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Geprägte Freiheit

Geprägte Freiheit

Bargeld bewahrt uns einen Rest von Autonomie und Privatsphäre — wir sollten es uns nicht nehmen lassen.

Im Jahr 2018 verzeichneten Einzelhändler erstmals einen größeren Umsatz über Karten- als über Bargeldzahlungen. Ein Jahr später betrug der Kartenanteil am Umsatz im Einzelhandel bereits 50,5 Prozent. Tendenz stark steigend. Laut der Unternehmensberatung Oliver Wyman ist für das Jahr 2020 mit einem Anwachsen der bargeldlosen Umsätze auf 63 Prozent zu rechnen. Die Gründe dafür: zum einen die rasche Ausbreitung der kontaktlosen Girocard, zum anderen Corona.

Bargeldabschaffung Corona

Bildquelle: Schweizerischer Bäcker-Confiseurmeister-Verband

Aufrufe wie dieser, man möge doch bitte zum Schutze aller möglichst bargeldlos bezahlen, haben nach monatelanger Wiederholung ihre Wirkung gezeigt. In einer Umfrage des Bankenverbands gaben 26 Prozent der Befragten an, dass sie seit der Coronakrise bewusst auf Bargeldzahlungen verzichteten. 35 Prozent gaben an, schon zuvor meist mit Karte bezahlt zu haben, während die restlichen 37 Prozent angaben, dass sie nicht „bewusst“ auf Bargeld verzichteten. Doch warum wurde und wird noch immer dazu aufgerufen, beim Einkaufen möglichst bargeldlos zu bezahlen?

Experten enttarnten die großflächige Weitergabe des Coronavirus über Bargeldzahlungen schon lange als einen Mythos. Dorothea Mann vom Bundesverband der Verbraucherzentralen sagte hierzu unlängst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Hier wurde mit Corona Angst gemacht, und das hatte eine klare Zielrichtung.“ Eine Zielrichtung? Wohin? Und wer hat ein Interesse daran, das Bargeld zurückzudrängen? Sollte man sich darüber überhaupt Gedanken machen? Kontaktloses Zahlen ist eben die Zukunft. Bargeld hingegen ist teuer und erleichtert zudem kriminelle Aktivitäten … Wirklich?

Der Krieg gegen das Bargeld

Neben dem „Krieg gegen das Virus“ und diversen weiteren Kriegen gegen X tobt derzeit auch ein „war on cash“ — ein Krieg gegen das Bargeld. Das klingt in den Ohren einiger Menschen befremdlich. Sie nehmen den Rückgang des Bargeldgebrauchs mehr als eine natürliche Entwicklung wahr denn als etwas, das gezielt herbeigeführt wird. „Krieg gegen das Bargeld“ – das klingt nach übertriebenem Alarmismus, nach einer apokalyptischen Denke.

Doch so einfach ist das nicht. Der Ausdruck „Krieg gegen das Bargeld“ stammt eben nicht von Hysterikern, die sich in ihrer Nostalgie den 1.000-Mark- beziehungsweise 500-Euro-Schein zurückwünschen, sondern gerade von denjenigen Gruppen, die diesen Krieg ausgerufen haben, ihn seither nachweislich führen und dabei zudem auch noch äußerst erfolgreich sind. Als Beispiel für eine dieser Gruppen wäre etwa die einflussreiche „Better Than Cash Alliance“ (Besser-als-Bargeld-Allianz) zu nennen. Deren Mitglieder sind unter anderem Visa, MasterCard, die Bill & Melinda Gates Foundation, das Omidyar Network des Ebay-Gründers Pierre Omidyar, die Citibank sowie die Entwicklungshilfebehörde des US-Außenministeriums (USAID).

Die Better Than Cash Alliance, die laut eigener Aussage „den Wandel von Bar- zu digitalen Zahlungen beschleunigen möchte“, wurde auch von der deutschen Bundesregierung mit 500.000 Euro unterstützt – was merkwürdig ist, schließlich arbeitet diese Allianz doch gerade daran, das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in Deutschland, das Bargeld, zu beseitigen.

Das Wirken solcher Gruppierungen unterscheidet sich von Land zu Land. In den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen mit nur wenig Gegenwehr der lokalen Bevölkerung zu rechnen ist und Regierungen über den Schuldenhebel leichter erpressbar sind, treten die Maßnahmen deutlich offener zutage als in Industrieländern. Gut verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel von Indien. Hier geschah am 8. November 2016, also am Tag, an dem Donald Trump ins Amt gewählt wurde, Bemerkenswertes: Von einem Tag auf den anderen — und ohne jedwede Ankündigung — erklärte die Regierung um Ministerpräsident Modi die zwei größten Scheine des Landes im Wert von 500 und 1.000 Rupien (etwa 7 beziehungsweise 14 Euro) für ungültig. Damit konnten auf einen Schlag 85 Prozent des umlaufenden Bargelds nicht mehr genutzt werden.

Und das in einem Land, in dem zu diesem Zeitpunkt 97 Prozent aller Zahlungen im Einzelhandel mit Bargeld abgewickelt wurden. Das Ergebnis war absehbar: pures Chaos. Insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten wurden durch die drakonische Maßnahme kalt erwischt. Kleine Einzelhandelsgeschäfte, die bis dahin keine Kartenlesegeräte zur Verfügung hatten — also fast alle —, mussten hilflos mit zusehen, wie die Kunden vermehrt zu den großen Supermarktketten abwanderten, da niemand die letzten Reste seines gültigen Bargelds ausgeben wollte. Auch die Lohnzahlungen der vielen Wanderarbeiter und Tagelöhner in Indien gerieten ins Stocken, was existenzielle Notlagen zur Folge hatte.

Doch natürlich gab es auch Gewinner. Für MasterCard und Visa, beide Mitglieder der Better Than Cash Alliance, war die indische Schocktherapie in Sachen Bargeldeindämmung wahrlich ein Grund zur Freude. Es war, als würde ihnen die indische Regierung den roten Teppich ausrollen. Ein neuer Markt, den Visa — welch Zufall — nur einige Zeit vor dem November 2016 in einem Fünfjahresausblick als „Wachstumsmarkt mit gigantischem Potenzial“ ausgemacht hatte, wartete nun darauf, erobert zu werden. Ob das nun damit zusammenhing, dass MasterCard und sein indienstämmiger CEO Aday Banga die Regierung Modis berieten oder dass ein anderes Mitglied der Better Than Cash Alliance, Bill Gates, mit seiner Stiftung in Sachen Digitalisierung des Zahlungsverkehrs eng mit der indischen Zentralbank zusammenarbeitet, ist freilich reine Spekulation.

Klar ist nur, dass Bill Gates auf einer Tagung im Dezember 2015 verlauten ließ, dass es das Ziel seiner Stiftung sei, innerhalb der nächsten drei Jahre die Wirtschaft Indiens und anderer Entwicklungsländer vollständig digitalisiert zu haben. Und klar ist auch, dass postwendend entsprechende Schritte in diese Richtung eingeleitet wurden.

Wozu das Ganze?

Doch wozu überhaupt der ganze Aufwand? Warum gibt es Gruppierungen, deren explizites Ziel es ist, dem Bargeld den Garaus zu machen?

Die Argumente der Bargeldgegner sind mannigfaltig. Da heißt es zum einen, Bargeld sei altmodisch, unhygienisch und kostspielig. Zum anderen — und dies ist das Hauptargument — wird immer wieder betont, dass Bargeld „das Blut in den Adern der Kriminalität“ sei. Terrorfinanzierung, Geldwäsche, Geldfälschung — all das würde ohne Bargeld deutlich erschwert beziehungsweise verunmöglicht.

Was sich zunächst ganz logisch anhört — ist man doch geprägt von Gangsterfilmen mit Aktenkoffern voll Schwarzgeld –, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als trügerisch. Denn das hieße ja, dass kriminelles Handeln, insbesondere solches mit einem Bezug zu Geld, in der digitalen Welt deutlich schwieriger umzusetzen wäre als in der analogen. Keine Frage — Teile der organisierten Kriminalität wären sicherlich alles andere als froh über eine bargeldlose Welt. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass im selben Maße, wie das Bargeld zurückgedrängt wird, sich Kriminelle nicht einfach neue Wege bahnen würden?

Richtig – eher unwahrscheinlich. Das meint auch eine Studie der Deutschen Bank (!) aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Bargeld, Freiheit und Verbrechen — Bargeld in der digitalen Welt“. Die Autorin Heike Mai kommt hier zu dem Schluss, dass bei einer Abschaffung von Bargeld „ein Rückgang der Kriminalität zwar wahrscheinlich wäre, aber eher gering ausfallen würde“. Dafür spricht auch, dass der Schattensektor in Schweden, einem Land, in dem Bargeldzahlungen inzwischen schon fast exotisch anmuten, verhältnismäßig größer ist als in Ländern wie Deutschland und Österreich, wo Bargeld noch immer eine sehr dominante Rolle im Zahlungsverkehr einnimmt.

Die Argumentation, Rückgang des Bargelds und Rückgang der Kriminalität gingen Hand in Hand, hakt aber noch an anderer Stelle: bei den Banken selbst. Zwar sind diese stets darum bemüht, ihr aalglattes Image als Institutionen, die sich der Moral verpflichtet fühlen, zu pflegen, doch weist die weiße (Bänker-)Weste inzwischen unübersehbare dunkle Flecken auf. Viele derjenigen Institute, die es ihren Kunden unter Verweis auf das Argument der „Geldwäschebekämpfung“ zusehends erschweren, größere Mengen Bargeld abzuheben, sind nachweislich selbst in Geldwäschegeschäfte verstrickt. Die Deutsche Bank etwa war im Rahmen der sogenannten „Mirror-Trades-Affäre“ an Geldwäschegeschäften in Milliardenhöhe beteiligt.

Auch die britische Bank HSBC soll einem Bericht der Zeit zufolge Kunden dabei geholfen haben, rund 180 Milliarden Euro vor den Steuerbehörden zu verstecken oder Geldwäsche zu betreiben. Dabei handelt es sich gerade um jene Bank, die sich bereits 2012 mit der US-Finanzaufsicht auf eine Strafzahlung in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar geeinigt hatte, damit die Bank im Gegenzug für ihre Rolle bei Geldwäschegeschäften mit mexikanischen Drogenkartellen nicht weiter belangt wird. All das erinnert schon sehr stark an das Bild rauchender Eltern, die, umhüllt von Zigarettendunst, ihren Kindern glaubhaft machen wollen, wie ungesund das Rauchen doch sei.

Angesichts dieser dünnen Argumentationsdecke stellt sich also die Frage, worum es wirklich oder — wenn man es gut mit den Banken meinen möchte — worum es beim Thema Bargeldabschaffung noch geht. Die Antwort dürfte wohl niemanden überraschen: Geld und Macht lauten die omnipräsenten Zauberworte.

Einer der größten Vorteile von Bargeldzahlungen ist ja, dass sie keinen Zwischendienstleister brauchen. Wer für einen Euro einen Apfel am Obststand kauft, braucht für die Geldübergabe lediglich seine Hand. Möchte man denselben Euro hingegen per Kreditkarte überweisen, kommt man nicht um einen Vermittler umhin, der einem das Geld vom eigenen Konto auf jenes des Händlers überweist. Ein Vermittler, der natürlich nicht kostenlos arbeitet. Und ein Vermittler, dessen Gewinne sich potenzieren, je mehr Geld digital versendet wird. Logisch also, dass der Vermittler ein Interesse daran hat, dass in Zukunft möglichst wenige Zahlungen ohne ihn stattfinden. Er möchte möglichst viele Menschen „ins System bringen“. In sein System. Ein System, in dem er die Spielregeln diktiert und nach Belieben anpassen kann. Und ein System, das, obgleich alle mitspielen (müssen), den normalen demokratischen Spielregeln weitgehend entzogen ist. Für den freiheits- und demokratieliebenden Kunden birgt dies einige ernstzunehmende Risiken.

Von Bail-Ins, Negativzinsen und steigenden Kontoführungsgebühren

Eine Binsenweisheit, die sich inzwischen weitläufig herumgesprochen hat, lautet: Wenn alle Menschen gleichzeitig zur Bank gingen, um ihr Geld abzuheben, würde das Finanzsystem kollabieren. Warum genau das so ist, darüber könnten sich vermutlich selbst Experten stundenlang trefflich streiten, doch dass es so ist, zeigt das Beispiel von Griechenland. Dort durften die Menschen im Sommer 2015 pro Tag nur noch maximal 60 Euro am Geldautomaten abheben. Anscheinend haben die Banken, entgegen ihrem Versprechen, man könne „jederzeit sein Buchgeld auf dem Konto in Bargeld umtauschen“, nicht ausreichend Bargeld zur Verfügung, wenn alle Menschen gleichzeitig auf der Einlösung dieses Versprechens beharren. Das liegt daran, dass das Geld, das ein Kunde zur Bank bringt, von dieser nicht etwa verwahrt wird, sondern vielmehr einen Kredit des Kunden an die Bank darstellt. Das Bankguthaben ist demnach nichts anderes als ein Versprechen der Bank an den Kunden auf Rückzahlung seiner Einlage. Und Versprechen kann man brechen, wie das Beispiel von Griechenland eindrucksvoll beweist.

Doch das Beispiel Griechenland lässt sich noch toppen. Im Jahr 2013 trieb der kleine Inselstaat Zypern mit seinen 1,2 Millionen Einwohnern die Eurozone an den Rand einer existenziellen Krise. Die Staatskassen waren leer, die großen Banken des Landes bankrott. Um einen Zusammenbruch der Banken zu vermeiden, griff man nun ganz tief in die Trickkiste: Die zypriotische Regierung verpflichtete die Kunden der Laiki Bank und der Bank of Cyprus zu einer sogenannten Stabilitätsabgabe.

Das bedeutete, dass alle Kunden, die ein Guthaben von mehr als 100.000 Euro besaßen, in Form einer Zwangsabgabe zur Kasse gebeten wurden. Insgesamt wurden mit dieser Abgabe, die bis zu 50 Prozent des Einlageguthabens betragen konnte, etwa 5,8 Milliarden Euro eingesammelt. Die Banken, die sich verzockt hatten, wurden also mit dem Geld ihrer Kunden saniert. In der Fachsprache nennt man so etwas einen Bail-In — nicht zu verwechseln mit einem Bail-Out, bei dem die Banken mit Steuergeldern gerettet werden. Und der Bail-In auf Zypern blieb kein Einzelfall. Weitere Bail-Ins gab es seither in Italien, Portugal und Spanien.

Für unseren Kontext bedeutet das: Wenn wir alle erst einmal „im System“ sind, das Bargeld verschwunden ist und die finanziellen Folgen der Corona-Lockdownpolitik noch offener zutage treten, als es jetzt ohnehin schon der Fall ist, wie lange wird es dann dauern, bis auch hierzulande zum bewährten Mittel des Bail-Ins gegriffen wird? Und wer garantiert uns dann — in Zeiten von Grundrechtseinschränkungen —, dass nicht auch Einlagen von unter 100.000 Euro davon tangiert werden könnten?

Darüber hinaus sind Bail-Ins nur die offenkundigste Methode einer Enteignung der Sparer durch die Banken. Der „schleichende Bail-In“ kann auch in Form flächendeckender Negativzinsen erfolgen. Negativzinsen bedeuten, dass das Guthaben eines Anlegers auf der Bank schrumpft. So würde bei einem Negativzins von 1 Prozent ein fiktives Guthaben von 100 Euro nach einem Jahr nur noch 99 Euro betragen. Da bedürfte es dann schon ganz besonderer Anreize, dass die Kunden überhaupt noch ihr Geld auf dem Girokonto parken, wenn es dort doch ohnehin an Wert verliert. Und der wohl effektivste aller Anreize in diesem Zusammenhang wäre: Ihr habt gar keine andere Wahl! Ach ja, apropos keine Wahl: Wer keine Wahl hat, der kann sich naturgemäß auch schlecht gegen steigende Kontoführungsgebühren und hohe Transaktionssteuern zur Wehr setzen. Das sind nur zwei weitere von zahlreichen Möglichkeiten der Finanzinstitute, sich bei einer Bargeldabschaffung eine goldene Nase zu verdienen.

Der gläserne Homo e-cash-onomicus

Dass gerade westliche Staaten zunehmend Tendenzen in Richtung orwellscher Totalüberwachung aufweisen, ist nicht erst seit den Enthüllungen von Edward Snowden bekannt. Zwar ist Datenschutz ein Thema, das vor allem in Deutschland traditionell noch sehr großgeschrieben wird, doch in einer globalisierten Welt, überwiegend dominiert von einigen wenigen Giganten aus der Tech-Szene des Silicon Valley, gibt es nur wenig Raum für nationale Befindlichkeiten. Daten sind eben das „neue Gold“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel gerne betont, und die neuerdings ausgebrochene Goldgräberstimmung möchte man sich sicherlich nicht durch ein paar schräge Datenschutz-Hippies vermiesen lassen.

Big Data is watching you

Das „neue Gold”, der „Rohstoff der Zukunft“, also die Daten — das sind wir. Und der große Bruder, der sich um uns sorgt und deswegen wissen möchte, was wir den lieben langen Tag über so treiben, das ist Big Data.

Nur gibt es da ein Problem: Unser großer Bruder leidet an Kontrollwahn. Ständig ist er darum bemüht, die Informationen, die er über uns erhält, auszuwerten, um Prognosen über unser künftiges Verhalten anzustellen. Und da wäre noch ein Problem: Unser großer Bruder ist außerdem ziemlich geldgeil. Jedem Dahergelaufenen, der ihm nur genug Geld dafür bietet, verrät er unsere privatesten Geheimnisse. Alle Geheimnisse? Nun, eines bleibt ihm bislang verborgen: was wir mit unserem Bargeld anstellen.

Klar also, dass sich hier etwas ändern muss. Datenkraken wie Google, Apple oder Facebook haben sich deswegen schon länger in Stellung gebracht, um sich ein Stück des E-Cash-Kuchens — bestehend aus lauter leckeren Datenbröseln — zu sichern. Apple Pay, Google Pay oder auch der Libra (neuerdings Diem) sind das vorläufige Ergebnis dieser Entwicklung. Die Abwicklung des Zahlungsverkehrs ist dabei nur der kleinste Teil eines profitablen Geschäfts, welches überwiegend darauf basiert, möglichst viele Informationen über eine Person einzusammeln und diese dann gewinnbringend weiterzuverscherbeln.

An wen, fragen Sie? Na, zum Beispiel an eine Bank, die mit der Frage konfrontiert ist, ob Sie ein kreditwürdiger Kunde sind. Dabei spielt dann nicht mehr nur eine Rolle, wie es um Ihre Finanzen bestellt ist, sondern auch, mit wem Sie auf Facebook oder LinkedIn befreundet sind und welchem dieser Freunde Sie neuerdings 5 Euro geapplepayt haben.

Oder aber an Waren- und Dienstleistungsanbieter, die Ihnen Angebote servieren, perfekt maßgeschneidert auf Ihr individuelles Konsumverhalten. Sie haben soeben eine größere PayPal-Überweisung erhalten? Na, dann kann Ihnen das Produkt, das Sie kaufen möchten, ruhig auch ein wenig teurer als Ihrem Nachbarn angeboten werden. Unter uns — Sie bestellen ja auch auffällig oft Wein in letzter Zeit. Scheint ganz, als würde der Lockdown bei Ihnen auf die Stimmung schlagen. Wenn der Wein also für Sie teurer als für Ihren Nachbarn ist, dann nur deswegen, weil wir uns um Sie sorgen … Was sagen Sie? Das erinnert Sie an das chinesische Sozialpunktesystem? Also bitte, jetzt vergleichen Sie aber Äpfel mit Birnen!

Das Leben der anderen – Vater Staat is watching you

Was für viele noch nach Science Fiction oder nach „Schöner neuer Welt“ klingt, ist in China bereits Realität. Seit Anfang dieses Jahres gibt es dort das sogenannte Sozialkreditsystem. Dabei werden in gigantischen Datenbanken allerlei Informationen über das Alltagsverhalten der 1,4 Milliarden Chinesen gebündelt und mithilfe von Punkten ausgewertet. Ein Besuch im Fastfood-Restaurant? — Schlecht, Minuspunkt. Bei Rot über die Ampel gefahren? — Schlecht, Minuspunkt. Ein Besuch auf einer regierungskritischen Demonstration? — Ganz schlecht, Minuspunkt.

Wer sich in diesem System „gut“, also staatskonform, verhält, weist einen hohen Score auf und hat demnach eine hohe „soziale Reputation“. Das Dasein als AAA-Bürger geht wiederum einher mit einigen Vorteilen im Alltagsleben — zum Beispiel günstige Kredite oder eine schnelle Visavergabe bei Auslandsreisen. Wer sich hingegen „schlecht“ verhält und einen niedrigen Score aufweist, muss mit mehr oder minder harten Gängelungen rechnen. Diese reichen von der Drosselung der Internetgeschwindigkeit über teurere Versicherungspreise bis hin zu Reisebeschränkungen und Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt.

In einem Land wie Deutschland, mit Stasi-Vergangenheit, führt die Einführung eines solchen Systems — selbst wenn sie Tausende Kilometer fernöstlich erfolgt ist –verständlicherweise zu einem ausgeprägten Stirnrunzeln. Zu präsent sind noch die Erinnerungen an die seltsamen Blüten, die eine solche Totalüberwachung treiben kann. Genau deswegen wähnt man sich auch dafür gewappnet, dass so etwas in Zukunft nicht noch einmal passiert. Durch die eigenen historischen Erfahrungen fühlt man sich hierzulande gewissermaßen „geimpft“ gegen den Überwachungsstaat.

Doch wir sollten wachsam bleiben. In manchen Aspekten unseres Lebens sind wir dem chinesischen Modell heute schon näher, als wir uns das vorstellen wollen. Gut zum Ausdruck kam dies in einem 2018 veröffentlichten Artikel der internationalen Ausgabe des Handelsblatts unter dem Titel „Germany edges toward chinese-style rating of citizens“ (Deutschland treibt in Richtung eines Bürgerbewertungssystems chinesischer Art). In dem äußerst lesenswerten Beitrag wird dargelegt, wie etwa das Zustandekommen der Schufa-Bonität — unter anderem mittels sogenannter „geographischer Bewertung“, also der Bewertung des Wohnorts — oder das Teilen von Daten aus Fitness-Apps mit den Krankenkassen Vorboten bedenklicher Tendenzen sein könnten.

Und es gibt noch weitere Beispiele für derlei Vorboten: Im Jahr 2018 führte die Direktbank ING-DiBa eine sogenannte Casinogebühr ein. Für Zahlungen in Casinobetrieben, Lotteriegesellschaften und Wettbüros, die per Kreditkarte erfolgen, verlangt die Bank eine Gebühr in Höhe von 3 Prozent des Umsatzes, mindestens jedoch 3,90 Euro. Der Satz „Am Ende gewinnt immer die Bank“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung. Auch die Consorsbank, Comdirect, Postbank und DKB haben bereits Casinogebühren eingeführt. Mit Suchtprävention habe das alles aber nichts zu tun, heißt es aus Sprecherkreisen der betreffenden Finanzinstitute.

Im Jahr 2020 kündigten die Berliner Sparkasse und die N26-Bank dem Verein Demokratischer Widerstand, der eine gleichnamige Wochenzeitung herausbringt, die sich offen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung positioniert, das Konto. Postbank und GLS-Bank verweigerten dem Verein eine Kontoeröffnung für Spendengelder. Der Verein sah sich daraufhin gezwungen, ein Konto in England zu eröffnen. Im gleichen Jahr sperrte die N26-Bank dem deutschen Basketball-Nationalspieler Joshiko Saibou und der Leichtathletin Alexandra Wester das Konto.

Beide hatten an der Corona-Demonstration am 1. August in Berlin teilgenommen, woraufhin Saibou von seinem Verein, den Telekom Baskets Bonn, entlassen wurde. Eine Presseanfrage, inwieweit die Kontosperrungen der genannten Personen mit ihrer öffentlichen Positionierung zur Corona-Pandemie zusammenhängt, ließ die N26-Bank unbeantwortet. Auch wenn genauere Details zu den Vorgängen bislang unbekannt sind, stellt sich für den unbedarften Bürger die Frage, ob diese Vorgänge nicht auch Parallelen zu den Gängelungen chinesischer Bürger mit „niedrigem Sozialscore“ aufweisen.

Wenn ja, handelt es sich hierbei einerseits um einen Versuch, Staatstreue über den Hebel der Finanzen zu erwirken, und andererseits — im Falle der Casinogebühr — um subtile Erziehungsmaßnahmen hin zum Triple-A-Staatsbürger.

Nachwort

Wer in der Demokratie schläft, wird in der Diktatur aufwachen. Diesen Satz haben wir in den vergangenen Monaten so oder ähnlich insbesondere von Gegnern der Corona-Maßnahmen häufiger gehört. Auch wenn dabei oftmals eine gehörige Portion Alarmismus mit im Spiel war — die man der anderen Seite hinsichtlich der gesellschaftlichen Panikerzeugung wiederum zum Vorwurf macht —, sollte man die tiefere Wahrheit hinter diesem Ausspruch durchaus ernst nehmen. Denn wenn wir uns nicht dafür interessieren, was mit unserem Geld geschieht, ob wir es künftig womöglich nur noch elektronisch verwalten und ausgeben können, dann werden große multinationale Unternehmen nicht lange zögern, uns diese Entscheidung abzunehmen.

Dieser Text hat versucht, den Finger in die Wunde zu legen und darzustellen, wozu dies führen könnte und zum Teil bereits geführt hat. Er sollte allerdings nicht als eine Art Plädoyer missverstanden werden, das sich ganz grundsätzlich gegen alles Neue in der Bezahlwelt wendet. Dass die Möglichkeiten, die sich uns neuerdings bieten, vielerlei Vorteile mit sich bringen, kann und soll nicht bestritten werden. Das E-Cash hat sich seinen Platz neben dem bewährten, herkömmlichen Cash redlich verdient. Die Betonung liegt dabei jedoch auf dem Wort „neben“. Wenn sich die Akteure des E-Cashs zusammenschließen, wie etwa im Rahmen der Better Than Cash Alliance, und offen anstreben, sich eine Monopolstellung in einem so zentralen Bereich des menschlichen Zusammenlebens zu sichern, ist es Aufgabe des Bürgers und seiner politischen Vertretung, einer solchen Form des finanziellen Machtmissbrauchs entschieden entgegenzutreten.

Das Bargeld weist eine ganze Bandbreite an Vorteilen auf, die von keiner der zum heutigen Zeitpunkt verfügbaren digitalen Alternativen — auch nicht von Kryptowährungen — 1 zu 1 so ersetzt werden können. Bargeld ist anonym. Es ermöglicht eine gute Kontrolle der eigenen Ausgaben. Es schützt vor Enteignung. Es ist unabhängig von der technischen Infrastruktur und daher krisenfest. Es ermächtigt, etwa im Falle irrtümlicher Kontoschließungen. Es ist kostengünstig, da es keinen Vermittler benötigt. Aus diesen und noch vielen weiteren Gründen darf das Bargeld, solange es keine ebenbürtige Alternative gibt, nicht von der Bühne der verfügbaren Zahlungsoptionen verschwinden. Denn das wäre dann wirklich ein gefährlicher Schritt in Richtung eines globalen Finanztotalitarismus.

„Wenn wir nichts tun, wird eines Tages ein Unternehmen oder eine Regierungsbehörde all die Informationen aus den verschiedenen verfügbaren Datenbanken zusammenführen und daraus einen Sozialscore ableiten.“
– Gerd Gigerenzer, emeritierter Professor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin


Quellen und Anmerkungen:

Die Coronakrise und das Bargeld:
Studie Zahlungsarten Einzelhandel
Mehr Kartenzahlungen wegen Corona
Dorothea Mann im Deutschlandfunk

Der Krieg gegen das Bargeld:
Die Better Than Cash Alliance
Bundesregierung unterstützt BTCA (Seite 3)
Indien Bargeldabschaffung, wer profitiert?
Bill Gates 2015 zu Bargeldabschaffung in Indien (ab Minute 17)

Wozu das Ganze?:
Studie Deutsche Bank zum Effekt einer Bargeldabschaffung auf die Kriminalität
Schattenwirtschaft Schweden im Vergleich zu Deutschland und Österreich
Deutsche Bank in Geldwäschegeschäfte verwickelt
HSBC in Geldwäschegeschäfte verwickelt

Von Bail-Ins, Negativzinsen und steigenden Kontoführungsgebühren:
Der Bail-In auf Zypern
Bail-Ins in Portugal, Spanien und Italien
Unterschied Bail-In/Bail-Out

Der gläserne Homo e-cash-onomicus:
Kontensperrung Demokratischer Widerstand
Deutschland treibt in Richtung eines chinesischen Sozialpunktesystems

Empfohlene Bücher:

Norbert Häring: Schönes neues Geld. Campus Verlag. 2018.
Norbert Häring: Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen. Quadriga Verlag. 2016.
Ulrich Horstmann, Gerald Mann: Bargeldverbot. Finanzbuchverlag. 2015.


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