Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Staatszersetzende Pseudo-Freiheit

Staatszersetzende Pseudo-Freiheit

Ein Springer-Artikel behauptet, es hätte während der Pandemie eine Unterdrückung des wissenschaftlichen Diskurses gegeben — wer kommt denn auf so was? Eine Satire.

an SpringerLink

Betreff: Verschwörerische Falschinformationen auf Wissenschaftsportal publiziert! (1)

Sehr geehrte Managing Director:innen,

heute muss ich mich direkt an Sie wenden, den unten verlinkten (1), sogenannten „Artikel“ betreffend, um meiner Fassungslosigkeit, meiner Empörung, ja meinem Entsetzen Luft zu machen.

Seit fast drei Jahren stehen wir alle, Medien, die Wissenschaft und alle vernünftigen, solidarischen Mitbürger:innen gemeinsam zusammen gegen diese schreckliche Pandemie. Wir wehren Verschwörungstheorie-Ideologen und rechtsextreme Nazifaschisten ab, wir informieren uns in den seriösen Medien und lesen wissenschaftliche Studien unter anderem hier auf Ihrem Portal. Und ja, wir alle haben Kompromisse machen müssen und fast täglich Abstriche, die nicht selten schmerzhaft und blutig waren. Wir mussten uns in einer absoluten Notsituation an neue Standards gewöhnen. Jedoch haben diese Standards unseren breiten wissenschaftlichen Konsens weitergebracht, ja, ihn überhaupt erst ermöglicht! „Follow the Science“ ist keine leere Phrase mehr. Die Wissenschaft ist sich heute — zum Glück! — in allen Punkten einig, auch mit der Politik!

Doch nun das! Eine Publikation auf Ihrem Portal, die völlig faktenfrei ideologisch verzerrte Unwahrheiten über den Umgang mit vermeintlich wissenschaftlichen Gegenstandpunkten in der Pandemie unter dem Deckmäntelchen seriöser Forschung verbreitet. Ungeheuerliche Behauptungen werden schamlos als Tatsachen präsentiert. Eine Fälschung? Ein schlechter Scherz? Mitnichten!

Der Hauptautor dieses schwindeligen windigen Pamphletes, Yaffa Shir-Raz vom Department of Communication der University of Haifa, bohrt schon seit Jahren dünne, pseudowissenschaftliche Bretter. Im Mai 2022 irrlichterte er über die „Unterdrückung des wissenschaftlichen Diskurses über Impfstoffe? Selbstwahrnehmung von Forschern und Praktikern“ (2). Er spekulierte 2017 über die Immunisierung schwangerer Frauen (3) sowie über „Die Aktivitäten hinter den Kulissen des elterlichen Diskurses über Impfungen im Kindesalter“ (4). Ahnen Sie es? Ja, dieser Mann ist ein gefährlicher Impfleugner und Pandemiegegner.

Wer finanziert so etwas eigentlich? Kein anständiges Pharmaunternehmen würde doch nur einen Cent für solch hanebüchenen und geschäftsschädigenden Unsinn aus dem Fenster werfen.

Sein neuestes Elaborat ist der Gipfel der pseudowissenschaftlichen Scharlatanerie. Shir-Raz et.al. behaupten ohne jede Ironie, in der Pandemie habe es Zensur und die Unterdrückung von Gegenstandpunkten gegeben!

Welche Gegenstandpunkte sollen das eigentlich sein?!

An 13 (dreizehn!) teilnehmenden Forschenden will man dies bewiesen haben via Interview! Ein Teilnehmender gibt vor, seine Arbeiten seien ohne Angabe von Gründen nicht mehr publiziert worden. Aber vielleicht waren sie einfach zu schlecht oder sogar lebensgefährlich?

Nun ja, SpringerLink, Sie hätten mit diesem unsäglichen Wisch exakt so verfahren können: ihn geräuschlos verschwinden lassen, Ablage „P“. Und wenn das nicht hilft, gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Die Anleitung, wie man mit impfgegnerischem Unsinn umgeht, steht doch direkt in besagtem Paper! Aber wahrscheinlich haben Sie das abstruse Geschreibsel dieses geltungssüchtigen Wirrkopfes gar nicht gelesen. So ist Ihnen weder der verschwörungsmythologische Inhalt aufgefallen, noch die Möglichkeiten und Methoden, sich dessen professionell zu entledigen.

Und obwohl sich der Antisemitismus-Vorwurf in diesem Falle nicht erheben lässt, wären etliche andere Maßnahmen möglich gewesen: Sie hätten, genau wie es im Paper beschrieben ist, die Expertise der Autoren anzweifeln können — nein, müssen! — ihren Ruf in Frage stellen, die übliche Kritik auf Social Media organisieren und prüfen, ob die Beteiligten mit Rechtsextremisten in Verbindung zu setzen sind. Sie hätten Talkshows lanzieren (sic!) können, wo der Autor mit seinen abwegigen Ansichten allein einer Expertenmehrheit nebst informiertem Publikum gegenübersteht. Einschlägige Faktenchecker einzuschalten haben Sie versäumt! Allein die rustikal vorgetragene Meinung eines bekannten Sportlers oder Schauspielers genügt oft, um pseudowissenschaftliche Verschwörungserzählungen publikumswirksam zu entkräften. All das können Sie ausführlich im Paper nachlesen. Es ist doch so einfach, so unfassbar einfach …

Aber noch ist es nicht zu spät! Begrenzen Sie den Schaden für die Gesellschaft, indem Sie den Artikel zurückziehen. Details dazu finden Sie im verlinkten PDF (5) auf Seite 13 „Retraction of Scientific Papers“. Sollte es bereits unliebsame Reaktionen in den Medien gegeben haben, organisieren Sie Gegendarstellungen. Verweisen Sie auf die Millionen geretteter Menschenleben und darauf, dass die Freiheit von Forschung und Lehre kein Selbstzweck ist und nicht bedeuten darf, dass jeder noch so abwegige Unsinn publiziert werden kann, im Gegenteil!

Sehr geehrte Managing Director:innen von SpringerLink!

Ich appelliere an Ihre Vernunft. Lassen Sie uns — die Wissenschaft — zusammenstehen mit Politik, Medien und Wirtschaft. Wir dürfen keine zersetzerische, antidemokratische Pseudo-Freiheit in unseren Reihen dulden, wenn wir die jetzigen und kommenden Krisen erfolgreich durchführen wollen.

Es mag schon sein, dass dafür auch drastischere Mittel ergriffen werden müssen. Aber bedenken Sie bitte, es geht um das große Ziel.

Und nur weil etwas existiert, bedeutet das schließlich nicht, dass diese Evidenz wissenschaftlich bewiesen und publiziert werden muss (6).


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://link.springer.com/article/10.1007/s11024-022-09479-4
(2) https://link.springer.com/article/10.1007/s10730-022-09479-7
(3) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28063725/
(4) https://www.researchgate.net/publication/310235892_The_behind-the-scenes_activity_of_parental_decision-making_discourse_regarding_childhood_vaccination
(5) https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11024-022-09479-4.pdf
(6) https://twitter.com/ChristinaBerndt/status/1534223502043234306


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Weiterlesen

Habgier erzeugt Widerstand
Thematisch verwandter Artikel

Habgier erzeugt Widerstand

Der Wohlstand, um den es seit Jahrhunderten geht, kommt in der breiten Bevölkerung — also bei denen, die ihn erarbeiten — nicht an. Exklusivabdruck aus „Unmöglicher Wandel?“.

Die Macht hinter den Banken
Aktueller Artikel

Die Macht hinter den Banken

Im Manova-Exklusivgespräch mit Walter van Rossum erläutern der Volkswirt Christian Kreiß, der Autor Tom-Oliver Regenauer und der Journalist Werner Rügemer, dass einzelne Geldinstitute für die Finanzindustrie nur noch Spielbälle darstellen.

Das geistige Tauwetter
Aus dem Archiv

Das geistige Tauwetter

Diktaturen basieren auf dem falschen Ideal des Maschinenmenschen — wollen wir dieses überwinden, müssen wir uns wieder als lebendigen Teil des Ganzen begreifen.