„Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“, ließ Jan Böhmermann auf dem Höhepunkt der „Fridays For Future“-Bewegung einen Kinderchor prominent im ZDF singen. Angesichts dessen, was in den vergangenen Jahren geschehen ist und was sich insbesondere Jan Böhmermann mittlerweile alles erlaubt hat, geriet diese Posse vielleicht bei den meisten wieder in Vergessenheit. Doch was er damit einläutete, war wohl eine Art Zeitenwende im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Generationenkonflikt, der latent in jeder Gesellschaft schwelt, wurde in jene Medien gehoben, die sich sonst staatstragend geben und darüber hinaus von der älteren Generation beherrscht werden. Die ältere Generation, die Generation der Boomer, wird hier zur Umweltgefahr deklariert, womit ausgesprochen wurde, was zumindest ein Teil der jüngeren Generation der Millennials bis Gen Z bis dahin stillschweigend gedacht hatte.
Denn die Klimaproteste waren auch getragen von einer Schuldzuweisung an die Boomer für die vermeintlichen Probleme unserer Welt. Sie hätten, so die Vorstellung, rücksichtslos und auf Kosten zukünftiger Generationen gelebt, denen sie einen zerstörten Planeten hinterlassen würden. Die Generation der Boomer, die Alten und Arrivierten, die „alten weißen Männer“, werden zum Grundübel der Gesellschaft, ja der ganzen Welt erklärt, was in einem absurden Feindbildaufbau kulminiert.
Doch auch die Boomer selbst beteiligen sich an diesem Generationenkonflikt. Sie werfen den Jungen, insbesondere der Gen Z vor, unfähig zu sein, verdorben und verwöhnt. Die Jugend sei verweichlicht, wisse nicht, was anständige Arbeit sei, und sei dieser auch gar nicht mehr gewachsen. Sie wüssten nichts von der Welt, genössen keine anständige Bildung mehr, und wenn sie gesellschaftlich relevante Posten übernähmen, dann gehe es mit der Gesellschaft steil bergab. Sie stoßen damit in das Horn, das schon Aristoteles bedient hat.
In jüngerer Zeit scheint dieser Konflikt weiter angefacht zu werden. Denn seit einigen Monaten wird verschärft gegen die Generation der Boomer geschossen. Das drückt sich in sanftem Spott ebenso aus wie in offener Verachtung. Die Boomer sind das Objekt des Spottes der Nation. Sie geraten immer mehr ins Abseits, werden auf das Abstellgleis verbannt. Was sich hier ausdrückt, ist der Generationenwechsel innerhalb der Gesellschaft. An vielen Stellen gehen die Boomer in Rente und werden durch Jüngere ersetzt, oftmals frisch von der Universität. Sei es an den Schulen, in den Medien oder großen Unternehmen: Die Generation der Millennials, Gen X und Gen Z werden, ob sie wollen oder nicht, in die Arbeitswelt gespült und beginnen auf diese Weise, Gesellschaft zu gestalten.
Die Boomer, die sich in zunehmend marginalisierter Position wiederfinden und den Generationenwechsel ebenso beobachten wie die damit einhergehenden Veränderungen, können sich gegen diese Entwicklungen zwar nicht wehren, aber verbal teilen sie kräftig aus, um ihre Ohnmacht zu verschleiern.
Ihnen wird das Heft aus der Hand genommen, und alles, was sie zu tun in der Lage sind, ist, den Untergang zu beschwören, indem sie behaupten, die Jugend sei den an sie gestellten Aufgaben überhaupt nicht gewachsen.
Beide Generationen haben auf ihre Weise recht. Es stimmt, dass die jüngeren Generationen eine andere, meinetwegen auch schlechtere, Bildung erhalten haben als die Älteren. Sie haben von der Welt wenig gesehen, fühlen sich aber kompetent und erfahren, wobei sich ihr Verständnis von der Welt auf die Oberfläche beschränkt. Doch gerade Letzteres lässt sich auch über die Boomer sagen. Sie geben sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters ebenfalls als erfahren und kompetent, haben aber in Wirklichkeit nichts anderes erlebt als fortgesetzte Unterwerfung unter Obrigkeiten. Sie unterwarfen sich in der Schule, wo nicht die Bildung, sondern die Erziehung zum Untertanen im Vordergrund steht, unterwarfen sich dann entweder in den Universitäten oder den Unternehmen und Betrieben, um sich eine vorteilhafte Stellung im System zu sichern. Der ökonomischen Sicherheit haben sie ihre Freiheit und Selbstbestimmung, ja ihr Leben als Mensch geopfert und auf diese Weise eine Welt geschaffen, in der Ökonomismus und Leistungszwang herrschen. Das gilt selbstverständlich nicht für alle Boomer gleichermaßen — immerhin waren zu Coronazeiten hauptsächlich gerade die Boomer auf der Straße —, doch in der Tendenz ist die ganze Generation betroffen.
Diese Mechanismen, welche die Boomer, die Kriegskinder, als Überlebensstrategien geschaffen haben, sind aber für die jüngere Generation nicht länger tragfähig. Die Jungen erleben den ökonomischen Abstieg trotz guter Ausbildung; viele wissen instinktiv, dass es ihnen schlechter gehen wird als noch ihren Eltern und Großeltern. Die Reallöhne sinken, die Rente ist vollkommen ungewiss, die Krankenkassenbeiträge steigen, während die gesundheitliche Versorgung abnimmt. Gleichzeitig halten die Boomer den Leistungszwang ebenso aufrecht wie den „Fetisch“ Arbeit, erwarten von den Jungen, dass sie, ebenso wie sie selbst, ihr Leben der Ökonomie opfern. Sie verlangen damit von der Jugend, dass diese ihre eigenen Überlebensstrategien übernimmt.
Das funktioniert jedoch nicht. Denn der Leistungsfetisch hat sich selbst für die Boomer nur eingeschränkt ausgezahlt; der Preis waren zerrüttete Familien und traumatisierte Kinder, die durch Abwesenheit der Eltern und die ständig an sie gestellten Anforderungen gleichermaßen schwer getroffen und in ihrer Wahrnehmung gestört sind.
Alles, was diese Jugend gelernt hat, ist: So wie diese Generation will ich nicht leben. Die Folge davon ist das Desinteresse an politischen Angelegenheiten, die Fixierung auf die Zerstörung, die durch die Lebensweise der Boomer angeblich angerichtet wurde, die Flucht in den Konsum, um dem Druck, den Anforderungen und der Dysfunktionalität zu entkommen.
Es werden alle Register gezogen, um die Lebensweise der vorangegangenen Generationen zu verteufeln. Und das nicht ganz zu Unrecht, denn von einer gesunden Psyche zeugte diese Lebensweise tatsächlich nicht.
Das kann man den Boomern aber nur zum Teil zum Vorwurf machen. Denn sie haben so gehandelt, wie es als Kinder von Überlebenden des Krieges sinnvoll und möglich war.
Sie selbst waren konfrontiert mit schwer traumatisierten Eltern, die, zumindest tendenziell, keinen Zugang zu ihren Emotionen hatten und daher gegenüber ihren Kindern — den heutigen Boomern — diese auch nicht an den Tag legen konnten. Leistungsdenken ist eine mögliche und logische Folge.
Denn unterbewusst wollen Kinder solcher Eltern ihren Eltern immer zeigen, dass sie deren Anerkennung verdienen — die sie natürlich nie bekommen, weil die Eltern gar nicht in der Lage sind, Anerkennung zu zeigen. Auch die Flucht in die Arbeit ist eine logische Konsequenz, nicht nur als Ausdruck des Leistungswahns, sondern auch als Flucht vor dem Zuhause in eine Welt, in der zumindest ökonomische Anerkennung lockt.
Dies drückt sich dann auch im Konsum aus, den die Boomer der jüngeren Generation überhaupt erst ermöglicht haben. Denn auch die Boomer waren vielfach nicht in der Lage, ihren Kindern die Anerkennung zu vermitteln, die sie verdienten. Sie haben den Mangel an Emotionen durch materielle Güter auszugleichen versucht, was aber nicht funktioniert. Tote Waren können nicht einen Mangel an lebendigen Emotionen ausgleichen. Daraus erklärt sich auch die Befindlichkeit der heutigen Jugend. Kaum emotionale Zuwendung und den Erwartungen unterworfen, die Überlebensstrategien der Boomer zu übernehmen, entsteht eine kognitive Dissonanz, die aufzulösen nur durch Flucht und radikale Gegenwehr möglich scheint. Wobei es auch unter den Millennials und späteren Generationen viele gibt, die sich die Überlebensstrategien der Boomer zu eigen gemacht haben. Das Problem ist, dass diese Überlebensstrategien auf vollkommen veränderte Verhältnisse treffen.
Tatsächlich haben sich die Verhältnisse drastisch verändert, seit die Boomer sozialisiert wurden und sich in die Gesellschaft eingefügt haben. Schon allein die Vernetzung ist deutlich gewachsen, das Internet nimmt einen immer höheren Stellenwert ein — wie auch immer man das bewerten mag —, es hat sich eine europäische Union mit einem Binnenmarkt gegründet, und der Neoliberalismus hat alle Hürden für das Kapital abgebaut. Auch die Migration und die damit verbundenen Probleme haben gewaltig zugenommen; Arbeit lohnt sich tatsächlich immer weniger.
Diesen Umstand scheinen die Boomer noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Sie betrachten den tiefgreifenden Wandel als oberflächliches Phänomen, wähnen sich aber im Großen und Ganzen noch immer in der Bundesrepublik der 1960er-Jahre, in der anscheinend alles geregelt und mit rechten Dingen zuging und man die Probleme mit der Wahl einer anderen Partei beheben konnte. Daher kann sich diese Generation auch nicht vorstellen, dass eine machtbesessene Elite tatsächlich und willentlich einen großen Krieg in Europa vorbereitet, dass die Corona-„Pandemie“ eine Fälschung zur Erzwingung von Gehorsam war und dass das weltweite ökonomische und finanzielle System vor großen Umbrüchen steht.
Die junge Generation hingegen findet sich in diesen Verhältnissen wieder, oftmals aber auch, ohne sie tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen. Sie spürt aber den Wandel und den Druck an allen Ecken und Enden und muss sich an diese anpassen. Dabei haben die jungen Menschen diese veränderten Verhältnisse aber schon allein durch die Zeit, in der sie aufgewachsen sind, aufgenommen und dadurch instinktiv mehr verstanden als die Generationen vor ihnen.
Die Boomer leben auf gewisse Art und Weise tatsächlich in einer Vergangenheit, die so gar nicht mehr existiert, aber noch in einem letzten Echo zumindest äußerlich widerhallt. Denn wer es geschafft hat, rechtzeitig den Sprung in eine Vorstadtsiedlung mit Reihenhaus zu meistern, der wird dort auch heute noch eine Welt vorfinden, die im Großen und Ganzen in Ordnung ist.
Die Verwerfungen dieser Welt sind noch nicht an die sicheren Gestade der Vorstädte gebrandet und werden dies auf absehbare Zeit auch nicht tun. Ökonomisch sind viele der Boomer zumindest durch Rente, Aktienpaketen und Eigentum einigermaßen abgesichert.
Jede Generation hat somit ihre Zeit und muss sich an die Zustände anpassen, die sie vorfindet. Die Boomer standen vor dieser Herausforderung bereits vor Jahrzehnten, die jüngeren Generationen sind jetzt damit konfrontiert. Von ihnen zu verlangen oder nur zu erwarten, dass sie es den Boomern nachmachen und alles ganz genau so angehen wie diese, ist eine absurde Vorstellung. Die Welt, in der die Boomer lebten, gibt es nicht mehr, und so können ihre Patentrezepte hier auch keine Anwendung mehr finden. Das lässt sie auf die Jugend schimpfen. Ebenso schimpft die Jugend, die sich nie wertgeschätzt und ernst genommen fühlte, zurück. Hier entlädt sich eine lange aufgestaute Wut transgenerationaler Traumata in einem Konflikt zwischen den Generationen.
Und dieser Konflikt wird politisch instrumentalisiert. So wurden die Proteste in Nepal, die zum Rücktritt der Regierung geführt haben, als „Gen-Z-Proteste“ geframt. Der Eindruck, der dabei entstehen soll, ist, dass die Jugend sich gegen die Älteren erhebt, um deren Macht zu brechen. Diese Gen-Z-Proteste scheinen seitdem um die Welt zu gehen. Auch Marokko, Madagaskar, Peru, die Philippinen und in jüngster Zeit auch Mexiko sollen betroffen sein. Überall, so scheint es, erheben sich die Jungen gegen die Alten.
Das suggeriert, dass auch hierzulande solche Proteste denkbar und vielleicht sogar notwendig sein könnten. Der Generationenkonflikt wird dabei instrumentalisiert, um die Spannungen in der Gesellschaft zu erhöhen. Er wird genutzt, um eine Klimaagenda durchzuprügeln, die auf die vorgebliche Notlage reagiert, für welche die Boomer verantwortlich gemacht werden. Er wird genutzt, um die Boomer als große Belastung für die Sozialkassen und die Ökonomie zu inszenieren. Teilweise stimmt diese Betrachtung, denn die Generation der Boomer hat den größten Teil des ökonomischen Wertes auf sich vereint — was natürlich nur statistisch und nicht individuell gilt —, und das Rentensystem steht durch die umgekehrte Bevölkerungspyramide stark unter Druck. Auf dieser Grundlage werden zukünftige Renten immer weiter gekürzt. Einige Politiker fordern bereits eine „Aktivrente“ und wollen Rentner, die immerhin ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, nun auch weiterhin an die Arbeit bringen — wobei gleichzeitig die EU in einer Rezession steckt und Arbeitsplätze abgebaut werden. Das erhöht den Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt.
Der Generationenkonflikt steigert auf diese Weise die Spannungen in der Gesellschaft. Das Aggressionspotenzial wächst, die Menschen wenden sich gegeneinander, anstatt auf jene zu blicken, die wirklich schuld an den Umständen sind.
Dabei handelt es sich um ein global agierendes Finanzsystem, das die Menschen mittels Zinsen über die Staaten als Instrument bewirtschaftet, dabei immer mehr Reichtum, Land, Immobilien und Konzerne auf sich vereint, während die große Masse verelendet. Die Profiteure, die den Generationenkonflikt mit anheizen, sind dabei in der Regel selbst Boomer. Sie nutzen die jüngere Generation, die in die Medien, die Politik und an andere Stellen drängt, als nützliche Werkzeuge, um die Spannungen in der Gesellschaft zu erhöhen und von sich abzulenken.
Daher sollten die Boomer und die nachfolgenden Generationen verstehen, dass sie voneinander abhängig und aufeinander angewiesen sind. Abhängig sind sie, weil die Überlebensstrategien der Boomer die Traumata der Jüngeren darstellen, die daraufhin eigene Überlebensstrategien entwickeln. Die Jugend ist Opfer der Traumatisierungen ihrer Eltern und Großeltern. Damit haben die Boomer die Jugend überhaupt erst zu dem gemacht, was sie so ablehnen und abwerten. Sie haben sie nicht nur traumatisiert, sondern ihnen auch den Konsum vorgelebt und ihnen all die digitalen Geräte gegeben, von denen sie nun abhängig sind.
Aufeinander angewiesen sind beide unter anderem ökonomisch.
Die Jugend zahlt die Renten der Älteren, übernimmt von diesen aber auch die Mittel dazu — sofern sie nicht von Großkonzernen einverleibt werden.
Gleichzeitig finden sich noch viele Boomer in bedeutenden Positionen. Noch haben sie also die Möglichkeit, etwas zu verändern; sie könnten das im Zusammenschluss mit der Jugend tun und sich gegen die Instrumentalisierung durch die Finanzeliten zur Wehr setzen. Treten die Boomer erst einmal ab und überlassen den jüngeren Generationen vollends das Feld, entfällt diese Macht.
Voraussetzen würde dies aber ein Erwachsenwerden der Boomer selbst. Die haben bis dato hauptsächlich die Verantwortung auf andere abgewälzt, sich untergeordnet und gehorcht. Sie haben sich verhalten wie Kinder gegenüber ihren Eltern. Sie müssten ihre Traumata aufarbeiten, um in ihre eigene Kraft zu finden und dann tatsächlich etwas zu bewegen, und nicht weiterhin Erfüllungsgehilfen der Macht sein. Dabei rennt die Zeit allerdings davon.
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