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Weihnachten 2022

Weihnachten 2022

Eine satirische Dystopie über die ganz neue Normalität des kommenden Winters.

Heute muss ich mal wieder aus dem Haus. Man darf es ja nur aus dringendem Grund verlassen, aber der liegt eindeutig vor: Ich muss meine Benzinmarken für nächsten Monat abholen. Zwar sind es nur 20 Liter, aber immerhin. Bringt mindestens 100 Euro auf dem Schwarzmarkt. Mein Auto lasse ich nur deshalb angemeldet, damit ich die Marken bekomme. Ich bin ja nicht so doof wie mein Nachbar, der nur noch 10 Liter bekommt, weil er so wenig fährt. Denn bei ihm können sie es messen, im Sommer hat er sein neues Auto bekommen, das wie alle in der EU mit dieser neuen Blackbox ausgestattet ist. Die seine Daten über Funk live überträgt. So können sie jetzt sehen, wie wenig er fährt. Aber nicht bei mir! Meine sieben Jahre alte Kiste hat das noch nicht. Glück gehabt. Ohne dieses kleine Zusatzeinkommen wüsste ich nicht, wie ich die Stromrechnung bezahlen sollte.

Die Schlange vor der Ausgabestelle ist wieder über 200 Meter lang. Na ja, was soll’s. Geht halt nicht anders. Zum Glück habe ich mich warm angezogen, der Winter ist dieses Jahr saukalt. Wo bleibt nur endlich diese blöde Klimaerhitzung? Oh Gott, was war das für ein blasphemischer Gedanke? Überall auf der Welt sterben Millionen Menschen den Hitzetod, und ich … Schließlich ist jeder Einzelne fürs Klima verantwortlich. Still leiste ich Abbitte bei Greta.

Obwohl — eigentlich ist der Putin schuld am Klima. Weil wir jetzt wieder mehr Kohle verbrennen müssen — nur wegen diesem Deppen. Beim Warten stelle ich mir vor, wie er — also der Putin — zufällig um die Ecke kommt, ich ihm das Bein stelle und sich dann die ganze Meute auf ihn stürzt. Dann sehe ich triumphierend zu, wie sie ihn richtig fertigmachen. Voll in die Fresse! Das wäre mal echte soziale Gerechtigkeit. Aber da können wir lange drauf warten. Der lebt bestimmt in Moskau in Saus und Braus, hat keine Ahnung, was Mangel und Kälte bedeuten.

Zu allem Überfluss hat der Putin jetzt auch noch die Krankenhausbetten bei uns reduziert. Na ja, nicht direkt, aber wegen des Energiemangels kann nur noch die Hälfte der Zimmer beheizt werden, die anderen mussten dichtgemacht werden. Ich verstehe nicht, wie der so mächtig werden konnte. Irgendwie bestimmt er langsam unser gesamtes Leben: keine Heizung, kein Strom, zu wenig Sprit, sauteure Lebensmittel, dann hat er dafür gesorgt, dass die ganzen Industriebetriebe abschalten mussten, und jetzt auch noch die Krankenhäuser. Da muss doch mal jemand was dagegen tun!

Das Einzige, was mich mehr nervt als dieser Wahnsinnige, ist, dass das Internet abgeschaltet wurde. Weil sie all die Fake News und Desinformationen nicht in den Griff bekommen konnten. Das kann ich einfach nicht fassen:

Wenn man nicht mal mit den paar Querdenkern und Schwurblern fertig wird, wie will man dann das Klima und die Welt retten?

Da könnte die Regierung endlich mal härter durchgreifen. Ich würde den ganzen Rechten einfach keine Impfung mehr zugestehen und — schwupps! — wäre es bei der nächsten Welle vorbei mit ihnen! So einfach — aber mich fragt ja wieder mal keiner.

Apropos Welle: Zum Glück ist sie diesen Winter nicht so stark. Sicher, weil schon im September vorsorglich auf Systemrelevanz umgestellt worden war. Nur Leute, die in wichtigen Berufen arbeiten, durften aus dem Haus. Das ist viel besser als dieser Lockdown. Die Lebensmittelzuteilungen kommen einmal pro Woche an die Haustür, da kann sich auch keiner beschweren. Trotzdem wundere ich mich, dass die Kinder noch immer zur Schule gehen müssen. Das ist doch extrem gefährlich!

Meine Sandra zieht immer eine Doppelmaske auf, das hab ich ihr beigebracht. Auch, dass sie sie jeden Tag wechseln muss. Doch als ich Freitag ihre Schultasche kontrolliert habe, waren noch immer vier davon originalverpackt. Da hab ich gemerkt, dass ich nicht nachlassen darf. Vor allem jetzt, wo sie diese Erkältung hat und ständig in die Maske niesen muss. Das ist ja auf Dauer auch nicht so hygienisch. Seit heute kontrolliere ich jeden Tag. Kinder brauchen das.

So, jetzt bin ich wieder zuhause. Waren nur drei Stunden Wartezeit, das ging. Ist ja Arbeitszeit, wie das oberste Verwaltungsgericht entschieden hat. Mein Magen gibt auf einmal laute Geräusche von sich, kein Wunder. Mal sehen, was noch da ist. Im Kühlschrank stapeln sich die Sauerkrautdosen, Kartoffeln und Tomatensauce. Seit der Stromrationierung läuft er nicht mehr und wir nutzen ihn als Vorratskammer. War meine Idee! Sauerkraut kann ich nicht mehr sehen, mit den Verdauungsgasen könnte ich vermutlich meine eigene Biogasanlage betreiben.

Irgendwo war doch noch ein Stück Salami, aber wo? Jetzt fällt es mir ein: Ich hab sie hinter meinen Hemden versteckt, die werte Gattin hätte sich sonst längst darüber hergemacht. Wie einfallsreich ich doch immer bin. So, da wären wir, Hemden zur Seite und raus damit. Aber … die ist ja nur noch halb so groß! Na warte! Soll das etwa Solidarität sein? Noch dazu dem herzallerliebsten Ehemann so etwas anzutun! Da kann sie was erleben, wenn sie zurückkommt.

Wo ist sie denn überhaupt? Ach ja, Montag, Sprachkurs. Sie lernt jetzt Ukrainisch, damit sie sich mit der Kindergärtnerin von unserem Felix verständigen kann. Vielleicht sollte ich nicht so hart urteilen wegen der Wurst, schließlich hat sie es auch nicht immer leicht. Allein das Wäschewaschen mit dem Waschbrett — da möchte ich wirklich nicht mit ihr tauschen. Aber wir haben es alle nicht leicht. Solidarität gibt es eben nicht zum Nulltarif.

Morgen gehe ich wieder ins Café, habe ja eh Home-Office. Die Heizung in unserer Wohnung geht morgens nur von 6 Uhr bis 8 Uhr, da wird es kaum richtig warm in dieser kalten Zeit. Wir lassen sie jetzt extra aus, aus Solidarität mit der Ukraine, die Kinder setzen sich einfach eine Mütze auf und frühstücken ihr kaltes Müsli mit Handschuhen. Ein wenig Härte hat noch keinem geschadet.

Wenn meine Frau den Gehsteig freigeschaufelt hat und die Kleinen mit dem Rad in Kindergarten und Schule gebracht hat, gehe ich dann arbeiten ins Café. Da ist es ab 8 Uhr schon immer schön warm. Obwohl ich sagen muss, letzte Woche hat mich Alfons — so heißt der Betreiber — echt genervt. Meinte doch glatt, wenn ich acht Stunden hier sitzen wollte, dann müsste ich nächstes Mal mehr als einen Kaffee und ein Glas Leitungswasser bestellen. Dieses unsolidarische Kapitalistenschwein.


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