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Psychose gegen rechts

Psychose gegen rechts

Die Vorfälle in Sylt beschäftigen die gesamte Republik. Betrunkene Snobs lösen eine gefühlte Staatskrise aus.

Sylt ist der Sehnsuchtsort vieler Deutscher. Eine deutsche Insel mit Flair. Sogar Punker fahren dorthin — das taten sie, als das Deutschlandticket erstmalig für neun Euro zu haben war. Sie schickten sich per Post mehrere Kästen Bier nach Westerland und fuhren dann mit dem Zug hinterher. Die Sylter sollen nicht begeistert gewesen sein. Grundsätzlich schätzen die Insulaner anderes Publikum auf ihrem nordfriesischen Eiland. Touristen mit dem nötigen Kleingeld nämlich.

Wenn Sie nächsten Montag für eine Woche nach Sylt fahren und dort mit Halbpension unterkommen wollten, rechnen Sie bitte zwischen 1.300 und 2.400 Euro — und das für eine Person. Die Anreise ist hierbei nicht mitgerechnet. Für einen Großteil der Bevölkerung ist die Insel als Urlaubsziel kaum erschwinglich. Eher verbringt man mal eben einen Tag dort und schlendert ein wenig über die Dünen. Und Lokale meidet man besser, essen kann man auch auf dem Festland — und das wesentlich günstiger. Selbst nur etwas trinken gehen unterlässt man lieber; Bars wie die namens „Pony“ in der Gemeinde Kampen gehören dem finanzstarken Publikum. Von dort stammt auch jenes Video, das in den letzten Tagen viral ging und das gesamte Land in Aufruhr versetzte — oder besser gesagt: jenen Teil des Landes, der Meinung macht.

Die Deutschen waren immer verkappte Nazis?

12 Sekunden dauert der besagte Clip. Man sieht Partypeople, junge Leute, die hüpfen und grölen „Deutschland den Deutschen — Ausländer raus!“. Sie stimmen diesen Slogan zur Musik von Gigi D’Agostino und dessen Song „L’amour toujours“ an. Die jungen Leute lachen, einer hält sich die Hand unter die Nase, scheint einen Hitlerbart andeuten zu wollen, während er den anderen Arm zum Gruß von sich streckt, dabei aber winkt. Er hat keck einen Pullover um die Schulter geworfen — man hat bei denen, die da zu sehen sind, überhaupt das Gefühl, dass Papa den Trip nach Sylt bezahlt hat, wie sie da so hüpfen mit ihrem Glas Hugo in der Hand.

Schön anzusehen sind diese Bilder freilich nicht. Aber wann sind sie das schon, wenn betrunkene Leute Spaß an Dingen haben, die Nüchterne eher langweilig finden? Dennoch griffen die Medien diesen Clip auf. Er wäre sonst vermutlich in zwei, drei Tagen wieder in der Versenkung der Netzwerke verschwunden — Deutschland hätte keinen „weiteren rechten Vorfall“ gehabt. Aber da von ARD bis RTL und von Bildzeitung bis Frankfurter Rundschau alle davon berichteten, schaltete sich auch die Politik ein.

Selbst die Tagesschau berichtete am 24. Mai 2024 darüber. Sie lässt unter anderem einen Vertreter der Amadeu Antonio Stiftung zu Wort kommen, der sinngemäß sagte, dass es nicht verwunderlich sei, dass ausgerechnet im „Schampusmilieu von Sylt“ solche Exzesse zu beobachten sei. Denn der Rechtsextremismus war in Deutschland immer da — nun breche er sich wieder Bahn. Danach noch ein Statement von Daniel Günther, dem Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins: Er spulte die immer gleichen Sprüche ab. „Schlimme Verfehlung, volle Härte.“ Der Bundeskanzler kam nicht vor. Er ließ aber via X klarstellen, dass er das Video eklig und für nicht akzeptabel halte. Ob seine Aktentasche auch eine Meinung dazu hat?

Die gesamte Bundespolitik äußerte sich zu diesem Clip. Natürlich verurteilten alle, die sich zu einem Statement veranlasst sahen, die Bilder aus dem hohen Norden. Plötzlich war wieder der Kampf gegen rechts aktiv. Diesmal weil wohlstandsverwahrloste Gören und Bengel, offensichtlich betrunken, solcherlei Parolen schwangen.

Ist das wirklich eine Staatskrise? Benötigt so ein Exzess das Auffahren des gesamten Apparates von Staatsschutz bis Amadeu Antonio Stiftung?

Wie kommt Letztere eigentlich dazu, so zu tun, als habe in den Deutschen der Nazi von jeher überdauert und sich nur versteckt gehalten? Und so ein extremistischer Unfug wird zur besten Sendezeit gebracht …

Tränen, Holocaust, Kriegsschuld

Die gesamte Staatsführung meldete sich zu Wort — nicht zuletzt die Innenministerin. Nancy Faeser machte mal wieder klar, dass die jungen Leute die Werte des Grundgesetzes mit Füßen treten. Der Wirtschaftsminister folgte ihr zwei Tage später mit einer ähnlichen Einschätzung. Und wieder mal dieser beliebte Irrtum der Stunde: Denn das Grundgesetz verpflichtet die Bürger nicht zu Werten — es gilt dem Staat und verpflichtet diesen, die Grundrechte seiner Bürger anzuerkennen. Das Grundgesetz ist insofern eine Abwehrcharta für den Souverän — die Bürger — vor einem Staat, der seine Grenzen nicht kennt. Demgemäß eignet es sich nicht als Tugendvorgabe, wie die Innenministerin immer wieder kundtut.

Das Grundgesetz soll uns nicht vor besoffenen jungen Partypeople schützen, sondern vor Protagonisten der Staatsführung, die nicht wissen — oder nicht wissen wollen —, bis wohin sie gehen dürfen.

Wie etwa eine Ministerin, die Demokratieförderung umsetzen will und gewisse Organisationen einseitig subventioniert, während andere kriminalisiert werden — dafür ist das Grundgesetz beispielsweise da. Dass man Faesers Unsinn medial unreflektiert wiederholt, überrascht natürlich nicht. Die ganze Debatte, die sich um den Kampf gegen rechts rankt, besteht nur aus Begriffs- und Satzversatzstücken, die nicht stimmig sind. So las man etwa von rechtsextremen Parolen auf Sylt. Man kann die grölenden Twens ja als vieles bezeichnen: betrunken etwa, dumm wäre auch ein Attribut. Oder vielleicht dekadent. Aber rechtsextrem? Und sind sie Prosecco-Nazis, wie die Jüdische Allgemeine schrieb — oder Merino-Pulli-Nazis, wie man im Spiegel las? Wenn man Nazis und junge Schnösel gleichsetzt, klittert man dann nicht deutsche Geschichte?

Die ganze Hysterie ist umso lächerlicher, wenn man bedenkt, dass der Vorfall nur schwerlich juristische Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Die Parolen fallen unter den Straftatbestand der Volksverhetzung. Aber dabei ist juristisch immer der Kontext zu bewerten. Zudem könnten die Beschuldigten auf fehlende Zurechnungsfähigkeit setzen — Grund: erhöhter Alkoholkonsum. So zumindest die nüchterne Einschätzung. Da aber auch „Alles für Deutschland“ schon juristisch geahndet wurde, sollte man in Erwägung ziehen, dass die Rechtsprechung im heutigen Deutschland mehr auf Haltung als auf Gesetz setzt. Insofern könnte auch der Satz „Ich liebe Eiernockerln“ — Hitlers Lieblingsspeise — bereits die Sirenen der Justiz schrillen lassen.

Die Manie, in die dieser Vorfall die gesamte Republik versetzte, lässt sich vielleicht am besten an der Reaktion der jungen RTL-Moderatorin Lola Weippert ablesen. In einem anderthalbminütigen Video sitzt sie am Boden — vermutlich ihrer Wohnung — und weint. Sie finde das, was auf Sylt geschah, unerträglich schlimm. Nach all der Schuld, die wir Deutschen doch hätten, nach zwei begonnenen Weltkriegen und „sechs Millionen vergasten Juden“, so ihr O-Ton, ginge sowas wie in Sylt gar nicht.

Wie kommt man denn bitte dazu, den Holocaust zu instrumentalisieren, um junge selbstvergessene Partygecken zu stigmatisieren?

Dazu ein unausgereiftes Geschichtsverständnis, das — man denke an die Fischer-Kontroverse — die Kriegsschuld 1914 alleine Deutschland zurechnet: Und schon hat man im Klima des Augenblicks Aufmerksamkeit erzeugt. Besonders, wenn man als junge Frau, wie Weippert es in ihrem Clip tut, mit hautengem Bustier Tränchen herausdrückt.

Kampf gegen rechts: deutsche Psychose

Was genau ist denn nun vorgefallen? Ein Terroranschlag vielleicht? Ist der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wiederauferstanden? Bringt eine verdeckte Einheit Menschen im Lande um und nun hat man es entdeckt? Droht ein Völkermord? Nichts dergleichen! Da haben welche beim Feiern über die Stränge geschlagen. Wie so viele Menschen in Bierlaune vor und vermutlich auch nach ihnen. Es sind zugegeben dekadente junge Leute, die sicher aus begütertem Hause kommen und jenen Ausländern, die sie in Feierlaune aus dem Land haben wollen, zu großem Dank verpflichtet sind: denn die putzen die Häuser ihrer Eltern und bringen ihnen Abend für Abend das Essen an die Haustür. Aber reicht das, um das Land derart in Aufruhr zu versetzen?

Der Kampf gegen rechts ist nicht einfach nur eine politische Strategie des Establishments, um sich gegen Andersdenkende, Kritiker und neue lästige Parteien zur Wehr zu setzen. Er ist auch nicht einzig eine Form der Ablenkung vor den eigentlichen zentralen Fragen, die sich gesellschaftlich auftun und unser Zusammenleben viel mehr gefährden als Söhne und Töchter irgendwelcher Hochwohlgeborenen, die betrunken Parolen skandieren.

Der Kampf gegen rechts hat sich in Deutschland als eine Psychose manifestiert. Man geht ihn nicht nüchtern an, sondern presst ihn in die totale Emotionalisierung — die Rädelsführer dieses vermeintlichen Kampfes fischen bei den emotional Schachen und Geschwächten ab und sorgen dafür, dass die Debatte in völlige Wahnvorstellung und Konzentrationsstörung überführt wird — auf keinen Fall aber sachlich und mit kühlem Kopf.

Es ist ja richtig, an die deutsche Geschichte zu erinnern. Sie zu unterrichten und ja, sie auch nicht zu vergessen. Was sich aber im Laufe der letzten Jahre in Deutschland ausgeformt hat, das hat mit Erinnerung nichts zu tun. Es ist die schiere Getriebenheit und Besessenheit von Geistern, die sich die Deutschen selbst in einer Drastik auferlegen, die nicht gesund sein kann. Aus dieser Debatte gehen die Teilnehmer nicht mental gesund hervor; sie drehen völlig durch, wenn sie sich darauf einlassen. Der Kampf gegen rechts fabriziert Neurotiker und Wahnhafte, die dann Reaktionen an den Tag legen, die eben nicht demokratisch sind, sondern zu dem werden, was sie im Grunde bekämpfen wollen.

Sie glänzen dann gemeinhin durch extremistische Einwürfe und totale Radikalisierung. Und sie überdrehen regelmäßig. Wie eben jetzt im Moment, da viele in Sylt ein neues Drittes Reich heraufdämmern sehen. Die Jungen und Mädchen, die sich einen Aufenthalt in Sylt leisten können, während viele hart arbeitende Menschen seit Jahren keinen Urlaub und auch keine Kurztrips mehr kennen, sind wirklich ein gesellschaftliches Problem. Aber doch nicht, weil sie besoffen Parolen skandieren, sondern weil sie in der herrschenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als Leistungsträger gesehen werden, die sie in Wirklichkeit nicht sind. „Deutschland den Fleißigen“, das wäre eine Parole von Format. Womöglich darf man aber auch das nicht sagen.


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