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Das Tahiti-Projekt

Das Tahiti-Projekt

Die Zerstörung der Welt oder Leben im Ökoparadies? Begleiten Sie den Hamburger Spitzenjournalisten Cording auf seiner Reportagereise. Teil 27.

Steve hatte sich in seine Arbeit vergraben wie ein Maulwurf. Vierzehn bis achtzehn Stunden täglich verbrachte er an dem Computer, den Omai für ihn aus der Verwaltung abgezweigt hatte. Es handelte sich um den Table Mac, den Apple erst vor wenigen Monaten auf den Markt gebracht hatte. Seine Funktionen waren in einer schreibtischgroßen Glasplatte integriert, die man durch Berührung oder Ansprache aktivierte. Die Spracherkennung war inzwischen so ausgereift, dass Steve mit dem Mac reden konnte wie mit einem guten Bekannten. Der gläserne Freund war so sensibel programmiert, dass er sich die ihm erteilten Befehle sogar aus einer laufenden Unterhaltung fischen konnte, an der Steve beteiligt war. Dann warf der Mac die Ergebnisse seiner Recherchen umgehend auf den Screen, der fast die gesamte Stirnwand einnahm.

Cording erschien gerne zum morgendlichen Briefing bei dem Jungen, er liebte es, sich verblüffen zu lassen von der Interaktion menschlicher und künstlicher Intelligenz. Und heute hatte auch er endlich ein Erfolgserlebnis zu vermelden: Seine Reportage war Titelgeschichte der aktuellen EMERGENCY-Ausgabe. Und nicht nur das: Mike hatte sie sogar mit den Rasmussen-Papieren verknüpft, die er ihm über das gute alte Faxgerät hatte zukommen lassen. Cording war zuversichtlich, dass die Veröffentlichung in der etablierten Medienlandschaft eine Art Dominoeffekt auslösen würde. Außerdem befand sich ein Bericht über den Meuchelmord an Rasmussens Familie im Blatt, das auf satten vierzig Seiten über das gefährdete Tahiti-Projekt berichtete. In der folgenden Ausgabe wollten sie in London nachlegen, dann sollte der Widerstand im Internet vorgestellt werden, den Steve von hier aus organisierte. Damit stellte sich EMERGENCY an die Spitze der Widerstandsbewegung.

Cording war stolz auf Mike, dies war die mutigste Entscheidung, die er jemals getroffen hatte. Er mochte sich gar nicht vorstellen, welche Kämpfe sein alter Kumpel mit der Chefetage hatte austragen müssen, um sie von dem Beitrag zu überzeugen. Was mochte Mike geritten haben? Witterte er hier die Chance, einen neuen Trend zu setzen, oder hatte sich sein Gewissen endlich mal wieder zu Wort gemeldet?

„Welche Company war denn so verwegen, in diesem Umfeld zu inserieren?“, fragte Steve, als er das EMERGENCY-Heft zur Hand nahm.

„Gazprom, BASF und Toyota zum Beispiel“, antwortete Cording. „Doppelseiten ohne Ende. Gazprom hat sogar eine zwölfseitige Beilage einheften lassen.“

„GAZPROM!“, rief Steve.

Innerhalb weniger Sekunden baute sich die Homepage des russischen Energiemultis auf.

„MAKATEA!“

Cording blickte auf den Screen und las die Erklärung des Moskauer Vorstands, mit der dieser das Vorgehen von Global Oil aufs Schärfste kritisierte. Interessant ... Die beiden Giganten begannen sich aneinander zu reiben und im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand Tahiti!

„Ich habe übrigens ebenfalls Erfreuliches zu berichten!“, bemerkte Steve. „Schau mal.“ Und er befahl dem Computer, eine Seite zum Thema „TAHITI-PROJEKT FRANKREICH!“, aufzurufen.

Der Nouvelle Observateur, der seltsamerweise keinen eigenen Reporter auf die Insel geschickt hatte, versuchte Boden gut zu machen. Das unabhängige Blatt — so etwas gab es noch! — plädierte energisch dafür, dass sich Paris für eine Fortsetzung der EU-Zahlungen an Polynesien einsetzte.

„TAHITI-DEMOS!“, rief Steve.

Cording mochte kaum glauben, was sich ihm auf dem Bildschirm offenbarte. Überall in Frankreich gingen Studenten auf die Straße, um gegen die Machenschaften von Global Oil zu demonstrieren. Anschläge auf das Tankstellennetz des amerikanischen Öl-Multis waren an der Tagesordnung. Die französische Polizei schien sich der Gewalt nur zögerlich entgegenzustellen, was prompt zu diplomatischen Verwicklungen mit Washington geführt hatte, die Paris relativ gelassen zur Kenntnis nehmen konnte, da der Energiebedarf der Europäischen Union mittlerweile zu achtzig Prozent aus russischen Beständen gedeckt wurde. Aber nicht nur die Studenten protestierten. Gewerkschafter und Kirchenvertreter begannen sich ihnen ebenso anzuschließen wie die Bauernverbände. Im Grunde rührte sich dasselbe breit gestreute Protestpotential, das der Regierung vor neun Jahren keinen anderen Ausweg gelassen hatte, als Französisch Polynesien in die Unabhängigkeit zu entlassen.

Seit dem Unfall im elsässischen Kernkraftwerk Fessenheim, dessen Umgebung in einem Umkreis von dreißig Kilometer immer noch Sperrgebiet war, waren Franzosen und Deutsche, was die Energiegewinnung betraf, so sensibilisiert, wie kein anderes Volk in Europa. Das Tahiti-Projekt verfehlte seine Wirkung in diesen Ländern nicht.

Hinzu kam, dass die große Mehrheit der Franzosen es als nationale Schande empfand, wie ihre Regierung sich Polynesiens Unabhängigkeit hatte abkaufen lassen. Die Franzosen schienen an ihrer Erblast erheblich zu leiden. Niemals, so die überwiegende Meinung, hätte man die Reparationszahlungen an die Opfer der Atomversuche einstellen dürfen.

176 H-Bomben waren von 1966 bis 1996 auf Mururoa und im Fangataufa-Atoll gezündet worden. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA konstatierte lapidar, dass die im Südseeparadies entfachten Höllenfeuer den Inselbewohnern 31 Krankheiten beschert hatten, darunter 25 neue Krebsarten. Von den geschätzten dreitausend polynesischen Arbeitern, die auf Mururoa beschäftigt waren, lebten nur noch wenige. Wie viele Leute auf dem Testgelände wirklich Dienst getan hatten, hielt man in Paris bis heute streng geheim.

„TAHITI-PROJEKT PARLAMENT!“, befahl Steve. „Na bitte, was hab ich dir prophezeit?“, rief er. „Die Zwanzigmillionengrenze ist geknackt! Das Internet-Parlament funktioniert. Ich möchte, dass bis zu Zweihundertmillionen Menschen abstimmen! Das kriegen wir hin, wollen wir wetten? TAHITI-PROJEKT SPENDEN! Schau an, wen haben wir denn da? B.A.U.M. Der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management ist mit hunderttausend Euro dabei. Wow! Insgesamt sind wir schon bei 27 Millionen Euro! Ich sag dir, wenn das so weitergeht, kaufen wir Omai bald einen eigenen Überwachungssatelliten!“

Cording musste lachen. Steve und sein elektronischer Freund schienen die Welt im Handstreich umzukrempeln. So sah es jedenfalls aus. Vielleicht gelang es ja wirklich, übers Internet so viel öffentlichen Druck aufzubauen, dass selbst ein schwergewichtiger Multi wie Global Oil mitsamt seiner Regierung beiseite treten musste.

„Tahiti-Projekt Umweltschutzorganisationen!“, rief Cording und vergaß dabei, dass seine Stimme beim Table Mac keinen Eindruck machte.

„TAHITI-PROJEKT UMWELTSCHUTZORGANISATIONEN!“, wiederholte Steve.
Sieh an. Greenpeace hatte zu einer Konferenz nach Amsterdam eingeladen. Sogar die militanten Öko-Krieger von Earth First! durften dabei sein. Cording hätte den von Steve gelegten Flächenbrand an Solidarität gerne weiter verfolgt, aber er musste dringend die Anfragen eines italienischen und eines australischen Fernsehsenders beantworten, die vor Makatea drehen wollten, was Omai seltsamerweise nicht duldete.

„Was ist denn das hier?!“, rief Steve überrascht, als Cording gerade dabei war, sich zu verabschieden.

Der Junge hatte über Google Earth ein Satellitenfoto von Makatea auf den Schirm geladen. Dort hatten sich zwei weitere Hebetanker eingenistet! Sie mussten erst kürzlich vor Anker gegangen sein.

Shocking Turner massierte seine müden Augen. Seit fünf Tagen zogen sie dieses Mammutprogramm nun ohne Pause durch. Außer einigen Cheeseburgern hatte er nichts Warmes in den Bauch bekommen und wach gehalten wurde er von einem Mix aus Cola und Amphetaminen.

„Wie spät haben wir es?“, fragte er seinen Tontechniker Mavis.

„Halb vier, Mann. Machen wir Schluss für heute.“

„Eine Ansage noch, dann kannst du meinetwegen die CD einlegen ... He, Freunde, die ihr dort draußen durch die Nacht stolpert: Hier ist Shocking Turner auf WNYC, die Welle der Sympathie! Die Vorbereitungen für das Tahiti-Concert im Central Park laufen auf Hochtouren, es werden aber noch Helfer gesucht. Am besten meldet ihr euch bei Jesse Burt hinter der Bühne, er wird euch schon zeigen, wo der Hammer hängt. Eastern Airlines stellt zehn Chartermaschinen für unsere kalifornischen Freunde zur Verfügung, kostenlos! In Zukunft wird bei Eastern gebucht, ist doch klar. Die Firma Eco-Industries, Gott hab sie selig, baut ein Riesenzelt am Lake auf, in dem ihr pennen könnt, wenn euch die Müdigkeit übermannt. Danke Eco-Industries! Gerade habe ich aus Tahiti erfahren, dass uns Omai eine Videobotschaft zukommen lassen will. Aus Hollywood haben sich ebenfalls eine Menge prominenter Unterstützer angesagt. Und es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass sogar Präsident Selby ein Wörtchen mitreden möchte. Ein Scherz, Leute, ein Scherz ...! In Madrid, Moskau, Paris, London, Berlin, Rio, Sydney, Bangkok und Tokio stellen sie Großbildschirme auf. Ingesamt wird das Konzert in 72 Länder übertragen, live! Hier ist Shocking Turner, wir hören uns in vier Stunden wieder! Bis dahin gibt es einen unvergleichlichen Potpourri lauschiger Südseemelodien auf die Ohren ...“

Mavis legte den Tonträger ein, der ihre Hörer für die nächsten Stunden mit Musik versorgen würde und zog Shocking zum Abschied das Lederkäppi in die Stirn.

„Ich hau ab, Mann“, sagte er, „du solltest dir auch ne Mütze Schlaf gönnen.“

„Mach ich. He Mavis ...!“

„Was ist?“

„Danke, Mann! Danke für alles!“

„Schon gut, Bruder.“

Der Toningenieur schloss die Tür hinter sich und ließ den Moderator allein. Turner konnte sich nicht entschließen zu gehen. Warum brachte er nicht einfach eine Matratze mit und pennte in den nächsten Tagen hier? Zumindest bis zum Konzert? Er nahm die Jacke vom Haken und blickte sich noch einmal prüfend im Studio um. Plötzlich verspürte er einen kurzen, trockenen Schlag im Nacken. Es war ein Gefühl, als sei der Kopf schmerzlos vom Rumpf getrennt worden und segelte nun gemächlich davon, während sein tauber Körper unter ihm langsam in sich zusammenbröselte. Er sah nichts mehr, außer diesem Farbgewitter, das man vermutlich immer zu sehen bekam, wenn man starb ... Stimmen umgaben ihn, entfernten sich, kehrten wieder. Kichernde, heulende, zischelnde, befehlende Stimmen. In seinem Kopf dröhnte es wie im Innern eines Walzwerkes, seinen Ohren entströmte eine ungeheure Hitze. Alles um ihn herum ächzte, knirschte, splitterte und brüllte. Von irgendwoher wehte eine herrlich kühle Brise über den Boden. Jemand trat gegen sein Bein.

„Was ist mit dem hier?!“

„Lass gut sein, der ist fertig, der Nigger!“

Wieder spürte Turner einen dumpfen Knall, diesmal hatte ihn ein Stiefel im Gesicht getroffen.

Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos so dagelegen hatte. Das Studio war nur noch eine einzige Trümmerlandschaft. Er kroch durch die Splitter zum Telefon, das seltsamerweise noch funktionierte. Als sich die Notrufzentrale meldete, vermochte er sich kaum zu artikulieren, so geschwollen waren seine Lippen. Nachdem er aufgelegt hatte, taumelte er ins Treppenhaus. Dort entdeckte er Mavis, der mit verdrehten Augen in der Fahrstuhltür klemmte. Sie hatten ihn regelrecht geschlachtet. Shocking zerrte seinen Freund aus dem Lift und ließ sich erschöpft neben die Leiche auf den Boden fallen. Er legte die Hand auf Mavis’ Herz, das nicht mehr schlug. Die ganze Welt schien für einen Moment lang stillzustehen. Selbst als die Sirenen der herbeigerufenen Ambulanz die Nacht wie mit dem Seziermesser durchschnitten, konnte er sich nicht aus seiner Erstarrung lösen.

Robert McEwen strich sich durchs Haar, öffnete das Seidenpapier über dem Blumenstrauß und klingelte.

„Donnerwetter!“, entfuhr es ihm in seiner robustcharmanten Art, als Faye öffnete.

Sie trug ein rotes Kleid mit gewagtem Ausschnitt, die Haare waren hochgesteckt, so dass ihr langer, schmaler Hals zur Geltung kam, der ihn immer wieder aus Neue stimulierte. McEwen verspürte eine unbändige Lust, sie noch im Flur zu nehmen. Sie entzog sich seinem Zugriff, stellte die Rosen in eine Vase und setzte diese auf dem für drei Personen gedeckten Tisch ab.

„Aber Mrs. Manzarek ...!“, kommentierte McEwen ironisch und tunkte den Zeigefinger in den Kaviar, „das wäre doch nicht nötig gewesen ...!“

Er nahm die Champagnerflasche aus dem Kübel und löste den Drahtverschluss.

„Es ist ein ganz normales Geschäftsessen, Bob“, mahnte Faye. „Du bist doch geschäftlich hier, oder?“

„Sicher, Baby ...“

Der Korken knallte gegen die Zimmerdecke. McEwen füllte die Gläser und ging hinüber zur Hausherrin, die vom Fenster ihres Appartements im 27. Stock ihres Appartements auf den Central Park hinab blickte, der unter dem Ansturm der Konzertbesucher aussah, wie ein einziger Ameisenhaufen.

„Cheers, Darling! Auf uns ..“, sagte McEwen und reichte seiner Gastgeberin eines der Gläser.

Faye reagierte nicht. McEwen stellte die Gläser auf dem Tisch ab und begann, ihren Nacken zu massieren. Ihr Kopf neigte sich dabei wie selbstverständlich nach hinten. Behutsam öffnete er den Reißverschluss des Kleides und streifte ihr die dünnen Träger von den Schultern, sodass der Seidenfummel herunter rutschte und ihre Füße umspülte.

Sie sah sich in der Scheibe über New York schweben wie einen überdimensionalen Engel. Das Gefühl, sich dieser Stadt in luftiger Höhe derart schamlos auszuliefern, erregte Faye. Ihr Atem schlug sich stoßweise auf dem bis zum Boden reichenden Fenster nieder. Irgendwann schimmerte Manhattan nur noch verschwommen durch den feuchten Nebel, in dem ihre Finger allerlei abstrakte Muster zeichneten. Als Bob sie nahm, hörte sie sich erschreckend laut schreien. Von ihm hörte sie nichts. So lange sie sich von diesem Mann vögeln ließ, hatte er sich noch nicht ein einziges Mal wirklich fallen lassen ...

Als der Gatte eine Stunde später aus Washington eintraf, empfing ihn seine Frau in einem züchtigen Hosenanzug.

„Also, Ray“, begann McEwen ohne Umschweife, „was ist bei Ihrer Unterredung mit dem Präsidenten herausgekommen, was gedenkt Selby jetzt zu tun?“

„Er macht es.“

„Gute Arbeit, Ray. Gute Arbeit ... Ich kann mich also darauf verlassen: es läuft alles wie besprochen.“

„So ist es.“

„Die Vereinigten Staaten und China werden im Sicherheitsrat Beschwerde einlegen gegen die unsinnige Politik der Internationalen Meeresbodenbehörde, richtig?“

„Ganz recht.“

„Der Präsident der Vereinigten Staaten wird sich notfalls vor die Vollversammlung stellen, und unser Vorgehen nicht nur verteidigen, sondern sie zu einer nationalen Angelegenheit von höchster Wichtigkeit erklären, so ist es doch?“

Der Energieminister nickte.

„Was ist mit den Zerstörern, die Admiral Morgan uns zum Schutz vor Piraten zugesichert hat?“

„Genehmigt.“

„Sehen Sie, Ray“, sagte McEwen triumphierend und bediente sich an dem sündhaft teuren Kaviar, der selbst unter den Wohlhabenden des Landes nur noch unter der Hand zu haben war, „war doch gar nicht so schwer. Gesellschaftspolitik ist Wirtschaftspolitik, mein Lieber. Sie folgt ihren eigenen festgeschriebenen Regeln. Da gibt es keinen Spielraum für moralische Skrupel, nicht wenn man einen Ertrag vor Augen hat, der letztlich allen nützt. Freut mich, dass der Präsident das endlich eingesehen hat.“

Er leckte sich die Finger.

„Eine Anklage durch die Vereinten Nationen und die damit verbundenen Regressforderungen Tahitis hätte sich Global Oil auch nicht leisten können. Das wäre in die Milliarden gegangen. So wie es jetzt läuft, ist es gut. Schließlich ist unsere Tankerflotte mit Geldern des amerikanischen Steuerzahlers gebaut worden. Wenn auch ohne Wissen des Präsidenten ...“

Er lachte. Für Ray Manzarek klang es, als käme dieses Lachen direkt aus der Hölle.

„Was hätte Selbys Rücktritt auch bewirkt?“, bemerkte McEwen. „Er hätte das Land vor aller Welt bloßgestellt und geholfen hätte es niemandem.“

Manzarek dachte daran, was es wohl helfen würde, wenn er dem Chef des größten Energiekonzerns der Welt augenblicklich eine Kugel durch den Kopf jagte. Er konnte die Großkotzigkeit dieses Mannes nicht länger ertragen, der glaubte, die frei gewählte Regierung dieses Landes nach Belieben gängeln zu können. Aber natürlich würde es nichts helfen, wenn er diesem arroganten Mistkerl das Lebenslicht ausblies.

Das Fatale an diesem System war ja, dass man niemand persönlich verantwortlich machen konnte. Die Demokratie diente lediglich als Deckmantel für legalisierte Schweinereien. Es spielte keine Rolle, wer in ihr welche Position bekleidete. Dass alles auf Korruption und Übervorteilung hinauslief, lag nicht vorrangig an den Mächtigen, sondern an der Grundphilosophie einer Gesellschaft, die dem Gedanken der persönlichen Bereicherung weitaus mehr verbunden war, als dem des Teilens.

Manzarek stand auf und ging ans Fenster. Der Central Park war schwarz von Menschen. Er musste daran denken, was Selby ihm angesichts der weltweiten Solidaritätsbekundungen für Tahiti gesagt hatte. „Ich beneide Omai“, hatte er gesagt, „ich wünschte mir, ich hätte ein solches Volk im Rücken ...“

Er spürte den Druck einer Hand auf seiner Schulter.

„Wir werden diesen Südseeindianern ein Angebot machen, Ray“, knurrte McEwen. „Eine Milliarde Dollar für jedes Jahr, das sie uns dort schürfen lassen.“

„Das wird nicht funktionieren“, entgegnete Manzarek ruhig. „Sie werden sich nicht korrumpieren lassen. Warum sollten sie? Wenn das so weitergeht, werden sie von der Weltbevölkerung bald auf Händen getragen. Diese Polynesier sind über uns gekommen, wie der Geist aus der Flasche. Den kriegen Sie nicht so einfach wieder hinein ...“

„Ach, Ray. Der CIA bräuchte nur zu beweisen, dass es sich bei Tahiti mit seinen Hanfplantagen um ein bedeutendes Drogendrehkreuz handelt. Schwupp, wäre das gute Renommee zum Teufel. Schon vergessen, wie man so etwas macht? Das Tahiti-Projekt ist nur ein Strohfeuer. Die Menschen brauchen solche Ventile, aber in Wirklichkeit haben sie Wichtigeres zu tun, als sich um ihre Zukunft zu sorgen. Ihre Gegenwart ist schwer genug ...“

Wieder gab McEwen dieses teuflische Lachen von sich, dabei wischte er mit seinem Taschentuch Spuren von Lippenstift von der Fensterscheibe.

„Ihr solltet die Putzfrau feuern“, bemerkte er und verabschiedete sich mit einem formvollendeten Handkuss von der beschämten Hausherrin.

„Deine Frau ist zauberhaft, Ray. Gib gut auf sie Acht. Und nun wünsche ich Euch viel Spaß beim Konzert. Nirgendwo hat man einen besseren Blick auf die Weltverbesserer als von hier oben ...“



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Quellen und Anmerkungen:

*Die Erklärungen der im Roman verwendeten Fachbegriffe sowie Hinweise für interessierte Leser auf weiterführende Literatur oder Webseiten befinden sich im Buch. Obwohl das „Tahiti-Projekt“ ein Zukunftsroman ist, sind die in ihm dargestellten technischen Lösungen und sozioökologischen Modelle keine Fiktion: sie existieren bereits heute! Das einzig Fiktive ist die Annahme, dass irgendwo auf diesem Planeten tatsächlich mit konkreten Veränderungen in Richtung auf eine zukunftsfähige Lebensweise begonnen wurde.

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