Die Glaubensgrundlage
Wie jedes System kann der Kapitalismus nicht ohne eine passende Glaubensgrundlage existieren, die entsprechende Erklärungen, Deutungen und vor allem auch einen Sinn liefert. Und wie in jedem (Glaubens-)System nimmt der Gläubige eine Doppelfunktion ein: Zum einen praktiziert er und versorgt das System mit Energie und verleiht ihm dadurch Existenz, zum anderen partizipiert er vom Output, das heißt, er hat einen Primär- und einen Sekundärnutzen. Ersterer ist im Falle des Kapitalismus zunächst die reine Existenzsicherung, der zweite ist die Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Mit dieser Feststellung wird bereits deutlich, dass der Horizont des für möglich Gehaltenen nicht der Horizont des tatsächlich Möglichen sein kann. Die Grenzen werden durch das System gebildet, dessen Außenwelt unentdecktes Land ist.
Zu den Glaubenssätzen des Kapitalismus gehört eine verzerrte Vorstellung von Selbstverantwortung, nach der theoretisch jeder — „aber eben nicht alle“, so Volker Pispers – erfolgreich sein kann. Ein weiterer Glaubenssatz besteht in der Ansicht, der Markt reguliere sich entsprechend der Nachfrage und damit eines Realbedarfs auf gesunde Weise selbst. Danach ist jede Werbung, die uns begegnet, lediglich Ausdruck eines noch nicht konkret formulierten Bedürfnisses von dir und mir.
Dass „der Markt“ weniger einen tatsächlichen Bedarf abbildet als vielmehr die unbewussten „dunklen“ Seiten des Menschen wie seine Angst, Gier und Bequemlichkeit bedient, bleibt meist unsichtbar (1).
Die Anfänge
Der Geldverkehr ist bereits in der Antike bekannt, genauso das Verleihen von Geld gegen Zins. Meist war das Einzige, was der Schuldner an Wert anzubieten hatte, seine Arbeitskraft, was zu Leibeigentum und Fronarbeit führte. Die Gefahr der Zinswirtschaft wurde schnell offensichtlich, sodass sie zumindest offiziell im Judentum ,später auch im Christentum und Islam verboten war.
Schon Aristoteles kritisierte die Zinswirtschaft: Sie widerspreche dem Naturrecht. Der Zins ist allerdings eine Grundvoraussetzung des Kapitalismus.
In der Zeit zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert verfiel der Wert der Münzen einmal jährlich, was zu einer hohen Zirkulation des Geldes und damit zu hohen Wirtschaftsleistungen und allgemeinem Wohlstand führte. Entgegen weitläufiger Annahmen über diese Zeit arbeiteten die Menschen weitaus weniger als angenommen: Bis zu 150 arbeitsfreie Tage hatte das Jahr. Mit den Fuggern im ausgehenden 14. Jahrhundert setzte eine neue Verwertung der Arbeitsleistung der Bevölkerung ein und der Kapitalismus wurde geboren.
Aber sein globaler Siegeszug begann mit der industriellen Revolution. Bis dahin funktionierten die Handwerker- und Agrar-Gesellschaften in relativer Autonomie. Die Handelsbeziehungen basierten auf einem reinen Güteraustausch, virtuelle Werte wie Anleihen und Aktien gab es fast nicht. Erst durch die Verstädterung und Maschinisierung und die damit verbundene Landflucht und alle daraus resultierenden Abhängigkeiten wurde eine „Vernutzung“ von „Human Resources“ in einer Dimension möglich, die nur von der Sklaverei übertroffen wurde. Die Inhaber der Produktionsmittel konnten die Bedingungen festlegen, unter welchen das Leben der anderen Menschen stattfand.
Nach der Kolonialisierung Amerikas begann der Kapitalismus in seiner heutigen Form: Im Versprechen, Wohlstand für alle schaffen zu können, machten sich die Menschen mehr und mehr freiwillig zu modernen Leibeigenen des Systems. Die Einführung von Sozialsystemen, die Verfügbarkeit nie gekannter Annehmlichkeiten und ein uneingeschränkter Fortschrittsglaube beschleunigten die freiwillige Unterwerfung unter ein immer globaler werdendes Phänomen, welches immer mehr zum Politikum wurde.
Der „Raubtierkapitalismus“
Zins ist Geld, welches nicht existiert. Wem das klar ist, der versteht die Logik des Wachstumszwanges des Kapitalismus. Der Begriff des „Raubtierkapitalismus“ bezeichnet genau genommen nicht mehr als einen Kapitalismus im letzten Lebensabschnitt. Wenn die Rendite nicht mehr durch ein organisches Wachstum des Konsums gegeben sind, muss die Kapitalmenge künstlich vergrößert werden. Zunächst aber wird der Markt vergrößert, in dem neue Absatz-Bereiche erschlossen werden. Der erhöhte Rohstoffbedarf sowie die damit verbundenen Anforderungen an Logistik und Transport und die daraus resultierenden Beschäftigungsverhältnisse werden zunächst als Wachstum missgedeutet. In Wirklichkeit sind sie aber Abhängigkeitsverhältnisse, die vorangegangene und natürlich gewachsene Autonomien ersetzen. Ab hier können die Kapitaleigner die Bedingungen definieren.
Und an dieser Stelle wird es wieder politisch, denn der Staat mit seinem Schutzauftrag gerät in die Zwickmühle der Interessen der Kapitaleigner: Ohne eine funktionierende Wirtschaft kann er die Stabilität im Land nicht gewährleisten und muss sich zunehmend den Forderungen der Kapitaleigner unterwerfen.
Lobbyismus ist der flockige Begriff für die schleichende Zersetzung von Rechtsstaatlichkeit. Die Anforderungen der Industrie an preiswerte „Standortqualität“ ist das Druckmittel der Wirtschaft auf die Politik. Gleichzeitig kann die Wirtschaft große Teile ihrer Kosten auslagern, indem sie die Voraussetzungen ihres Funktionierens wie Bildung und Qualifizierung, die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Schaffung von Infrastruktur genauso in die Verantwortung der Politik übergibt wie ihre schädlichen Hinterlassenschaften wie Arbeitslosigkeit oder Umweltzerstörung.
Damit verkommt Demokratie immer mehr zu einer Inszenierung, was unter anderem dadurch deutlich wird, dass es in den Parteienlandschaften keine wirklichen Unterschiede mehr in der jeweiligen politischen Praxis geben kann. Die Macht liegt dort, wo das Geld ist, und es ist inzwischen offensichtlich, dass das politische Handeln den Interessen des Kapitals dient. Damit wird das Recht aber immer mehr zugunsten des Kapitals verformt, exemplarisch seien hier die Handelsabkommen TTIP und TISA genannt.
Insofern kann der Kapitalismus als eine moderne Form des Imperialismus beziehungsweise Kolonialismus betrachtet werden, denn er unterwirft schwache Regionen und Länder durch die Abschöpfung und Verwertung ihrer natürlichen und Humanressourcen. Dass diese Praxis in der Folge zu weiteren Problemen wie Verarmung, Landflucht, Migration, Destabilisierung und zum Verlust nationaler Souveränität führt, liegt auf der Hand. Die darauf folgenden reaktiven Bewegungen wie Rechtsradikalismus oder Terrorismus verschärfen die Lage noch und legitimieren antidemokratische Maßnahmen, die letzten Endes wieder den Kapitalinteressen dienen.
Ökonomische Verengung des Lebens
Schleichend verändert der Kapitalismus natürlich gewachsene Gesellschaften einerseits durch Vereinheitlichung und Normierung, andererseits durch eine „Formatierung“ des Bürgers, der seine Wertsetzungen nur noch innerhalb der Spielregeln und der Möglichkeiten des ökonomischen Systems sucht. Alle Orientierung findet nur noch innerhalb dessen statt. Inzwischen ist der Konsument selbst zum Ziel der Verwertungsmasse geworden, da er mit der Preisgabe seiner Lebensgewohnheiten, Vorlieben, Neigungen und Interessen, kurz: seiner Daten, die Maschinerie speist, die ihn füttert.
Der Kapitalismus interessiert sich nicht für Kultur, nicht für Verwurzelung und Tradition, zumindest nicht, solange diese nicht im Sinne des Shareholder-value nutzbar zu machen sind. Infolgedessen muss es zu einer Erosion der Werte kommen, die damit in Verbindung stehen, genauso wie zu einer Erosion echter Freiheit.
War noch in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Wirtschaft in Europa durch einen Gesellschaftsvertrag gekennzeichnet, in welchem der Kapitalismus durch einen umverteilenden Interventions- und Steuerstaat sowie durch politisch definierte Zielsetzungen wie Vollbeschäftigung, ein Sozialsystem und den Schutz der Arbeitnehmer gerahmt war, so fehlt diese Stabilität heute.
Der Kreislauf Massenbeschäftigung — Massenkonsum — Sozialstaatsfinanzierung funktioniert allerdings nicht endlos. Sobald Rationalisierung und Globalisierung die Regelgeber werden, gerät dieser Kreislauf ins Stocken. Und die ist systemimmanent: Durch die zinsbedingte Steigerung der Geldmenge ist ein paralleles Wachstum der Wirtschaftsleistung notwendig, was aus oben genannten Gründen nicht möglich ist, um eine Entwertung des Geldes zu verhindern. Das bedeutet nichts anderes, als dass, um den Status quo zu halten, jedes Jahr proportional zur Geldmengenvermehrung entweder Kosten reduziert oder mehr Waren verkauft werden müssen. Das führt zur paradoxen Situation, dass inzwischen beispielsweise in Deutschland circa 25 Prozent mehr Waren produziert als verbraucht werden.
Weiter gebremst wird der Kreislauf durch die zunehmende Vernutzung und Verteuerung natürlicher Ressourcen. Wirtschaft entkoppelt sich zunehmend vom Realbedarf und orientiert sich an Gewinnoptimierung um jeden Preis. Dabei wächst die Ungleichverteilung von Vermögen, Einkommen und damit auch von Bildungschancen exorbitant. Das System wird an diesem Punkt weitgehend durch die Angst, das Sicherheitsbedürfnis der arbeitenden Bevölkerung am Leben erhalten, nicht zu vergessen das Glücksversprechen durch Konsumgüter.
Lebensverlängernde Maßnahmen
Der Kapitalismus ist aus mehreren Gründen heraus ein System mit beschränkter Haltbarkeit. Bernhard Lietaer beschreibt in der Geschichte vom „11. Lederstück“ die Folgen von Zinswirtschaft: In dieser Geschichte beginnt eine Gesellschaft, die auf Tauschwirtschaft beruhte, mit der Einführung von Geld in Form von Lederstücken. Jede Familie erhält 10 Lederstücke als „Startkapital“. Sie sollen aber nach einem Jahr jeweils 11 Stücke zurückzahlen, was rechnerisch bedeutet, dass jede elfte Familie bankrott gehen muss.
Zinses-Zinslast führt zu exponentiellem Wachstum – im Gegensatz zum realen Wirtschaftswachstum, welches linear wächst. Exponentialwachstum gibt es in natürlichen Ordnungen mit wenigen Ausnahmen nicht, weshalb wir es uns schwer vorstellen können. Zur Veranschaulichung: Wasserlinsen vermehren sich täglich um 100 Prozent. Wenn sie ein halbes Jahr gebraucht haben, um den halben Teich zu überwuchern, wie lange brauchen sie um ihn völlig zu bedecken? Die Antwort lautet: Einen Tag!
Wer profitiert von diesem Wachstum? Natürlich die Kapitalinhaber. Die Vermögen der Milliardäre verdoppeln sich durch diesen Effekt alle fünf Jahre. Auch wenn Sie persönlich keine Schulden haben, tragen Sie diese Lasten mit: Zwischen 30 und 80 Prozent der in Waren und Dienstleistungen enthaltenen Kosten bestehen aus Zinslasten.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich die Tatsache, dass ein Planet mit seinen Ressourcen diesem Wachstumszwang geopfert wird. Der Kapitalismus verwertet ihn, um virtuelles Geld zu schaffen, welches sich auf den Konten weniger anhäuft. Umweltschutz ist im Kapitalismus eine faktische Unmöglichkeit.
Aber zurück zur Unwirklichkeit der bestehenden Finanzwirtschaft. Natürlich sind die Größendimensionen der Finanzflüsse weltweit kaum vorstellbar. Schon 1995 betrug der Tagesumsatz der ausgetauschten Währungen weltweit die Summe von 1,3 Billionen (1.300 Milliarden) US-Dollar. Dies war 30-Mal mehr als das tägliche Bruttosozialprodukt aller entwickelten Länder der Welt zusammen. Um diese Abkoppelung von realer zu virtueller Wirtschaft weiter zu verdeutlichen: Das jährliche Bruttosozialprodukt der USA wird auf den Finanzmärkten in 3 Tagen erreicht. Von diesem Finanzvolumen werden aber nur 2 bis 3 Prozent für die reale Wirtschaft, also Handel, Investitionen und so weiter, benötigt. Der Rest wird verwendet im Spekulationsgeschäft des globalen Cyber-Casinos, siehe Literaturhinweise.
Angesichts dieser Zahlen ahnt man die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen Politik und Wirtschaft. Und man wundert sich vielleicht auch über die scheinbare Stabilität unseres Wirtschaftssystems. Seine Umverteilungsdynamik von arm nach reich soll, der inneren Logik folgend, von seinen Nutznießern natürlich möglichst lange aufrechterhalten werden. Zu diesem Zweck werden aufschiebende Kompensationsstrategien betrieben, die der Soziologe Wolfgang Streek „gekaufte Zeit“ nennt (2). Diese sind erstens eine inflationäre Geldpolitik, zweitens eine Steigerung der Staatsverschuldung und drittens die Stimulation der Privatverschuldung. Alle drei zusammengenommen erzeugen ein Scheinwachstum, was aber nach Karl Marx nur der weiteren Kapitalkonzentration bei den Inhabern der Produktionsmittel dient. Das sind beispielsweise auf die deutsche Staatsverschuldung bezogen 75.000 Euro reine Zinslast – pro Minute!
Es mag einem auffallen, dass demnach mehr Geld auf dieser Welt vorhanden sein muss, als für die Lösung aller Probleme wie Armut, Hunger oder Gesundheit gebraucht wird. Diese scheinbar naive Feststellung ist tatsächlich wahr. Nur steht dieses Geld nicht als echte Ressource wie beispielsweise ein Rohstoff zur Verfügung. Es ist virtuelles Geld, welches allerdings real erwirtschaftet wurde. Es ist die Alchemie, welches „echte“ Arbeit in ein virtuelles Gut verwandelt. Eine „Rückverwandlung“ würde eine Hyperinflation, also eine massive Abwertung des Geldes bewirken, weil das Verhältnis zu tatsächlich existierenden Gütern derart ungleich gestaltet ist. Deshalb erzeugt das Zinssystem keinen Überfluss, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern einen Mangel, aus dem es keinen Ausweg gibt. Zudem akkumuliert sich der durch Zinswirtschaft erreichte „Mehrwert“ ausschließlich bei den Kapitalinhabern, die ihren Wohlstand genau aus dieser Dynamik heraus beziehen.
Das Ende
Jedes Unternehmen ist nur dann dauerhaft überlebensfähig, wenn es ihm gelingt, seine Erträge oberhalb des von den Banken abverlangten Zinses zu erwirtschaften. Der dadurch entstehende Effizienzdruck verschlechtert den Arbeitsmarkt, weil Rationalisierungen fast immer in Richtung Arbeitsplatzabbau zielen. Die Asymmetrie des Kapitalismus wird mit fortschreitender Digitalisierung und Technologisierung immer deutlicher, und diese Divergenz kann auch mit den Maßnahmen der „gekauften Zeit“ nicht dauerhaft abgefangen werden. An dieser Stelle werden die kruden Zukunftsentwürfe des World Economic Forum in gewissem Umfang nachvollziehbar. Die Architekten des Kapitalismus sind sich über das „Wettsägen am eigenen Ast“, so Hans-Peter Dürr, ebenso im Klaren wie ihre Kritiker.
Armut und Ausbeutung sind systemimmanente Eigenschaften des Kapitalismus und im letzten Drittel seiner Lebenszeit steigen diese überproportional an.
Seine letzte Erscheinungsform ist der Überwachungskapitalismus, in dem eine digitale Geld- Infrastruktur die monetären Flüsse transparent und steuerbar macht. Gleichzeitig wird die Abhängigkeit davon auf ein Maximum gesteigert, um das System weiter größtmöglich mit Energie zu versorgen. Der Mensch ist darin nicht mehr nur der „Homo Faber“, sondern er wird zur Systemfunktion, dem „Homo Economicus“.
Ein überholter Glaube
Das kapitalistische System entstand in seiner heutigen Form und Ausprägung zur Zeit des aufblühenden Darwinismus, wonach Kampf und Verdrängung Schlüsselqualitäten des Überlebens sind. Die Abwendung von der Idee, in einem von Gott geschaffenen und gewollten Kosmos einem hohen Daseinszweck zu dienen, und die stille Hinwendung zum Glauben an ein zufälliges und damit im Kern sinnloses Leben ermöglichten die radikale Herauslösung des Menschen aus dem Gesamtkontext des Lebens. Die Irrigkeit dieser Annahme wird heute immer deutlicher und hat längst Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs gefunden.
Tiefenpsychologisch könnte man postulieren, dass der Kapitalismus ein Versuch der Kontrolle des Unkontrollierbaren ist: Das Dasein selbst ist unkalkulierbar und ohne schützenden Gott auch gefährlich. Das Leben ist darüber hinaus ohne besonderen Wert, weshalb man seine Grundlagen nicht mit Respekt behandeln muss. Der Kapitalismus ist eine Entwertungsmaschine des Lebendigen.
Auch die unbewusste Überzeugung, nicht genug zu sein oder sich sein Recht auf Existenz verdienen zu müssen, spielt hier mit hinein. Der christliche Glaube verkündet seit knapp zweitausend Jahren eine „Erbsünde“, die auf uns laste. Wir glauben zwar, uns solcher Altlasten zwischenzeitlich entledigt zu haben, doch finden sich seine deformierten und maskierten Überreste deutlich Kapitalismus, der sich nicht ohne Grund auf christlich- abendländischem Boden entwickelte (3).
Die Herausforderung der Gegenwart besteht nun darin, Alternativen zu finden, die sich an den zirkulären natürlichen Ordnungen orientieren und damit echte Nachhaltigkeit und Stabilität aufweisen.
Natürlich wäre ein Wechsel aus der Vernunft heraus möglich, der sich am Wohle aller in Verbindung mit echter Selbstlosigkeit und an einem Gefühl der Verantwortung gegenüber dem Planeten und nachfolgender Generationen orientiert. Aufgrund der herrschenden Machtverhältnisse in Verbindung mit einer fast als narkotisiert zu bezeichnenden breiten Bevölkerung stehen die Chancen allerdings schlecht.
Der Ökonom Wolfgang Berger schreibt:
„Ein neues Paradigma kann sich nur innerhalb einer Revolution durchsetzen. Und Revolutionen haben nur in der Krise eine Chance: wenn die Leute Hunger haben. Neben dem Hunger brauchen sie aber noch genug Kraft. Wo die fehlt, muss sich ein Gemeinwesen solange von den einmal bestehenden Institutionen aussaugen lassen, bis es mit ihnen untergegangen ist“ (4).
Vielleicht würde bei einem Finanzcrash auch deutlich werden, was Geld eigentlich ist: ein Glaube. Was sonst soll ein Tauschmittel, Wertmesser und Speicher sonst sein, wenn es zu 96 Prozent nur virtuell existiert? Wir vertrauen auf sein Funktionieren, und Vertrauen ist Ausdruck eines Glaubens. Und wie fast alle metaphysischen Phänomene verschwinden auch die Glaubensinhalte, wenn man den Glauben daran aufgibt. Es würde deutlich werden, dass wir Geld mit Reichtum verwechselt haben und Reichtum mit echter Fülle. Es würde offensichtlich werden, dass der Kapitalismus uns globale Abhängigkeiten gebracht hat, die uns mehr Freiheit geraubt als gebracht haben. Es würde vermutlich auch deutlich werden, dass sich unser Verständnis von Produktivität von den realen Lebensbezügen abgekoppelt hat und Bedürfnisbefriedigung nun auf ein viel breiteres und humaneres Fundament gestellt werden kann.
„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann“ (Prophezeiung der Hopi).
Dieser Spruch prangte als Aufkleber an vielen Orten meiner Jugend. Er hat mich damals schon immens berührt. Heute bin ich etwas angstfreier, denn in größeren Sinnzusammenhängen ist auch das nur eine temporäre Erfahrung des Lebens, verkörpert durch uns Menschen.
Der Kapitalismus wird zu einer verhältnismäßig kurzen Episode der Menschheitsgeschichte werden, eine Episode, die aber wie keine andere das Leben des Gesamtorganismus „Erde“ beeinflusst haben wird. Es könnte spannend werden, ob aus seinen Trümmern etwas wirklich Neues entstehen wird.
Quellen und Anmerkungen:
(1) „Und weil das Geld unter allen Konvertierungsstrukturen die schnellste, effizienteste und (...) gleichgültigste ist, ist es auch das mächtigste (…) Korruptionsmittel. Doch damit es korrumpieren kann, muss es begehrt werden und diese Begierde muss unersättlich sein. Für alle Bedürfnisse gibt es eine durch Sättigung angezeigte Grenze. Das Geld hingegen kann angehäuft werden, ohne diese Grenze jemals zu erreichen“. Marcel Henaff, Die Welt des Handels in: Westend. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 7.Jg, Heft 1, 2010
(2) Wolfgang Streek, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Berlin 2013
(3) Siehe hierzu meinen Aufsatz „Schuld, Schulden und Geld- wie die Symbolik auf eine tiefere Wirklichkeit verweist“, abrufbar unter https://ausstiegsberatung.com/zeitenwandel/schuld-schulden-und-geld/
(4) Wolfgang Berger, Business Refraiming. Erfolg durch Resonanz, 3. Auflage, Gabler 2002
Bernhard Lietaer, Das Geld der Zukunft. Riemann - Verlag 2002
Der Autor stellt neben einer brillanten Analyse funktionierende alternative Wirtschaftsformen vor.
Joachim Rossbroich, Woher kommt und wohin geht Europa? Wbg Academic 2020. Joachim Rossbroich entwirft ein umfassendes und tiefgründiges Bild der gesellschaftsformenden Kräfte zusammen mit einem „Best-case-“ und einem „worst- case-“Szenario.
Helmut Creutz, 2004: Die 29 Irrtümer rund ums Geld, Signum Wirtschaftsverlag,
Bernd Senf, 1996: Der Nebel um das Geld - Zinsproblematik - Währungssysteme - Wirtschaftskrisen, 7. Auflage 2004, Gauke Verlag für Sozialökonomie
Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung - durch Freiland und Freigeld (1916), Amazon- Verlag
Günter Hannich, Sprengstoff Geld - Wie das Kapitalsystem unsere Welt zerstört, 4. Auflage 2004
Hans Weitkamp, 1988: Das Hochmittelalter - ein Geschenk des Geldwesens, Lindenberg 1988
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.