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Krieg und Frieden in Kolumbien

Krieg und Frieden in Kolumbien

Das südamerikanische Land wird von brutalen Paramilitärs terrorisiert. Eine kleine Gemeinschaft hat sich konsequent dem Prinzip der Gewaltfreiheit verschrieben. Teil 1.

Elisa Gratias: Wie haltet ihr es aus, unter ständiger Bedrohung zu leben?

Arley Tuberquia: Es ist traurig, denn wir gründeten die Friedensgemeinschaft als Garantie für unsere Rechte, in diesem Gebiet zu leben, und dafür, dass unsere Kinder bessere Bedingungen haben, um auf friedliche Weise, ohne Gewalt hier zu leben.

Aber nein. Jahrzehnt für Jahrzehnt, Jahr für Jahr, immer wieder das Gleiche. Das Morden, das Massaker, der Tod, die Vertreibung. Die Situation im Gebiet von San José de Apartadó ist sehr schwierig geworden. Aber die Angst oder das Risiko, in diesem Gebiet zu sterben, verschwindet, wenn wir die Prinzipien von Solidarität und Gemeinschaft leben und mit dem Glauben, dass eine andere Welt möglich ist. Hier zählt das Leben der anderen mehr als mein eigenes Leben. Es geht um das kollektive Überleben.

Diese universellen Prinzipien des Rechts auf Leben machen uns innerhalb der Gemeinschaft so stark, dass wir sagen: Wir haben keine Angst, unser Leben zu verlieren.

Denn wir verschreiben uns einer gerechten Sache, in der wir eine andere Welt ermöglichen und die Dynamiken des Todes, der Unterdrückung und Versklavung überwinden.

Wir erleben das täglich als Gemeinschaft. Inmitten dieser schrecklichen Szenarien der Bedrohung fühlen wir, dass wir gesiegt haben, weil es uns gelungen ist, dass viele Jugendliche in der Gemeinschaft geblieben sind, ohne zur Gewalt gegriffen zu haben.

Diese jungen Menschen, die ihre Eltern, ihre Mütter, ihre Liebsten verloren haben, bleiben bei uns und halten an ihren Prinzipien der Gewaltlosigkeit fest. Ich denke, das ist das Beste, was wir erreicht haben. Wir hoffen, dass dadurch das Blutvergießen endlich aufhören und die Menschen in diesem Gebiet in Frieden leben können.

Foto: Arley Tuberquia


Habt ihr im täglichen Leben wirklich keine Angst?

Ich habe keine Angst, dass ich getötet werde. Ich spüre eher Angst, wenn sie uns sagen, dass sie ein anderes Kind, eine Frau oder ein Mädchen getötet haben. Das lässt uns erschaudern. Aber nicht die Angst vor dem Sterben.

Und genau das ist jetzt passiert, am 19. März.

Ja. Am 19. März haben sie Nallely und Edison ermordet. Im Dorf La Esperanza, auf der Farm Las Delicias.

Und weiß man, warum sie eine Frau und einen Jugendlichen ausgewählt haben? Wer sind „sie“? Paramilitärs? Wer bezahlt sie? Und warum so viel Hass?

Das ist ein sehr tiefes Thema. San José de Apartadó liegt in einem Gebiet mit vielen natürlichen Ressourcen. Es gibt Kohle, Gold, Öl und Wasser. Das weckt enorme Interessen für multinationale Konzerne. Außerdem kontrollieren Paramilitärs das Gebiet. Diese bewaffneten Gruppen finanzieren sich aus dem Drogenhandel und den Steuern, die sie der Bevölkerung auferlegt haben. Für jede Kuh, die ein Besitzer verkauft, muss er eine illegale Steuer an die Paramilitärs zahlen.

Wie konntet ihr so lange in dieser gefährlichen Region überleben, ohne euch mit Waffen zu verteidigen?

Die Gemeinschaft konnte dank drei wesentlicher Linien inzwischen 27 Jahre lang überleben. Eine ist die Entscheidung, neutral und friedlich zu sein. Die Entscheidung zur Gewaltlosigkeit hat meiner Meinung nach das Überleben der Gemeinschaft gesichert.

Hätte sich die Gemeinschaft bewaffnet, wären wir alle schon längst ausgelöscht worden. Dies war einer der Hauptgründe, warum wir heute als Friedensgemeinschaft leben.

Der zweite Grund hat mit der internationalen Solidarität zu tun. Es gibt viele Organisationen, die uns ständig begleiten, Menschen und Einrichtungen, die uns besucht haben, einige Botschaften aus verschiedenen europäischen Ländern und aus Nordamerika und anderen Teilen der Welt, die unsere Realität kennen. Das hat uns und unseren gewaltfreien Weg sichtbarer gemacht. In gewisser Weise ist dies zu einer Form der Unterstützung und des Schutzes für die Friedensgemeinschaft geworden.

Und der dritte Grund, warum wir immer noch hier sind, ist die Lebensweise im Einklang mit der Natur, für den Schutz des Ökosystems.

Warum wollen sie eure Friedensgemeinschaft zerstören?

Wie schon gesagt, die enormen Interessen, die dieses Gebiet bei vielen Menschen weckt. Wir stehen der Ausbeutung der Erde hier im Weg, und wir wollen dieses Gebiet nicht verlassen. Sie werden uns hier töten müssen.

Die Mehrheit der Menschen wählt den Weg der Waffen und wendet sich an die Paramilitärs, die ihnen Gehälter, Geld und Wohlstand bieten. Aber unsere Gemeinschaft bleibt stark und weigert sich, in den Krieg zu ziehen.

Unsere jungen Leute wollen nicht in den Krieg ziehen. Die jungen Menschen bei uns, die ihre Väter und Mütter verloren haben, sind ohne Hass und ohne Wut gegen die Henker aufgewachsen. Es gibt auch junge Leute von anderen Dörfern, die zu uns gekommen sind. Sie haben sich in die Gemeinschaft verliebt und sind hier geblieben.

Ich glaube, dass die Gesellschaftsstruktur in Kolumbien versagt und den nachwachsenden Generationen keine Garantien für eine andere Lebensweise bietet. Ein Beispiel: Ein junger Mensch, der nie eine Universität besucht hat, der nicht die Möglichkeit hatte, eine Schule zu besuchen, eine akademische Ausbildung zu absolvieren, bekommt von heute auf morgen 2, 3 oder 4 Millionen Pesos angeboten, um zur Waffe zu greifen.

Ein solcher Mensch wird sich sagen: „Wenn ich in ein Unternehmen gehe, werden sie mir keinen Job geben, weil ich keine Ausbildung habe. Hierfür brauche ich kein Studium, keine Diplome, ich brauche nur die Fähigkeit und den Willen zu töten, und das war’s.“ Sie verkaufen ihre Seele, ihr Gewissen. Für wirtschaftliche Bedürfnisse und Ambitionen, und sie enden in diesen Verstrickungen, in dieser Art von Kultur des Todes.

Habt ihr in der Gemeinschaft eine Schule?

Ja, wir haben unsere eigene kleine Schule, wir haben unsere eigenen Pädagogen, die aus der Gemeinde kommen. Das ist die Hauptantriebskraft, mit der wir auf die Bedürfnisse der Gemeinde reagieren, um einen neuen Menschen zu schaffen, der nicht hasst, der keinen Groll gegen die Mörder seiner Verwandten und Freunde hegt. Es ist ein Erziehungsmodell, das einige sehr tiefgreifende Herausforderungen mit sich bringt, nämlich inmitten des Konflikts zu überleben, ohne Teil des Krieges zu sein, ohne Teil der Gewalt zu sein.

Arley mit seiner Ehefrau und Tochter, Foto: Arley Tuberquia

Wie schafft ihr es zum Beispiel nun, nachdem Nallely und Edison ermordet wurden, Gefühle des Grolls zu vermeiden?

Wenn so etwas passiert, empfinden wir Trauer, wir empfinden Schmerz über die Abwesenheit unserer Lieben, die uns gewaltsam weggenommen wurden. Die drei Kinder, die zu Waisen wurden, zeigen keinen Hass oder Groll. Der verwitwete Ehemann Diego sagt: „Ich habe keinen Hass. Ich empfinde weder Wut noch Groll gegenüber den Mördern.“

Es ist die Art und Weise, wie die Gemeinschaft lebt, dass die zurückgelassene Familie sich aufgehoben und begleitet fühlt, dass der Tod ihrer Liebsten für uns alle von Bedeutung ist. So spüren sie, dass sie nicht allein sind, sondern dass es andere Mütter, andere Kinder gibt, die um ihre Toten trauern.

So ist es ein kollektiver Schmerz, und das gibt uns die Kraft, eine Gemeinschaft zu schaffen und nicht Hass, Groll oder Rache in unseren Herzen nisten zu lassen.

Wie beurteilst du die Haltung von Präsident Gustavo Petro, der für sein Engagement für den Frieden bekannt ist?

Der Präsident möchte das Land an einen Punkt bringen, an dem das Leben geachtet wird, an dem die Gewalt ein Ende hat, an dem es keine Toten, keine Massaker mehr gibt. Das ist eine gute Initiative, aber es gibt einen Teil des Landes, der sich von Blut ernährt.

Du glaubst also nicht, dass Gustavo Petro viel tun kann, um euch zu helfen?

Er könnte es machen, aber es wird schwierig. Wir fordern unter anderem, dass die paramilitärischen Gruppen aufgelöst werden. Dass die Straflosigkeit, die in der Region Urabá geherrscht hat, aufhört. Mehr als 412 Menschen sind ermordet worden, und alle Täter sind ungestraft geblieben. Solange man ihnen Straffreiheit gewährt, wird es weitergehen.

Die Stärke eurer gewaltfreien Lebensweise besteht darin, die Täter mit ihrem Gewissen zu konfrontieren.

Uns ist klar, dass die Mörder mit verschiedenen Strategien versuchen, Verbrechen, Morde, Menschenrechtsverletzungen zu begehen, und versuchen, die Motive für diese Verbrechen zu vertuschen und es anders aussehen zu lassen.

Sie haben Menschen getötet und dann behauptet, es sei ein Streit oder Raubüberfall gewesen, während in Wirklichkeit das Ziel Mord ist. Das zentrale Thema ist hier das Ziel der Ermordung, das Ziel, diejenigen loszuwerden, die ihre Strategien des Todes nicht teilen.

Das ist uns als Gemeinschaft klar, und deshalb werden wir als Gemeinschaft weiter kreativ für das Leben eintreten, dafür, dass eine Welt ohne Gewalt und ohne Krieg möglich ist.


Gedenkbild der beiden letzten Mordopfer aus der Friedensgemeinde, Bild: CDP San José

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