Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Freiheit für das Internet!

Freiheit für das Internet!

Kämpfen wir für den Internetaktivisten Ola Bini und den Schutz unserer Privatsphäre!

„Facebook steht immer auf der Seite der Mächtigen“

von Romano Paganini

Die Regierung Ecuadors hält einen schwedischen Internetaktivisten gefangen, der die Privatsphäre der BürgerInnen schützen will. Ein Gespräch mit einer Person, die den Fall Ola Bini aus der Nähe mitverfolgt: über Sicherheit und Intimes im Internet sowie die Dringlichkeit, diese Themen auf die politische Agenda zu bringen.

Quito, Ecuador. —Am morgigen Mittwoch (dieser Artikel erschien zuerst am 11.06.2019; Anmerkung der Redaktion) müssen Ecuadors Präsident Lenin Moreno sowie Innenministerin Maria Paula Romo vor der Staatsanwaltschaft erscheinen. Grund: die Verhaftung Ola Binis. Der schwedische Programmierer und Internetaktivist wird des Angriffs auf staatliche Computernetzwerke verdächtigt. Und obwohl nach wie vor konkrete Anhaltspunkte fehlen, sitzt der 37-Jährige seit dem 11. April im Gefängnis El Inca in Quito. Es ist derselbe Tag an dem Ecuador Julian Assange das Asyl entzogen und den Wikileaks-Gründer aus der Londoner Botschaft direkt an die britischen Behörden aufgeliefert hatte.

Über die Initiative #FreeOlaBini haben inzwischen Dutzende von AktivistInnen, Intellektuelle, SchauspielerInnen, MusikerInnen und PolitikerInnen ihre Unterstützung mit dem Informatiker kundgetan (mutantia.ch hat berichtet). Ende Mai baten gar die Vereinten Nationen und die Interamerikanische Menschenrechtskommission den ecuadorianischen Staat um Informationen zur Verhaftung Binis, und äußerten ihre Besorgnis.

mutantia.ch hat sich vergangene Woche mit einem lateinamerikanischen Programmierer und Vertreter der Open Source Software Bewegung unterhalten. Die Person, die den Fall Ola Bini aus der Nähe mitverfolgt, war bereit für das Gespräch, weil sie der Meinung ist, dass Ungerechtigkeiten öffentlich diskutiert werden müssten. Aus Sicherheitsgründen bevorzugt sie anonym zu bleiben.

Warum sitzt Ola Bini im Gefängnis?
Es ist schwierig zu beweisen, dass er ein Verbrechen begangen hat. Selbst die Staatsanwaltschaft weiß nicht, welches System er angegriffen haben soll. Und bei der Kautionsverhandlung vor zwei Wochen konnte kein Betrag festgelegt werden, weil nach wie vor unklar ist, was genau passiert und wer davon betroffen ist.

Implizit gibt das Gericht also zu verstehen, dass Bini unschuldig ist?
Ich bin kein Anwalt, aber mit ein bisschen Logik würde ich sagen: Ja. Vor allem wenn wir von der Unschuldsvermutung ausgehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass bei der Verhaftung Binis Leute mit politischer Macht involviert sind, etwa Innenministerin María Paula Romo oder selbst der Präsident, Lenin Moreno.

Was wollen Sie damit sagen?
Dass es sich um eine politische Angelegenheit handelt. Wenn Bini ein Verbrechen begangen hätte, wäre die Untersuchung umgekehrt verlaufen: Zuerst hätte man beim angegriffenen System nachgeforscht und dann einen Täter gesucht. Hier wurde zuerst ein Täter gefunden und jetzt durchsuchen sie seine elektronischen Geräte, um zu sehen, ob er tatsächlich ein Verbrechen begangen hat. Bini sitzt nicht wegen eines Verbrechens im Gefängnis.

Sondern?
Wahrscheinlich wegen seiner Nähe zu Julian Assange.

Es reicht also, Freund von Assange zu sein, um ins Gefängnis zu kommen?
Das wird sich mit diesem Fall zeigen. Der Diskurs der Regierung hat sich inzwischen allerdings verändert. Zunächst wurde gesagt, dass Bini die Regierung destabilisieren wolle und er ein enger Freund Ricardo Patiños (Minister unter der Regierung Rafael Correas) sei. Inzwischen wird mehr über seine Nähe zu Assange gesprochen und dass Wikileaks das Schlimmste ist, was es auf der Welt gibt.

Im Umfeld von Ola Bini heißt es auch, dass er als Sündenbock diene. – Sündenbock wofür?
Das verstehe ich auch nicht. Es wird nach einem Schuldigen gesucht, ohne zu wissen wofür. Vor ein paar Wochen hatte Wikileaks die Seite INA Papers (1) getwittert, unter anderem mit Informationen über den Präsidenten, hauptsächlich Telefonnummern und E-Mailadressen. Gefiltert wurde die Information jedoch von anderer Seite; Wikileaks hat sie lediglich weiterverbreitet. Daraufhin begann der Präsident, Wikileaks die Schuld in die Schuhe zu schieben und hatte so einen weiteren Grund, um Assange das Asyl zu entziehen. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass der Präsident nach einem Schuldigen suchte.

Das klingt eher nach einem Vorwand, um die Auslieferung von Assange an die Vereinigten Staaten zu erleichtern.
Das kann sein. Immerhin hat die Regierung Ecuadors die Beziehungen zu den USA wieder aufgenommen – in erster Linie Handel und Verträge mit dem Internationalen Währungsfond – und ein Interesse daran, diese zu pflegen. Das geht soweit, dass Ecuador die USA inzwischen sogar um Hilfe geben hat, um die Daten Binis zu entschlüsseln.

Wovor fürchtet sich die ecuadorianische Regierung?
Ich weiß es nicht, aber als Programmierer mache ich mir schon ein wenig Sorgen. Die Innenministerin schien mir bis zur Verhaftung Binis ziemlich rational. Sie sprach über Menschenrechte sowie über Open Source Software und dessen Einsatz. Aber es sind schließlich zweierlei Dinge, was eine Kandidatin vor den Wahlen sagt und was sie ausführt, wenn sie an der Macht ist. María Paula Romo war Teil der Regierung Correas, verliess die Partei aber, als sich dieser in die Justiz einzumischen begann. Nun tut sie dasselbe, ohne jegliche Beweise. Angenommen, Ola Bini wird für schuldig befunden, und nach fünf Jahren lesen wir die Berichterstattung von damals (also von heute), dann könnte man es folgendermaßen interpretieren: Wer die Privatsphäre im Internet verteidigt, ist gefährlich, und wer dies vor fünf Jahren öffentlich getan hatte, gilt grundsätzlich als verdächtig. Wer wird danach noch Mut haben, die Privatsphäre zu schützen?

Wie interpretieren Sie, was seit der Verhaftung Binis am 11. April geschehen ist?
Überwachung ist in Ecuador nichts Neues. Die vorherige Regierung hat einen ziemlich starken Überwachungsapparat eingerichtet, mit Kameras in allen mittleren und großen Städten des Landes. Selbst auf Galapagos gibt es heute Kameras. Dabei kann man dort seinen Koffer auf offener Straße stehen lassen, ohne dass dieser gestohlen würde. Das Innenministerium nutzt diese Infrastruktur. Wenn wir so weitermachen, wird es irgendwann einfacher sein, die Privatsphäre im Internet zu wahren als jene auf der Straße, zumindest in den Städten. – Dann gibt es noch das Hacking Team, ein italienisches Unternehmen, das Software an Regierungen verkauft, um Handys und Computer zu hacken. Dabei wird ein sogenanntes malware-Programm auf Ihr Handy installiert, wodurch Mikrofon, Kamera und GPS aktiviert und sogar Ihre Text-Nachrichten mitgelesen werden können. So verwandelt sich das eigene Handy plötzlich in ein Werkzeug der Überwachung.

Das geschah während der Regierung Correas?
Ja. Und wir wissen das dank Wikileaks... Anscheinend wurden damals sowohl Richter als auch AktivistInnen der Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors und von Pachakuti ausspioniert. Möglicherweise wird dasselbe System bis heute verwendet, wir wissen es aber nicht. Die Regierung hat jedenfalls nichts unternommen, um für mehr Transparenz beim nationalen Geheimdienst zu sorgen. Es wurde lediglich der Name geändert. In Bezug auf Privatsphäre im Internet sendet die Regierung allerdings klare Zeichen.

Inwiefern?
Romo und Moreno haben sich vor zwei Wochen mit Führungskräften von Facebook getroffen, Selfies inklusive. Dabei wissen wir seit den Enthüllungen von Edward Snowden, dass Facebook der US-Regierung Zugang zu ihren Daten gewährt, ohne uns darüber zu informieren. Nach dem Fall um Cambridge Analytica vergangenes Jahr musste Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress aussagen. Und während all das in den Vereinigten Staaten ein Skandal ist, lädt die Regierung Ecuadors Facebook ein, um über Datenschutz zu sprechen. Statt dass der Staat die Privatsphäre seiner BürgerInnen schützt, geschieht das Gegenteil. Assange und Wikileaks dagegen vertreten die Philosophie des Cypherpunk: Transparenz für den Staat, Privatsphäre für alle anderen. So oder so bin ich der Meinung, dass wir über diese Themen sprechen müssen, solange es noch geht.

Worüber müssen wir sprechen?
Über das Internet. Es ermöglicht den Menschen nicht nur eine Kommunikation und den Zugang zu Wissen, wie es ihn nie zuvor gegeben hat, sondern auch noch nie da gewesene Möglichkeiten zur Spionage. Das Internet ist also gut und schlecht, und es geht nicht darum, es nicht zu nutzen. Aber wir sollten verstehen, welche Technologie wir genau verwenden. Das Internet ist nicht virtuell, es ist Teil der realen Welt.

Dessen sollten wir uns bewusst sein.
Auf jeden Fall! Wir müssen akzeptieren, dass wir im Moment noch keine totale Privatsphäre haben können. Aber wir sollten dafür kämpfen, dass sich das ändert. Und wir sollten uns die Frage stellen, ob wir die Technologie von jemandem verwenden, der wissen will, was wir tun, oder jene, um uns autonom zu bewegen? Privatsphäre bedeutet, zu wissen, was ich mit wem teile.

Sie meinen Facebook?
Denken wir an die Welt außerhalb des Internets. Die Gespräche mit meinen Eltern sind nicht dieselben wie jene mit meinen Freunden, mit meinem Partner oder mit meinen Kindern. Es ist ein natürliches Bedürfnis zu wissen, mit wem ich was teilen möchte. Doch im Internet geschieht das Gegenteil.

Haben Sie ein Beispiel?
Als wir klein waren, wurde uns gesagt, wir sollten nicht mit Fremden reden. Und heute? Heute stellen die eigenen Eltern Fotos ihrer Kinder auf Facebook, die ganz bestimmt auch Fremde sehen werden. Die Leute bitten dich nicht einmal mehr um Erlaubnis, ein Foto zu machen. Sie machen es einfach und laden es dann in die sozialen Netzwerke, als ob nichts wäre. Während in der physischen Welt die Worte vom Wind verweht werden, werden sie in der digitalen Welt gespeichert und nicht vergessen. Das Problem ist, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die das verstehen. Es ist wie bei einem Raucher: Er mag es nicht, über Lungenkrebs zu sprechen. Genauso kannst du mit einem Facebook-Süchtigen nicht kritisch über Facebook sprechen.

Das klingt so, als ob wir in einer Welt von Digital-Junkies lebten, wenigstens in den Städten.
Wir sind abgelenkt von Facebook, Twitter und Instagram, ohne zu verstehen, was wir eigentlich tun. Hinzu kommen die technologischen Veränderungen, die derart schnell von sich gehen, dass die Menschen nicht erkennen, wie verwundbar sie eigentlich sind. Wir lesen keine Bücher und verfügen über ein Internet, um besser zu verstehen, wie die Welt funktioniert. In George Orwells Roman 1984 heißt es, dass Ignoranz Macht bedeutet. Als Gesellschaft stecken wir derart tief in der ganzen Sache drin, dass eine Person, die Werkzeuge zum Schutz der Privatsphäre entwickelt, nun ohne Grund im Gefängnis sitzt.

Warum ist die Privatsphäre im Internet derart wichtig?
Aus demselben Grund wie im physischen Leben: Um Intimität im Alltag bewahren zu können. Dieses Gespräch zum Beispiel würde ohne Aufnahmegerät nur zwischen Ihnen und mir stattfinden. Sie könnten nicht beweisen, dass ich etwas gesagt oder nicht gesagt habe. Im Internet ist diese Art der Interaktion äußerst schwierig. Ola Bini arbeitete gerade an einem Protokoll namens OTR (Off The Record), das Sicherheit für Chat-Gespräche ermöglicht. Sie und ich können so zwar verifizieren, mit wem wir sprechen, aber es kann nicht nachgewiesen werden, woher der Chat stammt.

Für wen ist diese Technologie gedacht?
Für alle BürgerInnen. Aber das Interesse dieser Projekte besteht vor allem darin, die anfälligsten Gruppen zu schützen.

Zum Beispiel?
Auf der einen Seite die Sozial- und UmweltaktivistInnen in Nicaragua, Venezuela, Argentinien oder Ecuador, etwa eine comunidad Indigener, die gegen Minenbau kämpft. Es ist wahrscheinlich, dass diese von der Regierung oder dem involvierten Unternehmen ausspioniert werden. Auf der anderen Seite der Partygänger, der ohne seine Zustimmung fotografiert wird und deren Bilder in den sozialen Netzwerken landen. In beiden Fällen kommt es zu einer Verletzung der Privatsphäre...

…wobei es beim einen um Leben oder Tod geht und beim anderen um etwas triviales.
Richtig. Aus meiner Sicht sind jedoch beide ernst zu nehmen, auch wenn der eine Fall natürlich dringlicher ist.

Wie geht es im Fall von Ola Bini weiter?
Ich denke, das hängt stark vom internationalen Druck ab. Bei Bini handelt es sich nicht um einen indigenen Führer aus Ecuador, der mit der Unterstützung einer großen Gemeinschaft rechnen kann. Es sind ein paar wenige Leute aus dem Internet, die leider nicht auf die Straße gehen, um zu protestieren.

Es gibt keine comunidad.
Es gibt eine globale Gemeinschaft im Internet, aber wir sind sehr wenige: alles Menschen, die sich mit Themen wie diesen kritisch auseinandersetzen, quasi eine „gebildete Elite“. Es wäre gut, die Beziehungen zwischen jenen Menschen zu stärken, die wissen, wie man Kommunikation sicher macht, und jene, die darauf angewiesen sind, zum Beispiel die GegnerInnen von Bergbauprojekten. Es geht nicht darum, diese zu schützen, sondern ihnen beizubringen, wie sie sich selbst schützen können. Denn wenn es um den Kampf für Gerechtigkeit geht, ist Facebook ein schlechter Verbündeter. Es wird immer auf der Seite der Mächtigen stehen.


Quellen und und Anmerkungen:

(1) Die INA-Papers beinhalten unter anderem Dokumente, die angebliche Geschäfte der INA Investment Corp. enthüllen, einer Offshore-Steueroase in Panama, die vom Bruder des ecuadorianischen Präsidenten Lenin Moreno gegründet wurde. Gegen diesen, Edwin Moreno Garcés, sowie den Präsidenten und drei weitere Personen hat die Staatsanwaltschaft Ende März eine Untersuchung eingeleitet.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Facebook steht immer auf der Seite der Mächtigen", und wird hier mit freundlicher Genehmigung von mutantia.ch veröffentlicht.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Weiterlesen

Fetzen von Leben
Thematisch verwandter Artikel

Fetzen von Leben

Lutz Tröbitz erzählt die Geschichte eines kleinen Boxers, der in den Ruinen einer postapokalyptischen Welt aufwächst und den ungebrochenen Willen hat, zu leben.

Agrarökologische Wende in Afrika
Aktueller Artikel

Agrarökologische Wende in Afrika

Die Lösung für Nahrungsmittelkrisen liegt in der Agrarökologie, weil sie den afrikanischen Staaten die Ernährungssouveränität zurückbringt – falls private Akteure diese nicht sabotieren. Teil 3 von 3.