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Mali – ein Fest der Sinne!

Mali – ein Fest der Sinne!

Über die mediale Aufmachung der aktuellen Militarisierungskampagne der Bundeswehr.

Wummernde Hip-Hop-Beats statt trommelnder Marschmusik. Zeitgenössische Animationen statt Flugblätter. Update via Facebook-Messenger statt Kriegsberichterstattung in knisternden Radios. Der zweite Anlauf der Bundeswehr-Webserie „Bundeswehr Exclusive – MALI“ weiß mit der Zeit zu gehen und junge Menschen für das Militär zu begeistern. So sehr man als Pazifist den beabsichtigten Zweck verabscheut , so sehr muss man den Machern für die Realisierung des neuen Propaganda-Streichs ein Lob aussprechen.

Eine Analyse der stilistischen, optischen und dramaturgischen Umsetzung von „MALI“ sowie deren Wirkung auf den jungen, naiven Zuschauer.

Cinematische Drums, das Bild wechselt von Schwarz zum Ockergrün eines Nachtsichtgeräts. Soldaten und Soldatinnen sitzen sich in der Enge einer Militärmaschine, sich ernste Blicke zuwerfend, gegenüber. Eine eingeblendete Schrift erklärt uns, es handle sich um eine „eingeschworene Gemeinschaft“, die sich „auf alles, was sie da draussen erwartet“ vorbereitet habe. Die Laderampe öffnet sich, gleißendes gelbes Licht einer subtropischen Klimaregion flutet die dunkle Röhre, orientalische Vocal-Samples schleichen sich in die Tonspur, Sand wird umhergewirbelt, die Drums eines Hip-Hop-Beats setzen ein, der das Instrumental einer neuen Farid-Bang-Single sein könnte. Aus dem Sandsturm zeichnen sich die feinen Konturen dreier Soldaten heraus, die von den sich verlangsamenden Sandkörnern umspielt werden. Die Bildgestaltung, damit sei die Anordnung der zwei Soldaten und der Soldatin gemeint, die hinter dem großen, abgewetzten „MALI“-Schriftzug den Zuschauer herausfordernd anblicken, ruft beim Betrachter unverzüglich Assoziationen mit den Covers bekannter Ego-Shooter-Klassiker wie Call of Duty oder spaßigen Actionfilmen hervor. Nur dass statt dem Spielhersteller am oberen Rand „Bundeswehr Exclusive“ steht und selbiges Logo, statt dem „FSK 18 Jahre“-Hinweis, den unteren Teil des Bildes ziert. Dem Betrachter wird klar: Das hier ist … echt!

Im Gegensatz zu Zigarettenwerbung ist das Werben fürs Sterben im Kino kein tabu. Kaum ein Jahr ist es her, dass uns die Bundeswehr mit den „Rekruten“ im öffentlichen Raum belästigte. Schon schlägt sie wieder zu und nun hat sie sich sogar den Werbeträger Kino zu eigen gemacht, um uns während des Popcorn-Schaufelns den Dienst an der Waffe schmackhaft zu machen.

Letztes Jahr, da war meine Empörung noch massiv! Es kribbelte mir in den Fingern, diese Plakate, die mich aufforderten, das zu tun, was „wirklich zähle“, zu zerreißen. Doch der kalte, ausdruckslose Blick der Überwachungskameras sowie die damit verbundene, wenig lukrative Aussicht auf eine Anzeige wegen Sachbeschädigung hielten mich davon ab. Somit schlug sich mein Protest darin nieder, jedes Video dieser unsäglichen Webserie zu disliken, mit dem vollen Bewusstsein, bei jedem Dislike den Machern einen Klick zu schenken.

Nun, ein Jahr später, ist die Werbekampagne noch aggressiver geworden. Die eben skizzierte Sandanimation flimmert über die Screens in den Bahnhöfen und Innenstädten der Bundesrepublik und drängt sich penetrant in das Blickfeld des Betrachters. Ich nehme es wahr, suche jedoch vergebens nach meiner letztjährigen Empörung. Wo ist sie hin? Wie kommt es, dass sich die Mausfeld ‘sche „Empörungserschöpfung“ bereits jetzt bei mir breitgemacht hat? Die Militärpropaganda sich schon so tief in meiner Wahrnehmung verankert hat?

Ich vermute, dass es in der eigenen Wahrnehmung einen Empörungs- beziehungsweise einen Betroffenheitshorizont gibt, der sich mit jeder weiteren Schreckensmeldung ausweitet und alle Entsetzlichkeiten innerhalb des Sichtfeldes einverleibt. Wenn man sich täglich mit den Schrecken und Gräueltaten auf diesem Globus auseinandersetzt, entwickelt man mit der Zeit eine Immunität, um überhaupt fassen zu können, was eigentlich unfassbar ist. Der Verdrängungsmechanismus arbeitet unentwegt daran, den Geist von den weltweiten Grausamkeiten zu entgiften.

Letztens erweiterte sich mein sogenannter Betroffenheitshorizont wieder ein beachtliches Stück. Ich las von der massiven Zunahme der Säure-Anschläge in London (1), die die Betroffenen, die teils aus vollkommen banalen Gründen Opfer dieser barbarischen Attacken wurden, für ihr Leben entstellten. Es war die erste Meldung seit sehr langer Zeit, die mir wieder das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zermürbende Fragen hielten mich danach des Nachts wach: Wie die Opfer solcher Anschläge ihr Leben weiterführen? Was in den Köpfen der Täter vor sich gehen muss, dass diese zu einer solchen, beispiellosen Grausamkeit imstande sind? Wie sehr unsere irdische Existenz von unserer „Schönheit“ abhängig ist und wie wir damit leben können, wenn unsere oder die der anderen zerstört wird?

Doch irgendwann hatte sich dieser Horizont erweitert und war zum Stillstand gekommen, die Nächte wurden wieder ruhiger und ich verdrängte die Meldungen, samt aller, die wesentlich harmloser waren als diese. Zum Beispiel, dass die Bundeswehr eine neue Serie am Start hat.

Auf diese kleine Horizont-Metapher werde ich im weiteren Verlauf meines Textes noch genauer eingehen. Nun möchte ich mich endlich dem Kern dieses Artikels widmen: der stilistischen Umsetzung von „Bundeswehr Exclusive“.

Ich betrachte zunächst den umbenannten YouTube-Kanal auf meinem Seziertisch. Eine Aneinanderreihung aufsehenerregender Thumbnails, aus deren unteren linken Ecken Sandwirbel mitsamt den Videotiteln emporschießen . Die dazugehörigen Bilder könnten einem Hollywood-Streifen entspringen. Hinsichtlich der Kontinuität haben die Macher auf jeden Fall die richtige und konsequente Richtung eingeschlagen. Eine weitere Staffel von „Die Rekruten“, die Rekruten 2.0 also, wäre spannungstechnisch im Sande verlaufen. Den Sand hat man sich stattdessen räumlich zu eigen gemacht, die grauen, tristen Tapeten Deutschlands mit den ungestümen, gefährlichen, heißen von Mali ausgewechselt. Die Produktionskosten haben sich dabei unmerklich erhöht. Im Grunde genommen hat man die Produktionskosten der Rekruten (1,7 Millionen) lediglich auf 2 Millionen aufgerundet. Gleichgeblieben ist das 1/3-Verhältnis der Gesamtkosten, die sich akkumuliert auf 6,5 Millionen Euro belaufen haben (2).

Hat man uns vor einem Jahr gezeigt, wie man perspektivlose Jugendliche zum Militär lockt, will man uns jetzt präsentieren, wie die alteingesessenen, erfahrenen Hasen der Bundeswehr über das von Wüstensand überzogene Schachbrett der Weltpolitik hoppeln. Nichtsdestotrotz beginnt die Reise in Deutschland, genauer gesagt in den Kasernen Bad Reichenhall und Füssen in Bayern sowie Gothar in Thüringen. Das erfahren wir von den Facebook-Messenger-Einblendungen, die regelmäßig in das Bild springen und uns Zuschauern mit wichtigen Randinformationen bedienen. Hier wären wir schon bei dem ersten Stilmittel beziehungsweise einer Neuerung der aktuellen Webserie.

Das Stilmittel begegnete uns bereits, ehe die Serie online ging. In den Werbescreens an Bahnhöfen wurde der junge Passant mittels Messenger-Nachrichtenfeld dazu aufgefordert, falls er seinen Zug verpasst haben sollte, seinen Facebook-Messenger zu öffnen und der Bundeswehr auf diesem zu folgen, um bei der Front up-to-date zu sein. Der Informationskanal des – unter datenschutzrechtlichem Licht besehenen – äußerst unattraktiven Messengers wird nun von der Bundeswehr-PR-Abteilung genutzt, um jungen Menschen neben Kurznachrichten ihrer Freunde auch den Krieg direkt in die Hosen- und Handtaschen zu senden. Derjenige, dem es dann doch zu penetrant ist, sich regelmäßig via Facebook von der Bundeswehr anschreiben zu lassen und der sich lediglich die Webserie zu Gemüte führen möchte, erhält über die innovativen Messenger-Einblendungen in den Videos ort-, handlungs- und zeitspezifische Daten. Ferner erfüllt der Messenger als komplementäre Informationsebene den Zweck, den militärischen Terminus, den die Soldaten beiläufig verwenden, für den Laien zu übersetzen. Ein Beispiel: „FLW“ steht für das Kriegsspielzeug der „fernbedienbaren leichten Waffenstation“ aus dem Kinderzimmer der deutschen „Verteidigungsarmee“.

Wir sind also in Bad Reichenhall und die Soldaten bereiten sich auf ihre Abreise nach Köln vor, von wo aus es nach Mali geht. Einer der Soldaten erzählt uns bereits nach 30 Sekunden, er würde für das morgige Frühstück zum Metzger fahren, damit die Mannschaft das letzte Frühstück noch auf deutschem Boden genießen könne, was mich wiederum an ein Zitat von Dostojewski erinnert:

Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch immer Schlachtfelder geben.

Wir sehen breitschultrige Soldaten, abwechselnd vor einem Grill stehend, dann wieder – kurz vor dem Abschiednehmen – sich in den Armen liegend. An der Stelle sei geraten, das Bild (3) einfach einmal zu pausieren und das Standbild auf sich wirken zu lassen. Auf sich wirken zu lassen und darüber nachzudenken, welche Assoziationen es hervorruft. Sich in der Fantasie einen Schwarzweiß-Filter hinzu- und den modernen Reisebus im Hintergrund wegzudenken.

Einfach mal wirken lassen.

Bei den Protagonisten handelt es sich nicht mehr um Jungspunde wie bei den Rekruten. Hier haben wir es mit ausgewachsenen Soldaten von Ende zwanzig bis Ende dreißig zu tun. Ihre Frisuren wie auch ihre teilweise auffällige Gesichtssymmetrie trotzen der Uniformierung und machen es uns Zuschauern leicht sie auseinanderzuhalten, auch ohne dass aufgewirbelter Sand ihre Namen und Ränge ins Bild schleudert. Denn die abgelichteten Soldaten sind vor allem eines: sympathisch!

Ja, durch und durch sympathisch! Gut möglich, dass das an ihrem bayerischen Akzent und dem freundlichen, kumpelhaften Auftreten liegt oder auch an ihren teilweise mit Bierzelthumor geschwängerten Witzen, bei denen man sich mitunter das Schmunzeln nicht verkneifen kann.

Hier wurde von den Machern ein wichtiger Grundstein gelegt. Es wurde selektiert, die Brutalos und Tyrannen, die es bei der Bundeswehr nachweislich gibt (4), in den Hintergrund geschoben oder komplett aus dem Kamerablickfeld verdrängt und die nettesten und charismatischsten stattdessen in den Fokus gerückt. Es ist wichtig, kein charakterloses Stück Fleisch in Szene zu setzen, sondern Helden zu kreieren, mit deren Ringen um Leben und Tod im Einsatz man als Zuschauer mitfiebert.

Beschlich einem bei den Protagonisten der Rekruten noch das Gefühl, man hätte die Stereotypen der Kevins, Justins und Jaquelines alter Super-Nanny-Folgen für Bundeswehr-Propaganda weiterverwertet, haben wir es in Mali mit einem Ensemble sympathischer „Werteverteidiger“ zu tun.

Trotzdem bleibt uns der RTL-Reality-TV-Flavour, der bei „Die Rekruten“ an der Tagesordnung war, vorerst erhalten. Zumindest in der ersten Folge operieren die Macher nach wie vor überwiegend mit einer Fish-Eye-Kamera und „lustigen“ Jump-Cuts. Bei Übergängen von einer Einstellung zur nächsten wird inflationär von dem umherwirbelnden After-Effects-Sand Gebrauch gemacht, der mit einem leisen Zischen durch das Bild huscht und bereits in der ersten Folge auf die Nerven geht. Zumindest halten sich die Abschiedsszenen am Flughafen diesseits der Schmerzgrenze beziehungsweise Schmerzfront. Zwar kullern auch hier Tränen zu dezent melodramatischer Musik auf die Uniform, doch man verzichtet zum Glück auf die Verwendung supradiegetischen Lichts, Vignetten an den Rändern und eingespielter Whitney-Houston-Songs.

Ab der zweiten Folge befinden wir uns nun endlich am Ort des Geschehens: in Mali. Ab hier ist die Ästhetik der Webserie nicht mehr vollends von dem Können der Macher abhängig. Ganz abgesehen davon, dass das Fish-Eye nicht mehr durchgehend eingesetzt wird und man sich hier nun auch eines konventionellen Objektivs bedient, trägt die wahrlich beeindruckende Wüstenlandschaft samt ihrer Farben wesentlich zum Bildgenuss bei. Ein aufwendiges Color-Grading ist hier angesichts des natürlichen Rohmaterials gar nicht mehr vonnöten. Weiterhin tun hier das gezeigte, schwere Gerät und die schweren Einsatzfahrzeuge ihr Übriges, um der Serie den ästhetisch-epischen Schliff zu verleihen.

Die gesamte Szenerie gleicht einer Michael-Bay-Transformer-Kulisse. Und mit einer Abgedroschenheit á la Hollywood kommen auch die Sprüche daher. In der zweiten Folge werden die Soldaten bei ihrer Ankunft in Gao mit dem Hinweis „Es ist alles nicht so schlimm, wie man es hört. Es ist schlimmer!“ begrüßt. Ein Hinweis, dass es in den kommenden Folgen spannend und brutal werden könnte.

Aber wen möchte man hier ansprechen? Etwa die Gaffer, die vor zerbeulten Autokarosserien stehen bleiben, das Handy zücken, nicht etwa, um den Notruf zu wählen, sondern um ein Video des dargebotenen Grauens zu machen? Die Sadisten, die Genuss beim Leid anderer empfinden? Oder einfach die Kinder, die angesichts der Action-Ästhetik in Mali die Kurve zur Realität nicht kriegen?

Es wirkt wie eine digitale Gladiatoren-Arena, die das Räumliche überwindet und das Spielfeld auf ein ganzes Land erstreckt. Und wir dürfen von unseren Bildschirmen aus die Kämpfe mitverfolgen, mit Cola und Popcorn.

Nach diesen beiden Introduktionsfolgen ist der Aufbau einer Folge im Grunde stets derselbe. Zu Beginn bekommen wir einen circa 20 Sekunden dauernden Trailer , der die Höhepunkte der uns bevorstehenden Folge andeutet und sie uns schmackhaft macht. Darauf folgt der bereits oben skizzierte Sand-Einspieler und dann werden wir in das Geschehen geworfen.

Allerdings nur für maximal zehn Minuten, um die Aufmerksamkeitsspanne des Zuschauers nicht zu überfordern. Dies ist sehr trügerisch. Die tägliche Beobachtung dieses Einsatzes kann jederzeit pausiert oder beendet werden und ist nach spätestens zehn Minuten wieder vorbei. Der zeitliche Faktor kann gar nicht berücksichtigt werden!

Wir bekommen hier einen 24-Stunden-Tag auf zehn Minuten komprimiert zu Gesicht. Alles, was in der langen Zeit geschieht, in der die Kameras aus sind, können wir nicht sehen. Durch die notwendige Selektion wird uns lediglich ein Best-Off-Zusammenschnitt präsentiert, der die ewigen Wartezeiten, das Ausharren an den Geschützen bei 40 Grad und die gegebenenfalls schlaflosen Nächte weglässt. Ähnlich wie das Phänomen, dass die Actionhelden im Kino nie aufs Klo müssen. Die Wahrnehmung würde sich entscheidend verändern, wenn wir an diesem Einsatz nicht mehr durch einen Bildschirm getrennt teilnehmen würden, sondern ununterbrochen und in 360 Grad um uns herum von diesem Szenario eingehüllt wären, welches nicht nur zehn Minuten, sondern zehn Stunden, zehn Tage oder zehn Wochen laufen würde. Und zwar mit der Pflicht, immer wachsam zu bleiben.

Der Luxus des Abschaltens nach Gesinnung, der uns Zuschauern zusteht, ist den an die Realität gebundenen Soldaten vor Ort nicht gegeben. Wir spüren den Zustand der Gefahr, des Risikos nicht – für die Soldaten in Mali ist er Alltag. Die Verharmlosung wohnt der Serie bereits als solcher inne.

Musikalische Untermalung

Allerdings wird nicht nur verharmlost – es wird vor allem stilisiert. Nimmt man den Faktor der Lebensgefahr heraus, bleibt nur das Abenteuer. Und plötzlich sind unter Angstzuständen leidende Soldaten (5) mutige Helden.

Ein wesentlicher, wenn nicht sogar ein entscheidender Faktor dieser Aufmachung ist die Musik!

Die neue Webserie hat nämlich ihren ganz eigenen Soundtrack, der mich bereits ab Beginn der zweiten Staffel in seinen Bann zog. Staunend hörte ich mich durch die einzelnen, auf Spotify verfügbaren Instrumentals.

Der Soundtrack ist durch Hip-Hop-Einflüsse und starke Bässe dominiert. Die Beats sind angesichts der Trap-Welle, die von den Vereinigten Staaten auf Deutschland übergeschwappt ist, nicht ganz zeitgenössisch. Sie ähneln mehr den Beats des Gangster- und Battlerap in Deutschland zwischen 2012 und 2015. Natürlich möchte man die „Nicht-Hopper“ keinesfalls verschrecken, weswegen es mit Titeln wie „Roar“ auch stark E-Gitarren-lastige Stücke gibt, die (ebenso wie viele der Rap-Beats) mit Schamanen-Gesangs-Vocals unterlegt sind, um sich dem afrikanischen Ambiente anzupassen. Besonders auffällig ist das Stück „Fire at Sunset“, welches zu Beginn mit ruhigen, psychedelisch angehauchten Vocals und im Anschluss mit einer sehr hohen Taktrate operiert. Vor dem geistigen Auge könnte man sich nun sowohl eine Goa-Party als auch eine Schusswechsel-Szene vorstellen.

Es ist zweifelsfrei irritierend, dass man psychedelische Musikelemente, also doch eher harmonische, verträumte Klänge, für Kriegspropaganda verwendet. Noch auffälliger ist dies bereits in der ersten Folge, als bei einer Stelle tatsächlich ein Reggae-Stück (nicht im Soundtrack enthalten) eingespielt wird. Reggae und Militär? So lässt sich das orwellsche „Krieg ist Frieden“-Konzept auch umsetzen.

Und natürlich möchte man das Hollywood-Feeling nicht missen. „Stand on the Clouds“ bringt gegen Ende den Blockbuster-Vibe mit klassischen Actionfilm-OST-Elementen in die Webserie und man wartet nur darauf, dass gleich Jason Statham mit stoischer Miene oder Optimus Prime im Bild auftauchen.

Die Wirkung der Musik, respektive welche Wirkung sie auf den Hörer haben soll, ist schnell ersichtlich:

Fühl dich wie ein Mann!

Doch in der neuesten Folge (Stand 24. November 2017) ist die Musik plötzlich aus!

Sie trägt den Titel „Das größte Opfer“. Nein, hier geht es nicht um Mobbing bei der Bundeswehr (6), sondern um die zwei verstorbenen Helikopter-Piloten des Hubschrauber-Absturzes in Mali vergangenen Juli (7).

In dieser Folge ist es (zumindest am Anfang) ganz ruhig, kein Intro, keine Sandanimation, fast kein Fish-Eye. Soldaten und die Militärpsychologen werden gut ausgeleuchtet dargestellt, während sie mit betroffenen Mienen in die Kamera sprechen und erklären, welche Folgen dieses Ereignis für die Kameraden hatte.

Zwischendurch eingeblendet, sehen wir Hauptfeldwebel Daniel auf dem Beifahrersitz, der sich auf dem Weg zur Unglückstelle filmt und dem Zuschauer erklärt, was denn nun gemacht werde. Währenddessen kommt eine Funkmeldung rein, man solle an der Unglücksstelle nicht filmen. Daniel erläutert diesen Befehl in die Kamera und erklärt uns, das sei „selbstverständlich […] weil das geht niemanden etwas an“.

Interessant! Die Todesumstände zweier deutscher Soldaten gehen hier „niemanden etwas an“. Sobald es unschön wird, bleibt die Kamera also aus.

Meine Forderung, auch wenn man mir nun Voyeurismus, Pietätlosigkeit und wenig Rücksicht den Angehörigen gegenüber vorwerfen könnte, lautet:

Zeigt die Leichen!

Der Tod ist nicht das Kleingedruckte in einem Arbeitsvertrag bei der Bundeswehr. Er ist ein essenzieller Bestandteil des Tätigkeitsfeldes eines Soldaten im Auslandseinsatz.

Und auch wenn diese beiden Soldaten durch einen Unfall und nicht durch eine Kampfhandlung – wobei der Helikopter auch durch eine solche hätte abstürzen können! – ums Leben gekommen sind, sollte nicht geschwärzt werden, wie verkohlte Leichname aussehen! Oder sollte für Militärwerbung nicht das gleiche Prinzip der „Schock-Bilder“ gelten wie für Zigarettenschachteln? Das Prinzip der unzensierten Darstellung dessen, was passieren kann, wenn man sich auf sie einlässt? Immerhin geht es in beiden Belangen um Leben und Tod!

„Dieser Job könnte sie das Leben kosten!“

Wenn wir nur, wie in dieser Folge, davon erzählt und zum Ende hin zwei Särge mit einem Tuch in Deutschlandfarben, untermalt mit trauriger Musik, zu sehen bekommen, bleibt der Tod etwas Abstraktes in der Natur des Militärs.

Krieg ist, anders als uns das Mali-Cover suggeriert, kein (Konsolen-)Spiel, bei dem der Tod eines Players nur wenige Sekunden dauert, bevor er wieder an einer anderen Stelle der Map eingefügt wird. Er ist etwas Endgültiges!

Und diese Webserie muss, wenn sie sich der ehrlichen Wiedergabe eines Auslandseinsatzes verschreibt, auch abschreckende Bilder zeigen, deren abschreckende Wirkung in der Realität der Sache begründet liegt!

Und hier möchte ich meinen Bogen zurückspannen zu den Säureanschlägen in London und dazu, welche Wirkung diese Berichte auf mich (sogar ohne Bilder) hatten. Wenn wir ein klares Bild des Todes, des Risikos eines Außeneinsatzes im Kriegsgebiet vor Augen hätten, welches uns nachts den Schlaf rauben und unruhig im Bett hin und her wälzen lassen würde, dann würden wir uns möglicherweise zweimal überlegen, ob wir unseren Lebenssinn wirklich dem Militär stiften wollen.

Aber eine solche Ehrlichkeit würde mit dem Ziel der Bundeswehr kollidieren, den Anstieg der Bewerbungen von 21 Prozent durch „Die Rekruten“ noch weiter zu erhöhen und 2017 weitere 26.000 Soldaten einzustellen, wofür es erfahrungsgemäß eines Eingangs von 60.000 Bewerbungen bedarf (8).

Absch(l)ießende Worte

Es funktioniert! „Bundeswehr Exclusive – Mali“ funktioniert genauso wie es funktionieren soll, auch wenn die Klickzahlen denen der Rekruten nicht das Wasser reichen können – aber wir sind schließlich auch in der Wüste.

Auch wenn noch keine bilanzierenden Zahlen vorliegen, was die Bewerbungen und die Zugriffe auf die Bundeswehr-Karriere-Seiten anbelangt, muss man nicht über hellseherischen Fähigkeiten verfügen, um zu erkennen, dass die neue Webserie den geforderten Erfolg liefern wird.

Dramaturgisch, optisch und musikalisch ergänzen sich die Elemente und bilden in der Summe ein mediales Produkt, das dem jungen, naiven Zuschauer zahlreiche Anreize bietet, der Bundeswehr beizutreten.

Ob das Stadtkind, das im monotonen Grau der Metropole zu ertrinken droht, die Landjugend, die des Lebens zwischen Schule und Dorfdisko überdrüssig wird oder der Arbeitslose, dem das „Sozialsystem“ keine neue Arbeit bietet:

„Bundeswehr Exclusive“ verspricht allen perspektivlosen und chronisch gelangweilten jungen Leuten eine Ausflucht aus einem tristen, bedeutungsarmen Leben, hinein in eine Welt voller Abenteuer und Verantwortung! Sie schließt damit eine innere Identifikations- und Selbstwertlücke, die in vielen jungen Rezipienten heutzutage klafft.

Dadurch, dass sie, die Webserie, die wahrlich scheußliche Fratze des Kriegs visuell verharmlost, unterschlägt sie zugleich eine noch größere Lücke, die sich bei zurückkehrenden Soldaten in Form von posttraumatischen Belastungsstörungen öffnen könnte. Man zeigt uns lediglich die aufregende Rückenflosse des Haies für den Nervenkitzel, das zum Fressen aufgerissene Maul hält man aber schön unter der Wasseroberfläche. Ein Eindruck, der für die Entscheidung, ob man zum Bund geht oder nicht, unerlässlich ist.

Zum Schluss noch eine nette Anekdote zum Alltagsleben in der Bundeswehr: von Oberfeldwebel Dominik lernen wir nämlich, dass man sich „bei der Bundeswehr (auch mal) dreißig Stunden die Kackerei [sic!] verkneifen können (muss)“ (8). Im Anschluss bekommen wir tatsächlich zu sehen, wie sich derselbe schweißtriefend beim Verrichten seines ersten Geschäfts in Mali bei 40 Grad Hitze selbst filmt.

Der Kommandant hatte bei der Begrüßung der Soldaten also durchaus recht: „Es ist nicht so schlimm, wie man es hört. Es ist schlimmer!“


Quellen und Anmerkungen:

(A) Eine Übersicht über die anderen Artikel dieser Serie finden Sie hier.


(1) https://www.thesun.co.uk/news/4016850/acid-attacks-how-to-treat-victims-uk/
(2) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-10/bundeswehr-exclusive-mali-youtube-serie-die-rekruten
(3) https://youtu.be/JU45MPUWQys?t=3m5s
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/bundesverteidigungsministerium-bundeswehr-registriert-mehr-sexuelle-gewalt-in-der-truppe-1.3755600
(5) http://www.redaktionzukunft.de/krieg-im-kopf-0
(6) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-in-bad-reichenhall-gebirgsjaeger-berichtet-von-sexueller-belaestigung-a-1139670.html
(7) http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/zwei-bundeswehr-soldaten-bei-hubschrauber-absturz-in-mali-gestorben
(8) https://youtu.be/7N0HPjafFv4?t=9m14s


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