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Zwischen den Medienwelten

Zwischen den Medienwelten

Sind Alternativmedien besser als Mainstreammedien? Oder nur eine Ergänzung? Und wo liegen sie falsch? Ein Gespräch mit einem, der beide Seiten kennt.

Roberto De Lapuente: Seit wie vielen Jahren bist du nun Journalist, lieber Walter? Und seit wann bist du für Alternativmedien tätig?

Walter van Rossum: Ich habe 1981 angefangen, für öffentlich-rechtliche Medien zu schreiben. Und zwar zunächst für den Deutschlandfunk, dann für den WDR. Es folgten Texte in der ZEIT, später FAZ, FR und ein paar anderen Blättern. Da war ich 27 und promovierte nebenbei. An der Uni hatte ich eine Assistentenstelle bei den Romanisten. Meine erste Sendung im Deutschlandfunk war eine Rezension von Negt/Kluge: Geschichte und Eigensinn. Länge 25 Minuten, ausgestrahlt morgens um 10:05 Uhr. Dann folgte ein dreiteiliges Feature, ein Essay über die Lage der Universitäten.

Du warst fest angestellt bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Nein, ich habe immer als sogenannter Freier gearbeitet. Für Alternativmedien arbeite ich jetzt seit etwa zehn Jahren. Die Öffentlich-Rechtlichen habe mich 2021 nach exakt 40 Jahren gefeuert. Ich war vielleicht eine halbe Stunde lang irritiert, seitdem bin ich nur noch erleichtert.

„Früher wurde im Großen und Ganzen der Eigensinn prämiert“

Warum wolltest du Journalist werden? War es die Kohle oder die Suche nach dem, was man Wahrheit nennt?

Ich habe mich anfangs gar nicht als „richtigen“ Journalisten verstanden. Mehr als Literaturkritiker mit dem Schwerpunkt französische Literatur. Dazu kamen viele Sachbuchrezensionen. Das wurde dann auch schnell politisch. Es ging damals viel um die Postmoderne, die sich anschickte, das 68er-Erbe zu liquidieren. Ich war aber von Leuten wie Jean-Paul Sartre geprägt und bin es heute noch. Das waren völlig andere Zeiten — sehr generöse Zeiten. Ich hatte nie einen beruflichen Plan. Ich hatte nur einen festen Berufswunsch: NICHT Chefredakteur der ZEIT zu werden. Diese öligen Typen gingen mir schon damals furchtbar auf den Zeiger. Mit dieser fröhlichen Hybris kam ich dann lange Zeit gut über die Runden. Und was die Kohle betrifft: Im Rundfunk und mit Zeitungsschreiberei konnte man als „Freier“ nicht reich werden, aber ganz gut leben. Ich schätze mal, die Honorare waren damals real ungefähr doppelt so hoch wie heute.

Du warst viele Jahre im Mainstream zu finden — seitdem du für Alternativangebote arbeitest: Fühlst du dich nun freier als früher?

Die ersten 20 Jahre im Mainstream waren paradiesisch. Das lag auch an einem völlig anderen Typ von Redakteur. Das waren damals in der Mehrzahl keine konformistischen Vollstreckungsbeamten, sondern Charakterköpfe. Denen habe ich sehr viel zu verdanken. Natürlich eckte man hier und da an, aber im Großen und Ganzen wurde Eigensinn prämiert. Als ich 2003 mein ziemlich kritisches Buch über die Talkshow von Sabine Christiansen veröffentlicht hatte, flatterten mir gleich mehrere Angebote zur Mitarbeit aus den diversen TV-Redaktionen ins Haus. Gleichzeitig habe ich damals schon gespürt, dass der Wind sich langsam drehte. Die Verfallsgeschichte wäre ein eigenes Thema.

Du beackerst sie ja auch ein wenig in deinem aktuellen Buch „Alternativen in Medien und Recht...“

Jedenfalls wurde ich vor zehn Jahren meines medialen Umfeldes so überdrüssig, dass ich begann, mich nach anderen Jobs umzuschauen. Ich wollte raus aus dieser Medienwelt. Vermutlich war ich zu borniert oder zu alt, um zu erkennen, dass sich abseits des Mainstreams eine beachtliche digitale Gegenöffentlichkeit zu bilden begann.

Anfangs lud mich Albrecht Müller, der Herausgeber der NachDenkSeiten, ein, für seine Plattform zu schreiben. Dann begann ich, für Rubikon zu schreiben, und bei der Nachfolgeorganisation Manova arbeite ich bis heute. Da habe ich dann junge Redakteure getroffen, die eher den ollen Charakterköpfen von früher ähnelten, dabei aber enorm improvisieren mussten. Dafür bin ich unendlich dankbar. Wie gesagt, ich stand kurz davor, das Gewerbe zu verlassen.

„Aus den Katakomben funken die Ausgestoßenen für Ausgestoßene“

Die Gebührenfinanzierung der Öffentlichen-Rechtlichen ist sicherlich ein Vorteil — schließlich kommt Geld rein, egal was man fabriziert. Ist die öffentliche Finanzierung von Medien weiterhin ein Zukunftsmodell? Oder hast du alle Illusionen verloren?

Die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) war gewiss famos. Es genügt ein Blick in den alten Rundfunkstaatsvertrag. Ich habe ja auch einige Jahre erlebt, dass der Geist dieses Papiers lebte. Dazu gehörten auch erhebliche Reibungen. Das Problem besteht darin, dass die ursprünglich formulierten Prinzipien und Grundlagen in der Realität längst keinerlei Rolle mehr spielen. Die Parteien haben den ÖRR ganz und gar gekapert. Vermutlich haben 90 Prozent des öffentlich-rechtlichen Outputs überhaupt nichts mit einer qualifizierten medialen Grundversorgung zu tun, um die es in besagtem Staatsvertrag geht. Die 10 Prozent, die sich den Anschein von Qualitätsjournalismus geben, dürften nicht mal die Aufnahmeprüfung irgendeiner Journalistenschule bestehen. Von politischer Unabhängigkeit des Personals und redaktioneller Autonomie sind keine Spurenelemente mehr erkennbar.

Okay, das klingt illusionslos …

Ich habe den schier unaufhaltsamen Abriss des Systems in den letzten 20 Jahren ja hautnah miterlebt. In der gegenwärtigen Form ist der Laden mit Sicherheit nicht reformierbar. Er müsste bis auf die Grundmauern entkernt und das gesamte Personal fristlos entlassen werden. Nicht zu vergessen wäre die Absenkung der aberwitzigen Altersbezüge der Festangestellten.

Dann blieben noch die Verwaltungs- oder Rundfunkräte, die dort politisch Einfluss nehmen.

Wenn man das alte System noch einmal neu aufsetzte, bleibt das Problem der Aufsicht. Die dafür zuständigen Gremien haben ja auf sagenhafte Weise versagt. Da müsste man sich was Neues einfallen lassen. Doch all das bleibt völlig hypothetisch, so lange, bis wir wieder in einer Gesellschaft leben, die den Pluralismus nicht nur erträgt, sondern auch noch schätzt. Heute haben wir eine geteilte Realität, oben dröhnt die Zitadelle der „Anständigen“ geschützt von einem dichten „Cordon sanitaire“ aus Faktencheckern, direkter Zensur und dem EU Digital Services Act, aus den Katakomben funken die Ausgestoßenen für Ausgestoßene. Allerdings sollten wir eines nicht vergessen: Unsere Parallelgesellschaft hat mit ihren bescheidenen Mitteln und ohne alle Steuermilliarden eine so bunte wie qualifizierte Medienlandschaft hervorgebracht.

„Faktenchecker sind getarnte Handlanger einer perfiden Zensur“

Du nanntest Faktenchecker: Machen die journalistische Arbeit?

Mit Sicherheit nicht. Die Kernfrage lautet: Wie kann man mit journalistischen Mitteln Zeugnis von der Realität ablegen? Und wer sich mit dieser Frage schon mal beschäftigt hat, merkt unmittelbar, dass die Realität nicht aus einer Anhäufung von Fakten besteht und dass die sogenannten Tatsachen kein Absolutum des Wissens darstellen. Ganz grob gesagt definiert sich die Moderne über ihren skeptischen Umgang mit Wahrheit. Wahrheit ist stets „gemacht“. Sie entsteht und vergeht in laufenden Prozessen, getragen von bestimmten Verständigungsprotokollen.

In diesem Sinne ist das Wirkliche nicht das Gewisse und deshalb zuverlässig das Problem. Kein ernsthafter Wissenschaftler würde für sich in Anspruch nehmen, letzte Wahrheiten entdeckt zu haben. Wie absurd, wenn ausgerechnet Journalisten das für sich in Anspruch nehmen. Wer Fake News aufzudecken behauptet, der will ja nicht in eine Diskussion eintreten, eine andere Variante von Wirklichkeitserklärung in Spiel bringen, sondern der will Diskussionen im Namen letzter Wahrheiten unterbinden. Man könnte es fast schon totalitär nennen, wenn es nicht so sagenhaft dümmlich wäre.

Das ist theoretisch, hast du ein Beispiel, um es bildhaft zu machen?

Die Antwort auf die Frage, wie viele Arbeitslose es im Moment gibt, hängt beispielsweise entscheidend davon ab, wie Arbeitslosigkeit definiert wird. Und gute Journalisten wissen eigentlich, dass diese Definitionen gerne mal umgearbeitet werden. Und ganz pragmatisch: In meinem Buch habe ich mir ja ein paar Faktenchecker vorgenommen. Die kann man vor dem Frühstück auseinandernehmen. Meistens bestehen die aus nichts als einer Reihe von Behauptungen, die zu einem bestellten Ergebnis führen. Das sind die als Journalisten getarnten Handlanger einer perfiden Zensur.

Die Finanzierung ist auch ein Stichwort für die Alternativmedien, oder sagen wir lieber: deren Problem. Wie könnten die sich aufstellen, um finanziell sicherer auftreten zu können?

Ich bin für ein Bezahlsystem. Es geht dabei um eine bessere Planungssicherheit und auch eine gewisse Unabhängigkeit. Die größeren Plattformen sollten sich auf eine Art Grundbetrag einigen. Ich denke hier an Summen zwischen ein und fünf Euro monatlich im Dauerauftrag. Und ich kenne genug Leute, die nicht gerade im Geld schwimmen, die machen das längst ganz selbstverständlich. Fast jeder kann zwei bis drei der von ihm besonders geschätzten Medien mit monatlich zwei Euros unterstützen. Wer mehr hat, kann natürlich auch mehr bezahlen.

Übrigens hätte ich nicht gedacht, dass sich allein auf Grundlage freiwilliger Spenden so viel auf die Beine stellen lässt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass viele Redakteure und Autoren ziemlich bescheidene Honorare und Gehälter beziehen.

„Wenn ich heute bei den Redaktionen anriefe, für die ich jahrzehntelang gearbeitet habe, die würden sofort auflegen“

Hast du als Alternativmedienschaffender nicht auch häufig das Gefühl, dass Alternative viel zu oft Getriebene der Mainstreammedien sind? Also dem Sinne nach, dass sie Nachrichten aufgreifen, die dort fabriziert werden? Ihnen fehlt einfach ein ideologiefreies Nachrichtensystem, eine Art Alternativ-dpa.

Ich verstehe, was du meinst. Doch wir sind nun mal eine Gegenöffentlichkeit. Wir haben Corona nicht erfunden. Aber wir mussten darauf reagieren und den ganzen offiziellen Coronamaßnahmen-Diskurs auseinandernehmen. Aber wir durften die Debattenarena ja nicht als Teilnehmer einer Diskussion betreten, wir sind ja schon rausgeflogen, bevor wir unsere Zweifel selbst formuliert hatten. Und das Sujet war ja für die meisten von uns nicht gerade vertrautes Gelände. Ich halte das für eine großartige Leistung, wie wir eine Art lückenloses Gegennarrativ geschaffen haben. Außerdem sind wir ja tatsächlich die Getriebenen …

Sag ich ja — oder meinst du das anders?

Nun ja, wir werden gejagt und müssen jederzeit verstehen, was die Jäger im Schilde führen und was wir dagegen tun können. Wir bestimmen nicht die laufende große Agenda, nicht Corona, nicht die Ukraine, nicht die Inflation, nicht Palästina. Aber wir wissen, warum wir da nicht mitmachen. Das ist in meinen Augen schon deutlich mehr als der berühmte Sand im Getriebe.

Beispielsweise in Sachen Corona hatten wir in fast allen Belangen zu 100 Prozent Recht. Das ist oben durchaus angekommen. Nicht umsonst organisiert man gerade hysterisch eine gespaltene Gesellschaft von Anständigen hier und Faschisten da. Damit es nur ja keine Berührung gibt. Wo ich dir allerdings zustimmen würde: Wir müssten uns mehr Gedanken darüber machen, wo wir hinwollen. Wir sind ja als Parallelgesellschaft gegründet worden. Es wird Zeit, dass wir uns selbst gründen.

Erstaunlich ist, dass es keinen Fahrstuhleffekt zu geben scheint. Als die Privatsender im Fernsehen den öffentlich-rechtlichen Anstalten Konkurrenz machten, wechselten auch mal welche von privaten zu öffentlichen TV-Sendern. Aber von Alternativmedien in den Mainstream wechselt heute kaum jemand. Nur andersherum. Woran liegt das?

Wer einmal in den Katakomben war, dem vergibt die Oberwelt nicht. Wenn ich heute bei den Redaktionen oder Verlagen anriefe, für die ich jahrzehntelang gearbeitet habe, die würden sofort auflegen. Ich bin verbrannt. Meinerseits zieht mich nichts in den medialen Mainstream zurück. Mich ekelt es geradezu vor dessen Produktion.

„Der Pluralismus, den die Oberwelt abgeschafft hat, scheint sich in den Kelleretagen wieder einzurichten“

Auch die Alternativmedienbranche macht ja nicht alles richtig. Was sind deiner Meinung nach die Fehler der Alternativen?

Die meisten Alternativmedien sind ja aus dem Moment heraus und im Tumult entstanden oder groß geworden. Bevor ich mein Buch begann, hatte ich keine Ahnung, wie viele Plattformen et cetera ich noch nicht einmal vom Hörensagen kannte. Noch erstaunlicher die beeindruckende Qualität. Ich nenne nur mal zwei Beispiele: Corona Doks (Corodok.de) oder Punkt. Preradovic (punkt-preradovic.com). Die Corona Doks liefern grundsolide — man möchte fast sagen: peer reviewed — Informationen zu allen Themen rund um Corona. Während Milena Preradovic am laufenden Band kluge Interviews mit klugen Leuten zu allen möglichen Themen führt. Danach ist man immer etwas schlauer als zuvor.

Ich staune wirklich immer noch über die Größe und die Qualität des medialen Feldes, das da entstanden ist. Auch die stilistische und politische Heterogenität gefällt mir. Der Pluralismus, den die Oberwelt abgeschafft hat, scheint sich in den Kelleretagen wieder einzurichten. Wir müssen allerdings lernen, ihn zuzulassen und zu schützen.

Aber es gibt doch was Falsches im Alternativen. Reichelt ist schließlich auch Alternativmedium. Lassen wir das mal inhaltlich, aber der Stil ist dort manchmal schon — freundlich gesagt — befremdlich …

Mit leisem Schrecken sehe auch ich, dass sich mittlerweile einige Radaumedien etabliert haben, die sich eines großen Zulaufs erfreuen. Meist wird dort mit investigativem Gestus genüsslich auf Personen eingedroschen. Man kann ja mal ein paar Witze machen über den BDM-Pummel, der jetzt mit allen Mitteln zur Grande Dame der Außenpolitik hochtoupiert wird, aber meistens handelt es sich um lärmende redaktionelle Garnitur für viel Werbung. Manche Plattformen machen unverhohlen Werbung für Gold und andere Edelmetalle, dafür gibt’s ein bisschen Gratiskritik. Ein wenig Boulevard darf schon sein, aber er muss ja nicht gleich geschmacklos und unanständig werden.

Das Qualitätsgefälle hältst du nicht für problematisch?

Doch, viele der Leute, die jetzt in der Gegenöffentlichkeit publizieren, hatten vorher nie für die Öffentlichkeit geschrieben oder Interviews geführt. Einige wenige haben es auch in der Folge nie gelernt. Das kann man manchmal kaum lesen oder anschauen. Wenn man das als einen Fehler bezeichnen will. Und ich weiß nicht, ob man das Folgende auch einen Fehler nennen kann — aber es gibt eine gewisse Überproduktion. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele, die über bestimmte IT-Kenntnisse verfügen, auch glauben, schon gleich auf Sendung gehen zu müssen und dann auch noch davon leben wollen.




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