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Die verwüstete Ethnie

Die verwüstete Ethnie

Von der Weltgemeinschaft nahezu unbeachtet, fristet das von Marokko vertriebene Volk der Sahraouis seit Langem ein Flüchtlingsdasein in der algerischen Wüste.

Schweizerisches Unterstützungskomitee für die Sahraouis

Wie leben diese Menschen in diesem Wüstengebiet? Elisabeth Bäschlin, Geografin und pensionierte Dozentin der Universität Bern, informierte am Montag, dem 25. September 2023, im Rahmen des Café de la Paix an der Gartenhofstrasse 7 in Zürich über die Situation der Sahraouis in der Westsahara.

Elisabeth Bäschlin ist Präsidentin des schweizerischen Unterstützungskomitees für die Sahraouis (SUKS), das 1976 gegründet wurde. Die Organisation engagiert sich vorwiegend im Bildungs- und Erziehungssektor (1).

Seit 47 Jahren leben die Sahraouis in Flüchtlingslagern

Im Exil auf algerischem Gebiet gründeten und entwickelten die Sahraouis ihren eigenen Staat mit einem funktionierenden Schul- und Bildungswesen, demokratischen Strukturen und Institutionen, einem Rechtssystem und vielem mehr. Sie gestalten den Alltag so normal, wie es unter den schwierigen Bedingungen möglich ist.

Die unwirtliche Wüstengegend von Tindouf im Südwesten Algeriens lässt Selbstversorgung kaum zu. Die Flüchtlingslager sind für die Versorgung praktisch gänzlich von außen abhängig, von der Unterstützung durch internationale Organisationen, Hilfswerke und Unterstützungskomitees. Praktisch alles, was die Menschen zum Überleben brauchen, wird mit Lastwagen in die Lager transportiert.

Gesamt gesehen ist die Situation für die Bevölkerung prekär. Daher versuchen immer mehr junge Sahraouis, in Europa Arbeit zu finden, um ihre Familien in den Lagern zu unterstützen. Diese Jobs sind häufig schlecht bezahlt und die Dauer der Anstellung unsicher. In den ersten Jahren betraf dies fast ausschließlich Spanien, seit der dortigen Krise vermehrt auch Frankreich und andere Länder Europas.

Anfänglich lebten die Sahraouis in Zelten. Heute haben sie richtige Häuser aus gepressten Sandziegeln gebaut, die besseren Schutz vor der Hitze bieten.

Im Laufe der Jahre wurden in den Lagern Schulen eröffnet, sodass jedes Kind der Sahraouis die Schule besuchen kann. Auch Kindergärten gibt es. Eine Kindergärtnerin wurde in Österreich ausgebildet. Eine Lehrerbildungsstätte und sogar eine Universität wurden eröffnet. Kinder können Ferien bei Pflegeeltern in Spanien verbringen. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist bei den Sahraouis ausgeglichen. Die Frau entscheidet zu Hause und auch in politischen Gremien mit. Eine Frau kann sich auch scheiden lassen. Empfängnisverhütung ist nicht verboten. Zur Geschichte der Sahraouis siehe Geschichte – SUKS.

Marokko hält die Westsahara widerrechtlich besetzt

Wie Frau Bäschlin ausführte, hält Marokko die Westsahara seit 1975 widerrechtlich besetzt, trotz wiederholter Beschlüsse der UN-Vollversammlung, die ein Referendum über den Status der früheren spanischen Kolonie Westsahara verlangte. Auch der internationale Gerichtshof in Den Haag entschied am 16. Oktober 1975: „Die Sahara ist kein Niemandsland: Es gibt eine ansässige Bevölkerung, und diese hat ein Recht auf Selbstbestimmung.“ Aber Marokko ignoriert bis heute diese wiederholten Entscheide der UN und von Den Haag.

1975: Mit dem „Grünen Marsch“ wurde die Westsahara Marokko einverleibt

Mit großer Medienpräsenz überschritten am 6. November 1975 350.000 marokkanische Zivilisten die Grenze zur Westsahara, um das Gebiet „heimzuholen“; sie wurden in Bussen und auf Lastwagen von Marokko herübergebracht. Bereits ab dem 31. Oktober 1975 besetzten die Armeen Marokkos und Mauretaniens im Schatten dieses Medienspektakels heimlich und von der Öffentlichkeit unbeachtet das Gebiet der Westsahara.

Am 14. November 1975 unterzeichnete das damals schwache Spanien — General Franco lag auf dem Sterbebett — das Abkommen von Madrid. Die Westsahara wurde unter Mauretanien und Marokko aufgeteilt; das Abkommen wurde jedoch bis heute vom spanischen Parlament nicht paraphiert. Spanien verriet so seine ehemalige Kolonie.

Sahraouische Befreiungsarmee Polisario wehrt sich

Von 1975 bis 1981 bedrängte die sahraouische Befreiungsarmee Polisario zunehmend die Soldaten der marokkanischen Armee. Deshalb begann Marokko 1981, einen Wall zu bauen, abgesichert mit amerikanischer Elektronik und vermint.

Dieser Wall reichte von der marokkanischen Besatzungszone im Westen und der Polisario im Osten bis zur der marokkanisch-mauretanischen Küstengrenze im Südwesten bis zum marokkanisch-(saharisch)-algerisch-mauretanischen Dreiländereck im Nordosten des umstrittenen Gebietes. Heute hat der Wall eine Länge von 2.700 Kilometer. Elisabeth Bäschlin stellte in ihrem Vortrag fest: „Nur die chinesische Mauer ist länger als dieser Wall“ (2).

1991 Waffenstillstand, aber Referendum findet nicht statt

Am 6. September 1991 trat ein Waffenstillstand zwischen Marokko und den Saharaouis in Kraft. Dieser sah die Durchführung einer Volksbefragung vor, die Anfang des Jahres 1992 zur Frage „Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko?“ hätte stattfinden sollen.

Die sahraouische Bevölkerung in den Flüchtlingslagern vertraute auf den Fahrplan, wie er im Friedensplan vorgesehen war, packte ihr Hab und Gut zusammen und bereitete sich auf die Rückkehr vor. Die Schulen wurden geschlossen, alle Schüler und Studierende aus dem Ausland wurden in die Lager zurückgerufen, um bereit zu sein für die Rückkehr. 1992 wurde jedoch zu einem verlorenen Jahr in der Ausbildung der jungen Leute, da das Referendum nicht stattfand und das Leben in den Flüchtlingslagern wieder aufgenommen werden musste. Ein Referendum wurde bis heute nicht durchgeführt.

60 Prozent der Sahraouis leben heute immer noch im Territorium, das von Marokko besetzt ist. Marokko siedelt in diesem Gebiet auch mehr und mehr marokkanische Staatsbürger an. Dort wird in großem Stil Phosphat abgebaut, und die Fischgründe im Atlantischen Ozean sind sehr ergiebig. Die Besetzung der Westsahara durch Marokko hat aber mehr ideologische als wirtschaftliche Gründe — Großmachtträume des Königreiches Marokko, sagen Experten.

USA und Israel akzeptieren den Anspruch Marokkos auf die Westsahara

International wird der von Marokko formulierte Anspruch auf die Westsahara bisher von keinem Staate anerkannt, außer von den USA unter dem US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2020.

Am 18. Juli 2023 hat auch Israel, unter dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, den marokkanischen Anspruch auf die Westsahara anerkannt und erwartet nun im Gegenzug, dass Marokko die Palästinenser nicht weiter unterstützt, wie Elisabeth Bäschlin ausführte.

Nach 29 Jahren sprechen in der Westsahara wieder die Waffen

Seit dem 13. November 2020 sprechen in der Westsahara wieder die Waffen, wie Elisabeth Bäschlin in „SaharaInfo“ vom Juni/Juli 2023 schrieb. Auch Al Jazeera informierte über diese Auseinandersetzungen.

In der marokkanischen Armee soll es unter den Soldaten zu Desertionen gekommen sein, weil sie nicht an die „Marokkanität“ der Westsahara glauben.

Omeima Abdeslam, UN-Botschafterin der Polisario in Genf, die für Menschenrechte zuständig ist, sagte: „Marokkos Operation hat gegen das Waffenstillstandsabkommen verstoßen, es waren nicht wir (die Polisario), die eine Militäroperation durchgeführt haben.“

Die marokkanische Armee hatte den 2.700 Kilometer langen Wall überquert, die Sandmauer, die von der Polisario und von Marokko kontrollierte Gebiete in der Westsahara trennt. Die Operation richtete sich gegen eine friedliche Straßenblockade von protestierenden Zivilisten am 21. Oktober 2020, mit der die Polisario nichts zu tun hatte.

Western Sahara: The last African territory awaiting decolonization. Plus Algeria’s civil war & Libya

Verstärkte Repressionen gegen die Sahraouis in den besetzten Gebieten

Wie Elisabeth Bäschlin in „SaharaInfo“ vom Juni/Juli 2023 schrieb, zeigt sich eine andere Auswirkung des Krieges in der verstärkten Repression gegen die sahraouische Bevölkerung in den besetzten Gebieten, die es wagt, ein Referendum zu verlangen.

Wie Frau Bäschlin schrieb, „ist Marokko das einzige Land Afrikas (von 55 Ländern), das sich der Afrikanischen Charta für Menschen- und Völkerrecht nicht angeschlossen hat. Und seit 2014 wurde mehr als 300 unabhängige Juristen und Rechtsanwälte, Journalisten, Universitätsangehörige und Menschenrechtsaktivisten der Zugang zur Westsahara verwehrt, oder sie wurden ausgewiesen, 19 Personen aus Marokko, 295 aus dem Territorium der Westsahara.“

Geschäfte mit Marokko sind wichtiger als die Sahraouis

Die ehemalige Kolonialmacht Spanien, aber auch die Großmächte und die Schweiz sind heute an guten wirtschaftlichen Beziehungen mit Marokko interessiert, nicht am Schicksal der Sahraouis.

Elisabeth Bäschlin schrieb in der Friedenszeitung:

„Trotz der klaren Rechtslage setzt sich keine europäische Regierung für das Recht der Sahraouis ein und macht Druck auf Marokko, seine illegale Besetzung zu beenden. Die Situation in der Westsahara findet international kaum Interesse, auch nicht bei den demokratischen Staaten Europas. Im Gegenteil: Die Schweiz plant, Marokko für den Zeitraum 2025 bis 2028 zu einem Schwerpunktland seiner internationalen Zusammenarbeit zu machen“ (3).

Marokko: hohe Militärausgaben und große Armut

Die Militärausgaben Marokkos betrugen im Jahre 2022 rund 5 Milliarden US-Dollar, was 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachte. 2007 waren es noch 2,41 Milliarden USD, was sich damals auf 3,95 Prozent des BIP belief.

In Marokko, mit etwa 37,5 Millionen Einwohnern, leben etwa 6,3 Millionen Menschen unterhalb oder an der Armutsgrenze. In den Slums von Marokkos Großstädten haben Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und elementarer medizinischer Versorgung, und in den ländlichen Regionen sind noch immer 85 Prozent der Dörfer ohne Stromanschluss sowie 70 Prozent ohne Wasser.


Kinder, 2008, Foto: Philip Hoffmann



Lager, Dezember 2009, Foto: Markus Büttler



OJA Frauen, November 2013, Foto: Elisabeth Bäschlin



Kinder, November 2015, Foto: Elisabeth Bäschlin



Smara Mahbes, November 2015, Foto: Elisabeth Bäschlin



September 2019, Foto: Ariet Hanke



Smara Programm-Scouts, September 2019, Foto: Elisabeth Bäschlin



Dakhla Schule, November 2019, Foto: Elisabeth Bäschlin



Smara Schule, April 2022, Foto: Elisabeth Bäschlin



Quellen und Anmerkungen:

(1) SUKS – Schweizerisches Unterstützungskomitee für die Sahraouis
(2) Der marokkanische Wall zwischen der Polisario und der marokkanischen Besatzungszone
(3) Friedenszeitung Nr. 46 September 2023


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