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Die Weichenstellung

Die Weichenstellung

Nach dem Krieg etablierte sich die auf Ost-West-Konfrontation basierende „Ordnung“, die bis heute weiterbesteht. Exklusivabdruck aus dem Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

Mitte Juni kommt die Mutter empört aus der Stadt zurück. „Die Regale in den Läden sind leer, es gibt kaum noch etwas zu kaufen“, berichtet sie. „Man munkelt, dass die Reichsmark abgeschafft und neues Geld eingeführt wird.“

Am nächsten Tag bestätigen die Medien, dass eine Währungsreform kurz bevorsteht, und tatsächlich, zwei Tage später ist es so weit: Die Reichsmark ist von Hamburg bis München und von Kassel bis Köln nichts mehr wert, es gibt neues Geld. Und plötzlich sind alle Regale wie von Zauberhand gefüllt, der Schwarzmarkt ist Geschichte. Die Eltern bekommen vierzig D-Mark. Davon kaufen sie einen neuen Anzug für den Vater, und schon ist das Geld ausgegeben. Im nächsten Monat soll es noch einmal zwanzig D-Mark geben.

„Das neue Zahlungsmittel ist die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands“, tönt es aus dem Radio. Aber es wird nur in den Besatzungszonen der Westmächte eingeführt, die inzwischen in der Sowjetunion eine Bedrohung für die „freie Welt“ sehen. Damit ist die Teilung Deutschlands in West und Ost besiegelt und Neutralität, wie sie von einigen Politikern gefordert wird, ausgeschlossen.

Um zu verhindern, dass große Mengen in den Westzonen wertlos gewordener Reichsmark in die Sowjetische Besatzungszone geschafft werden, was zu einer Inflation führten würde, sperren die Sowjets die Zugangswege, auch die in die Enklave Berlin, wo in den Westsektoren ebenfalls die D-Mark eingeführt wird.

Der Berliner Bevölkerung, die von der Versorgung mit allem Lebensnotwendigen abgeschnitten wird, droht eine Katastrophe, es sei denn, die westlichen Alliierten zögen sich zurück und überließen die Stadt den Sowjets. Doch die Amerikaner wissen einen Ausweg: Sie haben genügend Flugzeuge, um die Stadt aus der Luft zu versorgen. Das Radio meldet, jeden Tag landeten im Abstand von wenigen Minuten Transporter, Rosinenbomber genannt, auf dem Flugplatz Berlin-Tempelhof. Sie brächten Lebensmittel, Kohle und sonstige lebenswichtigen Güter in die Stadt, in der noch mehr als zwei Millionen Menschen leben, und verhinderten damit die Isolierung der Bevölkerung. (…)

Kaderabeck liest täglich die Frankfurter Rundschau und berichtet über die neuesten Ereignisse in Gesellschaft und Politik, so auch über die Gründung des NATO genannten Verteidigungsbündnisses. „Wir haben im vergangenen Jahr schon drüber gesprochen, jetzt ist der Pakt, der sich eindeutig gegen die Sowjetunion richtet, geschlossen.“

Der Major befürwortet das: „Dass von den Russen eine Gefahr ausgeht, ist meines Erachtens nicht von der Hand zu weisen. Ich denke, sie wollen den Kommunismus über die ganze Welt ausbreiten.“

„Schutz vor einer möglichen Aggression ist die eine Sache“, entgegnet Kaderabeck. „Obwohl ich nicht glaube, dass die Russen kriegerische Absichten haben, die müssen sich erst einmal regenerieren. Die andere Sache ist die Festlegung auf eine von den Siegermächten verordnete Lebensform, insbesondere auf das westliche Wirtschaftssystem mit der Garantie des Privateigentums an Produktionsmitteln.“

„Und was soll falsch daran sein?“, fragt Baron von Kreuderitz. „Das würde ich auch gerne wissen wollen“, schließt sich Albert Hoffmann der Frage an.

„Wir werden damit in das System der westlichen Ideologie einbezogen und vergeben die Chance einer Neutralität zwischen den beiden Blöcken. Das halte ich für einen großen Fehler.“
Die Mutter und Frau Weber sehen das ebenso. „Offenbar verfolgen die Amerikaner eine bestimmte Strategie“, meint die Mutter. „Nachdem uns nach dem Ersten Weltkrieg der Versailler Vertrag mit diesen riesigen Reparationszahlungen die Nazis beschert hat, wollen sie uns jetzt in ihr Gesellschafts- und Wirtschaftssystem einbeziehen. Die Grenze zwischen den Blöcken wird dann mitten durch Deutschland gehen.“

„Ganz richtig“, stimmt Kaderabeck zu. „Im Mai soll in den drei westlichen Besatzungszonen eine Bundesrepublik Deutschland gegründet werden, die praktisch unter Kuratel der Alliierten stehen wird. Eine Verfassung ist in Vorbereitung. Und im August sollen die ersten Wahlen für das neue Parlament stattfinden. Sie werden gehört und gesehen haben, dass der Wahlkampf schon begonnen hat.“

Frau Weber hat ein Flugblatt der CDU mitgebracht. „Sie nennen es ‚Ahlener Programm‘. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Konrad Adenauer und seine christlich-demokratische Partei so fortschrittlich sind.“

Sie liest vor: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.‘“

Baron von Kreuderitz staunt: „Was sind das für Schlagworte? ‚Kapitalistisches Wirtschaftssystem‘ — das hört sich fast schon kommunistisch an.“

Der Herr Major pflichtet ihm bei: „Und ‚kapitalistisches Gewinn- und Machtstreben‘ — das hätte ich von der CDU und Herrn Adenauer nicht erwartet …“

Kaderabeck fällt ihm ins Wort: „Ich halte das für ein Täuschungsmanöver, einen riesigen Schwindel. Sie wollen die Arbeiterschaft auf ihre Seite ziehen. Adenauer ist ein Günstling der Amerikaner. Ich möchte wetten, dass er mit deren Hilfe, dem Geld von Pferdmenges und entsprechender Unterstützung durch die Medien Kanzler wird.“

„Und danach Privateigentum und kapitalistisches Gewinn- und Machtstreben garantiert“, vermutet Frau Weber.

Kaderabeck nickt. „Genau so wird es kommen. Sie verschaukeln uns und verkaufen uns an die Amerikaner, die sich gegen die Sowjetunion rüsten. Sie haben die Atombombe, mit der sie ihren imperialen Anspruch durchsetzen können.“ (…)

An einem trüben, regnerischen Sonntag im August gehen die Eltern gleich morgens zur Wahl. „Wir haben SPD gewählt“, sagt die Mutter, als sie zurückkommen. „Der Schumacher ist ein ehrlicher Mann, der kann unsere Interessen am besten vertreten.“ Im Radio wird tagelang über diese „erste freie demokratische Wahl auf deutschem Boden seit 1932“ berichtet. Bei einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent erhielt die CDU zusammen mit der bayerischen CSU 31 Prozent der Stimmen, die SPD unterlag knapp mit 29,2 Prozent. Es folgten FDP mit 11,9, KPD mit 5,7 und DP mit 4 Prozent.

Der Wahlsieger, Konrad Adenauer, der für die Westbindung und eine aktive Rolle der Bundesrepublik in der NATO eintritt, äußert in der neuen Hauptstadt Bonn seine Hoffnung, die CDU/CSU werde in den nächsten vier Jahren einen entscheidenden Einfluss auf die deutschen Geschicke ausüben können. Er geht eine Koalition mit der FDP und DP mit eindeutig antisozialistischer Ausrichtung ein und wird — mit einer Stimme Mehrheit — zum ersten Kanzler gewählt. Ministerialdirigent im Kanzleramt wird wenig später der Jurist und Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze Hans Globke. Der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss wird erster Bundespräsident.

Die um 1,8 Prozent unterlegene SPD geht mit ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher in die Opposition. Sie wendet sich gegen die von der Regierung Adenauer propagierte soziale Marktwirtschaft und fordert eine Verstaatlichung aller Grundstoffindustrien. Schumacher, der eine politische Neutralität Deutschlands für möglich hält, spricht sich gegen die enge Anbindung an die USA aus und lehnt eine Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland in aller Entschiedenheit ab. (…)

Unterdessen führt Bundeskanzler Konrad Adenauer Geheimverhandlungen über eine Wiederbewaffnung mit dem amerikanischen Hochkommissar John J. McCloy. Als Innenminister Gustav Heinemann aus der Zeitung davon erfährt, tritt er empört von seinem Amt zurück und erklärt, durch die Wiederbewaffnung an der Seite der Westmächte mache sich Deutschland zum künftigen Schlachtfeld bei einer möglichen militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion. Zusammen mit zahlreichen pazifistisch gesinnten Persönlichkeiten gründet er eine Gesamtdeutsche Volkspartei, die für strikte Neutralität Deutschlands zwischen der NATO und dem sogenannten Ostblock eintritt.

Drei Viertel der westdeutschen Bevölkerung lehnen einer Emnid-Umfrage zufolge die Wiederbewaffnung ab, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten und einzelne Kirchenvertreter rufen zu Demonstrationen auf, insgesamt werden sechs Millionen Unterschriften gesammelt. Zu dieser machtvollen Friedensbewegung gehören neben Gustav Heinemann, dem Theologen Martin Niemöller und dem Philosophen Karl Jaspers die Nobelpreisträger Otto Hahn, Max Born, Werner Heisenberg und Albert Schweitzer.

Doch Adenauer spricht von der Verteidigung christlicher Werte des Abendlands und warnt vor Sklaverei und Ausbeutung durch das kommunistische Staatssystem. Als schlagenden Beweis für eine angebliche kommunistische Aggression führt er den Krieg im geteilten Korea an, wobei er Parallelen zu BRD und DDR beschwört. Trotz heftigster Proteste setzt er im Einvernehmen mit den Westmächten die nationale Wiederbewaffnung durch und stellt die Weichen für den Beitritt zur NATO. Für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zahlt die Bundesrepublik bereits einen monatlichen Beitrag von 950 Millionen D-Mark. Sehr viel Geld für militärische Zwecke ist also schon wieder vorhanden. Die Gesamtdeutsche Volkspartei erreicht bei den zweiten Bundestagwahlen lediglich 1,2 Prozent der Stimmen und Adenauer bleibt Kanzler.



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