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Streifzug durch die Geopolitik

Streifzug durch die Geopolitik

Kriege wie in Syrien oder der Ukraine stehen ebenso in Zusammenhang mit geopolitischen Interessen wie die aktuellen Tumulte in der Weltwirtschaft. Teil 2/3.

Geopolitik nach dem Weltkrieg

Der spätere US-Präsident Harry Truman hatte 1941 unmittelbar nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion ganz offen gesagt:

„Wenn wir sehen, dass Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn wir sehen, dass Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diesem Wege lassen wir sie so viele wie möglich töten.“

Senator Truman war 1941 Vorsitzender des US-Ausschusses zur Überwachung der Kriegsproduktion und damit damals schon ein sehr wichtiger Mann. Seine Aussage war prophetisch, denn genau so war es dann auch.

Obwohl die Sowjetunion ab Juli 1942 ein schnelles westliches Eingreifen forderte, wurde die Invasion seitens der USA bis Juni 1944 verzögert. Bis 1944 banden die Westalliierten maximal 6 Prozent der Wehrmacht, während sich die Sowjets mit bis zu 70 Prozent herumschlagen mussten (1). Die USA hatten gerade einmal 418.000 Tote zu beklagen, Großbritannien 450.000, jeweils fast ausschließlich Soldaten. Das sind im Vergleich zur Sowjetunion, aber auch zu Deutschland mit 7,7 Millionen Toten ziemlich geringe Zahlen (2).

In der Sowjetunion waren 25 Prozent der Wirtschaft zerstört, in Deutschland 13 Prozent, in Großbritannien 3 Prozent, in den USA gab es keinerlei ökonomischen Zerstörungen, sondern eine boomende Kriegswirtschaft (3). Dementsprechend war die militärtechnische Überlegenheit der USA immer mehr angewachsen. 1943, am Höhepunkt des Krieges, produzierten Deutschland und Japan Waffen im Wert von 13,8 beziehungsweise 4,5 Milliarden Dollar, die Sowjetunion im Wert von 13,9, Großbritannien von 11,1, die USA aber im Wert von 37,5 Milliarden (4).

Der Russlandhasser Hitler hatte Deutschland erneut in einen Zweifrontenkrieg geführt. Seine Hoffnungen auf einen Ausgleich mit den „germanischen“ Briten erwiesen sich als Illusion. Die Seemächte profitierten von der totalen Niederlage Deutschlands und Japans. Beide Staaten wurden besetzt und waren von nun an zu keiner eigenständigen Großmachtpolitik mehr in der Lage, sondern wurden Objekte der Geopolitik der USA. Aber auch Großbritannien und Frankreich stiegen durch den Krieg zu zweitrangigen Mächten ab, die noch während des Krieges in Südasien, im Nahen Osten und in Afrika um US-Unterstützung ansuchen und damit den USA Einfluss überlassen mussten.

Zum neuen großen Feind war seitens der US-Strategen nur die Sowjetunion auserkoren, die zwar wirtschaftlich und numerische sehr geschwächt war, die aber mit ihren Truppen in der östlichen Hälfte Europas stand, deren Parteigänger in China um die Macht kämpften und die politisch weltweit an Einfluss gewonnen hatte.

Eine erste Maßnahme der USA zur Einschüchterung der Sowjetunion waren die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945, drei Monate nach dem Kriegsende in Europa. Diese militärische Demonstration mit 230.000 Toten sollte die Sowjetunion weltweit in die Schranken weisen. US-Außenminister James Byrnes sagte bereits im Juni 1945: „Die Bombe wird Russland in Europa nachgiebiger machen“ (5).

Das sollte auch zutreffen. Josef Stalin lieferte die griechische Partisanenbewegung, die bis Dezember 1944 das Land im Alleingang von den faschistischen Besatzern befreit hatte, den britischen Interventionstruppen aus, die sich mit NS-Kollaborateuren zusammentaten, was zu einem blutigen Massaker an der griechischen Arbeiterbewegung führte (6). Die starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich wurden 1945 von Moskau zur Zurückhaltung und politischen Unterordnung unter die Ziele der „demokratischen Bourgeoisien“ gedrängt.

Dass es der US-Führung bitterernst war, zeigen auch Planungen vom November 1945, die einen „präventiven begrenzten Atomschlag“ gegen 20 sowjetische Städte, darunter Moskau und Leningrad, mit Uran- und Plutoniumbomben vorsahen (7). Die Grundlage für die US-Geopolitik nach 1945 lieferte bereits 1942 Nicholas Spykman mit seinem Hauptwerk „America‘s Strategy in World Politics“. Spykman, der großen Einfluss auf den US-Generalstab und US-Politiker hatte, griff Mackinders Heartland-Konzept auf und modifizierte es.

Die Situation hatte sich ja auch etwas geändert. Deutschland war aus dem Rennen, andererseits kontrollierte die Sowjetunion das Herzland, also neben dem europäischen Russland auch die Region Ukraine-Weißrussland-Baltikum-Polen. Ausgehend von Spykmans Überlegungen ging es für die USA und ihre Vasallen nun darum, die „Rimlands“, was man als Peripherie oder Randgebiete übersetzen kann, zu beherrschen. Konkret geht es um die Gebiete, die das russische Kernland umschließen — von Ostasien über Zentralasien, den Iran, den Nahen Osten, den Balkan und Mittel- und Osteuropa. Spykman gilt in der Folge als geistiger Vater von Trumans Containment-Politik.

Deren Ausarbeitung fand zu guten Teilen in „Foreign Affairs“ statt, der Zeitschrift des mächtigsten Thinktanks der USA, nämlich dem Council on Foreign Relations, an dem die größten US-Kapitalgruppen mitwirken, etwa JP Morgan, Bank of America, Goldman Sachs, McKinsey, Exxon oder Chevron. Der zentrale Autor der Texte, die die „Strategie der Eindämmung“ begründeten, war ein anonymer Mr. X, der sich später als George Kennan entpuppte, der US-Botschafter in Moskau.

Das Containment, also die Eindämmung des sowjetischen Einflusses, sowie die Einkreisung der Sowjetunion klappten unterschiedlich gut. Japan war besetzt und bis heute sind dort 54.000 US-Soldaten stationiert, ein riesiger Flugzeugträger vor den Küsten Russlands und Chinas. Das chinesische Festland aber ging 1949, nach einem jahrelangen Bürgerkrieg, an die Kommunisten verloren; lediglich Taiwan konnte unter US-Einfluss gehalten werden. Indien, Pakistan und Afghanistan waren immer wieder umstritten, den Iran hatte man lange unter Kontrolle, lediglich 1953 mussten britische und US-Geheimdienste Mohammed Mossadegh wegputschen, nachdem dieser gewagt hatte, westliche Ölfirmen zu verstaatlichen.

Die Türkei hatte man verlässlich unter US-Einfluss, in Griechenland 1949 den Bürgerkrieg endgültig gewonnen und Jugoslawien wurde zwar kommunistisch, konnte aber von der Sowjetunion getrennt werden. In der Ukraine versorgte die CIA nach 1945 noch jahrelang die NS-Kollaborateure von Stepan Bandera mit Geld, Waffen und Sprengstoff, von denen dort in den Nachkriegsjahren etwa 35.000 sowjetische Polizisten, Beamte und Gewerkschafter ermordet wurden. Und auch in den westlichen Besatzungszonen setzte man auf zahlreiche ehemalige Nazi-Funktionäre im Staatsapparat und in der Regierung von Konrad Adenauer, richtete die Politik straff antikommunistisch und proamerikanisch aus. Mit dem Marshallplan, der Gründung der BRD sowie der NATO wurde das einbetoniert.

Kalter Krieg

US-Außenminister George Marshall war ein begeisterter Fan von Spykmans geopolitischen Konzepten. Sein Marshallplan zum ökonomischen Wiederaufbau Westeuropas, der im April 1948 in Kraft trat, war eine gigantische Exportförderung für US-Firmen, die sich so in Europa festsetzen konnten. Um die völlige politische Kontrolle zu haben, saßen US-Beamte in den Wirtschaftsministerien sämtlicher Teilnehmerstaaten, die jede einzelne Investition beaufsichtigten.

Teilnehmen konnte nur die Länder, die sich ökonomisch und politisch dem US-Einfluss öffneten. Damit waren die unter sowjetischem Einfluss stehenden Länder Ostmitteleuropas ausgeschlossen. Gegen sie wurde vielmehr ein umfangreiches Embargoregime, das COCOM, errichtet, das zehntausende technologisch hochwertige Produkte beinhaltete. Jedes Empfängerland der Marshallplan-Hilfen musste sich an dieses Regime halten.

Für die Festigung der US-Kontrolle über Westeuropa waren zwei weitere Schritte wesentlich. Vorbereitet durch Verhandlungen seit Juli 1948 wurde im April 1949 die NATO gegründet. Gründungsmitglieder waren die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien sowie sieben kleinere Staaten, darunter das von einer Militärdiktatur regierte Portugal. Dominiert war der Nordatlantikpakt von Anfang an von den USA. Dass es sich — entgegen der Selbstdarstellung — nie um ein Verteidigungsbündnis gehandelt hat, zeigt schon die Tatsache, dass der Antrag der Sowjetunion auf Mitgliedschaft in der NATO ohne ernsthafte Debatte abgeschmettert wurde. Die NATO war von Beginn an ein geopolitisches militärisches Instrument der USA im Rahmen ihrer Containment-Politik.

Dazu gehörte auch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Bereits 1947 hatten die USA und Großbritannien ihre Besatzungszonen vereinigt, 1948 wurde die D-Mark eingeführt und im Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Auf die Gründung der BRD reagierte die Sowjetunion im Oktober 1949 mit der der DDR.

1952 machte die sowjetische Führung noch mal den Vorschlag, Deutschland als neutralen Staat wiederzuvereinigen. Man war bereit, die Kontrolle über die DDR-Gebiete aufzugeben, um in Mitteleuropa einen großen Pufferstaat zur NATO zu haben. Das kostete die US-Regierung wohl nicht mal ein müdes Lächeln. Man beherrschte den deutlich größeren Teil Deutschlands und das sollte so bleiben. 1955 wurde die BRD in die NATO aufgenommen und US-Soldaten blieben in Westdeutschland stationiert; bis heute sind es 35.000.

Als Antwort auf die Bedrohung durch die NATO gründete die Sowjetunion mit ihren Verbündeten 1955 den Warschauer Pakt. Noch wichtiger für die geopolitische Lage aber war die Entwicklung der sowjetischen Atombombe, mit der man noch 1946 begonnen hatte. Bereits 1949 wurde die erste erfolgreich gezündet. Damit konnten die USA ihren weltpolitischen Hauptkonkurrenten nicht mehr nach Belieben bedrohen und einschüchtern. Von nun an mussten die USA nach einem atomaren Erstschlag mit einem Gegenschlag rechnen. Das Gleichgewicht des Schreckens war geboren.

Auf dieser Grundlage konnte die Sowjetunion nun geopolitisch offensiver agieren und ähnlich wie die USA versuchen, Länder in verschiedenen Teil der Welt unter ihren Einfluss zu bringen. Auf den kommunistischen militärischen Sieg in China 1949 folgte der Koreakrieg von 1950 bis 1953, in dem Nordkorea und die Volksrepublik China gegen Südkorea, die USA und weitere westliche Länder antraten, in dem die USA in großen Stil Napalm einsetzten und in dem etwa vier Millionen Menschen ums Leben kamen. Das Ergebnis war die Teilung der koreanischen Halbinsel zwischen den Machtblöcken.

Mit der kubanischen Revolution 1959 rückte der sowjetische Einfluss erstmals nahe an die USA heran und die US-Geheimdienste unterstützten zahlreiche Mordanschläge auf Fidel Castro sowie eine konterrevolutionäre Militärintervention, die im Keim erstickt wurde. Als die USA in der Türkei auf die Sowjetunion gerichtete Atomraketen stationierten, antwortete die sowjetische Führung mit Atomraketen auf Kuba, was 1962 zur berühmten Kubakrise führte, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges brachte.

Insgesamt waren die 1960er- und 1970er-Jahre die Jahrzehnte, in denen die globale Supermacht USA in die Defensive geriet. In Folge der Entkolonialisierung setzten sich in zahlreichen Ländern Regime durch, die eine Mischung aus Antiimperialismus, Nationalismus und Sozialismus propagierten und sich dem US-Einfluss partiell entzogen. Washington unterstützte daraufhin zahlreiche Diktaturen und Militärputsche in Lateinamerika, Afrika und Asien. In Indonesien wurden 1965 bis 1966 etwa eine Million Kommunisten sowie chinesischstämmige Bürger von einer Koalition aus CIA und Islamisten wortwörtlich massakriert, um einer Machtergreifung vorzubeugen, in Chile 1973 die gewählte sozialistische Regierung von Salvador Allende weggeputscht.

In zahlreichen anderen Ländern konnten sich aber — oft durchaus auch autoritäre — Regime etablieren, die die USA nicht unter Kontrolle hatten, neben Kuba auch in Angola, Mozambique, Tansania, in Ägypten, Algerien und Libyen, in Syrien, dem Irak und im Jemen. Sie alle konnten davon profitieren, dass die Existenz der Sowjetunion, die in diesen Jahrzehnte auch ökonomisch aufgeholt hatte, einen gewissen Spielraum zum Lavieren bot.

Am spektakulärsten war die US-Niederlage aber in Vietnam, wo die westliche Führungsmacht von 1964 bis 1975 nach dem gefakten Zwischenfall im Golf von Tonkin massiv militärisch intervenierte, gigantische Flächenbombardements durchführte und wo vier Millionen vietnamesischen Zivilisten, 1,3 Millionen vietnamesische Soldaten und 58.000 US-Soldaten ums Leben kamen. Der schmachvolle Rückzug war ein Trauma für den siegesgewohnten US-Imperialismus. In der Folge begannen die führenden Zirkel in den USA, sich neue Konzepte zu überlegen.

Schließlich ging man auf verschiedenen Ebenen in die Offensive. Bereits 1972 fand der legendäre Besuch von US-Präsident Richard Nixon in China statt, bei dem die USA versuchten, Rivalitäten innerhalb des „kommunistischen Lagers“ auszunutzen und China gegen die Sowjetunion auszuspielen. Vor allem aber waren es zwei andere Faktoren, mit denen das US-Imperium „die Russen“ erfolgreich in die Knie zwangen: der Aufbau islamistischer Strömungen einerseits und eine gigantische Aufrüstungspolitik andererseits.

In Afghanistan war 1973 der König gestürzt worden. Das Nachfolgeregime wurde 1978 durch die Saurrevolution beseitigt, die ein säkulares, prosowjetisches Regime hervorbrachte, zu dessen Unterstützung die Sowjetunion schließlich 1979 Truppen ins Land schickten. Sie war damit in die Falle der USA gegangen, die bereits seit 1973, in Zusammenarbeit mit Pakistan und Saudi-Arabien, immer systematischer islamisch-reaktionäre Kräfte unterstützt hatten, um der Sowjetunion „ein Vietnam zu bereiten“. In Pakistan wurden 85 Trainingslager für afghanische Islamisten errichtet. Bezahlt wurden ihre Waffen von Saudi-Arabien und den USA, die sich ihre Intervention jährlich 470 Millionen US-Dollar kosten ließen.

Wesentlich war dabei die tragbare US-Boden-Luft-Rakete Stinger, mit der die sowjetische Lufthoheit über Afghanistan gebrochen wurde. Bis 1989 verloren mehr als 15.000 sowjetische Soldaten am Hindukusch ihr Leben (8). Diese Niederlage war schließlich ein wichtiger Bestandteil für den Zusammenbruch der Sowjetunion.

Wie für die US-Politik in Afghanistan spielte auch für die Aufrüstungsstrategie der USA der aus polnischem Adel stammende und dem Thinktank „Trilaterale Kommission“ vorstehende Zbigniew Brzeziński eine entscheidende Rolle. Bereits 1979 hatte der US-Senat den SALT-II-Vertrag zur Rüstungsbegrenzung nicht ratifiziert. 1980 bekundete Präsident Jimmy Carter auf Betreiben von Brzeziński die Bereitschaft, einen begrenzten Atomkrieg gegen die Sowjetunion zu führen. Nun war von einem Enthauptungsschlag gegen Moskau die Rede.

Mit Präsident Ronald Reagan wurde dann — unter Anleitung des Strategen Henry Kissingers — ab 1981 explizit auf eine Politik des „Totrüstens“ gesetzt: Immer mehr US-Flugzeugträger, atomare US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und Italien sowie schließlich das „Krieg der Sterne“-SDI-Programm sorgten dafür, dass die Rüstungsbudgets auf fast das Dreifache explodierten. Der Versuch, einigermaßen mitzuhalten, führte die sowjetische Wirtschaft in den Kollaps.

Gleichzeitig hatte Moskau den Konsumsektor vernachlässigt, was zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führte. Verschärft wurde das durch die Saudis, die auf US-Drängen den Ölmarkt fluteten, was die Ölpreise zum Nachteil Moskaus senkte. Am Ende standen die Kapitulation von Michael Gorbatschow vor der militärisch-ökonomischen Offensive der USA sowie die Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion.

Full Spectrum Dominance

Nach 45 Jahren Konfrontation hatte das US-Imperium die verhasste Sowjetunion besiegt. 1992 postulierte der einflussreiche US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama den endgültigen Sieg von Kapitalismus und liberaler Demokratie und damit das „Ende der Geschichte“. Das bedeute nicht, dass dann „keine großen Ereignisse mehr stattfinden, aber dass es keinen weiteren Fortschritt in der Entwicklung grundlegender Prinzipien und Institutionen mehr geben würde, da alle wirklich großen Fragen endgültig geklärt wären“ (9).

Russland hatte den Einfluss auf die verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken in unterschiedlichem Ausmaß verloren. In Tschetschenien kämpften islamistischen Gruppen, mit Rückendeckung der Türkei, von Saudi-Arabien und den USA, gegen die russische Zentralmacht. Die russische Führung unter dem alkoholkranken Boris Jelzin (1991 bis 1999) kapitulierte nicht nur vor der NATO, sondern lieferte die russische Wirtschaft dem Zugriff der westlichen Banken und Konzerne bereitwillig aus. Die neoliberale „Schocktherapie“ wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und Beamten des US-Finanzministeriums angeleitet und von Jelzins Minister Jegor Gaidar exekutiert. In der Folge kam es zu einem Kollaps der russischen Wirtschaft, zu einer rasanten korrupt-kriminellen Privatisierung der Wirtschaft, von der internationale Bankster profitierten und mit der einige superreiche russische Milliardäre entstanden.

Es kam zu Massenentlassungen, einen Kaufkraftverlust von mehr als 85 Prozent, einer Enteignung der Ersparnisse und einer dramatischen Verarmung der russischen Bevölkerung. Die Lebenserwartung ging deutlich zurück, die Zahl der Selbstmorde explodierte. Und schließlich erfasste die sogenannte Asienkrise ab 1997 auch Russland, nachdem US-Großspekulant George Soros mit einer Empfehlung zur Rubelabwertung und mit Spekulationen gegen die russische Währung einen Absturz des Rubels ausgelöst hatte. Diese Phase der Unterordnung Russlands unter das US-Imperium war die einzige, in der im westlichen Mainstream ein positives Bild Russlands gezeichnet wurde. Merke: Nur ein unterworfenes Russland ist ein gutes Russland.

Von den Führern des US-Imperiums wurde nun eine „Neue Weltordnung“ proklamiert. US-Präsident George Bush Senior sagte 1991 während des Krieges gegen den Irak vor beiden Häusern des Kongresses:

„Es geht um mehr als nur um ein kleines Land; es ist eine große Idee: eine neue Weltordnung, wo unterschiedliche Nationen zusammenrücken im gemeinsamen Ziel, die universalen Hoffnungen der Menschheit zu erreichen — Frieden und Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.“

Hinter diesen schönen Phrasen stand und steht der US-Anspruch auf alleinige Weltmacht, das Ziel einer unipolaren Welt, in der von US-Konzernen, der NATO und ihren globalistischen Ideologen letztlich alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden — über die Köpfe der Völker hinweg. Dieser Linie folgten später auch die US-Präsidenten Bill Clinton, George Bush Junior, Barack Obama und schließlich Joe Biden.

Weiter theoretisiert wurde diese Linie 1997 vom erwähnten Brzeziński in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“, in dem er seine geostrategische Vision der amerikanischen Vorrangstellung im 21. Jahrhundert präsentiert. Von zentraler Bedeutung ist seiner Meinung nach die Machtausübung auf dem eurasischen Kontinent, Heimat des größten Teils der Weltbevölkerung, der bedeutendsten Bodenschätze und Wirtschaftstätigkeiten. Eurasien sei das „große Schachbrett“, auf dem die amerikanische Vorherrschaft in den kommenden Jahren bestätigt und herausgefordert werden wird.

Laut Brzeziński stehen die USA vor der Aufgabe, die Konflikte und Beziehungen in Europa, Asien und dem Nahen Osten so zu managen, dass keine rivalisierende Supermacht entstehen kann, die die Interessen und die Hegemonie der USA bedrohen (10).

Dieses „Management“ kam auf verschiedene Weise und in verschiedenen Regionen zum Ausdruck. Nebenbei versuchte die USA-Regierung ab 1992, das durch den Zusammenbruch der Sowjetunion nun völlig isolierte Kuba mit einem verschärften Embargo endgültig ökonomisch zu strangulieren. Vor allem aber gingen die USA daran, in den „Rimlands“ die Verhältnisse nach ihren Vorstellungen zu gestalten.

Als erstes Land geriet der Irak ins Visier. Das dortige Baath-Regime unter Saddam Hussein hatten die USA jahrelang gegen den Iran finanziert und aufgerüstet. Es hatte aber auch lange zwischen der Sowjetunion und dem Westen laviert, verfügte über große Ölvorkommen, die ärgerlicherweise in staatlicher Hand waren, und sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt.

Hussein wurde 1990 von der US-Botschaft signalisiert, dass eine Invasion in Kuwait keine Folge haben werde. Die irakische Armee marschierte ein — und der Irak wurde 1991 von einer Koalition unter US-Führung und mit Rückendeckung der UNO massiv angegriffen. Verschossen wurden dabei unter anderem 320 Tonnen Geschosse mit abgereichertem Uran, die in der Folge für stark gestiegene Zahlen von missgebildeten Neugeborenen und stark erhöhte Krebsraten verantwortlich waren.

Die auf den Krieg folgenden Sanktionen gegen den Irak kosteten mindestens 1,5 Millionen Irakern das Leben. Als Clintons Außenministerin, die Brzeziński-Schülerin Madeleine Albright, 1996 in einem Fernsehinterview darauf angesprochen wurde, dass darunter eine halbe Million Kinder sei, antwortete diese: „Ich denke, es ist eine schwierige Entscheidung, aber es ist den Preis wert.“

Ohne den Gegenpol der Sowjetunion waren auch zahlreiche andere Länder in den 1990er-Jahren immer mehr dem wirtschaftlichen, militärischen und politischen Druck der USA und ihrer „internationalen Wertegemeinschaft“ ausgeliefert. Das galt für afrikanische Länder wie Angola, Mozambique oder Tansania, die sich zuvor eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt hatten, das galt aber auch für Vietnam, das sich zunehmend dem Weltmarkt öffnen musste.

Der Zerfall des ehemals sozialistischen Jugoslawiens hatte interne ökonomische und politische Ursachen, wurde aber auch von Deutschland, Österreich und den USA betrieben. Diverse Kleinstaaten, die noch dazu Rivalitäten untereinander haben, können leichter unterworfen und gegeneinander ausgespielt werden. Am Ende stand der Kosovokrieg 1999, in dem die USA erneut mit Uran versetzte Munition gegen Serbien einsetzten, in dem Albright wiederholt als Scharfmacherin agierte und in dem erstmals seit 1945 die deutsche Bundeswehr, befeuert vom grünen Außenminister Joschka Fischer, ein anderes Land angriff.

In weiterer Folge wurde der serbische Präsident Slobodan Milošević im Jahr 2000 unter westlicher Beteiligung weggeputscht. Federführend war dabei die „Bewegung“ Otpor, die von den US-Stiftungen National Endowment for Democracy (dahinter steht das US-Außenministerium), Freedom House (CIA), Open Society (George Soros) sowie den Parteistiftungen der Demokraten und Republikanern finanziert und von US-Geheimdiensten angeleitet wurde.

Nachdem sich dieses Modell so gut bewährt hatte, setzten es die US-Stellen sowie der rabiat antikommunistische und antirussische Oligarch Soros auch in anderen Ländern um — in den sogenannten Farbrevolutionen, nämlich der „Rosenrevolution“ 2003 in Georgien, der „Orangenen Revolution“ 2004 in der Ukraine und der „Tulpenrevolution“ 2005 in Kirgistan. Insbesondere in der Ukraine intensivierten die USA und Polen dann auch die Unterstützung und militärische Ausbildung von ultranationalistischen, russlandfeindlichen Strömungen aus der Tradition der NS-Kollaboration.

Entscheidend für die Einkreisung Russlands und seine weitere Schwäche war freilich die NATO-Osterweiterung. Obwohl die USA 1990 bei den Zwei-plus-vier-Gesprächen Gorbatschow zugesagt hatte, dass das westliche Militärbündnis nicht über Deutschland hinaus vorrücken würde, hielt man sich nicht daran. Auf dem NATO-Gipfel in Madrid 1997 wurden Polen, Tschechien und Ungarn Beitrittsverhandlungen angeboten. 1999 wurden diese drei Länder in die NATO aufgenommen, 2004 folgten Slowenien, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei sowie die drei baltischen Länder. Mit Litauen, Lettland und Estland stand die NATO nun direkt an der russischen Grenze und unmittelbar vor St. Petersburg.

In dieser Phase wurde auch der Globalismus immer weiter vorangetrieben. Er ist Ausdruck der weltweiten Aktivität und partiellen Verschmelzung von wesentlichen Kapitalgruppen, die damit den Zugriff auf sämtliche Staaten durchsetzen, die globale Deregulierung von Kapital-, Waren- und Arbeitsmärkten. Politisch konzipiert wurde der Globalismus in Einrichtungen wie dem Weltwirtschaftsforum (WEF) oder Stiftungen wie denen von Soros, Rockefeller oder Bill Gates.

Im Globalismus sind aber weiterhin die USA die unumstrittene Führungsmacht, die über Kapitalverflechtungen und transatlantische Netzwerke die europäische Politik bestimmen. Die NATO wiederum ist der bewaffnete Arm dieses Imperiums, der gegen jede Herausforderung der unipolaren globalistischen Weltordnung in Stellung gebracht wird.

Im dritten Teil wird es um das Comeback Russlands im neuen Jahrtausend, um den Aufstieg Chinas und die Perspektive einer multipolaren Weltordnung gehen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Bernd Greiner / Kurt Steinhaus: Auf dem Weg zum 3. Weltkrieg, Köln 1980, Seite 15.
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1055110/umfrage/zahl-der-toten-nach-staaten-im-zweiten-weltkrieg/
(3) Angus Maddison: Economic Policy and Performance in Europe 1913-1970, London 1973, zitiert nach: Hannes Hofbauer: Feindbild Russland, Wien 2016, Seite 61.
(4) Ernest Mandel: Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt/Main 1991, Seite 51 folgende.(5) Zitiert nach: Bernhard Rode: Das Eurasische Schachbrett, Tübingen 2012, Seite 291
(6) Siehe dazu im Detail: Erik Eberhard: Revolution und Konterrevolution in Griechenland, Wien 2005.
(7) Hannes Hofbauer: Feindbild Russland, Wien 2016, Seite 65.
(8) Siehe dazu auch: Peter Schweizer: Reagan‘s War. The Epic Story Of His Forty-Year Struggle and Final Triumph Over Communism, New York 2002.
(9) Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte, München 1992, Seite 13.
(10) Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht, Rottenburg 2015.


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