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Vorbildliche Schweiz

Vorbildliche Schweiz

„Wer soll unser Geld schöpfen?“, fragt man sich in der Schweiz.

Es ist ein Armutszeugnis für die Diskussionskultur der Schweiz, dass mit Uli Kortsch ein amerikanischer Finanzexperte endlich eine hochkarätige Konferenz zur umstrittenen Frage der Geldschöpfung organisieren musste. Dabei steht mit der Vollgeld-Initiative am 10. Juni eine Vorlage zur Abstimmung, der von Befürwortern wie Gegnern grösste Bedeutung zugesprochen wird und die vom bankennahen Thinktank avenir suisse schon vor der Unterschriftensammlung mit einer kritischen Expertise beehrt wurde. Bis jetzt äusserten sich die Exponenten der Finanzindustrie, die Experten und Initianten vornehmlich an ihren eigenen Veranstaltungen. Es ist dem GDI und den Ko-Organisatoren Global Interdependence Center und CFA Society Switzerland hoch anzurechnen, diskussionsfreudige Fachleute von internationalem Format zur heissen Frage zusammengebracht zu haben:

Wer soll unser Geld schöpfen dürfen?

Denn das ist umstritten. Heute werden rund 90 Prozent der Geldmenge M1 von den Banken durch Kreditvergabe in Umlauf gebracht. Ist dieses Geldschöpfungsprivileg neutral – d.h. profitieren alle Bürger gleichermassen davon? – ist es nachhaltig oder führt es zu wiederkehrenden Krisen? Dies sind die zentralen Fragen.

«Das gegenwärtige Finanzsystem stinkt.» Für diese Zusammenfassung der Stimmung im grossen Saal des GDI erhielt Martin Wolf, Bestseller-Autor, Chef-Kommentator der Financial Times und einer der höchstdekorierten Finanzjournalisten der Welt spontanen Szenenapplaus. Der kanadische Ökonom William White, Präsident des «Economic and Development Review Committee» der OECD meinte das Gleiche, drückte sich aber ein bisschen vornehmer aus: «Unser Geldsystem hat versagt.» Erstaunlich, so etwas von von der globalen Teppichetage zu hören.

Die Folgen der Akkumulation

Die Zahlen, die Martin Wolf präsentierte, sprechen eine deutliche Sprache. Der Aufschwung der US-Wirtschaft werde zwar überall gelobt, aber er sei «der schwächste in der US-Geschichte». Und die Eurozone habe seit der Finanzkrise ein glattes Jahrzehnt verloren. Der Produktivitätszuwachs der globalen Wirtschaft liegt seit 2004 auf dem niedrigsten Wert seit 1890. Für Wolf – definitiv kein Linker – ist dies ein Symptom der Akkumulation von Kapital: Anstatt in Investitionen in die Realwirtschaft wandert das Kapital in die Finanzwirtschaft.

Und während die Reichen immer reicher werden, kämpfen knapp 70 Prozent der Bevölkerung in den 25 westlichen Nationen seit 2005 mit stagnierenden und sinkenden Einkommen, wie Wolf zeigte. Gleichzeitig sind die Zinsen seit zehn Jahren nahe Null und damit gemäss Wolf seit 1694 auf historisch unerreicht tiefem Niveau. Die Aktienkurse dagegen lägen so hoch wie nur in den Crash-Jahren 1929 und 1987.

Wir befänden uns auf ausserordentlichem Territorium, «das System funktioniert nicht, und ich bin überhaupt nicht optimistisch», schloss er sein Referat. Ein paar Stunden später fielen die Aktienkurse auf breiter Front. Der Mann sagt, wie es ist, darum hat er einen so guten Ruf.

«Too big to save»

Könnten die Regierungen und Zentralbanken das System korrigieren, fragte William White. «Ja, aber sie haben nichts getan.» Im Gegenteil: «Das Krisenmanagement hat die Probleme vergrössert. Banken, die früher too big to fail waren, sind heute too big to save», zu gross, um überhaupt gerettet werden zu können. Als Konsequenz müssten wir radikaler an die Grundlagen des Geldsystem herangehen. Zusammenbrüche hätten sich immer wieder ereignet, kleinere häufig, grössere seltener. Die Lektion sei deshalb klar: «vorbereiten!» Zum Tagungsthema der Vollgeld-Reform, die das Bankengeld in pleitesicheres Nationalbankgeld umwandeln will, meinte er: «Wenn Geld wirklich sicher ist, braucht es keine Sicherheitsnetze und keine Regulierung, und dann gibt es auch keine Versuche, sie zu umgehen.» White greift damit einen Aspekt auf, der in der laufenden Vollgeld-Diskussion missverstanden wird. Die Vollgeld-Reform verbietet zwar den Banken die Geldschöpfung aus dem Nichts und ersetzt sie durch die Geldschöpfung durch die Zentralbank. Aber die Folgen müssten jedes liberale Herz höher schlagen lassen. Weil Geld nicht mehr eine Schuld ist (die nicht bezahlt werden kann), sondern ein pleitesicheres Zahlungsmittel, werden viele Regulierungen unnötig, die das heutige Bankensystem zunehmend in eine gigantische Bürokratie verwandeln, die alle aus dem Markt drängt, die diese Kosten nicht stemmen können, notabene die Genossenschafts- und Gemeindebanken, die für die Realwirtschaft so wichtig sind.

Ungesicherte Kredite in einem undurchsichtigen System

Nach Ansicht von Laurence J. Kotlikoff, Wirtschaftsprofessor an der Universität Boston und gemäss der Zeitschrift «Economist» einer der 25 einflussreichsten Ökonomen, geht die Vollgeld-Initiative «in die Richtung, in die sich unser Geldsystem bewegen muss. Das Schweizer Modell könnte ein Vorbild für die Welt sein.» Die Hebelwirkung schwach gesicherter Kredite für Spekulationen und die Undurchsichtkeit des Systems ortet der Fachmann für Finanzsicherheit als grösste Probleme der Finanzwelt, in der sich ein Bankrun jederzeit ereignen könne. Nach seiner Einschätzung wäre mit einer Stärkung der Investmentfonds, die ja mit gespartem und nicht geborgtem (also neu geschöpftem) Geld arbeiten, schon viel erreicht.

Geld: ein Zahlungsversprechen, unterlegt mit etwas Zentralbankgeld

Dann erklärten Sergio Rossi, Wirtschaftsprofessor an der Universität Fribourg und Prof. Joseph Huber, der geistige Vater der Vollgeld-Initiative die Reform, über die am 10. Juni abgestimmt wird. Sie will die Geldschöpfung allein der Nationalbank übergeben und wandelt dabei die Guthaben auf den Bankkonten – bis jetzt kein gesetzliches Zahlungsmittel – in Nationalbankgeld um. Huber unterstrich, dass die «Banken dabei kein Geld verlieren, sondern nur Geld, das sie behaupten zu haben, aber nicht besitzen». Bankguthaben seien eben kein Geld, sondern bloss «ein Zahlungsversprechen, das mit etwas Zentralbankgeld unterlegt» sei. Gemäss Katharina Serafimova, Umweltwissenschaftlerin und Dozentin am Institute for Banking and Finance» der Universität Zürich führt das Privileg der Banken, Geld aus dem Nichts zu schöpfen, zu Instabilität, Wachstumszwang und einer Hierarchisierung der Gesellschaft. Sich dem zu stellen, mache Angst.

Ein Riesenmist

Dann waren die Gegner der Initiative an der Reihe. «Das Vollgeld wird die Wirtschaftsfreiheit ersticken», sagte Jürg Müller von der NZZ-Wirtschaftsredaktion. Buchgeldschöpfung betrieben die Banken seit der Renaissance. Aber welche Freiheit kann er gemeint haben? Wenn die Freiheit, Geld zu schöpfen einseitig bei den Banken liegt, reduziert sich die Freiheit, Geld zu nutzen aller anderen. Die grossen Kunden der Banken haben den Vorteil: Sie kriegen das neue Geld praktisch zum Nulltarif. Alle anderen müssen hart dafür arbeiten oder grosse Risiken eingehen. Echte Wirtschaftsfreiheit müsste doch für alle gleich sein. Felix Müllers Hoffnung ruht in der Digitalisierung der Geldwirtschaft, in der fast jeder Vermögenswert in Geld verwandelt werden könne. Dabei sollten aber nicht dieselben Fehler wiederholt werden. Das tönt gut, aber um welche Fehler es geht, das sagte er nicht. Den Fehler der exorbitanten Geldschöpfung und der Blasenbildung kann er nicht gemeint haben, denn gerade das wird ja mit der Vollgeld-Initiative bekämpft.

Aleksander Berentsen, Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel und Berater der Nationalbank, bezeichnete die Vollgeld-Initiative als «eine der schädlichsten Initiativen überhaupt – ein Riesenmist». Eine der Gefahren bestehe darin, dass die Nationalbank die Geldmenge nicht reduzieren könne. Wirklich? Auch unter dem Vollgeld-Regime könnte eine Zentralbank Wertpapiere verkaufen oder Kredit an Banken kündigen. Und dann sagte Berentsen etwas, was bei den Befürwortern der Initiative nur erstauntes Kopfschütteln auslöste: Die Vollgeld-Initiative bringe ein «Verbot des Buchgeldes». Mit Verlaub: Das ist Polemik, die nur bei Ahnungslosen verfängt. Wahr ist: Die Vollgeld-Initiative will bloss die Schöpfung von Buchgeld durch die Banken verbieten. Die Reform gliedert das Buchgeld aus der Bankbilanz aus und macht es pleitesicher – Sicherheit und nicht «Verbot»! Ständerat Ruedi Noser (ZH, FdP) kritisierte an der Vollgeld-Initiative mehrmals, dass sie alles offen lasse und im Prinzip die Fortführung der bisherigen Praxis zulasse. Warum bekämpft er sie dann? Zudem hätte er als Parlamentarier die Möglichkeit, die Verfassungsbestimmung bankenfreundlich umzusetzen. In einem Punkt muss man ihm allerdings recht geben: Die Vollgeld-Reform wurde noch nirgends auf der Welt umgesetzt. Seine Sorge, er «möchte nicht Teil eines internationalen Experiments sein», ist daher verständlich.

Die andere Lösung: gemeinwirtschaftliche Banken

Das Vollgeld ist natürlich nicht die einzig mögliche und auch nicht die einzige nötige Reform des maroden Geldsystems.Die Möglichkeit, dezentral und mit lokaler Kontrolle Geld aus dem Nichts zu schöpfen, könne durchaus Probleme lösen, ist Richard Werner, Direktor des Centre for Banking, Finance and Sustainable Development der Universität Southhampton überzeugt. Die Schlüsselfrage sei, wer das neu geschöpfte Geld erhält und wofür. In Grossbritannien fliessen nach seinen Berechnungen 86 Prozent des von den Banken geschöpften Geldes direkt in den Kauf von Vermögenswerten, wie Wertpapiere und Immobilien. Eine Wertschöpfung findet dabei nicht statt. Kleine, lokal verankerte Banken in Gemeinbesitz, wie es sie in Deutschland (noch) zu tausenden gibt, vergeben dagegen Kredite (d.h. schöpfen Geld) für Investitionen in die Realwirtschaft, und die Gewinne der Banken kommen den Gemeinwesen zugut. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft sei ein schlagender Beweis für den Nutzen dieser Bankstruktur: Deutschland hat in Nischen fast so viele versteckte Weltmarktführer wie der Rest der Welt und exportiert mit sechs Prozent der Bevölkerung Chinas fast so viel wie das Reich der Mitte. Für Werner ist klar: Man muss die lokalen Banken von Genossenschaften oder in öffentlichem Besitz stärken und dafür sorgen, dass die Kreditgeldschöpfung ausschliesslich der Realwirtschft zugute kommt. Geldanlagen andrerseits sollen nur noch mit Spargeldern getätigt werden. Für Richard Werner, Mitglied des Schatten-Bankrats der Europäischen Zentralbank, geht der Trend allerdings in die andere Richtung: «Aufgrund der Vorschriften der EZB wird es in fünf Jahren keine Gemeindebanken mehr geben.»

Dringend: über das Unmögliche sprechen

Über all den Visionen für ein besseres Geldwesen schwebt allerdings das Damoklesschwert der Überschuldung. Die Kreditgeldschöpfung der Banken führt zu einem Schuldenberg, der mit dem vorhandenen Geld nie zurückbezahlt werden kann. Gemäss William White können die Schulden nur mit einer Hyperinflation oder mit einem Erlass beseitigt werden. «Darüber will niemand sprechen. Aber genau das müssen wir tun.»

Dank dem GDI und dem Organisator der Tagung Uli Kortsch, Gründer der Money Trust Initiative und Berater von zahlreichen Finanzministerien, sind die Themen nun auch in der Schweiz auf dem Tisch und im Gespräch. Ohne Wirkung ist das nicht. Während zu Beginn der Tagung 51 Prozent die Vollgeld-Reform befürworteten, waren es am Ende über 58 Prozent. Aber auch die ablehnende Fraktion stieg von 22 auf 27 Prozent.

Wenn nicht über die umstrittenen Themen gesprochen wird, bleibt es beim status quo, der vielen grosse Sorgen macht. Damit die Diskussion weitergehen kann, sollten die Ergebnisse und die Aufzeichnungen der Tagung entgegen den Gepflogenheiten des GDI öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Mitbesitzer der Muttergesellschaft, der Migros, wäre ich sehr dafür. Der GDI-Direktor David Bossart hat den Vorschlag jedenfalls mit einem herzlichen Lachen angenommen.

Diskussion muss weitergehen

Dank dem GDI und dem Organisator der Tagung Uli Kortsch, Gründer der Money Trust Initiative und Berater von zahlreichen Finanzministerien, sind die Themen nun auch in der Schweiz auf dem Tisch und im Gespräch. Ohne Wirkung ist das nicht. Während zu Beginn der Tagung 52 Prozent die Vollgeld-Reform befürworteten, waren es am Ende über 70 Prozent. Wenn nicht über die umstrittenen Themen gesprochen wird, bleibt es beim status quo, der vielen grosse Sorgen macht. Damit die Diskussion weitergehen kann, sollten die Ergebnisse und die Aufzeichnungen der Tagung entgegen den Gepflogenheiten des GDI öffentlich zugänglich gemacht werden. Als Mitbesitzer der Muttergesellschaft, der Migros, wäre ich sehr dafür. Der GDI-Direktor David Bossart hat den Vorschlag jedenfalls mit einem herzlichen Lachen angenommen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Veranstaltungen/Unser-Geld-unsere-Banken-unser-Land-AUSGEBUCHT/244774_244786_2018020520180205/1


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