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Tod durch Gleichgültigkeit

Tod durch Gleichgültigkeit

Wer in Gaza nicht Opfer der Bombenangriffe wird, droht zu verhungern — die Weltgemeinschaft tut, als ob sie das alles nichts anginge.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich das Leben im Gazastreifen radikal beziehungsweise dramatisch verändert — und das in einer Region, die ohnehin schon Jahrzehnte des Konflikts, der Instabilität und der Einschränkungen hinter sich hat. Was seither geschieht, lässt sich nur schwer in Worte fassen: Menschen sterben unter Trümmern, Familien verlieren alles, was sie hatten, und während die Welt zögert, rutscht Gaza Tag für Tag tiefer in eine humanitäre Katastrophe.

Mehr als 52.862 Menschen sind laut den lokalen Behörden bislang ums Leben gekommen, über 119.648 wurden verletzt. Allein diese Zahlen sind erschütternd — doch sie zeigen nur einen Teil des Grauens. Viele Tote sind unter eingestürzten Häusern begraben, auf offener Straße, in Ruinen, zu denen keine Hilfe mehr durchkommen konnte. In den letzten Wochen, seit dem 18. März 2025, sind weitere 2.749 Menschen getötet und 7.607 verletzt worden. Und all diese Zahlen stehen für Menschen, die Familie hatten, Freunde, Träume.

Gaza ist heute kaum mehr wiederzuerkennen. Die Infrastruktur ist zerstört, Straßen sind unpassierbar, Krankenhäuser kaum noch funktionsfähig. Doch eine weitere, oft stillere Katastrophe hat sich in den Schatten dieses Krieges geschlichen: der Hunger. Und dieser ist genauso tödlich.

Der Hunger kommt nicht plötzlich — er wird gemacht

Seit Anfang März 2025 ist der Zugang für humanitäre Hilfe praktisch tot. Am 2. März war Schluss — keine Lastwagen mehr, keine Lebensmittel, kein Benzin. Seitdem hat sich das Leben in Gaza noch einmal dramatisch verschlechtert. Es geht nicht mehr nur um Bomben und Trümmer. Jetzt hungern die Menschen. Und das nicht langsam — sondern in einem Tempo, das die UN als „katastrophal“ bezeichnen.

Laut neuen Schätzungen könnten bis zu 470.000 Menschen zwischen Mai und September unter der schlimmsten Hungerstufe leiden: Stufe 5. Das ist nicht mehr „Mangelernährung“. Das ist Hunger, der tötet. Tag für Tag. Das entspricht einer 250-prozentigen Steigerung gegenüber früheren Einschätzungen.

Und wieder sind es die Schwächsten, die es am härtesten trifft. Die Kinder zuerst. Über 71.000 von ihnen gelten als akut mangelernährt. Wer Bilder gesehen hat, weiß, was das bedeutet: mager bis auf die Knochen, krank, schwach, ohne Zukunft. Viele sind zu müde zum Weinen. Auch 17.000 Mütter brauchen dringend medizinische Hilfe — doch auch sie bekommen nichts.

Und das Schlimmste daran? Es ist nicht so, dass es keine Lebensmittel gäbe. Sie stehen an den Grenzen. Tonnenweise. Aber die Lastwagen dürfen nicht rein. Israel hat die Übergänge dichtgemacht, und mit der Wiederaufnahme der Angriffe im März ist alles zum Erliegen gekommen.

Seit über 50 Tagen kommt kein Lkw mehr durch. Kein Mehl. Kein Diesel. Kein Schmerzmittel.

Dabei sind die Hilfsorganisationen bereit. Das Welternährungsprogramm der UN hat nach eigenen Angaben genug Vorräte, um über eine Million Menschen vier Monate lang zu versorgen — doch die Lastwagen stehen still. „Wir könnten so vielen helfen — aber wir dürfen nicht“, sagt Cindy McCain, die Exekutivdirektorin des Programms. Ihre Worte sind ein verzweifelter Appell an die Weltgemeinschaft.

Auch der Generaldirektor der FAO, Qu Dongyu, macht unmissverständlich klar: Jeder weitere Tag des Stillstands bringt uns der nächsten Tragödie näher. Es gehe hier nicht mehr nur um politische Entscheidungen — es gehe um das nackte Überleben.

Auch UNICEF warnt: Der Hunger kommt nicht plötzlich. Er entwickelt sich dort, wo kein Zugang zu Nahrung besteht, wo Gesundheitssysteme zerstört sind und Kinder ohne Mindestversorgung zurückgelassen werden. Fast alle Kinder in Gaza erleben derzeit extreme Unterernährung, und die Situation in den Gebieten Nords, Gaza-Stadt und Rafah ist besonders besorgniserregend — auch wegen des fehlenden Zugangs zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen.

Widerstandskraft trotz Blockade

Und dennoch — trotz allem — gibt es Menschen und Initiativen, die versuchen zu helfen. Besonders aktiv zeigen sich derzeit die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihrer Hilfsmission „Gallant Knight 3“. Im April konnten Mehl, Lehmöfen und andere Grundbedarfsartikel an Hunderte Familien in Notunterkünften verteilt werden. Ein Schiff mit 5.820 Tonnen Lebensmitteln und Medikamenten wurde in den Gazastreifen geschickt — ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ein bedeutendes Zeichen.

Die Emirate unterstützen auch lokale Hilfsprojekte, die etwa 50.000 Menschen täglich mit Mahlzeiten versorgen. Es sind oft improvisierte Küchen, die unter einfachsten Bedingungen warmes Brot oder Eintöpfe zubereiten — nicht viel, aber für viele der einzige Weg, den Tag zu überstehen.

Europäische Solidarität — Worte und Taten

Auch von europäischer Seite gab es Hilfe. Deutschland hat 2024 noch einmal 50 Millionen Euro für humanitäre Projekte in Gaza locker gemacht, die EU steuerte insgesamt 237 Millionen bei. Ein Großteil davon soll in Nahrung, Medikamente und Versorgung für besonders gefährdete Gruppen fließen: Flüchtlinge, alte Menschen, alleinerziehende Mütter.

Das Problem? Das Geld nützt nur dann etwas, wenn es auch die Menschen erreicht. Und genau daran scheitert es. Die Grenzen sind zu. Hilfsorganisationen stehen vor unüberwindbaren Hürden: kaum Transportmöglichkeiten, kein Sprit, immer wieder Sicherheitswarnungen. Viele Lkws stehen tagelang still. Manche fahren gar nicht erst los.

Inzwischen hat auch Berlin erkannt, dass Geld allein nicht reicht. Die Bundesregierung drängt öffentlich auf einen sicheren humanitären Korridor — einen Weg, der es erlaubt, wenigstens die dringendsten Hilfsgüter ungehindert nach Gaza zu bringen. Aber bis jetzt? Bleiben es Appelle.

Wir wussten es — und haben nichts getan

Was in Gaza passiert, ist keine Überraschung. Keine Naturkatastrophe. Es ist eine Krise mit Ansage. Ein Desaster, das von Menschen gemacht ist — durch politische Entscheidungen, durch Bomben, durch das bewusste Blockieren von Hilfe.

Deshalb kann sich niemand rausreden. Die Verantwortung liegt nicht irgendwo im System — sie liegt bei Regierungen, bei Militärs, bei internationalen Institutionen, die wegsehen oder nicht genug tun. Und jeder Tag, der vergeht, macht es schwerer, diesen Schaden je wiedergutzumachen.

Die Menschen in Gaza brauchen nicht nur Nahrung und Medikamente. Sie brauchen das Gefühl, dass sie der Welt nicht egal sind.

Dass jemand hinschaut. Und dass jemand endlich handelt — nicht irgendwann, sondern jetzt.


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