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Jenseits roter Linien

Jenseits roter Linien

Der tödliche Angriff auf sechs UN-Soldaten im Sudan lässt den Krieg weiter eskalieren.

Was genau geschah

Nach Angaben der Vereinten Nationen bewegte sich der Konvoi in der Nähe eines UN-Standorts, als er unter Beschuss geriet. Die Soldaten gehörten zum Kontingent aus Bangladesch, das im Rahmen der UN-Mission in Abyei und angrenzenden Regionen eingesetzt ist. Die Fahrzeuge wurden getroffen, mehrere Soldaten starben noch am Ort des Angriffs.

Unklar ist bislang, welche der Konfliktparteien verantwortlich ist. Sowohl die reguläre sudanesische Armee (SAF) als auch die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) operieren in der Region. Beide Seiten weisen jede Verantwortung zurück. Doch für die Vereinten Nationen steht bereits fest: Der Angriff war kein Kollateralschaden, sondern ein gezielter Akt.

In New York wurde der Sicherheitsrat einberufen. Diplomaten sprechen von einem „dramatischen Einschnitt“. Für Hilfsorganisationen vor Ort ist die Botschaft eindeutig: Wenn selbst UN-Soldaten nicht mehr sicher sind, ist niemand mehr sicher.

UN-Friedenstruppen sind im Sudan nicht als Kampftruppen präsent, sondern als Puffer, Beobachter und Schutzmechanismus. Ihr Mandat ist begrenzt, ihre Bewaffnung defensiv. Sie gelten völkerrechtlich als besonders geschützt. Ein Angriff auf sie ist mehr als eine militärische Handlung, er ist ein politisches Statement.

Der Angriff zeigt, wie sehr sich der Krieg verändert hat. Was als Machtkampf zweier Generäle begann, hat sich zu einem entgrenzten Konflikt entwickelt, in dem keine roten Linien mehr gelten. Zivilisten, Krankenhäuser, Märkte und nun auch UN-Stellungen werden Teil der Kriegslogik.

Für die internationale Gemeinschaft ist das ein Alarmsignal. Denn mit jedem Angriff auf UN-Personal sinkt die Bereitschaft, überhaupt noch präsent zu bleiben. Missionen ziehen sich zurück, Helfer verlassen das Land, Beobachtung bricht weg. Gewalt gedeiht dort, wo niemand mehr hinsieht.

Der Angriff fällt nicht vom Himmel. Er ist das Ergebnis einer Entwicklung, die lange ignoriert wurde. Nach dem Sturz des Langzeitdiktators Omar al-Bashir im Jahr 2019 stand der Sudan kurzzeitig für Hoffnung. Millionen Menschen forderten Demokratie, zivile Kontrolle und einen Bruch mit der Militärherrschaft. Doch der Übergang blieb halbherzig. Die bewaffneten Machtapparate, Armee und Milizen, wurden nicht entmachtet, sondern in den politischen Prozess integriert.

General Abdel Fattah al-Burhan und RSF-Chef Mohammed Hamdan Dagalo präsentierten sich als Garanten der Stabilität. Internationale Akteure akzeptierten diese Erzählung, weil sie Ordnung versprach und Kooperation bei Migration, Sicherheit und Terrorbekämpfung.

Als beide Generäle im Oktober 2021 gemeinsam gegen die zivile Übergangsregierung putschten, blieb die internationale Reaktion begrenzt. Sanktionen wurden angedroht, aber kaum durchgesetzt. Die Botschaft war klar: Macht lohnt sich.

Der Krieg der Generäle

Im April 2023 brach der Machtkampf offen aus. SAF und RSF lieferten sich Gefechte in Khartum, später in Darfur, Kordofan und anderen Regionen. Es ging nicht um politische Programme, sondern um Kontrolle über Territorien, Ressourcen und internationale Anerkennung.

Die RSF, hervorgegangen aus den berüchtigten Janjaweed-Milizen, verfügt über erhebliche Einnahmen aus Goldabbau und Schmuggel. Die Armee kontrolliert Teile der staatlichen Infrastruktur und den Luftraum. Beide Seiten sind hochgerüstet, beide Seiten setzen auf Eskalation.

Zivilisten wurden schnell zu Geiseln dieses Machtkampfes. Wohnviertel verwandelten sich in Schlachtfelder. In Darfur kam es erneut zu ethnisch motivierter Gewalt und Massakern. Millionen Menschen wurden vertrieben.

Parallel zum militärischen Krieg entwickelte sich ein zweiter Konflikt: der Kampf um humanitäre Hilfe. Hilfskorridore wurden blockiert, Konvois geplündert, Zugang als Druckmittel genutzt. Hunger wurde zur Waffe.

Internationale Organisationen warnten früh vor einer Hungersnot. Doch die Finanzierung blieb lückenhaft. Ende 2025 kündigte das Welternährungsprogramm an, Rationen drastisch zu kürzen. Millionen Menschen stehen vor dem Nichts, nicht wegen fehlender Nahrungsmittel, sondern wegen fehlender politischer Priorität.

Der Angriff auf die UN-Soldaten fällt in genau diese Phase. Er trifft eine ohnehin ausgedünnte internationale Präsenz und verschärft die Krise weiter.

Seit dem Angriff auf die Blauhelme hat sich die Lage weiter verschärft. In Süd-Kordofan und Darfur nehmen die Kämpfe zu. Hilfsorganisationen melden neue Vertreibungswellen. Gleichzeitig nimmt die internationale Aufmerksamkeit ab. Andere Krisen dominieren die Schlagzeilen.

Der Sicherheitsrat ringt um eine Reaktion. Doch klare Konsequenzen bleiben bislang aus. Sanktionen, Waffenembargos, gezielte Maßnahmen gegen Verantwortliche, all das wird diskutiert, aber selten umgesetzt. Für viele Sudanesen ist das nichts Neues. Sie erleben seit Jahren, dass Gewalt folgenlos bleibt.

Der Angriff auf die UN-Soldaten ist ein Symbol für das internationale Versagen im Sudan. Hätte man die Milizen nach 2019 entwaffnet, hätte man den Putsch von 2021 konsequent sanktioniert, hätte man humanitäre Hilfe frühzeitig abgesichert, vieles wäre anders verlaufen. Stattdessen setzte man auf Hoffnung anstelle von Durchsetzung. Auf Appelle statt auf Konsequenzen. Der Preis dafür ist jetzt sichtbar, in zerstörten Städten, hungernden Familien und getöteten Friedenssoldaten.

Der Tod der UN-Soldaten im Sudan ist kein tragischer Zufall. Er ist das Ergebnis eines Krieges, der lange unterschätzt, verharmlost und verdrängt wurde. Wer jetzt noch glaubt, es handele sich um einen „fernen Konflikt“, verkennt die Realität.

Wenn selbst Blauhelme sterben, ist der Punkt erreicht, an dem Wegsehen zur Mitschuld wird.


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Quellen und Anmerkungen:

Reuters: „Bangladesh says peacekeepers killed, injured in Sudan UN base attack“
https://www.reuters.com/world/asia-pacific/bangladesh-says-peacekeepers-killed-injured-sudan-un-base-attack-2025-12-13/
Associated Press: „UN chief condemns attack on peacekeepers in Sudan“
https://apnews.com/article/ce44092563b3612ec9ca26e5f85442b5
UN OCHA — Länderportal Sudan
https://www.unocha.org/country/sudan
„WFP warns of worsening hunger as fighting rages in Sudan“
https://www.wfp.org/news/wfp-warns-more-displacement-sudan-fighting-rages-darfurs-and-kordofans-amidst-shrinking
UN OCHA
„Sudan Humanitarian Update“
https://www.unocha.org/sudan

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