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Zwischen allen Stühlen

Zwischen allen Stühlen

Eine fast 80-jährige Frau mit französischen Wurzeln gibt Auskunft über ihr wechselvolles Leben und beklagt den Verfall von Humanität in Deutschland.

Fanette Pascal, Jahrgang 1944, habe ich durch meine Mutter kennengelernt. Eine zierliche ältere Dame mit einem großen Herz und großer Hilfsbereitschaft. Auf meine Nachfrage, uns einen kleinen Einblick in ihr Leben zu gewähren, willigte sie ein. Fanette stammt ursprünglich aus Frankreich. Unser Gespräch führen wir in ihrer Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg.

Gustav Smigielski: Liebe Fanette, vielen Dank für deine Einladung und für deine Bereitwilligkeit, uns ein Interview für die Kolumne „Menschen in Deutschland“ zu geben. Woher aus Frankreich kommst du?

Fanette Pascal: Ich wurde am 10. Juni 1944 in Aix-en-Provence geboren. Diese Stadt liegt ganz nahe am Hafen Marseille, 30 Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Sie ist ebenfalls die Geburtsstadt von dem berühmten Maler Cézanne sowie bekannt für das Mozartfestival, welches jedes Jahr im Juli stattfindet.

Darf ich dich nach deiner Schulbildung fragen?

1961 habe ich mein Abi gemacht und wollte Spanischlehrerin werden. Da ich aber noch zu jung war, um auf die Uni zu dürfen, verbrachte ich einige Monate auf einer Uni in Madrid bei einem Perfektionskurs „Spanisch für Ausländer“.

Dort lernte ich mit 17 Jahren einen deutschen jungen Mann und meinen zukünftigen Ehemann kennen, der auf Lehramt in München studierte. Seine Fächer waren Germanistik und Romanistik, also Französisch und Spanisch.

Ich vermute, dass du wegen deinem Ehemann nach Deutschland gezogen bist?

Ja, das stimmt. Trotz einem in Frankreich angefangenen Studium in Romanistik fürs Lehramt zog ich mit diesem Deutschen namens Diethelm Wacker direkt nach der Hochzeit, welche 1964 in meiner Heimatstadt stattfand, nach München. Ich blieb jedoch Französin und wurde keine Deutsche. Die deutsche Sprache lernte ich ganz allein ohne Sprachkurs, mit dem Hintergedanken, mit meinem Mann nach Südamerika zu ziehen, wenn er mit seinem Studium und seiner Doktorarbeit fertig sein würde.

Wir sprachen miteinander nur Französisch, weil mein Mann dabei seinen persönlichen Weg fand, nicht „so wirklich Deutscher“ zu sein. Dies hängt damit zusammen, dass er seine deutsche Identität komplett ablehnte.

Er ist 1938 während des Zweiten Weltkrieges geboren worden und konnte es nicht ertragen, die Nazi-Verbrechen als Schuld tragen zu müssen. Deswegen stellte er sich eine gemeinsame Zukunft mit mir nur in einem spanischsprechenden Land vor, entweder Spanien oder Südamerika.

So lebte ich in einer permanenten Grauzone, musste mich in Süddeutschland etwas integrieren, den Alltag leben, mit dem Gedanken, dann irgendwann bald nach Südamerika umzusiedeln.

Dieser Spagat zwischen Ländern und Sprachen führte zu gravierenden Spannungen zwischen meinem Mann und mir. Ich fühlte mich immer mehr entzweit und erschöpft. Nach 20 Jahren Ehe verließ ich meinen Mann und verlor auf einen Schlag alles, was für eine kleinbürgerliche Hausfrau als Stabilität zählt: Haus, Garten, Auto, Freundeskreis, und so weiter. Ganz zu schweigen von den finanziellen Nöten!

Wie sieht dein Lebensabend aus?

Die Rente reicht zum Leben. Die Wohnung, in der wir gerade sitzen, konnte ich mir nur leisten, weil ich von meinen Eltern geerbt habe. Ich habe nur Nebenkosten von insgesamt 430 Euro, Heizkosten inklusive. Von meiner Rente kann ich leben.

Ich mag es, hier in Prenzlauer Berg zu wohnen. Fühle mich aber nicht zugehörig, da hier sehr viele junge, gut betuchte Familien wohnen. Zwar sind hier im Kiez 8 von 10 Einwohnern Ausländer, jedoch aus unterschiedlichen, meist europäischen Nationen wie Italien, Frankreich, England, Amerika, Spanien; Menschen, die es sich leisten können, entweder hohe Mieten zu zahlen oder eine Eigentumswohnung.

Kommen wir nun zu deinem Weltbild und fangen lokal an, mit der politischen Lage in Deutschland. Wie empfindest du diese?

Die aktuelle Lage empfinde ich als sehr gefährlich, weil es sehr viele Problemherde gibt. Diese Ampelregierung sehe ich als sehr negativ. Die Grünen sind sehr widersprüchlich, finde ich. Zum Beispiel ist das illusorisch, aus einer Hauptstadt eine Fahrradstadt zu machen. Als könnten ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen oder mit mehreren Kindern alle auf das Fahrrad umsteigen. Ich habe zwar ein Abo für die öffentlichen Verkehrsmittel, die ich auch permanent benutze, aber ich bin auch im Besitz eines Pkws, auf den ich nicht verzichten möchte. Beispielsweise transportiere ich Sachen zum Recyclinghof für Freunde oder ältere Menschen oder helfe bei Wohnungsauflösungen. Ich transportiere Kartons oder Staubsauger, Klamotten für die Kleidersammlung, wie soll ich das ohne Auto machen?

Auch das Benehmen der Politiker: Warum muss die Außenministerin ständig mit einem Riesenflugzeug durch die Welt fliegen? Es gibt doch „Zoom“ und Videokonferenzen. In der Pandemie mussten wir alle mit „Zoom“ arbeiten, auch wenn man das nicht wollte. Fahren die Politiker zu ihren Versammlungen mit dem Rad? Sie haben eine Riesenlimousine mit Chauffeur. Wie groß ist der Fuhrpark der Regierung?

Außerdem finde ich das Gesundheitssystem ungerecht in Deutschland. Die Seniorenheime sind eine Katastrophe, es sei denn, du kannst dir ein Seniorenheim für 4.000 Euro im Monat leisten. Die Pfleger sind unterbezahlt und überfordert. Übrigens sind da auch viele Ausländer. Ich find das tragisch, dass besonders das Gesundheitssystem auf Profit aus ist.

Auch das ganze Theater um die CO2-Einsparung finde ich völlig übertrieben. Als ob Deutschland die Welt retten kann, wenn es etwas CO2 einspart. Völlig verblendet.

Welche Einstellung pflegst du zur AfD? Bietet sie deiner Meinung nach wirklich eine Alternative?

Die AfD hat mitunter gute Ansichten, aber sie ist mir zu extrem. Ich würde sie nicht wählen. Wenn Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründen würde, würde ich sie wählen, weil sie eine sehr intelligente, wissende, klare Persönlichkeit ist. Und sie denkt sozial.

Die Linken und die Grünen sind für mich identisch, sie verbessern nicht das Sozialsystem, sie bringen uns nicht weiter.

Und die Weltlage im Allgemeinen?

Meine heutigen Weltanschauungen sind eher pessimistisch. Die vielen aktuellen Konflikte destabilisieren uns zunehmend. Einerseits Ukraine, jetzt kommt Israel dazu. Was den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine angeht, muss ich gestehen, dass mir detailliertes Wissen fehlt. Was ich aber schon öfters gehört habe, ist, dass die Ukraine innerhalb der Regierung sehr korrupt sei. Der Selenskyj ist mir sehr suspekt.

Überhaupt ist die Weltlage total unsicher geworden. Ich beobachte in Europa einen signifikanten Rechtsruck. Ich denke zum Beispiel, dass Le Pen, wenn nicht bei den nächsten Wahlen, dann spätestens vier Jahre später in Frankreich Präsidentin wird. Die Menschen in Frankreich sehnen sich nach Ordnung – ähnlich wie in Deutschland – so wie ich auch.

Der gesellschaftliche Egoismus, das Desinteresse an den Nachbarn ist deprimierend. Wenn ich als ältere Frau auf dem Bürgersteig laufe und mir kommen junge Frauen mit Kinderwagen entgegen, lassen sie mir nie Platz zum Vorbeigehen. Die Fahrradfahrer in Prenzlauer Berg fahren alle auf dem Bürgersteig, und die elektrischen Tretroller liegen quer auf dem Boden.

Das Smartphone als unentbehrlicher und ultimativer Lebenshelfer hält die Menschen gefährlich gefangen und macht sie süchtig sowie gefügig und manipulierbar.

Und ist dieser Tsunami der KI noch aufzuhalten? Ich glaube nicht! Wir gehen mit „erblindet offenen“ Augen einer kulturellen und menschlichen Katastrophe entgegen! Mein Alter ist vielleicht mein höchstes Gut und Privileg! Auch wenn es sich sehr egoistisch von mir anhört.

Ich habe mitbekommen, dass du selbst sozial aktiv bist?!

Ich habe fünf Jahre ehrenamtlich als Integrationshelferin mit einer syrischen sechsköpfigen Familie gearbeitet und habe vieles erlebt. Zwar ist diese Familie heute sehr gut integriert, ich sehe das jedoch eher als Ausnahme. Ich war mit ihnen jeden Tag Vollzeit beschäftigt, und wenn ich die Anzahl von Flüchtlingen sehe, frage ich mich, wie viele Integrationshelfer benötigt werden, um die Menschen zu integrieren. Ich halte das für nicht umsetzbar. Die Syrer haben total gut kooperiert, deswegen hat es auch geklappt. Sie war Englischlehrerin in Syrien, er war Techniker für Klimaanlagen. Die Kinder sind alle top. Noch einmal würde ich das aber nicht machen, weil ich nicht überzeugt bin, dass das was bringt. Das, was sich die Politiker vorstellen, ist bei einer solch großen Menge von Menschen nicht machbar.

Die deutschen Vorschriften sind furchtbar. Obwohl im Fall der syrischen Familie grundlegende Qualifikation vorhanden waren, scheiterte es beim Vater an den Vorschriften und der spezialisierten Fachsprache in dieser Branche.

Die deutschen Sprachkurse sind wenig effektiv. Die vielen Ausländer lernen zwar Deutsch, haben aber keinen Kontakt zu den Deutschen.

Was machst du jetzt aktuell ? Bist du noch aktiv?

Ja, ich bin bei der palliativen Sterbebegleitung und bin im „Meerbaum-Haus“ im Tiergarten, einer Begegnungsstätte für Senioren. Ehrenamtlich.

Wie sieht du die Medienlandschaft in Deutschland?

Ich sehe sie als Gefahr, weil der Bürger nicht mehr unterscheiden kann, was wahr ist und was nicht. Es führt zu Orientierungslosigkeit der jüngeren Generation, die sowieso schon durch die Influencer manipuliert werden. Heutzutage würde ich nicht gerne in der Elternrolle sein. Was habe ich für ein Glück gehabt, meine Kinder in den 60er Jahren zu haben, ohne Smartphone und Internetspielen und so weiter.

Ich habe wenig Vertrauen in die Medien, halte mich mehr an Fach- und Sachbücher und höre gerne Interviews mit kompetenten Forschern.

Ein Paradebeispiel ist die „Löwin“ in Kleinmachnow. Bis heute weiß man nicht, was wirklich dort geschehen ist, ob es eine Löwin oder ein Wildschwein war. Dieselbe Nachricht lief in Paris und Madrid, was ich über Freunde, die dort leben, erfahren habe. Die Aussage dort war: „Löwen laufen durch Berlin.“ Das machen die Medien.

Wie hast du die „Pandemie“ erlebt?

Corona war auch ein Beispiel, das mein Misstrauen in die Medien noch weiter verstärkt hat, ich glaube, die Pandemie war erfunden.

Und es gibt bestimmt an dieser Stelle hundert Leute, die mich „killen“ wollen. Diese „Pandemie“ hat gezeigt, dass man eine ganze Bevölkerung terrorisieren kann und sie sich fügen werden, wenn man ihnen Angst macht. Sie war ein einschlägiges Ereignis und wird in die Geschichte eingehen als Trennung zwischen alter Zeit und neuer Zeit.

Die Menschen und der Kontakt mit ihnen haben sich total verändert. Vieles wurde virtuell, die Menschen haben den Kontakt miteinander verloren. Das sehe ich als große Gefahr.

Ich war in verschiedenen Vereinen, die Pandemie stoppte alles. Es gab nichts mehr, wo wir hingehen konnten. Alles wurde still, leblos, deprimierend, ja fast aussichtslos.

Zu dieser Zeit kümmerte ich mich ausschließlich um einen alten Freund, der enorme Rückenschmerzen hatte. Februar 2022 bekam er einen Schlaganfall, wurde vier Mal in verschiedene Kliniken eingewiesen. Er war drei Mal geimpft.

Er hatte mir eine Vorsorgevollmacht erteilt, die mir ermöglichte, für ihn alles Wichtige zu erledigen. Vier Monate lang war er nicht zuhause. Als er wiederkam, mobil eingeschränkt und erschöpft, hielt er es nicht mehr aus und beschloss, sein Leben freiwillig mit der Unterstützung der DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) zu beenden. Ich war bis zu seinem letzten Atemzug dabei. Anschließend musste ich alles für ihn erledigen und abschließen, was nicht einfach war, da er keine Kinder und nur entfernte Verwandtschaft hatte.

Bist du geimpft?

Nein, ich bin nicht geimpft. Ich habe aber immer die Maske getragen und Abstand gehalten. Ich habe mich an die Vorschriften gehalten. Glücklicherweise wurde ich beruflich nicht dazu gezwungen.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Was kann man sich schon mit fast 80 Jahren noch wünschen? Ich wünsche mir Gesundheit, aber dafür tue ich auch viel und gerne. Ich mache täglich Yoga, bin sehr diszipliniert und ernähre mich bewusst. Ich hoffe, dass geopolitisch ein Konsens gefunden wird und wir nicht in einen Dritten Weltkrieg schlittern. Das empfinde ich als eine größere Bedrohung als die Klimathematik.

Ich habe Angst vor der KI, vor den Robotern und vom Verlust der Menschlichkeit, ich habe Angst vor der Illusion, dass Maschinen den Menschen überall ersetzen können.

Liebe Fanette, vielen herzlichen Dank für dieses tolle Gespräch und den Einblick, den du uns gewährt hast.


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