Denn den Sozis ist die AfD – Entschuldigung! – scheißegal. Und die Demokratie, was immer das noch darstellen mag in Zeiten wie diesen, ebenfalls. Es gibt nur ein Motiv, warum es die Genossen jetzt so eilig haben mit der Umsetzung des Parteiverbotsverfahrens: Die nächsten Bundestagswahlen. Gewinnen kann die SPD wohl keine Wahl mehr – aber wenn die anderen sie auch nicht gewinnen, dann könnte die tödlich verwundete Partei der Sozialdemokraten zwar als Verliererin aus einer Wahl heraustreten, aber letztlich doch als Gewinnerin. Klingt alles ziemlich idiotisch – aber im Zeitalter der Idiotie ist das offenbar die neue Vernunft.
Alternative für Merz bleiben
Und mindestens einen Präzedenzfall gibt es – er ist noch gar nicht so lange her. Februar 2025: Die Sozialdemokraten haben die Wahl nicht einfach verloren, sind nicht bloß abgestraft worden – sie wurden nach den politischen Maßstäben der Bundesrepublik und im Duktus der Zeitenwende ausgedrückt: regelrecht atomisiert. Das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten stand am Ende fest: 16,4 Prozent waren es letztlich – über vier Prozentpunkte weniger als 2017, als man mit 20,5 Prozent das damals schlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten einstecken musste.
Während ein Flugzeug eine lange freie Strecke benötigt, um beschleunigen und dann abheben zu können, nimmt die SPD erst so richtig Geschwindigkeit auf, wenn sie auf eine Mauer zusteuert. Eine Brandmauer, um es genauer zu sagen.
Physisch ist das eigentlich nicht möglich. Aber die Brandmauer unterliegt nun mal keinen physikalischen Gesetzmäßigkeiten.
Und genau diese Brandmauer ist es, die die Sozialdemokratie nicht nur rettete, sondern sogar zu einem viel zu großen Faktor in der Bundespolitik verhalf. Sie fungiert als antikonservativer Schutzwall und erlaubt es den Genossen, sich im Spiel zu halten – in der Konstellation der letzten Bundestagswahl konnten sie die Brandmauer nutzen, um die Union unter Zugzwang zu setzen: Entweder erlaubt man dem moribunden Koalitionspartner mehr Zugeständnisse, als nötig wären, oder man droht damit, etwaige Koalitionsgespräche sofort abzubrechen – das hätte Merz und die Seinen dazu veranlasst, doch über eine Abtragung der Brandmauer nachdenken zu müssen: Für SPD und Grüne hätte das eine neue Offensive in der Rettung der Demokratie bedeutet, für Merz einen weiteren Shitstorm und vielleicht sogar das Ende seiner Kanzlerträume.
Ein Gerücht geht um in Berlin – eines, das besonders Konservative und Liberale kolportieren: SPD und Grüne seien linke Parteien. Das ist verwegen, denn die SPD hat ihr linkes Profil spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts abgetragen – die Grünen waren vielleicht nie eine linke Partei. Die kurze Episode, da einige linke Gruppen die Partei führten, kann man nicht als Beleg anführen, denn seit ihrer Gründung war sie ein Projekt vieler Gruppen verschiedenster Prägung – nicht wenige von konservativem Schlage. Menschen, die dieses Gerücht streuen, verwechseln etwas: Beide Parteien sind moralistische Vereinigungen, die sich verabredet haben, mithilfe des Moralisierens nicht nur Politik zu machen, sondern sich selbst im Geschäft zu halten. Links ist aber kein Synonym für Moralismus – die Brandmauer ist die schärfste Waffe für moralisierende Gestaltung kleinbürgerlicher Innenpolitik. Wer sie ersonnen hat, hatte einen genialen Einfall: Denn sie erlaubt es, dass niedergehende Parteien, die bei den Wahlen abgestraft werden, dennoch im Spiel gehalten werden können – und diese eine Partei, die gewinnt wie keine andere, herauszuhalten.
AfD: Von Meloni lernen – und koalitionsfähig werden
Die Sozialdemokraten wissen ob ihres eigenen Verfalles. Zu offensichtlich zeichnen sich die Bruchstellen ab, in manchen Länderparlamenten fungiert die SPD nur noch als Kleinstpartei.
Dass es sie heute noch in den Parlamenten gibt, ist das Resultat ihrer tiefen historischen Verankerung in der deutschen Gesellschaft. Die Partei zehrt noch immer von ihrem Erbe. Gäbe es dieses Fundament nicht, wäre sie längst in der Versenkung verschwunden.
Lange geht das aber nicht mehr gut, schon gar nicht, wenn der letzte verbliebene Koalitionspartner, an den man sich hängen könnte – und an den man sich ab 2005 immer wieder, auch langfristig dranhängt –, auf den Gedanken kommt, jemand anderen für künftige Koalitionen ins Auge zu fassen. Das bedeutete für die Genossen, in eine unheilvolle Bedeutungslosigkeit zu fallen, aus der sie sich vermutlich nicht mehr befreien können.
Dass die Union eine solche konservative Koalition mit der AfD anstreben könnte, ist mehr als ein Gerücht. Etliche Mitglieder der beiden Unionsparteien hadern, weil ihre Parteien immer weniger die Kontur einer konservativen Volkspartei aufweisen. Nun ist zwar Friedrich Merz Bundeskanzler geworden, aber mit der Union holte er im Februar nur 28,5 Prozent – das zweitschlechteste Ergebnis für CDU und CSU. Von einer Volkspartei kann man da nur noch schwerlich sprechen. Die AfD würde aber eine neue Konturierung versprechen – und eben auch das Profil der Union schleifen. Die AfD hingegen weiß genau, dass die Union sie auserwählen würde, sobald die Zeit reif ist – und man spürt das dieser Tage deutlich. Von einer lauten Oppositionspartei, wie sie es in den Merkel- und Ampeljahren war, ist sie heute weit entfernt. Sie mäßigt sich, will nun sogar einen Verhaltenskodex für ihre Mitglieder im Bundestag präsentieren. Nebenher ist sie streng auf NATO-Kurs, hinterfragt die Weltmachtansprüche des westlichen Bündnisses mit keiner Silbe.
Schon längst kolportiert man im politischen Berlin, dass der Bundesverband der AfD unter Alice Weidel den thüringischen Landesverband unter Björn Höcke säubern wird. Man könnte den Vorgang auch eine Melonisierung nennen: Als Giorgia Meloni im Oktober 2022 Ministerpräsidentin Italiens wurde, prophezeite man vielerorts den Untergang dieses südeuropäischen Landes und ganz Europas – ihre Partei, die Fratelli d’Italia (FdI), galt damals wie heute als postfaschistisch. Mittlerweile ist dieses Italien ein europäischer Stabilitätsanker, Meloni wird anerkannt und respektiert. Die Radikalität, die man sich ausmalte, als sie von den Italienern die Staatsgeschicke übertragen bekam, blieben samt und sonders aus. Sozialpolitisch agierte sie sicherlich sozialdarwinistisch, speziell italienische Rentner könnten das bezeugen – aber seit Jahrzehnten stört sich keine jener Parteien mehr an einer solchen Agenda gegen ärmere Gesellschaftsschichten. Auch jene Parteien nicht, die sich gerne als streng demokratisch und als Retterinnen der Demokratie feiern lassen. Die AfD wird sich jedenfalls ein Beispiel an der FdI genommen haben.
Demokratie retten? Nein – Sozialdemokratie retten!
Dass auch die AfD keinen großen Sinn für eine sozialstaatliche Ausrichtung verspürt, steht einer möglichen Zukunft mit Friedrich Merz‘ Union nicht im Wege – eher im Gegenteil. Zu den Hausaufgaben der AfD gehört dann – wie schon oben gesagt –, die Säuberung der Partei von jenen, die als radikal gelten. Dass die Person, die wie keine andere in der AfD, als Hemmnis für ihre Salonfähigkeit gilt, nebenher eher als sozial orientiert angesehen werden muss, würde gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn die Berliner AfD Björn Höcke eliminiert, freuen sich auch die libertären Schreihälse, die diese Partei gerne auch in wirtschaftspolitischer Verantwortung sähen.
Das Verbot der AfD gilt unter Staatsrechtlern als aussichtloses Unterfangen. Dass es die Sozialdemokraten jetzt dennoch wieder aufs Tapet bringen, ist nicht Naivität. Sie wissen, dass sie ein Verbot der AfD nicht erreichen werden. Aber indem die SPDler weiterhin so tun, als sei die AfD eine Partei, die eigentlich nicht legal sei und die immer kurz vor einem Verbot steht, gewinnen sie Zeit, um doch noch eine Weile den Genuss der Macht auszukosten.
Das Gerede um das Parteiverbot macht die SPD unabkömmlich – und auch die Grünen rechnen sich aus, durch dieses Verbot weiterhin Bedeutung zu behalten. Mit diesen Aufforderungen zur Forcierung eines Parteiverbotsantrages werden die Risse in der Brandmauer ausgebessert, die hier und da entstanden sind.
Die Union fragte, kurz bevor Friedrich Merz dann doch noch Bundeskanzler wurde, die alte Restbundesregierung, was es mit der Förderung der Nichtregierungsorganisationen auf sich habe – 551 Fragen gingen an SPD und Grüne. Die bissen wie wildgewordene Hunde um sich, nannten diese Anfrage schäbig. Man ahnte weshalb: Mit diesem Apparat halten sich beide über Wasser – die Sozialdemokraten benötigen ihn mehr als die Grünen. Als die SPD dann bereit war für eine Koalition mit der Union, verschwanden diese Fragen wieder aus der Öffentlichkeit: Die Sozis scheinen sie vom Tisch verhandelt zu haben. Die NGOs sind ihre Lebensversicherung, mit ihnen rufen sie immer wieder zur Rettung der Demokratie auf, halten sie die Steine in der Brandmauer. Dieser Kampf für die Rettung der Demokratie, den deutsche Bürger seit einiger Zeit als von Steuergeldern alimentiertes Spektakel beobachten können, ist tatsächlich nur für die Rettung der Sozialdemokratie gedacht. Das mag noch eine Weile gut gehen – ewig geht das so allerdings nicht weiter. Vielleicht liest diesen Artikel in zehn Jahren ja ein junger Mensch und fragt sich dann, was diese SPD eigentlich sein soll, von der hier im Artikel so oft die Rede war. Eine Antwort in aller Kürze: Sie war eine Partei, die irgendwann so lange mauerte, bis sie sich selbst einmauerte. Mehr muss dazu zukünftig niemand mehr wissen.

Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder unterstützen Sie uns durch den Kauf eines Artikels aus unserer Manova-Kollektion .