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In den Augen des Hundes

In den Augen des Hundes

In der Poetik-Ecke XXIII suchen zwei Barfüßige die Alternative zum Exit-Knopf.

Vorbemerkung

Das „Gespräch“, das die beiden Autoren nachfolgend führen, oszilliert zwischen „realer“ politischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit einerseits und traumhaften inneren Bildern andererseits. Diese inneren Bilder, nach außen getragen, sind es, die nicht nur vor dem Verstummen retten, sondern darüber hinaus der Schönheit des Seins das Wort reden. Dieses Wort ist manchmal zwar auch etwas bitter, dafür nie eindeutig und eindimensional.

Die Idee dazu gründet in der Erfahrung, dass die Sprache des Alltags, die Sprache von Artikeln und Sachbüchern, die Sprache des Meinens und Postulierens zuweilen in einem gigantischen Ausmaß hinter den Dingen, die geschehen, zurückbleibt. Einer neuen Sprache, die bereits Ingeborg Bachmann gesucht und gefordert hat, bedienen sich die beiden Partner dieses lyrischen Gesprächs zwar kaum schon, aber es ist eine Erinnerung an diese Forderung. Dass das Reden ineinander übergeht und die Perspektiven verschmelzen, versteht sich. Wer gerne etwas zum einen oder anderen „realen“ Bezug, angelegt in diesem Dialog, erfahren möchte, sei auf die Anmerkungen verwiesen. Es lässt sich aber auch getrost darauf verzichten.

In den Augen des Hundes

Entsetzen, Gähnen
die Dinge laufen
„Corona“,“ Ukraine“, „Klima“, „Gaza“...
Ein EXIT
leuchtet am Ende des langen Korridors
(Lost Highway, Kamerafahrt)
Der sei schuld, denn er ist so und so
Die sei schuld, denn sie ist so und so
Rechte und Linke vereint euch im Kampf, ruft der Eine
Trennt euch, die Andere
BRICS und WEF: alle unter einer Decke, sagt der Dritte
Und in den Getreidefeldern liegen die Toten
Ja, wahrlich, die da oben und die Rothschilds: nicht zu vergessen
Auch nicht die „arabische Raubgesellschaft“
beim „Kampf um Israel“
Weshalb soll nur Bush vom Bösen reden?
Privileg der Reichen, wenn der Turm erst gestürzt?
Gefechtspause (vermittelt, hält zwei Stunden)
Die Erklärung im Mailkasten
Abramovic und Kirchenglocken
Kuhgeläut auf den Wiesen meiner Kindheit
Unter die Alpen gestellt
Müde bin ich
Geh zur Ruh
Ist es das, was der Widerstand hervorgebracht?
Abramovic und Pizzagate und Geschichten über das Böse?
Ist das ALLES?
Das Gute am Bösen: es ist stets beim ANDERN
Bei diesen und jenen, Hexen, Juden, Pädophilen
Und Epsteins verblichene Geldaugen grüßen von der Insel der Abart
Indes, zu welcher Art zählen wir — du, Lisa, du und ich, zu welcher gottverdammten Art?
Doch HAND AUFS HERZ und MAL EHRLICH
Das Geld ist uns und in uns
bar oder digital, Sein oder Nichts
Ja, Leute
auch wenn Friedensapostel auftreten: es kostet
Alles kostet und alle haben ihre Honorare
(„die sie schon brauchen“)
und eine Menschheitsfamilie kann sich nicht jeder leisten
Oder hast du sie je gehört, die Frage?
Ob nicht das Geld es sei, was alles untergrabe
Glaube, Liebe, Hoffnung
und auch DIE DISSIDENZ
das Geld und nicht Abramovic mit ihren spirituellen Cookings?
Ich jedenfalls habe sie nicht gehört:
Die Frage nach dem, was die Welt im Innersten
Stattdessen Calvin forever
Wo das Geld ist, ist es zu Recht
Gott sorgt vor: gegen Armut und Alter
Aber wie arbeiten, wenn KI die Welt entleert?

Trost:
Der Markt gilt weiter, wenn die Geltungen aufhören
Trost zum Zweiten:
Auf dem Markt der Dissidenz klingt Geld nicht anders
Oder fallen Bitcoins etwa wie Schneeflocken?
Wartet eine verzauberte Winterwelt?
Wartet Himmelsmusik? Weihnachten? Gibt es Advent?
Bestimmt, Kinder, schon bald
Und wenn ich Markt sage, meine ich Kapital
Auf Screens jedoch ist alles gleich und das Böse das Lithium für die Güte
Hat je ein Mensch
Den Menschen
Begriffen?
Du sagst: Eliten gibt es, wo die Masse sie trägt
Und wo wir sind, trägt sie
Und so wende ich zum Wasser und spreche mich ins Glück
Solange das verbliebene Auge noch ist
Aus den Dingen,
Unerreichbar
Für 5G und 6G und die Strahlen der Zivilisation
Das nenne ich Heilung
Lauf der Dinge, sagst Du, Lauf der Dinge.

Ja, es läuft geradewegs vor uns her, das Leben. Und hast-Du’s-nicht-gesehen, wandelt der Mensch sich ins Humusartige. Aufgelöst im Großen-Ganzen. Zurück ins Molekül, ohne Bewusstsein. So höre ich.

Festhalten, möchte man, so lange man nicht ansetzt, zum Absprung in die Erleuchtung. Der eine weiß um die Endlichkeit, in die der Liebste endlich begraben. Ende, aus! Der andere fühlt ihn fort, in leichtfüßigerer Sphäre, wieder und wieder. Mal so, mal so.

Weißt Du, der Unterschied liegt dann aber doch auf der Hand. Verbrannt, begraben, zu Staub geteilt — dann ist es ja auch egal, alles ohne Erheblichkeit. Wer nun schuld ist — man rückt sich zurecht, auf seinem Polster. Kaut Altbekanntes, neu Erdachtes, schluckt es in die Tiefe, weg! Zerstreuung, jetzt bitte sofort!

Dann war es ja bloß ein Spiel zur Besänftigung. Zu besänftigen, die Bedeutungslosigkeit, die unerbittliche, wie sie uns zurichtet. Großes Gähnen? Großes Gähnen! Ja, schau in die Augen des Hundes, wie er es tut, Scham und Ungemach auszutreiben. Unterbrochen und gebändigt durch ungehemmtes Wüten. Es steigert sich in Kriegslust, egal wo, ohne Relevanz die Resonanz des Widerhalls. Doch dann schmerzt es am Tagesende ja doch. Kommt zu uns, wie ein sachtes Zucken. — Nicht zum Hund! Bei uns aber setzt es ein, dezent nur, unter der Decke. Wieder der Gram im Nacken, er wühlt, setzt sich fest. Die anderen, so ungebunden! Es schnappt nach Luft. „Halten sich zu selten an die Regeln! Die Regeln, zu meinen Regeln geworden, denn ohne Regeln will ich nicht können, auf dieser Erde. Zum Himmel! Woher sie kommen, die Regeln — einerlei. Von Bedeutung, alleine, dass sie da sind, zu zähmen mein doch wildes Herz. Lassen mich ruhen, atmen, weiter existieren.“

Ich erzählte Dir ja, barfußgehen kann okay sein. Kann prima sein. Kann pervers sein. Alles gleichzeitig, in einem Moment, auf einem Bergrücken. Könnte das Barfußgehen aber angeschaut werden, in Stille? Als einer der mannigfaltigen Ausdrücke des Lebens betrachtet, in Geruhsamkeit? Geht das im frohen Westen? Und wenn dann einer erst noch den nächsten Rahmen verlässt, (flüsternd), was dann? Halten das die Menschen aus?

Ich höre sie rufen: „Der Rahmen bricht! Kein Verstören, niemals mehr! Festhalten!“ Und: „Zurechtbiegen.“ „Wenigstens die Kleinen noch, bevor sie verdorben.“ Also, her mit dem geeigneten Rahmen. „Den machen wir fest! Morgens um sieben kann es losgehen. Abends um sieben geht immer noch.“ Falls das Kind zusammenklappt, wird es zurechtgespritzt. (Das ist kein Witz. Fragt die Eltern.) Und sie stehen straff, wenn sie herauskommen. Maskiert wird dann auf Geheiß. Nur marginal, die Verwerfungen im Bild der irrlichternden Gemeinde, die wählen gehen darf. Another-job-well-done. Nicht wahr.

Aber Du willst ja daran erinnern, dass wir alle diesem Menschsein ausgeliefert. Und nun? Mit hineinstürzen? Gemeinsam in den Krieg ziehen? Könnte gehen. Wäre leicht. Da strömen die Endorphine, so viel vom Richtigen tun! Die Richtigen an einem Strang, den Feind zu richten. So geht es dahin, bis der Abend hereinbricht. Schon wieder: alleine, unter der Decke, dann. Plötzlich, ein Schrecken: Steht da Gott? Erkenne ich dort sein Gesicht, wie er bloß schaut — und mich erinnert? Ratio, meine, die Du mir wirst doch gewahr: pure Verschwörung. Gott, längst ausgerottet. Gibt’s nur noch im Morgenland.

Oh, da wäre ja Potenzial — zum Lernen? Ich treffe sie nun täglich, die Gläubigen ohne Monstranz. Ob alles zu Ende gedacht, von denen, die uns vorausdenken, während sie sich finanzieren? Vor Lust daran beinahe vergehen, während wir plappern, das Mäulchen weit offen, wie trunken von so viel Erkenntnis, im Nebel um den lieben Brei herum? Und sag, wie hängt es zusammen? Sind wir ihnen auf die Schliche gekommen? Das würde ihn ergreifen, den Menschen, nicht wahr. Wider die Ausweglosigkeit.

Planwirtschaft im Weihnachtsstrumpf, Kommunismus alt, wie neu. So purzelt die Klatur aller Nomen für das Unrecht, vermeintlich und verdorben, je nach Geheiß des Unmuts der einen. „Gibt es nicht“, schreien die anderen. Ja, aber kennt ihr ihn denn nicht: den Menschen?, ihr Gläubigen unter den Abtrünnigen?, so frage ich.

Ich fürchte, es ist verschlungener, dieses Leben ohne Gott und mit dem staubigen Ende. Was so alles gewollt wird, auf Erden. Diese Macht und jenes Geld und Liebe am Ende. Kanalisiert die bizarrsten Formen, bricht sie herunter und wir denken dann und denken und sollten doch nur staunen.

Daniel, ich fürchte, Menschsein bleibt. Klebt bleiern an den Fersen, nackt oder besohlt, bis dass der Tod uns mit seinem Zwinkern heimholt. Oder freue ich mich? Freue mich am Menschsein?

Ich tu’ es, Daniel, ich werde tanzen! Als Mensch im Takt und dagegen, weil die Ordnung nur Ordnung ist, wenn wir sie in Beschlag nehmen, an ihr rütteln, ihr Schwung verpassen. Sie wird dann bald anders aussehen und der Mensch seinen Platz einnehmen können. Jeden Tag leichter, mehr, der Mensch, wie ich ihn meine. Denn die Wahl haben wir ja doch.

Die Wahl zu tanzen, barfuß
über den Wassern
mit den Grenzgängern und Abartigen
und allen ohne Erfolg und Aussicht
Sie nehmen die Ordnung in Beschlag
ohne zu zertreten
Denn: die Schreie der Tanzenden brechen die Stille nicht
Und sie wissen: Menschsein ist heilig, irgendwie
Wahlen aber wären längst abgeschafft, wenn sie was verändern würden
Sagte einer vor vielen Jahren
Tänzer dagegen ordnen sich aus und ein und aus
Are we human or are we dancer?
Oder bloß einfach auf der Suche nach dem Morgenland?
Und dem ausgerotteten Gott?
Morgens um sieben
ist die Welt noch in Ordnung
Dann bricht der Rahmen in einem fort
Und abends, du sagst es, ist die Welt wie morgens
Wunder der westlichen Zivilisation
Die es immer als Fortschritt nur gab
(Blick zurück im Zorn?)
Als ständiges Verlassen des Lebens

Morgens wie abends. Investigatives dazwischen. In die Weite soll sie streben, alle Entwicklung. War das nicht der Deal? Steht sie sich nicht selbst auf den Füßen herum?
Doch, schau‘ hinein in die Massen, auf deren Händen die Eliten wogen. Noch ein Stückchen, bis Du ganz nah bist. Siehst Du es? Erkennst, wie jedes Teilchen sich bloß sehnt?

Wer hat denn hier nicht aufgepasst? Das Teilchen — bereit zur Abart von Geburt her?

Und ich frage: Wo beginnt die Abart? Auf dem Weg zum militärischen Feinschliff, an sandigen Grenzen, die ich nicht bestimme? Wo ein Kind im Spiel ein gutes Ziel macht? Individualversagen? Systemverantwortung? Wann schleicht die Abart sich ins Verdrehte? Wie viel Verdrehtheit hält noch Maß und welches Maß dann bitte schön?

Der Mensch ist es. Und ich sag dir: Schau hin! All das ist er. Dem Jubel zugeneigt, wie dem Verfall. So frohlocken und flehen alle guten Geister, die Hand vor den Augen, damit der Schmerz eingehegt.

Den Bombenhagel zu verwünschen — untersagt nun in der Hauptstadt oder… ist der Faden für immer verloren? Wer nur nicht verrückt wird, der hat gewonnen. Doch aller Beginn liegt im Moment der Niederkunft. Weißt Du das?

Ich hoffe, Du weißt es. So könnte ich erzählen vom Leben, wie es sich den Weg bahnt. In das Fleischliche — auf diese Erde. Vom Wunder, das wir nur anschauen dürften. Das uns nicht braucht. Das uns geduldig weist, bloß den Raum zu halten. So nämlich bahnt sich das Leben in die Welt. Entfaltet sich, mit einem Lächeln über und über, während es Mutter und Vater erkennt. Sie halten es und fügen ihm nur das eine Bedeutende hinzu: Liebe.

Und Liebe wird es erheben, über alle Verwirrung. Zieht schließlich magisch an, wer ihr endlich entsagen will.

Oh Lisa, seit meiner Kindheit träume ich mir
Eine „arabische Raubgesellschaft“ herbei
Rückständig, archaisch, frei von Fortschritt
Als Spiel bloß, natürlich
Und erst noch tanzend unter Tausend Regentropfen, barfuß
Und dann (ich staune wie ein Kind, ich weine)
formen sich aus dem Wasser
Moleküle von einer Schönheit, die nicht nennbar ist
Es sind die Moleküle Gottes
Gespiegelt in den Augen eines Hundes.


Einige Anmerkungen:

„Are we human or are we dancer?“, fragt die Rockband „The Killers“ in ihrem Lied „Human“ aus dem Jahr 2008. Marina Abramović ist eine Performance-Künstlerin serbischer Herkunft, deren Kunst thematisch im Bereich Körper, Sinnlichkeit und Tod angesiedelt ist. Sie wird oft von „dissidenten“ Kreisen verwendet, um das „Kranke“ und „Abartige der westlichen Zivilisation zu personalisieren, jüngst etwa in einem Video, das den Konflikt im Nahen Osten mythologisierend auf das Wirken der Rothschild-Familie zurückführt und diese Rothschilds wiederum über den Namen „Abramović“ beziehungsweise die damit indizierte Kontaktschuld moralisch in die gewünschte Richtung „framt“. Hinweise geschweige Beweise für Beteiligungen an kriminellen Handlungen seitens Abramovićs sind nie vorgelegt worden. Die Begriffe „arabische Raubgesellschaft“ und „Kampf um Israel“ sind einem Artikel entnommen, der zeigt, dass der Blick auch innerhalb dissidenter Kreise auf Konflikte außerhalb Europas, in diesem Fall des Nahen Ostens, häufig noch immer in der Tradition des Eurozentrismus beziehungsweise des Imperialismus stehen. Ob die Aussage „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie (längst) verboten“ von Mark Twain stammt, ist nicht gesichert. Auch Kurt Tucholsky wird oft als Autor angegeben und auch das kann nicht belegt werden. Dies schmälert die dahinter stehende Erkenntnis nicht.

„Aller Beginn liegt im Moment der Niederkunft“ ist die Antwort der hier schreibenden Autorin, auf die oft diskutierte Frage, „wie alles so kommen konnte“ — seit 2020 und in Wahrheit historisch zirkulierend. Nicht „die Medien“ in Permanenz und Propaganda sind es, die „das“ geschaffen haben, sondern die Art und Weise, wie wir Menschen auf die Welt kommen und in einer Kette fein ineinander verhakter und justierter Glieder im glücklichen — heute rar gewordenen — Fall immer noch mehr an Bindung erfahren. Diese Bindung wiederum ermöglichte Gesundheit, Festigkeit und Sinngewissheit, die widerstehen ließe, wenn es darauf ankommt.

Die „Moleküle Gottes“ nehmen Bezug auf gefrorene Wasserproben, nachdem dem entsprechenden Wasser Musik von Johann Sebastian Bach vorgespielt worden ist. Die Quelle ist eine logisch zwar nicht immer kohärente, aber stimmungsmäßig wunderbare Dokumentation über Wasser aus dem Jahre 2006 von Julia Perkul und Anastasyia Popova.


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