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Die Traumtänzer

Die Traumtänzer

Nach wie vor gilt, dass die Zeiten fruchtbar für linke Politik wären, und dennoch fielen die Linken fast aus dem Bundestag — Zeit, aufzuwachen!

Kurz und gut: Wir leben in Zeiten, in denen linke Politik eigentlich gesetzt sein sollte. Insbesondere, weil sich diese kurze Aufzählung von Missständen ja beliebig verlängern ließe. Die Spaltung wächst weiter an, die Kluft zwischen Armut und Reichtum wird breiter und breiter. Eine Partei, die sich zur besseren Kenntlichmachung auch noch „Die Linke“ nennt, müsste in diesen Tagen regen Zulauf erfahren. Denn wir leben in sozial ungerechten Zeiten: in einem Biotop für linke Ansätze also. Wie kann man in so einem Szenario eigentlich Wählerschaft verlieren? Schlimmer noch: Wie kann es sein, dass man fast aus dem Parlament rutscht?

Die Prophetin, die im eigenen Lager nichts gilt

Was lief da denn schief? Haben die Wählerinnen und Wähler mal wieder nicht verstanden, was man ihnen da im Wahlprogramm vor Augen führte? So reden sich eigentlich alle Parteien nach weniger erfolgreichen Urnengängen ja gerne heraus: Sie schieben es auf die Begriffsstutzigkeit des Souveräns. Wäre der nur wacher, wäre er nicht so doof, hätte man Erfolge gefeiert und nicht etwa Wunden geleckt.

Und so war es auch bei den Linken, die die Welt nicht mehr verstanden. Schnell rückte Sahra Wagenknecht ins Zentrum der Kritik. Für die einen war sie diejenige, die den Kurs der Partei schon lange vorher kritisiert hat — zuletzt in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, in dem sie den Identitätskurs der Linken als wesentlichen Fehler ihrer Genossen heraushob. Andere drehten ihre Analyse des Wahlabends einfach um und erklärten, dass eine Partei, die öffentlich so kritisiert wird aus den eigenen Reihen heraus, sich nicht wundern dürfe, wenn sie so abgestraft würde. Wagenknecht hätte also lieber schweigen sollen und das, was sich ihr als Missstand darstellte, einfach verdrängen müssen.

Überhaupt verstehen jene, die Wagenknecht die Schuld für das Desaster geben, ganz und gar nicht, wie man auf so eine Einschätzung kommen könne. Die Partei der Linken habe schließlich ein Wahlprogramm in diese Bundestagswahl geführt, das sich sehen lassen konnte. Da ging es um den Mindestlohn, nicht unwesentlich um das Klima und auch um Mietpreise. Um Themen also, die die Menschen bewegen. Ganz falsch ist das nicht, natürlich stand das im Wahlprogramm. Aber es ist auch nicht so, dass Wähler grundsätzlich das Wahlprogramm abrufen, wenn sie in der Wahlkabine hocken. Sie denken eher an die Auftritte und Statements von Parteiangehörigen, die erinnerungswürdig sind. An Parteivorsitzende, die sachlich ahnungslos wirken in manchem Interview, aber ganz Feuer und Flamme sind, wenn es zum Beispiel um Themen der „Wokeness“ geht.

Sie merken sich auch, wenn viele Stimmen aus der Partei lauthals kritische Bürgerinnen und Bürger als Verschwörungstheoretiker und Schwurbler diffamieren — während genau diese Leute beim Christopher Street Day ohne Maske und Abstand mit von der Partie sind und feiern oder sich aus der Ferne dieser Offenheit und Vielfalt erfreuen.

Was parallel zu diesen schlechten Auftritten im Wahlprogramm steht, interessiert die Leute herzlich wenig im Augenblick einer Wahlentscheidung.

Linke Politik ist keine Gefühlsduselei

Wer liest denn überhaupt Wahlprogramme? Das ist doch Tand! Ist lediglich die Folklore des Wahlkampfes. Als Franz Müntefering vor vielen Jahren sagte, dass es unfair sei, wenn seine Partei an Wahlversprechen festgemacht würde, war die Empörung recht groß — aber wenn man ehrlich ist, hatte der Mann etwas angesprochen, was grundsätzlich nicht falsch ist.

Denn Wahlprogramme sollen gut klingen, wählbar machen, Wahlberechtigte so gut es geht überzeugen. Dass die Visionen auch noch in Realität umsetzbar sind, entspricht doch gar nicht dem Geist eines Wahlprogramms.

Jeder, der so tut, als sei die Linke ja gar nicht auf woken Abwegen, weil es da dieses Programm gibt, mit dem die Partei ihren Wahlkampf bestritt, macht sich doch nur selbst was vor, redet sich ein, dass diese lausige Kladde irgendwie eine Offenbarung sein soll oder dergleichen.

Anders als die Hochglanzseiten eines Wahlprogrammes tut richtige Politik am Ende weh. Sie muss Kompromisse eingehen, muss abwägen und prüfen, über Finanzierbarkeiten beraten, demokratische Hürden nehmen. Für ein Wahlprogramm ist dieser ganze Ablauf freilich zu komplex. All das entspricht nicht der Gefühlsduselei für das Richtige, das Gute und das Wahre, die im Wahlkampf zuweilen innerhalb der jeweiligen Lager herrscht. Diese oberflächliche Gefühlsbetontheit ist übrigens auch der Grund, warum Identitätsthemen so viel lieber politisch vertreten werden als die klassischen Fragen linker Politik, die da wären: Wie stellt man eine faire Umverteilung sicher? Und: Wie kann man die soziale Frage zufriedenstellend beantworten?

Aber die Wokeness hingegen, die fragt wenig — sie bestimmt lieber. Und sie setzt auf das Gefühl, denn ihr ursprüngliches Motiv ist ja, dass man mitfühlt, bestimmte Gruppen nicht verletzt, eine schonende Sprache verwendet, Trigger-Warnungen ausspricht, ja kurz und gut: dass Harmonie ins Alltagsleben einziehen soll.

Linke Politik lebte stets davon, das zu sagen, was ist — diese Ehrlichkeit ist laut Ferdinand Lasalle die revolutionärste Tat überhaupt. Zu viele Rücksichten zu nehmen entspricht per se überhaupt nicht linker Tradition, weil das lähmt und einschränkt. Überhaupt hat sich linke Politik vornehmlich mit handfesten, materiellen Fragen zu befassen — und nicht mit der ideellen Verstiegenheit, die eher aus dem akademischen Betrieb stammt.

Es geht nicht darum, moralisch integer und gut zu sein

Die woken Themen haben allesamt eine Bestrebung: Sie wollen sicherstellen, dass man als Mensch gut und moralisch integer durchs Leben geht. Die Wokeness ist ein rigoroser Moralismus, eine Art Knigge für den politisch Korrekten, eine Handlungsanweisung, die per Denkverbot und Sprachverordnung sicherstellen will, dass ihr Anwender ethisch unbeschadet durch die Wirrnisse des Alltags kommt. Ob so ein moralisches Korsett, das sich zu einer regelrechten Ideologie gemausert hat, grundsätzlich sinnvoll ist, bleibt mehr als fragwürdig. Zumal für den politischen Antrieb.

Wer will denn eigentlich von Leuten regiert werden, die für sich in Anspruch nehmen, stets auf der richtigen Seite der Moral, aufseiten des Guten zu stehen?

Spricht man solchen Moralisten eigentlich nicht ab, geeignet zu sein für einen politischen Betrieb, dem man eines ganz bestimmt nicht nachsagen kann, nämlich in irgendeiner Art besonders moralisch zu sein? Ist nicht der Moralist der Prototyp jenes Menschen, dem man Politik — zumal materielle Fragen aus diesem Bereich — einfach beim besten Willen nicht zutraut?

Wer wählt denn den ethischen Traumtänzer in einer Welt, wo es Politiker braucht, die auch mal Ellenbogen einsetzen, um ihre Ziele, ja die Ziele ihrer Klientel zu erreichen? Jemand, der sich fürchtet, seine weiße Weste zu beflecken, den möchte man vielleicht als Priester oder Lebensberater an seiner Seite wissen. Aber doch nicht als Sozialpolitiker, der das Bestmögliche für seine Wählerschaft erkämpfen, erstreiten und erringen soll.

Das heißt nun natürlich nicht, dass es legitim wäre, sich völlig amoralisch oder verächtlich aufzuführen. Aber ob es förderlich ist, den wirklichen Wesenskern linker Politik so in den Hintergrund zu stellen, stattdessen mit moralistischen Themen aufzuwarten, kann man wohl eindeutig mit einem Blick auf das Ergebnis dieser Bundestagswahl beantworten. Die Leute wollen, dass jene Kandidaten, die sich als Linke aufstellen lassen, bei den Themen ausharren, die linke Politik ausmachen.

Dass Linke sich aber zuletzt meistens woke, identitätsthematisch und mit dieser empörten Betroffenheit äußerten, hat der Partei sehr geschadet.

Jetzt dafür Sahra Wagenknecht verantwortlich zu machen, macht das Dilemma übrigens nicht besser. Ganz im Gegenteil.


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