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Die Verformten

Die Verformten

Die Bundeswehr fördert narzisstische und problembelastete Persönlichkeitsstrukturen.

Dass sich eine YouTube-Serie der Bundeswehr (1) hauptsächlich an die ganz junge Zielgruppe richtet, ist nichts Neues. Doch die Perversion daran und die Schamlosigkeit in der Umsetzung finden in der aktuellen Serie „Die Rekrutinnen“ ihren Höhepunkt. Die 5- bis 15-minütigen Videos erzeugen von der ersten bis zur letzten Minute ein unangenehmes Gefühl der kognitiven Dissonanz. Denn hier geht es um Kinder und um nichts anderes. Die Protagonistinnen der Serie mögen auf dem Papier volljährig sein, doch weder ist es die mit der Serie angesprochene Zielgruppe, noch wirken die Rekrutinnen selbst, als wären sie es.

Hier wird die Orientierungslosigkeit einer Generation ausgenutzt, der das deutsche Schulsystem über zehn bis zwölf Jahre erfolgreich eingetrichtert hat, das Recht, etwas zu tun, besäße nur derjenige, der es auch von Anfang an perfekt beherrscht, der also eine Garantie darauf besitzt, definitiv nicht zu versagen. Dazu kommt, dass zukünftige berufliche Sicherheit im heutigen Deutschland Mangelware ist. Angeblich kann dieses Bedürfnis nur noch damit befriedigen, wer sich für 13 Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet.

Die Hauptpersonen von „die Rekrutinnen“: Lea, Leah, Enny und Melanie wirken teilweise selbst noch wie Kinder und nicht, als ob sie ansatzweise verstanden hätten, worauf sie sich einließen. Eine der Rekrutinnen sagt, sie habe sich für eine Offizierslaufbahn bei der Luftwaffe entschieden, weil diese etwas von Familie und Verbundenheit habe. Eine andere gibt an, ihre Orientierungslosigkeit habe sie zur Bundeswehr geführt. Es folgt ein Schnitt, und schon fügt sie hinzu, dass die Bundeswehr außerdem noch „ein breites Spektrum an Möglichkeiten und Karrierechancen“ biete. Man kann die Regieanweisung beinahe hören.

Der Eindruck lässt einen nicht los, dass die Rekrutinnen und Rekruten hier vorgeführt werden. Ein männlicher Soldat in der Grundausbildung sagte in einem Interview, er wolle später zum Geheimdienst, dürfe das jedoch nicht preisgeben und fügte dann — an die Kameraleute gewandt — hinzu: „Das hier ist ja vertrauensvoll.“ Es ist zu vermuten, dass viele der knapp 500.000 Zuschauer des Bundeswehrkanals diesen nicht aufgrund ihrer persönlichen Sympathie zur Bundeswehr konsumieren oder gar, weil sie selbst vorhätten, zur Bundeswehr zu gehen, sondern vielmehr mit dem Ziel der persönlichen Belustigung. Frei nach dem von der Band Kraftklub formulierten Prinzip:

„Ja natürlich nur ironisch und nur so nebenbei, aber im Vergleich mit den Opfern da ist das eigene Leben schon geil. Ein Hund beißt nicht, wenn er bellt, und alles ist gut, solange die auf RTL noch ein bisschen dümmer sind als du.“

Und RTL heißt heute eben YouTube. Im Vordergrund steht nicht die Bundeswehr an sich, sondern die persönlichen Schicksale und Eigenschaften der Protagonistinnen. Eine junge Frau trinkt Unmengen, um auf der Waage das für den Verbleib bei der Bundeswehr notwendige Mindestgewicht zu erreichen. Als wäre sie bei Germany‘s next Topmodel, nur andersrum. Eine andere kollabiert bei der Vereidigung mit Angela Merkel. Die Probleme sind immer gerade groß genug, damit sich die 13- bis 17-jährige Zuschauerin mit den Protagonistinnen identifizieren kann, aber immer gerade noch so klein, dass kein Grund entsteht, am neuen Arbeitgeber zu zweifeln oder sich über Alternativen Gedanken zu machen.

Tatsächlich ist das Identifikationspotenzial für junge Mädchen immens. Immer wieder finden sich fast schon über-eindeutige Parallelen zu autoritären Erziehungsmodellen oder zum ebenfalls autoritär konzipierten Schulsystem.

Das Aussehen des Zimmers, das die Mädchen Stube nennen, erinnert deutlich an ein Ferienlager oder eine Jugendherberge. Dazu passt auch der Befehl einer Vorgesetzten: „Um 23 Uhr liegen Sie im Bett.“ Es scheint fast so, als wollten die Rekrutinnen trotz Volljährigkeit nicht das Struktur-vermittelnde Konzept der autoritären Behütung verlassen, in dem sie aufgewachsen sind und mit dem sie sich wahrscheinlich bereits identifiziert haben. Warum sonst begibt sich eine souveräne unabhängige Erwachsene freiwillig in Situationen, in denen sie angeschrien wird, weil sie ihre Bluse nicht exakt auf Größe A4 gefaltet hat, und worauf sie nur mit „Jawohl“ antworten darf?

Logisch betrachtet gibt es dafür nur eine Erklärung: Die Person ist weder souverän noch unabhängig und in bestimmten Teilen ihres Selbst eben noch nicht erwachsen. Dennoch passen sich die jungen Frauen einem männlichen Bild des Soldaten an, welches das genaue Gegenteil vermittelt, nämlich: Stärke, Härte und der unbedingte Wille zu siegen. Man sieht, wie sie steif marschieren, brüllen, angebrüllt werden und sich dem militärischen Drill hingeben — und dann sind da wieder das Kuscheltier auf dem Bett und die kichernde Teenie-Kommunikation.

Das Verhalten einiger Rekrutinnen erinnerte an das Konzept des weiblichen Narzissmus von Bärbel Wardetzki. Die Diplompsychologin und Bestsellerautorin beschreibt in ihrem Buch Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung (2), dass Frauen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur im Gegensatz zu Männern oft nicht von ihrer Grandiosität überzeugt, sondern in der eigenen Minderwertigkeit, Depression und Hilflosigkeit verhaftet sind. Um diese zu verdrängen, wählen sie genau den entgegengesetzten Weg, den man eigentlich mit Narzissmus assoziieren würde. Sie machen sich klein und zum Opfer, errichten ein Ideal-Selbst, mit dem sie sich identifizieren können, und versuchen, diesem mit extremer Leistung und unrealistischen Perfektionsansprüchen gerecht zu werden.

In einer der Homestorys erzählt eine Rekrutin, sie spiele seit Jahren Klavier, könne aber partout nicht vor Publikum auftreten, weil sie dafür viel zu ehrgeizig sei. Eine andere betreibt sechs Mal die Woche mehrere Stunden Sport, um gut auf den Basis-Fitness-Test bei der Bundeswehr vorbereitet zu sein. Bei der Bundeswehr selbst geraten die jungen Frauen in eine Struktur, die seit ihrer Gründung männlich dominiert und geprägt ist, und müssen sich dort innerhalb von kürzester Zeit anpassen.

Wardetzki schreibt über das übersteigerte Leistungsmotiv weiblicher Narzissten:

„Äußere Stabilisatoren wie Anerkennung Beförderung und so weiter dienen dann dazu, das aufgebaute Bild aufrecht zu erhalten. Schlank sein gehört ebenso dazu wie die Übernahme männlicher Züge und Haltungen. Damit ist die Vorstellung des Alles-Machbaren, Alles-Kontrollierbaren, einer mehr rationalen als emotionalen Einstellung verbunden. Das Fatale daran ist wiederum nicht deren Existenz, sondern deren Vorherrschaft. Die männlich geprägte Haltung wird zum Ideal, an das sich die Frauen anpassen. Doch sehr oft trügt der Schein und es verbirgt sich hinter diesem nach außen so selbstbewussten Verhalten eine emotional sehr anhängliche Frau“ (3).

Keine dieser Aussagen ist als Abwertung der Frauen zu verstehen. Das wäre nicht angebracht, da narzisstische Anteile, die wir alle zu einem gewissen Grad besitzen, meist auf die Erfahrungen aus unserer frühen Kindheit zurückgehen. Ein Nicht-Gesehen-Werden, ein Nicht-genug-Sein sind Erfahrungen, die die Entstehung einer narzisstischen Struktur begünstigen. Wardetzki beschreibt, welche fatalen Folgen es haben kann, wenn ein Kind einem zu konkreten Bild der Eltern entsprechen muss und aufgrund seiner menschlichen Unzulänglichkeit immer dahinter zurückbleibt. Eine Rekrutin berichtet, ihre Eltern seien froh, dass sie bei der Bundeswehr sei, da sie sowieso von ihr erwartet hätten, dass sie einen Ausbildungsplatz bei einem Arbeitgeber fände, bei dem sie dann auch für immer bleiben kann.

Der einzig wirkliche Profiteur ist die Bundeswehr. Sie missbraucht die Unsicherheit der Protagonistinnen und führt sie bewusst vor, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Dabei ist und bleibt das Geschäft der Bundeswehr letztlich Krieg, auch und vor allem im Ausland; im Innern schützt die „Verteidigungsarmee“ überkommende, patriarchalische Strukturen.

Eine Armee, die Verhärtung, Vermännlichung und Entemotionalisierung fordert, steht einer echten Gleichstellung von Frau und Mann im Weg, den Emanzipationsbegriff pervertiert sie. Die Bundeswehr fungiert seit jeher als Motor der Unterdrückung, dem der Schweiß junger Menschen Benzin ist. Die Bundeswehr bedeutet Krieg, physischen wie psychischen. Dazu gibt es immer Alternativen.

„Frieden ist der Naturzustand des unbedrängten menschlichen Geschlechts“ (Johann Gottfried von Herder).



Quellen und Anmerkungen:

1) https://www.youtube.com/channel/UCZPAni75bkLnjGO8yhuJpdw
2) Wardetzki, Bärbel Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung, S.51, 53


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