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Mission der Menschlichkeit

Mission der Menschlichkeit

Die bisher größte zivile Seemission versucht, einen humanitären Korridor nach Gaza zu schaffen, und setzt sich dabei sowohl militärischen Gefahren als auch politischer Kriminalisierung aus.

Die Global Sumud Flotilla ist die bisher größte maritime Mission zur Schaffung eines humanitären Korridors nach Gaza. Dort ist die Bevölkerung seit fast zwei Jahren massiven Angriffen und schweren Menschenrechtsverletzungen durch Israel ausgesetzt. Die Flotte ist ein koordiniertes Bündnis aus der Maghreb Sumud Flotilla, der Freedom Flotilla Coalition, dem Global Movement to Gaza und der Sumud Nusantara. Sie setzt sich aus einer zivilgesellschaftlichen Delegation von Ärzten, Aktivisten, Künstlern und Seefahrern aus 44 Ländern weltweit zusammen. Nun sind sie unter dem akuten gemeinsamen Ziel vereint, die seit 18 Jahren existierende Seeblockade vor Gaza zu beenden.

Ein rechtlicher Blick auf die Seeblockade

Israel rief die Seeblockade aus, um Sicherheitsbedrohungen durch den bewaffneten Konflikt mit der Hamas abzuwenden. Diese übernahm als gewählte Organisation im Jahr 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen. Eine Seeblockade ist gemäß dem San-Remo-Manual von 1994, Art. 102 (1) verboten, wenn der Schaden für die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig ist und sie durch die Blockade ungenügend mit Nahrung oder anderen essentiellen Gütern, die für ihr Überleben notwendig sind, versorgt werden.

In Gaza leiden aktuell 71.000 Kinder unter akutem, teils lebensbedrohlichen Mangelzustand (2), ungefähr 470.000 Menschen sind von katastrophalem Hunger betroffen und die gesamte Bevölkerung ist akuter Ernährungsunsicherheit ausgesetzt (3). Mindestens unter diesen Bedingungen ist die Seeblockade völkerrechtlich nicht zulässig.

Auch NGOs wie Human Rights Watch weisen darauf hin, dass die Gazaner einer kollektiven Bestrafung und Kriegsverbrechen ausgesetzt sind (4).

Seit 2008 gab es mehrere Versuche, die Blockade über den Seeweg zu brechen. Jeder dieser Versuche war zivilgesellschaftlich organisiert und mit humanitärer Zielsetzung. Von den 31 Schiffen, die 2008 im Rahmen des Free Gaza Movements segelten, erreichten fünf Gazas Küsten. Alle weiteren Aktionen von 2010, 2011, 2015 und 2018 wurden von israelischer Marine in internationalen Gewässern gestoppt, wobei es 2010 im Rahmen der Gaza Freedom Flotilla zu zehn Toten unter den Aktivisten kam (5).

Auch im Juni dieses Jahres wurde die Madleen, initiiert von der Freedom Flotilla Coalition, in internationalen Gewässern von Israel angegriffen. Deren Besatzung wurde inhaftiert und schließlich deportiert[5]. Amnesty International zufolge handelte es sich um eine rechtswidrige Handlung gegen unbewaffnete Personen, die sich auf einer humanitären Mission für Menschenrechte einsetzten (6).

Der relevante Rechtsrahmen ist das internationale Seerecht, wie im UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS, 1982) (7) formuliert ist. Dieses besagt, dass in internationalen Gewässern für alle Staaten die Freiheit der Schifffahrt gilt (Art. 87). Hier darf kein Staat ein fremdes Schiff stoppen. Außerdem unterliegen Schiffe ausschließlich der Gerichtsbarkeit des Staates, dessen Flagge sie führen, was bedeutet, dass nur der Flaggenstaat das Recht hat, einzugreifen (Art. 92). Die Madleen segelte unter der Flagge Großbritanniens.

Sowohl in internationalen Gewässern als auch innerhalb der Territorialgewässer (12 Seemeilen vor der Küste, Art. 3) gilt, dass Boote das Recht auf unschuldige Durchfahrt genießen und im Falle einer Notlage, in der Personen Hilfe benötigen, auch vor Anker gehen dürfen (Art. 17, 18).

Global Sumud Flotilla ist mit militärischen und bürokratischen Angriffen konfrontiert

Die Global Sumud Flotilla ist am 31. August von Barcelona aufgebrochen und nun in Tunesien mit weiteren Booten in See gestochen. Am 8. und 9. September unterlag die GSF in tunesischen Territorialgewässern zwei Drohnenangriffen.

Francesca Albanese, Rechtwissenschaftlerin und UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, wies auf Social Media darauf hin, dass es sich um einen Angriff auf die tunesische Souveränität handelt, , also eine gravierende Verletzung des internationalen Rechts und der territorialen Integrität Tunesiens. Sie fügt hinzu, dass dies nicht tolerabel sei und dass wir nicht länger Illegalität normalisieren dürfen.

Weiter plant der israelische Sicherheitsminister Ben-Gvir, die Aktivisten an Bord der Flotilla als Terroristen zu kennzeichnen (8). Die Konsequenzen für die Aktivisten sind leicht auszumalen.

Gefährliche zivilgesellschaftliche Missionen wie diese werden unternommen, weil Regierungen sich nicht geschlossen für fundamentale Menschenrechte des palästinensischen Volkes einsetzen und Israels Kriegsverbrechen und seine Verstöße gegen internationales Recht tolerieren. In einer gemeinsamen Erklärung forderten über 400 gewählte Vertreter weltweit von ihren Regierungen einen sofortigen humanitären Korridor nach Gaza, den Schutz der Global Sumud Flotilla unter Betonung ihrer Legalität, die Beendigung der Aushungerung als Mittel der Kriegsführung, den Schutz der Zivilisten in Konfliktzonen und damit die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, menschliches Leben zu schützen (9).

Bisher hat nur Spanien entscheidende Sanktionen gegen Israel unternommen, unter anderem ein Waffenembargo, einen Importstopp von Produkten aus illegalen Siedlungsgebieten, ein Einreiseverbot für bestimmte israelische Regierungsmitglieder und eine finanzielle Förderung der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees) (10).

Die Normalisierung, von der Albanese spricht, ist zutiefst beunruhigend.

Was ist geschehen, dass ein Genozid vor aller Augen stattfinden kann? Welche Mechanismen sind am Werk, die so etwas möglich machen?

Offensichtlich besteht ein legitimes, verständliches und existentielles Sicherheitsbedürfnis Israels, erwachsen aus einer langen Vergangenheit der Verfolgung des jüdischen Volkes und schließlich des Holocausts. In diesem Kontext scheint es ein tiefsitzender Glaube zu sein, dass man sich nur durch die Anwendung extremer, überproportionaler Gewalt vor dem Gegner, der übrigens nicht einfach nur militärische Gegner, sondern besetzte Bevölkerung ist, schützen kann, wie Historiker Rashid Khalidi äußert (11).

Er betont außerdem die berechtigte Frage, wie ein solches Vorgehen zu mehr Sicherheit führen soll. Für israelische Interessen, also das Recht der Bevölkerung auf ein sicheres Leben, sei das fragwürdig.

Auch die Täterschaft Deutschlands im Holocaust scheint zu dieser Normalisierung indirekt beizutragen. Eine bis ins Absurde verdrehte, unbeirrbare Unterstützung des israelischen Staates ist zu beobachten. Ein völlig richtiges „Nie Wieder“ wird in seiner inhärenten, essenziellen Bedeutung brüchig, wenn sich eine militärische Zerstörungsmacht gegen ein anderes Volk richtet — in diesem Fall das palästinensische. Brüchig wieso? Weil dieses Volk eine andere Hautfarbe hat? Deshalb weniger menschlich, weniger leidend, weniger liebend ist?

Narrative, Historie und Verantwortung

Auch der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023, bei dem über tausend Menschen ermordet und über 200 Geiseln verschleppt wurden, stellt ein Kriegsverbrechen dar. Dessen Schrecken soll hier weder relativiert noch soll Gewalt legitimiert werden. Verwunderlich ist allerdings das Narrativ, das um dieses Ereignis und um das, was davor und danach geschah, aufgebaut wird. Israel habe zum Beispiel ein ganz klares Recht auf Selbstverteidigung, die seit Jahrzehnten besetzte palästinensische Bevölkerung aber anscheinend nicht. In dieser Hinsicht scheint der 7. Oktober kontextfrei im luftleeren Raum zu stehen. Historisch nicht kontrovers ist die Tatsache, dass ihm mindestens 56 Jahre Besatzung, Kontrolle über Grenzen, Wasser, Wirtschaft und Bewegungsfreiheit vorausgehen. Dazu wurden Massaker in Flüchtlingslagern (Sabra und Shatila) (12,13) verübt, es kam zu Vertreibungen, Inhaftierungen und aktiven, unverhältnismäßigen Kriegsführungen gegen das palästinensische Volk.

Es gab zahlreiche diplomatische Versuche der PLO im internationalen Kontext, Palästina staatliche Souveränität zu verschaffen. Diese blieben fruchtlos, nicht zuletzt auch aufgrund des starken lobbyistischen Einflusses Israels und der Großmacht USA, die in diesen Auseinandersetzungen keine neutrale Rolle einnahm[13].

Als Israel nach den zunächst hoffnungsschürenden Osloer Abkommen in den 1990er Jahren die Bewegungsfreiheit der Palästinenser im Westjordanland und Gazastreifen stark einschränkte und sich immer mehr Aspekte einer Zwei-Klassen-Gesellschaft abzeichneten, wuchs die Unzufriedenheit der Palästinenser so stark, dass die Hamas erstarkte (13).

Eine Reihe von Selbstmordattentaten, insbesondere im Kontext der zweiten Intifada ab dem Jahr 2000, richtete sich gegen die israelische Bevölkerung. Auch dieses Vorgehen ist offensichtlich zu verurteilen und nach Khalidi ebenfalls nicht sinnstiftend für die Palästinensische Sache. Die Gewaltwelle, die von der Hamas ausging, wurde mit überproportionaler Gegengewalt beantwortet. Die größte Opferzahl lag stets auf palästinensischer Seite, teilweise bis zu einem Verhältnis von 43:1 (13).

Da es hier nicht um die Legitimation von Gewalt geht, steht der bescheidene Versuch im Vordergrund, ein historisches Verständnis dafür zu schaffen, warum Gewalt entsteht. Die Differenzierung von Legitimation und Verstehen ist dabei entscheidend. Sie erlaubt es, Schritte zu unternehmen, damit der Impuls zur Gewalt gar nicht erst entfacht wird. Nur so können existierende Verantwortungen auf beiden Seiten adäquat übernommen werden.

Ist es nicht so, dass Frieden nur dann entsteht, wenn beide Seiten ihre Verantwortung für ihre Rolle im Konflikt übernehmen?

Im Wissen um die Historie dieses Konflikts: Was muss Israel tun und überwinden und was müssen die Palästinenser tun und überwinden? Und was muss die internationale Gemeinschaft tun und überwinden?

Als Verfasserin dieses Artikels bin ich mir bewusst, dass ich als nicht direkt beteiligte Person nur ein kleines Perspektivenfenster öffnen und die tatsächlichen Lebensrealitäten der Menschen in dieser Konfliktzone nicht vollständig erfassen kann.

Fest steht, dass die akute Notlage der Palästinenser Handlung und Worte erfordert und dafür stehe ich als Weltenbürgerin ein. Sie stehen unter schrecklicher, untragbarer Kollektivstrafe, werden ausgehungert, vertrieben und bombardiert, während die Regierungen der Welt untätig zusehen.

Die Global Sumud Flotilla ist ein hoffnungstragendes Zeichen für die Menschlichkeit, die in dieser Welt noch existiert.

Dieser Text soll unter anderem das Bewusstsein für diese Mission schärfen. Hinter ihrem Schutz und Erfolg steht nicht zuletzt der Einsatz von uns Menschen, der Bevölkerung, der Öffentlichkeit, der Medien. Dabei darf nicht vergessen werden, was die Personen auf den Booten immer wieder betonen: „We are not heroes. We are not the story. The story is the people of Gaza“ (14). Es geht natürlich auch um sie und ihren Schutz. Doch die Nachricht ist klar: Alle Augen auf Gaza.


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Quellen und Anmerkungen:

Hinweis der Autorin: Zur besseren Lesefreundlichkeit wird in diesem Text das generische Maskulinum verwendet. Es sind dabei stets alle Geschlechter gleichermaßen gemeint.

[1] https://ihl-databases.icrc.org/en/ihl-treaties/san-remo-manual-1994/article-93-108?activeTab=

[2] https://www.unicef.org/mena/press-releases/risk-famine-children-across-gaza-new-report-says?
[3] https://www.wfp.org/news/risk-famine-across-all-gaza-new-report-says?
[4] https://www.hrw.org/news/2023/10/18/israel-unlawful-gaza-blockade-deadly-children?
[5] https://www.aljazeera.com/news/2025/8/31/the-global-sumud-flotilla-to-gaza-everything-you-need-to-know

[6] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2025/06/israels-interception-of-madleen-and-detention-of-crew-flouts-international-law/? (14.09.2025)

[7] https://cil.nus.edu.sg/wp-content/uploads/2019/02/1982-United-Nations-Convention-on-the-Law-of-the-Sea.pdf

[8] https://www.jpost.com/israel-news/article-865898

[9] https://globalsumudflotilla.org/media/press/Joint_Statement_updated.pdf

[10] https://www.aljazeera.com/news/2025/9/8/spain-imposes-total-arms-embargo-on-israel-to-stop-genocide-in

[11] Robinson’s Podcast. (2024, 13. Okober). Rshid Khalidi: October 7th Revisited. https://open.spotify.com/episode/2eoB3IKxYGYgYqtwT8uMqH

[12] https://imeu.org/resources/resources/explainer-the-sabra-shatila-massacre/113

[13] Khalidi, R. (2020). Der Hundertjährige Krieg um Palästina. Unionsverlag.

[14] https://www.aljazeera.com/news/2025/8/31/sumud-the-largest-flotilla-to-sail-for-gaza-prepares-to-set-out?

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