Eine Nation im Modus der Simulation
Wenn sich Angst nicht mehr an konkreten Gefahren festmacht, sondern zum Grundgefühl des gesellschaftlichen Lebens wird, ist nicht die Gesellschaft krank — sondern das System, in dem sie entsteht. Deutschland im Jahr 2025: Ein Land, das von innen aufgeheizt wird, im Außen aufrüstet und seine Bevölkerung im Zustand permanenter Alarmbereitschaft hält. Die Symptome reichen von medial überbelichteter Gewalt bis zur sprachlichen Normalisierung des Krieges. Die Diagnose: Eine Nation im Modus der Simulation — politisch, militärisch, emotional.
Deutschland und in Teilen auch der Wertewesten insgesamt befindet sich nicht mehr nur im Krisenmodus, sondern in einem Zustand der dauerhaften Nachbildung von Bedrohungen, Zuständen und Reaktionen, der realpolitisch gesteuert, medial aufrechterhalten und emotional internalisiert wird.
- Politisch: Entscheidungen werden nicht mehr aus der Sache heraus getroffen, sondern aus einem konstanten Ausnahmezustand heraus legitimiert. Politik simuliert Handlungsnotwendigkeit dort, wo alternativlose Durchsetzung demokratische Debatte ersetzte. Die Pandemiesimulation war ein Paradebeispiel: eine komplexe, gesellschaftlich folgenreiche Steuerung, die unter dem Deckmantel der Gefahrenabwehr vollzogen wurde.
- Militärisch: Die Bundesregierung erklärt die Republik für „kriegstüchtig“, führt mit NATO-Partnern Truppenbewegungen über neue Militärkorridore und rüstet systematisch auf. Doch bisher ist sie in keinen Krieg direkt verwickelt — das Kriegsgeschehen bleibt ein medial präsentes, aber distanziertes. Die Vorbereitungen laufen wie in einem Planspiel: Es wird simuliert, wie es wäre, wenn …
- Emotional: Die Bevölkerung lebt in einer Simulation permanenter Gefahren. Angst ist nicht mehr an ein konkretes Ereignis gebunden, sondern zu einer Grundhaltung geworden. Diese Angst wird gespeist von selektiv wahrgenommener Gewalt, zum Beispiel Messerattacken, wirtschaftlicher Unsicherheit durch Insolvenzen, Arbeitslosigkeit und einer verengten Debattenkultur durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit. Der permanente Alarmzustand wird verinnerlicht: Jeder fühlt, als sei Krieg, Krise oder Kontrollverlust — auch wenn der Alltag oft anderes sagt.
In diesem Sinne ist „Simulation“ nicht als Behauptung zu verstehen, die Bedrohungen seien irreal oder erfunden. Vielmehr beschreibt der Begriff, wie reale Phänomene durch politische, mediale und emotionale Verstärkung ein Eigenleben entwickeln.
Sie werden nicht erfunden, sondern so kuratiert, dramatisiert und wiederholt, dass eine Atmosphäre ständiger Gefahr entsteht — unabhängig davon, wie konkret oder akut die Bedrohung tatsächlich ist. Die Simulation ist somit kein Ersatz der Realität, sondern deren strategisch überformte Inszenierung im Dienst von Kontrolle, Mobilisierung und Machtsicherung. Sie ist also nicht Fiktion, sondern ein Systemzustand.
Die Inszenierung der Bedrohung
Es beginnt mit einem Messer. Oder besser: mit seiner Darstellung. Einzelne Gewalttaten, insbesondere Messerattacken, dominieren das Nachrichtengeschehen — häufig ohne Kontext, aber mit maximaler Erregung. Laut Polizeistatistik nehmen solche Taten bundesweit deutlich zu — allein im Jahr 2024 wurden über 29.000 Messerangriffe registriert, ein Anstieg von fast 11 Prozent bei schwerer Körperverletzung im Vergleich zum Vorjahr. Doch entscheidender als diese Zahlen bleibt die Erzählung, die daraus gemacht wird. Der mediale Fokus auf die Herkunft der Täter, insbesondere wenn sie nicht-deutsch sind, erzeugt ein verzerrtes Bild der Bedrohung.
Wie Nicolas Riedl bereits 2019 festhielt, sind diese Ereignisse längst zur Projektionsfläche politischer Narrative geworden — und der mediale Fokus verstärkt sie.
Hinzu kommt der mögliche Copycat-Effekt: Die Täter sehen sich im Spiegel der Berichterstattung, die Tat wird zur Eintrittskarte in eine hysterische Öffentlichkeit.
Eine Spirale entsteht, die weniger mit Kriminalität als mit Resonanz zu tun hat. Wer schreit, wird gesehen. Und wer Angst macht, erhält mediale Reichweite.
Von „kriegstüchtig“ zur Zeitenwende
Parallel zur inneren Eskalation verschiebt sich das außenpolitische Selbstverständnis. Die Bundesrepublik, einst pazifistisches Vorzeigepobjekt, erklärt sich im Namen der „Wehrhaftigkeit“ für „kriegstüchtig“. Der Begriff, eingeführt vom ehemaligen Verteidigungsminister Boris Pistorius, markiert eine rhetorische Zäsur. Was früher noch an der Sprachhygiene der Nachkriegsethik scheiterte, wird heute zur Tugend stilisiert.
In seinem Artikel „Aufrüstung ohne Widerspruch“ analysiert Günther Burbach diesen Wandel: Ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, die Enttabuisierung militärischer Führungsrollen und eine Militarisierung der Infrastruktur unter dem Label „Military Mobility“ — es ist nicht nur ein Strategiewechsel, sondern ein kultureller. Und wie immer beginnt Kultur mit Sprache.
Die Normalisierung des Krieges verläuft über Wörter, nicht über Waffen.
In diesem Kontext beschreibt Felix Feistel in seinem Artikel „Die Demokratiefalle“, wie politische Machtstrukturen durch permanente Krisen und Ängste stabilisiert werden: Demokratie werde formal beschworen, aber tatsächlich zur Legitimation von Machtausübung genutzt, während die Bevölkerung faktisch aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen bleibt. Noch schärfer argumentiert Feistel in „Der Untergang der Zivilisation“: Die heute erlebten Krisen seien nicht bloße Symptome, sondern Werkzeuge eines Systems im Zerfall. Die anhaltende Produktion von Angst ist dabei zentral, um bestehende Machtverhältnisse zu sichern und kritische Stimmen zu delegitimieren.
Politische Inszenierung der Angst
Dieses Vokabular fällt nicht in ein Vakuum. Es dockt an ein Gefühl an, das spätestens seit der Pandemiesimulation ab 2020 systemisch kultiviert wurde: Angst als Dauerzustand. Was als Gesundheitsnotstand begann, wurde zur Blaupause für soziale Steuerung — über Verhaltensregeln, Panikbilder und Ausnahmegesetzgebung. In „Das Spiel mit der Angst“ beschreibt Tom J. Wellbrock diese doppelte Funktion: Angst als Disziplinierung während der Testpandemie — und jetzt, im Kontext militärischer Mobilisierung, als hinderliche Emotion, die abtrainiert werden soll. Die gleiche Regierung, die früher mit Todeszahlen Panik erzeugte, erklärt heute: „Keine Angst vorm Krieg!“
Diese diskursive Willkür folgt einem Muster: Angst wird gezielt dosiert. Mal wird sie zum Motor, mal zum Makel. Je nachdem, ob Unterwerfung oder Zustimmung gebraucht wird. Rainer Mausfeld zeigt in seinem Text „Die Manipulation der Massen“ erhellend auf, wie die Angst des Einzelnen das stabilste Fundament für die Macht der Wenigen bildet. Angst lenkt, sie lähmt, sie legalisiert. Wer Angst hat, sucht Führung. Und wer führen will, erzeugt sie.
Die Angstmaschine läuft auf allen Kanälen
Derzeit läuft diese Maschine auf Hochtouren. Migration, Klima, Krieg, Energie, Meinungsfreiheit, Unternehmenspleiten, Arbeitslosigkeit — das Repertoire der Ängste ist lang, ihr Effekt tief. Die R+V-Studie 2025 verzeichnet eine deutliche Zunahme von Sorgen um den Arbeitsplatz, soziale Spaltung, Migration und Preissteigerungen. Parallel dazu steigen die Insolvenzen — besonders im Mittelstand, der politisch kaum aufgefangen und medial vernachlässigt wird. Das „unternehmerische Rückgrat“ der Gesellschaft bricht, während sich Eliten auf „Resilienz“ einschwören.
Hinzu kommt die wachsende Kluft zwischen Gefühl und Realität. Die Kriminalitätsrate sinkt langfristig, aber das Sicherheitsgefühl verschlechtert sich. Der Allensbach-Monitor zeigt: Immer mehr Menschen glauben, sie können ihre Meinung nicht mehr frei äußern. Immer weniger vertrauen staatlichen Institutionen. Die Realität weicht von der Erzählung ab — oder die Erzählung von der Realität. In beiden Fällen bleibt: Ohnmacht.
Eskalation nach innen
Diese Ohnmacht entlädt sich. So beschreibt Roland Rottenfußer in „Die große Gereiztheit“, wie aus dem Gefühl der Bedrohung ein Klima der Aggression entsteht. Nicht nur auf der Straße, auch in politischen Auseinandersetzungen: Blockaden, Ausladungen und sogar körperliche Angriffe auf Vertreter abweichender Meinungen — nicht mehr rechts gegen links, sondern alle gegen jeden. Wenn die öffentliche Ordnung im Namen von Moral suspendiert wird, triumphiert die Ideologie. Und sie ernährt sich von Angst.
Wer Angst sät, will Kontrolle ernten
Angst ist kein Nebeneffekt — sie ist systemisch gewollt. Sie sichert Zustimmung, entzieht Kritik die Stimme und verlagert Verantwortung auf den Bürger. Wenn alles gefährlich ist, wird alles gerechtfertigt. Wer sich dann noch empört, hat „nichts verstanden“.
Doch vielleicht ist es genau das, was verstanden werden muss: Angst ist kein Naturereignis, sondern ein Werkzeug. Und wie jedes Werkzeug, lässt es sich entziehen.
Die Rückgewinnung der Deutungshoheit beginnt nicht mit neuen Argumenten, sondern mit dem Mut, sich nicht mehr einschüchtern zu lassen.
Denn nur wer Angst durchschaut, kann sich ihr entziehen — und jene entmachten, die sie brauchen wie die Luft zum Regieren.
Denn genau darin liegt eine versteckte Dynamik, die auf lange Sicht gegen die Erzeuger der Angst wirken könnte. Wenn Angst als gezieltes Herrschaftswerkzeug eingesetzt wird, erfordert dies stets weitere Kontrollmaßnahmen, um unerwünschte Reaktionen im Zaum zu halten. Doch jede dieser zusätzlichen Kontrollmaßnahmen stößt unweigerlich auf spontane und unvorhersehbare gesellschaftliche Gegenreaktionen. Um diesen Effekt besser zu verstehen, lohnt sich der Blick auf das Konzept der sozialen Unschärferelation: Je intensiver die Kontrolle, desto unberechenbarer wird die gesellschaftliche Reaktion. Je intensiver die Kontrolle, desto stärker die unberechenbare Reaktion.
Kontrolle und Chaos: Die soziale Unschärferelation
Ähnlich wie bei der Heisenbergschen Unschärferelation in der Quantenphysik, bei der die genaue Messung eines Zustandes die weitere Entwicklung beeinflusst, löst jeder gesellschaftliche Kontrollversuch unvorhersehbare kleine Veränderungen im Verhalten der Menschen aus. Diese zunächst unscheinbaren Reaktionen der Bevölkerung können sich — vergleichbar mit dem „Schmetterlingseffekt“ der Chaostheorie — zu größeren, letztlich unkontrollierbaren Entwicklungen aufschaukeln.
Je intensiver ein repressives System versucht, diese unerwarteten Folgen durch weitere Kontrollmaßnahmen einzudämmen, desto komplexer und chaotischer wird die Situation.
Der Aufwand, die Kontrolle aufrechtzuerhalten, wächst exponentiell, bis das System unter seiner eigenen Last zusammenbricht.
Bezogen auf gesellschaftliche Dynamiken bezeichne ich diesen Effekt als „soziale Unschärferelation“. Darin liegt ein paradoxes, aber auch optimistisches Moment: Gerade in der Unberechenbarkeit und Spontaneität menschlichen Handelns steckt das Potenzial, autoritäre und totalitäre Systeme zum Scheitern zu bringen. Die Kreativität, Eigenwilligkeit und Freiheit der Menschen bilden eine natürliche Grenze der Kontrollierbarkeit und sind letztlich treibende Kräfte gesellschaftlicher Befreiung.
Kurz gesagt: Je stärker die Kontrolle, desto chaotischer fällt die gesellschaftliche Reaktion aus — bis hin zum Kollaps repressiver Systeme. Dies eröffnet die Möglichkeit einer besseren, freieren Welt, die gerade aus diesen kleinen, unkontrollierbaren Momenten kreativer Menschlichkeit entstehen kann.
Die Überwindung der Angst als Schlüssel zu Befreiung
Genau deshalb wird die Überwindung der Angst, wie sie Rainer Mausfeld in „Angst und Macht“ fordert, zum entscheidenden Hebel gesellschaftlicher Veränderung. Nur wenn Menschen die lähmende Angst überwinden und durch solidarische, kritische Selbstaufklärung wieder handlungsfähig werden, geraten die herrschenden „Eliten“ erheblich unter Druck: Der Verlust ihres wirksamsten Herrschaftsinstruments zwingt sie, alternative Kontrollstrategien drastisch zu verschärfen. Doch gerade diese verschärften Kontrollmaßnahmen verstärken wiederum die zuvor beschriebene „soziale Unschärferelation“ — und erhöhen damit erheblich das Risiko, dass das ohnehin instabile System endgültig kollabiert.
Die Befreiung von der Angst ist somit nicht bloß ein individueller Akt der Selbstermächtigung, sondern zugleich ein strategischer Schritt, der die Grundfesten des herrschenden Systems erschüttern und schließlich zum Einsturz bringen könnte.

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