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Tränen lachen

Tränen lachen

Wir brauchen Galgenhumor, um Elend und Hoffnung unter einen Hut zu bringen.

Humor ist eine große Hilfe bei der Erklärung des Universums, hat der geniale Astrophysiker Stephen Hawking (1942 bis 2018) gesagt. Bei der Erklärung des Corona-Universums war Humor gar unerlässlich, wenn man nicht im Irrenhaus landen wollte. Allerdings handelte es sich hier um Galgenhumor, da lachte es sich nicht ganz so befreit.

Den besagten Galgenhumor brachten bei Weitem nicht alle Mitmenschen auf. Im Gegenteil: Die Absurdität des Alltags war fast unbemerkt und unwidersprochen zur Normalität geworden.

Bezirksamt Hamburg-Eimsbüttel. Ich kam an einer Glastür vorbei, auf der eine sauber ausgedruckte Mahnung prangte: DER SOZIALRAUM DARF LEDIGLICH VON EINER PERSON BETRETEN WERDEN. Als ich ins Schweigen der wartenden Maskenträger hinein bemerkte, dass dies nicht schlimm sei, da die Person ja mit sich selbst reden könne, vorausgesetzt sie hielt anderthalb Meter Abstand, zerrte eine Frau eilig ihr Kind in den Paternoster. Aus den Tiefen des Schachts klang ein schrilles Wort empor, das sich fast anhörte wie „Coronaleugner!!!“.

Da fällt mir dieses beeindruckende Statement des US-amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau (1817 bis 1862) ein:

„Wir wollen uns die Ärmel aufkrempeln und unseren Weg bahnen durch den Dreck und Schlamm von Meinung, Vorurteil, Tradition, Blendung und Schein, die den Erdball überschwemmen, durch Paris und New York, durch Kirche und Staat, durch Dichtung, Philosophie und Religion, bis wir auf festen Grund und solide Felsen stoßen. Diesen Ort können wir Wirklichkeit nennen und sagen: *Das ist, einen Irrtum gibt es nicht. Und dann beginne ein Realometer einzurammen, damit künftige Zeiten erfahren, wie hoch die Wellen von Trug und Schein zeitweilig schlugen.“*

Heute leben wir in Thoreaus „künftigen Zeiten“. Der Realometer ist eingerammt und die Wellen von Trug und Schein schlagen höher denn je. In meinem Buch „GO! Die Ökodiktatur“ von 1993 ist von einem ummauerten Stadtlager die Rede, in das Gesetzesbrecher verbannt werden. Im Stadtlager gibt es keine Verwaltung, keine Polizei, es gibt dort überhaupt keinen „Staat“. In jeder Wohneinheit steht ein Fernseher, der nicht abzuschalten ist und über den in Dauerschleife dieselbe mit Katastrophenmeldungen vollgepackte Nachrichtensendung läuft. Eine Metapher, ein Sinnbild für die sublime Folter, der wir permanent ausgesetzt sind.

Der Journalismus ist ins Scheitern verliebt, nicht in sein eigenes natürlich, sondern in jenes Scheitern, das genügend Elend abwirft, um lustvoll aufgegriffen und durchgekaut zu werden, damit man es dem Publikum vor die Füße würgen kann.

Ich entrümpele gerade meine Bibliothek. Dabei ist mir ein Tagebuch aus dem Jahre 1985 in die Hände gefallen. Interessant. Unter anderem fand ich folgenden Eintrag:

„Ich traue ihnen nicht, den geistigen Kleingärtnern, die uns über den Gartenzaun hinweg ansprechen, die charmant plaudernd, lustvoll verführend und virtuos argumentierend ihr gescheitertes Leben als Offenbarung verhökern. Sie wollen einem den Tand ihres Wissens andrehen, wo man doch unbeschwert weitergehen möchte. Am liebsten hetzten sie die Hunde auf einen, wenn es nur nicht dem guten Ruf schaden würde.“

Wie schwierig es ist, Elend und Hoffnung unter einen sprachlichen Hut zu bringen, zeigt sich in diesemText des russischen Schriftstellers Alexander Kuprin (1870 bis 1938):

„Mir wird übel von diesen Lügnern, Feiglingen und Fresssäcken! Diese Elenden! Der Mensch ist für große Freude geboren, für ständiges Schöpfertum, in dem er sich als Gott beweist, für freie, durch nichts eingeengte Liebe zu allem: zu Baum und Strauch, zum Himmel, zum Menschen, zum Hund, zur lieben, wundermilden, herrlichen Erde, ja, besonders zur Erde mit ihrer gesegneten Mütterlichkeit, mit ihren Morgen und Nächten, mit ihren tagtäglichen Wundern. Und der Mensch hat sich so erniedrigt. Sich selbst so verdorben durch Lügen und Bettelei. Ach, es ist so traurig!“

Kuprin war einer von uns. Brüder und Schwestern im Geiste hat es immer gegeben. Es wird sie auch immer geben. Sie sind der Schutz gegen den Wahnsinn, sie legen dir den Harnisch an. Ich persönlich kann nicht klagen, im Gegenteil. Im Laufe meiner Jahre durfte ich so wache, so schöne, so mutige und unverfälschte Menschen kennenlernen, die mich immer wieder daran erinnert haben, wie wir Menschen eigentlich gemeint sind.

PS: Eine Erinnerung an die Coronazeit hätte ich noch. Ich saß mit einer Freundin maskiert in der U-Bahn. Sie blickte sich unter den Fahrgästen um. Ich vermute mal, dass sie gelächelt hat, als sie sich zu mir beugte und flüsterte: „Ein Gutes hat diese Maskenpflicht ja: Man muss sich ihre hässlichen Gesichter nicht mehr antun ...“ Sie hat mit Sicherheit gelächelt, ich kenn doch ihre Augen.


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