wächst“, ahnte schon Friedrich Nietzsche.

Der Größenwahn wächst sich zumindest aus, auf Seite 199 bricht es dann heraus: „Und ich will genau das für alle (...) Der Kanon soll immer größer — (oder doch richtig: umfangreicher?) und (inhaltlich) bunter (und damit dann vielleicht) geiler werden und ihr alle zusammen wisst mehr als ich allein.“ Oder hat sie beim Schreiben einfach nur „verschiedene Drogen ausprobiert“, um sich einmal hineinzuversetzen in die unterstellten Empfindungen eines Friedrich Schiller und eines Johann Wolfgang von Goethe. Ist sie dann dem Schreibrausch erlegen — der sprachliche Ausdruck verblieb dabei in vollständiger Dürftigkeit ebenso wie des Gedankens Blässe — und hat dabei „rausgefunden, dass sich betrunken oder auf Opium deutlich besser schreiben lässt als bekifft“?

Immerhin merkt die Rezensentin Lili Ruge des Bayerischen Rundfunks an, Teresa Reichl „trinkt dazu die ein oder andere Weinschorle“, wenn sie für den einen oder anderen sozialen Medienkanal „vor der Kamera profund über Literatur-Klassiker“ redet.

Etwas Klamauk und Übertreibung darf auch in der seriösesten Fernsehunterhaltung nicht fehlen.

Mit großer Geste übergibt in seiner Sendung Druckfrisch Denis Scheck von ihm ausgemusterte Bücher der Abfalltonne. Das ist nicht sonderlich sensibel in dieser Hochzeit von Sensibilität und Achtsamkeit. „Es ist eine sehr unschöne Geste“, kommentiert die Süddeutsche solches Treiben. Teresa Reichl aber hat die entscheidende Frage hinsichtlich der Abfalltonne selbst gestellt:

Muss ich das gelesen haben? und sich ebenfalls selbst richtig beantwortet: „kann man sich (...) einfach sparen“. Tonne auf also und Klappe zu. Wo aber ist er nur, dieser Mantel …?


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